Constance, attraktiv, ungebunden, einem Abenteuer nicht abgeneigt, wird überfallen und verschleppt – im Auftrag des französischen Geheimdienstes: Sie soll die Schlüsselrolle in einer riskanten Mission spielen. Ziel: die Destabilisierung Nordkoreas. Constance erweist sich als Idealbesetzung und läuft in Pjöngjang als Geliebte eines hochrangigen Funktionärs zur Hochform auf. Doch als ihre Entführer plötzlich versuchen, ihr zur Flucht zu verhelfen, läuft alles aus dem Ruder. Einige Verfolgungsjagden und Schießereien später weiß niemand mehr, wer hier welche Strippen zieht und warum. "Unsere Frau in Pjöngjang" ist in jeder Zeile beides: Agentenroman und dessen Unterwanderung – und vor allem ein grandioses Spiel.
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buecher-magazin.deWenn wir in den Medien derzeit etwas über Nordkorea lesen, wird uns eher mulmig, und bisweilen kann einem die Nachrichtenlage schon richtig schlechte Laune machen. Als Gegenmittel empfiehlt sich der genial-lustige Krimi des französischen Schriftstellers Jean Echenoz "Unsere Frau in Pjöngjang". Der spielt gleichwohl nur zum Teil in Nordkorea, der Ausgangspunkt der Handlung liegt in Frankreich, wo die absurde Idee des Geheimdienstes geboren wird, das kommunistische Schreckensregime im Fernen Osten mithilfe einer ganz normalen französischen Bürgerin zu destabilisieren. Die Absurdität dieser Idee ist kein Zufall, vielmehr zieht sich das Absurde durch den ganzen Text, der dazu noch vom ersten Satz an einen regelrechten Lesesog entwickelt. Bisweilen hat der Roman durch die vielen kurzen Sätze etwas Stakkatohaftes, was ihn gleichzeitig schnell, hart und auch lustig macht. Die Figur der Protagonistin Constance hat dabei eine bewundernswerte Nonchalance an sich, die es ihr überhaupt erst ermöglicht, diesen unmöglichen Trip durch eins der gefährlichsten Länder der Welt zu bestehen. Diese Nonchalance der Hauptfigur in Verbindung mit dem lässigen Erzählduktus von Echenoz sind es, die "Unsere Frau in Pjöngjang" zu einer echten Entdeckung in den Herbstprogrammen der Verlage machen.
© BÜCHERmagazin, Carsten Tergast (ct)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2017Karaoke mit Kim
Jean Echenoz' surrealistischer Agententhriller "Unsere Frau in Pjöngjang"
Als das Buch vor einem Jahr in Frankreich erschien (F.A.Z. vom 25. Mai 2016), war sein Thema noch nicht so heiß. Nun will Präsident Trump Nordkorea bekanntlich mit Feuer, Wut und Macht in die Steinzeit bomben. General Bourgeaud, ein alter Haudegen des französischen Geheimdienstes, hat dagegen einen Plan, um Kim Jong-uns Herrschaft zu "destabilisieren", ohne die Statik der Welt zu gefährden. Eine Mata Hari aus Paris soll die nordkoreanische Nomenklatura zur Palastrevolution ermuntern: Constance, die Ehefrau eines abgehalfterten Schlagerkomponisten und Sängerin von dessen einzigem Hit "Excessif", der auch nördlich des 38. Breitengrads in Karaoke-Bars gesungen wird. Ihre Zielperson ist der Apparatschik Gang Un-ok, aber bevor Constance den Bombenspezialisten verführen kann, muss die schöne Frau, politisch unbedarft, ahnungslos und passiv, wie sie ist, selbst erst einmal entführt und einer Gehirnwäsche unterzogen werden.
Wie so vieles in der Handlung des Romans "Unsere Frau in Pjöngjang" von Jean Echenoz ist auch dieser Teil der Mission amateurhaft geplant und nachlässig und dilettantisch ausgeführt. Lou, das One-Hit-Wonder, zeigt wenig Neigung, seine gekidnappte Frau zurückzubekommen, und amüsiert sich lieber mit anderen Damen. Constance entwickelt in Gefangenschaft das Stockholm-Syndrom und fraternisiert mit ihren Entführern, namentlich mit dem schneidig-unterwürfigen Paul Objat, der rechten Hand des Generals.
