Steigende Lebensmittelpreise, Engpässe bei einzelnen Nahrungsmitteln, demonstrierende Bauern, Turbulenzen an den internationalen Agrarmärkten und wachsende Sorgen um die globale Ernährungssicherheit – die Agrarwelt scheint aus den Fugen zu geraten. Worauf müssen wir uns in Deutschland einstellen, was kommt auf uns als Konsumierende zu, was bedeutet das für die Bäuerinnen und Bauern? Landwirtschaft ist systemrelevant. Doch wer sind unsere Landwirt*innen? Eine homogene Gruppe oder Individualist*innen mit völlig unterschiedlichen Interessen? Wie und was produzieren sie? Sind die Milliarden Steuergelder, die alljährlich in den Sektor fließen, gut angelegt? Warum schafft es die Agrarpolitik trotzdem nicht, dass die Gesellschaft mit der Arbeit der Landwirt*innen zufrieden ist? Agrarpolitik kann besser werden – sagt der langjährige Landwirtschaftsminister und Staatssekretär Hermann Onko Aeikens. Wie das gehen kann? Das beschreibt er fakten- und kenntnisreich.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Über das komplizierte Gebiet der Landwirtschaft kann Rezensent Niklas Ottersbach im Buch des früheren Agrarpolitikers Hermann Onko Aeikens einiges erfahren: Zum Beispiel, dass es den Rundum-Bauern, der alles abdeckt, kaum noch gibt, eher handelt es sich um hochspezialisierte Betriebe, die zudem "etwa die Hälfte" ihres Einkommens aus Subventionen beziehen. Auch die Probleme, die Investoren und Lobbyorganisationen machen, werden für Ottersbach anschaulich vermittelt. Kleinere Lösungsansätze, um der Entzweiung von Landwirtschaft und Gesellschaft zu begegnen, etwa Hofläden und Gemüsekisten, kann er ebenfalls kennenlernen. "Ein informatives Kompendium", schließt er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2024Viel Geld auf dem Feld - Bauer trotzdem sauer
Ein Kenner der Szene seziert die Schwächen der Agrarpolitik
Warum protestieren die Landwirte? Sind ihre Forderungen berechtigt? Wer sich für differenzierte Antworten auf diese Fragen interessiert, kann zu einem Buch greifen, das ein intimster Kenner der Materie kürzlich vorgelegt hat: Hermann Onko Aeikens stammt aus einer ostfriesischen Bauernfamilie, ist promovierter Agrarwissenschaftler und kennt sämtliche Facetten deutscher und europäischer Agrarpolitik. Aeikens war nach der Wiedervereinigung zunächst Abteilungsleiter, dann Staatssekretär und später Landwirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt und wirkte bis 2019 als Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium.
Sein Ansehen in der Agrarszene beruht darauf, dass er nicht zu den Landwirtschaftspolitikern von CDU und CSU zählte, die sich als politischer Arm der Agrarverbände begreifen. Diese Haltung zeichnet auch sein Buch aus: Aeikens blickt zwar mit Sympathie auf die Landwirtschaft. Aber er verliert dabei seine analytische Distanz nicht.
Die Besonderheit der Agrarpolitik besteht für Aeikens zunächst darin, dass dort viel Steuergeld in einen vergleichsweise kleinen Wirtschaftszweig fließt, in dem 1,3 Prozent aller Beschäftigten etwa 0,7 Prozent des BIP erwirtschaften. Zugleich fließen aber 40 Prozent des EU-Budgets in den Agrarsektor. Der Haushalt des Bundeslandwirtschaftsministeriums lag 2022 bei 7,1 Milliarden Euro, das ist deutlich mehr als noch vor wenigen Jahren. Die Finanzströme von EU, Bund und Ländern sind so unübersichtlich, dass auch Aeikens sie nicht auf eine griffige Gesamtzahl bringen kann. Die Darlegung einer kritischen NGO, dass allein 13,2 Milliarden Euro Steuergeld in die deutsche Viehwirtschaft fließen, hält Aeikens indes für plausibel.
Zu einer größeren Zufriedenheit der Landwirte habe all das Geld jedoch nicht geführt, bilanziert Aeikens. Die Landwirte fühlen sich von der Politik gegängelt. Auch die Existenz eigener Ministerien, die es sonst für keine andere Branche gibt, wird nicht als Ausdruck besonderer Wertschätzung empfunden. Aeikens legt dar, dass die relevanten Entscheidungen für die Landwirte entweder auf dem Weltmarkt oder in Brüssel fallen. Die Bundespolitik und noch stärker die Landespolitik fallen kaum ins Gewicht. Sie gleichen nicht selten einer Politiksimulation, die alles noch verkompliziert. Aeikens rät deshalb dazu, den Dschungel der Förderprogramme mitsamt ihrer Mitnahmeeffekte zu lichten und das vorhandene Geld so bürokratieärmer zu verteilen.
