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Lauter Sehnsuchtsvehikel: Dirk von Petersdorffs neuer Gedichtband "Unsere Spiele enden nicht"
Dass die Romantik eine noch andauernde Epoche sei, auch durch die Moderne hindurch, hat Dirk von Petersdorff als Literaturwissenschaftler verschiedentlich vertreten. Auch als Lyriker kann er es glaubhaft machen. Seine Gedichte schweben in einem Referenzuniversum zwischen Brentano und Tocotronic, zwischen Eichendorff und Supertramp, wie sich etwa schon am Titel des Bandes "Nimm den langen Weg nach Haus" (2010) zeigt. Die Rückwärtsgewandtheit, etwa auch Richtung Rhein-Romantik, geht nicht selten mit einem Augenzwinkern oder gar einer Demutsgeste einher - und mit modernen Zeilenfällen: "Es ist / in diesem Land ein Fluß, an / dem die Männer stehen. Doch / waren wir ganz klein", heißt es in dem Gedicht "Ich war mit Karl am Rhein".
Auch die eigene Jugend und Studienzeit wird dem 1966 Geborenen häufig zum Gedichtgegenstand - zu einem, der ebenfalls schon in romantische Ferne zu rücken scheint. Wobei das kein Zeichen von hohem Alter sein muss, wie jeder romantisch veranlagte Mensch verstehen wird. Man kann ja auch als Jugendlicher oder gar als Kind schon eine Erfahrung machen, die unmittelbar danach zur Quelle der Nostalgie wird.
Ein lyrisches Subgenre, an dem das Fernrücken aber besonders augenfällig wird, ist das Autogedicht. War es in dem Band von 2010 der "alte rote Golf", der ein Gedicht inspirierte und mit seinen heute leider lächerlichen 60 PS sowie einem bereits verstummten "Kassettengerät" Erinnerungen an eine Nachtfahrt über den Brenner und zur Adria wieder wach werden ließ (von "warmer Hoffnung durchs Schiebedach" bis zum "Parkplatz der Trennung"), so ist das Sehnsuchtsvehikel inzwischen schon ein größeres Modell geworden, dafür allerdings ein Diesel. Im "Ford-Transit-Song" heißt es: "Nur ein Luftzug ging / aus Meeresluft und Dieselduft, / umspielte meine Hand, / die seitlich aus dem Fenster hing".
Nicht zuletzt durch die Bezeichnung als "Song" ist für Petersdorffs Lyrik der Anschluss an moderne Lieddichter und Liedermacher gegeben; dass umgekehrt auch Lieder und Songs programmatisch "als Gedichte" aufzufassen sein können, was in der Literaturwissenschaft nicht selbstverständlich ist, hat er übrigens in einem eigenen Buch dargelegt ("In der Bar zum Krokodil", 2017). Die Nähe zum Pop oder sogar "Sirenenpop" (so heißt ein Gedichtband von 2014) hindert indessen nicht die anhaltende klassisch-romantische Italien-Sehnsucht, die sich nun von Neuem äußert. Zum Beispiel in Gedichten über römische Pinien, über Olivenbäume ("den Kopf gelehnt an die zerfurchte Rinde") oder das Mondlicht auf der Bucht von La Spezia, dem sogenannten "Golf der Poeten" also, in dem 1822 Percy Bysshe Shelley ertrank.
Als Erinnerungsvehikel dienen Petersdorff neben rollenden und segelnden auch solche, die man am Leib trägt. Ein Mohairpullover etwa sorgt für das schönste Gedicht des Bandes. Darin heißt es: "wie eine Rüstung hat er mich geschützt, / und wenn es schneit, dann können Flocken landen, / die hängen bleiben, wie uns alles nützt". Obwohl dieses Gedicht kein Sonett ist (und auch Sonette dichtet Petersdorff bisweilen, darin dezidiert Formen pflegend, die manche heute für überkommen halten), endet es mit einer Art concluding couplet, das wohl als Motto über seinem bisherigen lyrischen Werk stehen könnte: "Lasst diesen Jungen gehen, unverletzt, / im Licht der Straßenlampen, schneebesetzt". JAN WIELE
Dirk von Petersdorff: "Unsere Spiele enden nicht". Gedichte.
Verlag C. H. Beck,
München 2021. 80 S., geb., 20,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung, Hilmar Klute
"Seine Gedichte schweben in einem Referenzuniversum zwischen Brentano und Tocotronic, zwischen Eichendorff und Supertramp"
FAZ, Jan Wiele
"Seine Gedichte sind zugleich bildungsgesättigt und nah am Alltag unserer Erlebnisgesellschaft (...) Vor allem aber sind sie von einer Ironie durchwirkt, die so fein ist, dass sie der Eigentlichkeit des Sprechens keinen Abbruch tut."
Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, Manfred Papst
"Dirk von Petersdorff ist ein Bote zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Er ist ein leichtfüßiger Poet. Er trägt geflügelte Schuhe."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Harald Hartung
"das Wissen um die Vergänglichkeit jedes poetischen Augenblicks verleiht seinen Versen eine leise, nie überhandgewinnende Melancholie."
Wiener Zeitung, Andreas Wirthensohn
"So gelassene und philosophisch kluge, so poetische und zugleich im Alltag beheimatete Gedichte liest man selten. Viele klingen wie Songs, die dringend auf einen Bob Dylan warten, der sie singt."
Focus
"melancholisch und doch gelassen, erstaunt über den erlebten Wandel der Zeiten, sinnlich ... Schon die Ouvertüre ist Weltpoesie."
Lesart, Michael Augustin
"Die Gedichte um das Leid des Altwerdens der Eltern sind anrührend."
Deutschlandfunk Kultur, Jan Bürger
"Sein literarisches Programm ließe sich als Romantisieren des Realen umschreiben. In den neuen Gedichten realisiert es sich in der Destillation des poetischen Extrakts von Wirklichkeit."
Badisches Tageblatt, Hans-Dieter Fronz
"Mit wenigen Worten, kunstvoll geformt, sagt Petersdorff alles und fast noch mehr, weil die Phantasie des Lesers angeregt ist (...) Einfühlsam beschreibt Dirk von Petersdorff jene unvergessliche Lebensphase, die niemand wirklich ganz versteht und ganz verstehen muss." literaturkritik.de, Thorsten Paprotny
"Er möchte nichts weniger als den Beweis antreten, dass sich ein Individuum souverän der alten Form bedienen und für sich nützen kann, ohne Freiheit preisgeben zu müssen. Das gelingt in diesem Fall deshalb, weil ein vollkommen gegenwärtiges Ich zu uns spricht."
Anton Thuswaldner, ORF
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