Wie die Spezialgesandte in Pjöngjang dann ans Ziel gelangt, entzieht sich dem Wissen des Erzählers weitgehend. Er brüstet sich gern, "besser informiert als andere" zu sein, und weiß tatsächlich viel über nordkoreanische Bier- und Musikkultur, öde Hochhäuser und Kader-Diskos in Pjöngjang und sogar einiges über die Technik der "Eingipsung parteifeindlicher Elemente". Aber es gibt auch viel, was der Erzähler fahrlässig oder willentlich übersieht, vergisst, diskret ausblendet ("expliziten Sex") oder durch eigene Schussligkeit aus den Augen verliert. Zum Beispiel Logik. "Unsere Frau in Pjöngjang" ist nämlich kein Agententhriller, sondern eine postmoderne Dekonstruktion des Genres: Wie einst Sterne und Diderot oder, näherliegend, verspielte Spätsurrealisten wie Raymond Queneau und Boris Vian mischt sich der Erzähler immer wieder mit Kommentaren, Fragen, Bedenken und Warnungen in den Gang der Erzählung ein.
Das ist oft lustig, aber auf die Dauer enervierend. Figuren poppen auf und tauchen wieder unter: "Was für ein Action, du lieber Himmel." Bevor Constance nach zwei Dritteln des Romans endlich nach Pjöngjang aufbricht, unterhält Echenoz sein Publikum mit allerlei Allotria: Anekdoten etwa über Lou Tausks kriminelle Vergangenheit, seine Affären, Komplizen und Lieblingsrestaurants, akribisch geführte Protokolle von Metro- und Autobahnfahrten quer durch Paris und Frankreich, galante Verbeugungen vor schönen Frauen und "ansprechenden Puppen", komische Alltagsbeobachtungen und Wissenswertes über Elefantenbrunst, Beipackzettel, kringelnde Gummis und fehlende Ohren von Fischen in den Aquarien besserer China-Restaurants.
Dass diese Exkurse und Abschweifungen den Gang der Handlung beeinträchtigen, ist Echenoz bewusst und gerade recht. "Wenn die Dinge sich so ereignet haben, kann ich ja nichts dafür", entschuldigt sich sein Erzähler und klopft sich auf die Brust: "Beglückwünschen wir uns zu unserer Intuition." Von einem Plot im klassischen Sinn kann eh nicht die Rede sein. Echenoz wollte in seinem siebzehnten Roman erklärtermaßen verschiedene Motive und Herzensanliegen - das Milieu der Varietés, eine Agentenromanparodie, Hymnen auf die Schönheit von unscheinbaren Dörfern wie Châtelus-le-Marcheix und schließlich das Chanson "Excessif", das er vor Jahren einmal für die Schublade schrieb - in einem Roman unterbringen und Spaß beim Schreiben haben. Beides ist ihm gelungen.
Er war nie in Nordkorea, hat aber fleißig Reisereportagen, Agenten- und Agenturberichte studiert. Sein Pjöngjang ist, soweit wir das beurteilen können, realistisch beschrieben: Kimjongilien, Kimilsungien und Kim-Denkmäler in allen Parks, Goldlametta an allen Offiziersbrüsten und Protzpalästen. Echenoz beschreibt zutreffend Nordkoreas Funktion in der weltpolitischen Arena sowie Frisur und Körperbau ("Entenei auf Straußenei") des geliebten Führers. Aber man fühlt sich am Ende doch ein wenig genarrt, wenn Constance und ihr Liebhaber durch eine von Tretminen, Schmetterlingen und Tigern bevölkerte entmilitarisierte Zone spazieren wie Jesus übers Wasser. Vielleicht braucht man für einen Agentenroman aus Nordkorea einen Schuss surrealistischen Wahnsinn; der dicke Kim ist ja auch nur ein König Ubu mit Bombe.
MARTIN HALTER
Jean Echenoz: "Unsere Frau in Pjöngjang". Roman.