Im Streit über die neuen Düngeregeln, die maßgeblich zur Radikalisierung der Bauernproteste beigetragen haben, positioniert Aeikens sich klar: Die EU dringe zu Recht auf eine geringere Nitratbelastung der Gewässer. Die deutsche Strategie, beim Dünger "über Jahrzehnte auf Aussitzen der Probleme und Verzögern" zu setzen, sei insbesondere für CDU und CSU "kein Ruhmesblatt" gewesen. Aeikens rät seiner Partei ebenso wie den Agrarverbänden, wissenschaftliche Erkenntnisse künftig ernster zu nehmen. Gleiches fordert Aeikens aber auch von den Grünen mit Blick auf deren Ablehnung der Genschere CRISPR/Cas. Auch das Ziel der Ampelkoalition, 30 Prozent der Agrarflächen bis 2030 ökologisch zu bewirtschaften, hält Aeikens nicht für seriös. Er empfiehlt, gerade weil er die ökologischen Folgekosten der gegenwärtigen Landwirtschaft anerkennt, eine andere Strategie: Es gehe vor allem darum, die konventionelle Landwirtschaft ökologischer zu gestalten. Agrarroboter könnten dabei eine Hilfe sein. Die Bauern müssten aber auch akzeptieren, dass staatliche Zahlungen künftig noch stärker an Nachhaltigkeitsauflagen gebunden werden und dies auch ordnungsrechtlich überwacht werde. Zudem sei eine maßvolle Verringerung der Tierbestände angezeigt.
In das verbreitete Lob für die Vorschläge der "Zukunftskommission Landwirtschaft" sowie der "Borchert-Kommission" mag Aeikens nicht einstimmen. Ihre Vorschläge seien zwar sachlich richtig, und sie hätten das Verdienst, dass sich alle Akteure endlich auf Anerkennung wissenschaftlicher Fakten verständigt hätten. Die milliardenteuren Vorschläge seien jedoch nicht zu finanzieren und bissen sich auch mit den beiden Grundtatsachen der Agrarpolitik: dem EU-Recht und dem Weltmarkt.
Aeikens empfiehlt stattdessen, das Geld anders zu verteilen. Das bestehende Subventionsregime begünstige weiter die großen Betriebe. Die Bildung undurchsichtiger Agrarholdings, hinter denen nicht selten reiche Familien stecken, bringt Aeikens auch mit Privilegien bei Grunderwerb und Erbschaften in Verbindung, die eigentlich für viel kleinere Betriebe gedacht waren. Nun stärken sie die Marktposition ihrer Gegenspieler. Auch dem Bauernverband und den Genossenschaften der Landwirte hält Aeikens eine Vernachlässigung der kleinen und mittleren Betriebe vor. Das Erstarken neuer Bewegungen wie "Land schafft Verbindung", deren Wissenschaftsferne und Radikalisierungspotential Aeikens klar benennt, sei nicht zuletzt eine Reaktion auf solche Entwicklungen.
So enthält dieses Buch Erkenntnisse für jeden Leser. Von den deutschen Verbrauchern, bei denen Aeikens beobachtet, dass sie gerne billige Lebensmittel in zunehmend teuren Küchen verarbeiten, bis hin zu manchem Landwirt, dem eine objektivere Aufklärung über die eigene Lage vielleicht guttäte. Ein Tag an der Autobahnauffahrt sollte ausreichen, um das schmale Buch in der warmen Kabine des eigenen Treckers zu bewältigen. REINHARD BINGENER
Hermann Onko Aeikens "Unsere Landwirtschaft besser verstehen. Was wir alle wissen sollten". Mitteldeutscher Verlag, 276 Seiten,24 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Kenner der Szene seziert die Schwächen der Agrarpolitik
Warum protestieren die Landwirte? Sind ihre Forderungen berechtigt? Wer sich für differenzierte Antworten auf diese Fragen interessiert, kann zu einem Buch greifen, das ein intimster Kenner der Materie kürzlich vorgelegt hat: Hermann Onko Aeikens stammt aus einer ostfriesischen Bauernfamilie, ist promovierter Agrarwissenschaftler und kennt sämtliche Facetten deutscher und europäischer Agrarpolitik. Aeikens war nach der Wiedervereinigung zunächst Abteilungsleiter, dann Staatssekretär und später Landwirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt und wirkte bis 2019 als Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium.
Sein Ansehen in der Agrarszene beruht darauf, dass er nicht zu den Landwirtschaftspolitikern von CDU und CSU zählte, die sich als politischer Arm der Agrarverbände begreifen. Diese Haltung zeichnet auch sein Buch aus: Aeikens blickt zwar mit Sympathie auf die Landwirtschaft. Aber er verliert dabei seine analytische Distanz nicht.
