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© BÜCHERmagazin, Carsten Tergast (ct)
Jean Echenoz' surrealistischer Agententhriller "Unsere Frau in Pjöngjang"
Als das Buch vor einem Jahr in Frankreich erschien (F.A.Z. vom 25. Mai 2016), war sein Thema noch nicht so heiß. Nun will Präsident Trump Nordkorea bekanntlich mit Feuer, Wut und Macht in die Steinzeit bomben. General Bourgeaud, ein alter Haudegen des französischen Geheimdienstes, hat dagegen einen Plan, um Kim Jong-uns Herrschaft zu "destabilisieren", ohne die Statik der Welt zu gefährden. Eine Mata Hari aus Paris soll die nordkoreanische Nomenklatura zur Palastrevolution ermuntern: Constance, die Ehefrau eines abgehalfterten Schlagerkomponisten und Sängerin von dessen einzigem Hit "Excessif", der auch nördlich des 38. Breitengrads in Karaoke-Bars gesungen wird. Ihre Zielperson ist der Apparatschik Gang Un-ok, aber bevor Constance den Bombenspezialisten verführen kann, muss die schöne Frau, politisch unbedarft, ahnungslos und passiv, wie sie ist, selbst erst einmal entführt und einer Gehirnwäsche unterzogen werden.
Wie so vieles in der Handlung des Romans "Unsere Frau in Pjöngjang" von Jean Echenoz ist auch dieser Teil der Mission amateurhaft geplant und nachlässig und dilettantisch ausgeführt. Lou, das One-Hit-Wonder, zeigt wenig Neigung, seine gekidnappte Frau zurückzubekommen, und amüsiert sich lieber mit anderen Damen. Constance entwickelt in Gefangenschaft das Stockholm-Syndrom und fraternisiert mit ihren Entführern, namentlich mit dem schneidig-unterwürfigen Paul Objat, der rechten Hand des Generals.
Wie die Spezialgesandte in Pjöngjang dann ans Ziel gelangt, entzieht sich dem Wissen des Erzählers weitgehend. Er brüstet sich gern, "besser informiert als andere" zu sein, und weiß tatsächlich viel über nordkoreanische Bier- und Musikkultur, öde Hochhäuser und Kader-Diskos in Pjöngjang und sogar einiges über die Technik der "Eingipsung parteifeindlicher Elemente". Aber es gibt auch viel, was der Erzähler fahrlässig oder willentlich übersieht, vergisst, diskret ausblendet ("expliziten Sex") oder durch eigene Schussligkeit aus den Augen verliert. Zum Beispiel Logik. "Unsere Frau in Pjöngjang" ist nämlich kein Agententhriller, sondern eine postmoderne Dekonstruktion des Genres: Wie einst Sterne und Diderot oder, näherliegend, verspielte Spätsurrealisten wie Raymond Queneau und Boris Vian mischt sich der Erzähler immer wieder mit Kommentaren, Fragen, Bedenken und Warnungen in den Gang der Erzählung ein.
Das ist oft lustig, aber auf die Dauer enervierend. Figuren poppen auf und tauchen wieder unter: "Was für ein Action, du lieber Himmel." Bevor Constance nach zwei Dritteln des Romans endlich nach Pjöngjang aufbricht, unterhält Echenoz sein Publikum mit allerlei Allotria: Anekdoten etwa über Lou Tausks kriminelle Vergangenheit, seine Affären, Komplizen und Lieblingsrestaurants, akribisch geführte Protokolle von Metro- und Autobahnfahrten quer durch Paris und Frankreich, galante Verbeugungen vor schönen Frauen und "ansprechenden Puppen", komische Alltagsbeobachtungen und Wissenswertes über Elefantenbrunst, Beipackzettel, kringelnde Gummis und fehlende Ohren von Fischen in den Aquarien besserer China-Restaurants.
Dass diese Exkurse und Abschweifungen den Gang der Handlung beeinträchtigen, ist Echenoz bewusst und gerade recht. "Wenn die Dinge sich so ereignet haben, kann ich ja nichts dafür", entschuldigt sich sein Erzähler und klopft sich auf die Brust: "Beglückwünschen wir uns zu unserer Intuition." Von einem Plot im klassischen Sinn kann eh nicht die Rede sein. Echenoz wollte in seinem siebzehnten Roman erklärtermaßen verschiedene Motive und Herzensanliegen - das Milieu der Varietés, eine Agentenromanparodie, Hymnen auf die Schönheit von unscheinbaren Dörfern wie Châtelus-le-Marcheix und schließlich das Chanson "Excessif", das er vor Jahren einmal für die Schublade schrieb - in einem Roman unterbringen und Spaß beim Schreiben haben. Beides ist ihm gelungen.
Er war nie in Nordkorea, hat aber fleißig Reisereportagen, Agenten- und Agenturberichte studiert. Sein Pjöngjang ist, soweit wir das beurteilen können, realistisch beschrieben: Kimjongilien, Kimilsungien und Kim-Denkmäler in allen Parks, Goldlametta an allen Offiziersbrüsten und Protzpalästen. Echenoz beschreibt zutreffend Nordkoreas Funktion in der weltpolitischen Arena sowie Frisur und Körperbau ("Entenei auf Straußenei") des geliebten Führers. Aber man fühlt sich am Ende doch ein wenig genarrt, wenn Constance und ihr Liebhaber durch eine von Tretminen, Schmetterlingen und Tigern bevölkerte entmilitarisierte Zone spazieren wie Jesus übers Wasser. Vielleicht braucht man für einen Agentenroman aus Nordkorea einen Schuss surrealistischen Wahnsinn; der dicke Kim ist ja auch nur ein König Ubu mit Bombe.
MARTIN HALTER
Jean Echenoz: "Unsere Frau in Pjöngjang". Roman.
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt- Henkel. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2017. 285 S., geb., 22,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
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