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt- Henkel. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2017. 285 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jean Echenoz' surrealistischer Agententhriller "Unsere Frau in Pjöngjang"
Als das Buch vor einem Jahr in Frankreich erschien (F.A.Z. vom 25. Mai 2016), war sein Thema noch nicht so heiß. Nun will Präsident Trump Nordkorea bekanntlich mit Feuer, Wut und Macht in die Steinzeit bomben. General Bourgeaud, ein alter Haudegen des französischen Geheimdienstes, hat dagegen einen Plan, um Kim Jong-uns Herrschaft zu "destabilisieren", ohne die Statik der Welt zu gefährden. Eine Mata Hari aus Paris soll die nordkoreanische Nomenklatura zur Palastrevolution ermuntern: Constance, die Ehefrau eines abgehalfterten Schlagerkomponisten und Sängerin von dessen einzigem Hit "Excessif", der auch nördlich des 38. Breitengrads in Karaoke-Bars gesungen wird. Ihre Zielperson ist der Apparatschik Gang Un-ok, aber bevor Constance den Bombenspezialisten verführen kann, muss die schöne Frau, politisch unbedarft, ahnungslos und passiv, wie sie ist, selbst erst einmal entführt und einer Gehirnwäsche unterzogen werden.
Wie so vieles in der Handlung des Romans "Unsere Frau in Pjöngjang" von Jean Echenoz ist auch dieser Teil der Mission amateurhaft geplant und nachlässig und dilettantisch ausgeführt. Lou, das One-Hit-Wonder, zeigt wenig Neigung, seine gekidnappte Frau zurückzubekommen, und amüsiert sich lieber mit anderen Damen. Constance entwickelt in Gefangenschaft das Stockholm-Syndrom und fraternisiert mit ihren Entführern, namentlich mit dem schneidig-unterwürfigen Paul Objat, der rechten Hand des Generals.
Wie die Spezialgesandte in Pjöngjang dann ans Ziel gelangt, entzieht sich dem Wissen des Erzählers weitgehend. Er brüstet sich gern, "besser informiert als andere" zu sein, und weiß tatsächlich viel über nordkoreanische Bier- und Musikkultur, öde Hochhäuser und Kader-Diskos in Pjöngjang und sogar einiges über die Technik der "Eingipsung parteifeindlicher Elemente". Aber es gibt auch viel, was der Erzähler fahrlässig oder willentlich übersieht, vergisst, diskret ausblendet ("expliziten Sex") oder durch eigene Schussligkeit aus den Augen verliert. Zum Beispiel Logik. "Unsere Frau in Pjöngjang" ist nämlich kein Agententhriller, sondern eine postmoderne Dekonstruktion des Genres: Wie einst Sterne und Diderot oder, näherliegend, verspielte Spätsurrealisten wie Raymond Queneau und Boris Vian mischt sich der Erzähler immer wieder mit Kommentaren, Fragen, Bedenken und Warnungen in den Gang der Erzählung ein.
Das ist oft lustig, aber auf die Dauer enervierend. Figuren poppen auf und tauchen wieder unter: "Was für ein Action, du lieber Himmel." Bevor Constance nach zwei Dritteln des Romans endlich nach Pjöngjang aufbricht, unterhält Echenoz sein Publikum mit allerlei Allotria: Anekdoten etwa über Lou Tausks kriminelle Vergangenheit, seine Affären, Komplizen und Lieblingsrestaurants, akribisch geführte Protokolle von Metro- und Autobahnfahrten quer durch Paris und Frankreich, galante Verbeugungen vor schönen Frauen und "ansprechenden Puppen", komische Alltagsbeobachtungen und Wissenswertes über Elefantenbrunst, Beipackzettel, kringelnde Gummis und fehlende Ohren von Fischen in den Aquarien besserer China-Restaurants.