Die Besonderheit der Agrarpolitik besteht für Aeikens zunächst darin, dass dort viel Steuergeld in einen vergleichsweise kleinen Wirtschaftszweig fließt, in dem 1,3 Prozent aller Beschäftigten etwa 0,7 Prozent des BIP erwirtschaften. Zugleich fließen aber 40 Prozent des EU-Budgets in den Agrarsektor. Der Haushalt des Bundeslandwirtschaftsministeriums lag 2022 bei 7,1 Milliarden Euro, das ist deutlich mehr als noch vor wenigen Jahren. Die Finanzströme von EU, Bund und Ländern sind so unübersichtlich, dass auch Aeikens sie nicht auf eine griffige Gesamtzahl bringen kann. Die Darlegung einer kritischen NGO, dass allein 13,2 Milliarden Euro Steuergeld in die deutsche Viehwirtschaft fließen, hält Aeikens indes für plausibel.
Zu einer größeren Zufriedenheit der Landwirte habe all das Geld jedoch nicht geführt, bilanziert Aeikens. Die Landwirte fühlen sich von der Politik gegängelt. Auch die Existenz eigener Ministerien, die es sonst für keine andere Branche gibt, wird nicht als Ausdruck besonderer Wertschätzung empfunden. Aeikens legt dar, dass die relevanten Entscheidungen für die Landwirte entweder auf dem Weltmarkt oder in Brüssel fallen. Die Bundespolitik und noch stärker die Landespolitik fallen kaum ins Gewicht. Sie gleichen nicht selten einer Politiksimulation, die alles noch verkompliziert. Aeikens rät deshalb dazu, den Dschungel der Förderprogramme mitsamt ihrer Mitnahmeeffekte zu lichten und das vorhandene Geld so bürokratieärmer zu verteilen.
Im Streit über die neuen Düngeregeln, die maßgeblich zur Radikalisierung der Bauernproteste beigetragen haben, positioniert Aeikens sich klar: Die EU dringe zu Recht auf eine geringere Nitratbelastung der Gewässer. Die deutsche Strategie, beim Dünger "über Jahrzehnte auf Aussitzen der Probleme und Verzögern" zu setzen, sei insbesondere für CDU und CSU "kein Ruhmesblatt" gewesen. Aeikens rät seiner Partei ebenso wie den Agrarverbänden, wissenschaftliche Erkenntnisse künftig ernster zu nehmen. Gleiches fordert Aeikens aber auch von den Grünen mit Blick auf deren Ablehnung der Genschere CRISPR/Cas. Auch das Ziel der Ampelkoalition, 30 Prozent der Agrarflächen bis 2030 ökologisch zu bewirtschaften, hält Aeikens nicht für seriös. Er empfiehlt, gerade weil er die ökologischen Folgekosten der gegenwärtigen Landwirtschaft anerkennt, eine andere Strategie: Es gehe vor allem darum, die konventionelle Landwirtschaft ökologischer zu gestalten. Agrarroboter könnten dabei eine Hilfe sein. Die Bauern müssten aber auch akzeptieren, dass staatliche Zahlungen künftig noch stärker an Nachhaltigkeitsauflagen gebunden werden und dies auch ordnungsrechtlich überwacht werde. Zudem sei eine maßvolle Verringerung der Tierbestände angezeigt.
In das verbreitete Lob für die Vorschläge der "Zukunftskommission Landwirtschaft" sowie der "Borchert-Kommission" mag Aeikens nicht einstimmen. Ihre Vorschläge seien zwar sachlich richtig, und sie hätten das Verdienst, dass sich alle Akteure endlich auf Anerkennung wissenschaftlicher Fakten verständigt hätten. Die milliardenteuren Vorschläge seien jedoch nicht zu finanzieren und bissen sich auch mit den beiden Grundtatsachen der Agrarpolitik: dem EU-Recht und dem Weltmarkt.
Aeikens empfiehlt stattdessen, das Geld anders zu verteilen. Das bestehende Subventionsregime begünstige weiter die großen Betriebe. Die Bildung undurchsichtiger Agrarholdings, hinter denen nicht selten reiche Familien stecken, bringt Aeikens auch mit Privilegien bei Grunderwerb und Erbschaften in Verbindung, die eigentlich für viel kleinere Betriebe gedacht waren. Nun stärken sie die Marktposition ihrer Gegenspieler. Auch dem Bauernverband und den Genossenschaften der Landwirte hält Aeikens eine Vernachlässigung der kleinen und mittleren Betriebe vor. Das Erstarken neuer Bewegungen wie "Land schafft Verbindung", deren Wissenschaftsferne und Radikalisierungspotential Aeikens klar benennt, sei nicht zuletzt eine Reaktion auf solche Entwicklungen.
So enthält dieses Buch Erkenntnisse für jeden Leser. Von den deutschen Verbrauchern, bei denen Aeikens beobachtet, dass sie gerne billige Lebensmittel in zunehmend teuren Küchen verarbeiten, bis hin zu manchem Landwirt, dem eine objektivere Aufklärung über die eigene Lage vielleicht guttäte. Ein Tag an der Autobahnauffahrt sollte ausreichen, um das schmale Buch in der warmen Kabine des eigenen Treckers zu bewältigen. REINHARD BINGENER
Hermann Onko Aeikens "Unsere Landwirtschaft besser verstehen. Was wir alle wissen sollten". Mitteldeutscher Verlag, 276 Seiten,24 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main