Dass diese Exkurse und Abschweifungen den Gang der Handlung beeinträchtigen, ist Echenoz bewusst und gerade recht. "Wenn die Dinge sich so ereignet haben, kann ich ja nichts dafür", entschuldigt sich sein Erzähler und klopft sich auf die Brust: "Beglückwünschen wir uns zu unserer Intuition." Von einem Plot im klassischen Sinn kann eh nicht die Rede sein. Echenoz wollte in seinem siebzehnten Roman erklärtermaßen verschiedene Motive und Herzensanliegen - das Milieu der Varietés, eine Agentenromanparodie, Hymnen auf die Schönheit von unscheinbaren Dörfern wie Châtelus-le-Marcheix und schließlich das Chanson "Excessif", das er vor Jahren einmal für die Schublade schrieb - in einem Roman unterbringen und Spaß beim Schreiben haben. Beides ist ihm gelungen.
Er war nie in Nordkorea, hat aber fleißig Reisereportagen, Agenten- und Agenturberichte studiert. Sein Pjöngjang ist, soweit wir das beurteilen können, realistisch beschrieben: Kimjongilien, Kimilsungien und Kim-Denkmäler in allen Parks, Goldlametta an allen Offiziersbrüsten und Protzpalästen. Echenoz beschreibt zutreffend Nordkoreas Funktion in der weltpolitischen Arena sowie Frisur und Körperbau ("Entenei auf Straußenei") des geliebten Führers. Aber man fühlt sich am Ende doch ein wenig genarrt, wenn Constance und ihr Liebhaber durch eine von Tretminen, Schmetterlingen und Tigern bevölkerte entmilitarisierte Zone spazieren wie Jesus übers Wasser. Vielleicht braucht man für einen Agentenroman aus Nordkorea einen Schuss surrealistischen Wahnsinn; der dicke Kim ist ja auch nur ein König Ubu mit Bombe.
MARTIN HALTER
Jean Echenoz: "Unsere Frau in Pjöngjang". Roman.
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt- Henkel. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2017. 285 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Sabine Vogel kommt gut klar mit dieser Erzählung von Jean Echenoz, auch wenn der Autor seinem leicht surrealen, in Nordkorea spielendem Agententhriller so einiges an absurden Wendungen und Verkettungen auflädt. Nein, mit banaler Kausalität sollte man dem Text nicht kommen, rät sie. Auch wenn das Ganze etwas schrullig daherkommt, all die Knallchargen, die der Autor auffährt, um ein veritables Chaos zu veranstalten - am Ende hat Vogel mit den vielen Erzählern, die sich ihrer Sache so gar nicht sicher sind, ihren Spaß gehabt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.10.2017Absurder Anschein des Authentischen
Früher oder später muss eine Feuerwaffe auftauchen:
Jean Echenoz spielt in seinem Agentenroman „Unsere Frau in Pöngjang“ mit den Regeln des Genres
VON FRITZ GÖTTLER
Komödianten wider ihr Wissen, so nennt der General Bourgeaud die Leute, die im weltweiten Spionagebusiness agieren, also auch jene, die für ihn manipulieren und von ihm manipuliert werden. Ein Metier mit Tradition. Bourgeaud ist 68 Jahre, im französischen Geheimdienst mit Operationen im ganz großen, internationalen Stil beschäftigt, sein voller Name, dies wird gegen Ende dieses Buches enthüllt, ist Georges Bourgeaud du Lieul de Thû.
„Die Komödianten wider ihr Wissen“, das ist der Titel einer Geschichte von Balzac: Paris, und wie man sich der Stadt und der neuen Gesellschaft bedienen kann, um seine Interessen durchzukriegen. Was auch eine schöne Formel abgibt fürs Genre des Agentenromans, von OSS 117 über Graham Greene und John Le Carré nun bis Jean Echenoz. Das Genre ist in der Balzac-Zeit verwurzelt, als der moderne Staat die Mechanismen und Institutionen der Kontrolle und Überwachung ausbaute, zugleich die Arkanisierung der Politik. „Alles ist an Ort und Stelle, jeder spielt seine Rolle. Keiner von ihnen hat eine Ahnung, was er da macht, aber jeder macht, was er soll.“ Bei Balzac fangen die Leute an, geführt zu werden, und manche auch: vorgeführt. So wie die Agenten „geführt“ werden von ihren Mittelsmännern und Einsatzleitern.
Duktil, dehnbar will der General seine Leute haben, „naja, sagen wir formbar, geschmeidig, fügsam, besser zu bearbeiten …“ Für sein neues – und womöglich letztes – großes Projekt braucht er eine Frau, eine Topagentin, die von außerhalb des Business kommen soll, aus dem Pariser Leben, langsam und ganz allmählich soll sie in ihre Aufgabe hineinwachsen. Die Aufgabe besteht darin, das Regime in Nordkorea zu destabilisieren – als „Unsere Frau in Pjöngjang“, wie der deutsche Titel etwas reißerisch preisgibt, im Original heißt es diskreter „Envoyée spéciale“.
Der Plan ist kühn und albern zugleich, schon früh haben Spionagegeschichten sich ins Absurde verlaufen – dazu braucht es nicht Jean Echenoz und seine vertrackte Erzählweise, in der das Erzählen selbst Thema wird. Constance wird ausgeguckt als Frau für den Job des Generals, sie wird entführt, mitten in Paris, betäubt mit Propofol, an der Ecke Rue Pétrarque und Rue de Commandant-Schloesing, in einen Wagen geschoben, später in eine Kiste gesteckt und aufs Land gebracht. Ihr Gatte wird mit einer Lösegeldforderung bedacht, und eine beträchtliche Strecke lang meint man, hier gäbe es eine Abzweigung ins falsche Genre, aber alles ist bereits Teil der großen Manipulation, Richtung Duktilität.
Jean Echenoz hat vom Leben und von den Obsessionen des Komponisten Maurice Ravel erzählt, vom Ersten Weltkrieg („14“) oder vom plötzlichen Aussteigen und Antritt einer Schatzsuche („Ich gehe jetzt“). Er hat in allen seinen Romanen die Grenze zwischen dem Erfundenen, Imaginierten und dem Realen, Tatsächlichen ignoriert – in der Tradition der großen französischen Erzähler, Flaubert und Queneau, Perec und Manchette. Es ist erregend, wie die Erzählung von der „envoyée spéciale“ an der Wirklichkeit sich entlangtastet, nichts ist absurder als der Anschein des Authentischen.
Constances Mann nennt sich Lou Tausk, er ist ein erfolgreicher Musikschreiber und ignoriert erst mal die Lösegeldforderung. Einige unerfreuliche Wendungen und schockhafte Zwischenfälle später – darunter auch ein Selbstmord in der U-Bahn – landet Constance im Kommandoraum eines großen Windrads. Und erfährt, dass sie in Pjöngjang auf einen hohen Funktionär angesetzt werden soll. In Nordkorea nämlich löst sie immer noch Begeisterung aus, für einen großen Hit, den sie einst für Lou gesungen hat: „Excessif“.
Von diesen Hits kann Lou recht gut leben. Als das noch nicht so war und er noch nicht Lou Tausk war, hat er allerdings auch einen ziemlich dilettantischen Banküberfall angezettelt – für den sein Komplize eine scheußliche Zeit im Gefängnis absitzen musste. Mit seinen Frauengeschichten ist Lou nicht wirklich erfolgreich. (Viktor Tausk war Journalist und Psychoanalytiker aus dem Umkreis von Sigmund Freud, ein Freund von Lou Andreas-Salomé.)
Das Imaginäre ist bei Jean Echenoz immer Resultat des Mechanischen. Er erzählt nach Plan – „Früher oder später musste in unserer Geschichte ja auch eine Feuerwaffe auftauchen“ – mit einer Genauigkeit, die ans Delirium grenzt. In Hinrich Schmidt-Henkel hat er einen Übersetzer gefunden, der ihm seit Jahren dorthin folgt.
Man würde manchmal selber gern nachzählen, wenn er seine Figuren durch Paris schickt, bevorzugt mit der Metro, wo sie „geführt“ werden von den Stimmen der Stationsansagen. „Wenn die Stimme ,Couronnes‘ ankündigt, steht Tausk auf. Wenn sie ,Couronnes‘ bestätigt, begibt er sich zur vordersten Tür des Wagens, direkt gegenüber dem Ausgang der Station, von wo ihn siebenundvierzig auf drei Treppenabschnitte verschiedener Länge verteilte Stufen zum Boulevard de Belleville hinaufbefördern.“
Irgendwie ist das Projekt natürlich eine Nummer zu groß. Und eigentlich teilt die Politik gar nicht des Generals Interesse, Nordkorea zu destabilisieren. Und eigentlich träumt der Erzähler von einem ganz anderen Erzählen und einem ganz anderen Medium. Das Folgeprojekt des Generals in Afrika, in das er Tausk selber schicken möchte, bleibt unrealisiert. „Was uns leider um eine Passage bringt, die wir sehr gern in einer Boeing gedreht hätten – am Originalschauplatz oder im Studio, je nach Budget ... Ja, die Szene wäre nicht übel gewesen. Es sei denn, wird beim Schnitt rausgenommen. Na, vergessen wir’s.“
Constance wird entführt
und für eine riskante,
weltpolitische Mission vorbereitet
Ein Agentenroman, geschrieben (und möglichst zu lesen) mit dem Metro-Fahrplan von Paris: „Unsere Frau in Pjöngjang“.
Foto: AFP/Clemens Bilan
Jean Echenoz: Unsere
Frau in Pjöngjang. Roman. Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel.
Verlag Hanser Berlin,
Berlin 2017. 285 Seiten,
22 Euro. E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Früher oder später muss eine Feuerwaffe auftauchen:
Jean Echenoz spielt in seinem Agentenroman „Unsere Frau in Pöngjang“ mit den Regeln des Genres
VON FRITZ GÖTTLER
Komödianten wider ihr Wissen, so nennt der General Bourgeaud die Leute, die im weltweiten Spionagebusiness agieren, also auch jene, die für ihn manipulieren und von ihm manipuliert werden. Ein Metier mit Tradition. Bourgeaud ist 68 Jahre, im französischen Geheimdienst mit Operationen im ganz großen, internationalen Stil beschäftigt, sein voller Name, dies wird gegen Ende dieses Buches enthüllt, ist Georges Bourgeaud du Lieul de Thû.
„Die Komödianten wider ihr Wissen“, das ist der Titel einer Geschichte von Balzac: Paris, und wie man sich der Stadt und der neuen Gesellschaft bedienen kann, um seine Interessen durchzukriegen. Was auch eine schöne Formel abgibt fürs Genre des Agentenromans, von OSS 117 über Graham Greene und John Le Carré nun bis Jean Echenoz. Das Genre ist in der Balzac-Zeit verwurzelt, als der moderne Staat die Mechanismen und Institutionen der Kontrolle und Überwachung ausbaute, zugleich die Arkanisierung der Politik. „Alles ist an Ort und Stelle, jeder spielt seine Rolle. Keiner von ihnen hat eine Ahnung, was er da macht, aber jeder macht, was er soll.“ Bei Balzac fangen die Leute an, geführt zu werden, und manche auch: vorgeführt. So wie die Agenten „geführt“ werden von ihren Mittelsmännern und Einsatzleitern.
Duktil, dehnbar will der General seine Leute haben, „naja, sagen wir formbar, geschmeidig, fügsam, besser zu bearbeiten …“ Für sein neues – und womöglich letztes – großes Projekt braucht er eine Frau, eine Topagentin, die von außerhalb des Business kommen soll, aus dem Pariser Leben, langsam und ganz allmählich soll sie in ihre Aufgabe hineinwachsen. Die Aufgabe besteht darin, das Regime in Nordkorea zu destabilisieren – als „Unsere Frau in Pjöngjang“, wie der deutsche Titel etwas reißerisch preisgibt, im Original heißt es diskreter „Envoyée spéciale“.
Der Plan ist kühn und albern zugleich, schon früh haben Spionagegeschichten sich ins Absurde verlaufen – dazu braucht es nicht Jean Echenoz und seine vertrackte Erzählweise, in der das Erzählen selbst Thema wird. Constance wird ausgeguckt als Frau für den Job des Generals, sie wird entführt, mitten in Paris, betäubt mit Propofol, an der Ecke Rue Pétrarque und Rue de Commandant-Schloesing, in einen Wagen geschoben, später in eine Kiste gesteckt und aufs Land gebracht. Ihr Gatte wird mit einer Lösegeldforderung bedacht, und eine beträchtliche Strecke lang meint man, hier gäbe es eine Abzweigung ins falsche Genre, aber alles ist bereits Teil der großen Manipulation, Richtung Duktilität.
Jean Echenoz hat vom Leben und von den Obsessionen des Komponisten Maurice Ravel erzählt, vom Ersten Weltkrieg („14“) oder vom plötzlichen Aussteigen und Antritt einer Schatzsuche („Ich gehe jetzt“). Er hat in allen seinen Romanen die Grenze zwischen dem Erfundenen, Imaginierten und dem Realen, Tatsächlichen ignoriert – in der Tradition der großen französischen Erzähler, Flaubert und Queneau, Perec und Manchette. Es ist erregend, wie die Erzählung von der „envoyée spéciale“ an der Wirklichkeit sich entlangtastet, nichts ist absurder als der Anschein des Authentischen.
Constances Mann nennt sich Lou Tausk, er ist ein erfolgreicher Musikschreiber und ignoriert erst mal die Lösegeldforderung. Einige unerfreuliche Wendungen und schockhafte Zwischenfälle später – darunter auch ein Selbstmord in der U-Bahn – landet Constance im Kommandoraum eines großen Windrads. Und erfährt, dass sie in Pjöngjang auf einen hohen Funktionär angesetzt werden soll. In Nordkorea nämlich löst sie immer noch Begeisterung aus, für einen großen Hit, den sie einst für Lou gesungen hat: „Excessif“.
Von diesen Hits kann Lou recht gut leben. Als das noch nicht so war und er noch nicht Lou Tausk war, hat er allerdings auch einen ziemlich dilettantischen Banküberfall angezettelt – für den sein Komplize eine scheußliche Zeit im Gefängnis absitzen musste. Mit seinen Frauengeschichten ist Lou nicht wirklich erfolgreich. (Viktor Tausk war Journalist und Psychoanalytiker aus dem Umkreis von Sigmund Freud, ein Freund von Lou Andreas-Salomé.)
Das Imaginäre ist bei Jean Echenoz immer Resultat des Mechanischen. Er erzählt nach Plan – „Früher oder später musste in unserer Geschichte ja auch eine Feuerwaffe auftauchen“ – mit einer Genauigkeit, die ans Delirium grenzt. In Hinrich Schmidt-Henkel hat er einen Übersetzer gefunden, der ihm seit Jahren dorthin folgt.
Man würde manchmal selber gern nachzählen, wenn er seine Figuren durch Paris schickt, bevorzugt mit der Metro, wo sie „geführt“ werden von den Stimmen der Stationsansagen. „Wenn die Stimme ,Couronnes‘ ankündigt, steht Tausk auf. Wenn sie ,Couronnes‘ bestätigt, begibt er sich zur vordersten Tür des Wagens, direkt gegenüber dem Ausgang der Station, von wo ihn siebenundvierzig auf drei Treppenabschnitte verschiedener Länge verteilte Stufen zum Boulevard de Belleville hinaufbefördern.“
Irgendwie ist das Projekt natürlich eine Nummer zu groß. Und eigentlich teilt die Politik gar nicht des Generals Interesse, Nordkorea zu destabilisieren. Und eigentlich träumt der Erzähler von einem ganz anderen Erzählen und einem ganz anderen Medium. Das Folgeprojekt des Generals in Afrika, in das er Tausk selber schicken möchte, bleibt unrealisiert. „Was uns leider um eine Passage bringt, die wir sehr gern in einer Boeing gedreht hätten – am Originalschauplatz oder im Studio, je nach Budget ... Ja, die Szene wäre nicht übel gewesen. Es sei denn, wird beim Schnitt rausgenommen. Na, vergessen wir’s.“
Constance wird entführt
und für eine riskante,
weltpolitische Mission vorbereitet
Ein Agentenroman, geschrieben (und möglichst zu lesen) mit dem Metro-Fahrplan von Paris: „Unsere Frau in Pjöngjang“.
Foto: AFP/Clemens Bilan
Jean Echenoz: Unsere
Frau in Pjöngjang. Roman. Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel.
Verlag Hanser Berlin,
Berlin 2017. 285 Seiten,
22 Euro. E-Book 16,99 Euro.
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