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Dolores Prato und das Buch ihres Lebens: „Ein magisches Werk, das in eine versunkene Welt entführt – das literarische Moment einer ganzen Epoche.“ Le Monde
International als Entdeckung gefeiert und nun erstmals auf Deutsch. Dolores Prato, die große Außenseiterin der italienischen Literatur, war achtzig, als sie das Buch ihres Lebens schrieb: die Geschichte ihrer Kindheit Ende des 19. Jahrhunderts in Treja, einer Kleinstadt in den Marken. Unehelich geboren, wächst sie bei Verwandten auf, fühlt sich ungeliebt und einsam. Ihr Blick ist klarsichtig und zugleich verzaubert, sie erzählt von…mehr

Produktbeschreibung
Dolores Prato und das Buch ihres Lebens: „Ein magisches Werk, das in eine versunkene Welt entführt – das literarische Moment einer ganzen Epoche.“ Le Monde

International als Entdeckung gefeiert und nun erstmals auf Deutsch. Dolores Prato, die große Außenseiterin der italienischen Literatur, war achtzig, als sie das Buch ihres Lebens schrieb: die Geschichte ihrer Kindheit Ende des 19. Jahrhunderts in Treja, einer Kleinstadt in den Marken. Unehelich geboren, wächst sie bei Verwandten auf, fühlt sich ungeliebt und einsam. Ihr Blick ist klarsichtig und zugleich verzaubert, sie erzählt von häuslichen und religiösen Ritualen, von Karnevalsbällen bei Adel und Volk, und von magischen Praktiken. „Treja war mein Raum, das Panorama ringsum, meine Vision: Ort des Herzens und des Traums.“ Pratos „Meisterwerk“ (Le Monde) ist ein Atlas der Emotionen und das einzigartige Gemälde eines verschwundenen Italiens. Mit einem Nachwort von Esther Kinsky.

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Autorenporträt
Dolores Prato, 1892 in Rom als uneheliche Tochter einer Patrizierin geboren, wuchs bei Verwandten der Mutter in der Kleinstadt Treja (heute Treia) in den Marken auf. Nach einer Ausbildung als Lehrerin in Rom unterrichtete sie u.a. in der Toskana, in Macerata und in Mailand. Mitarbeit bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften. 1980 erschien Giù la piazza non c'è nessuno (Unten auf der Piazza ist niemand) in einer von Natalia Ginzburg stark gekürzten Fassung, das vollständige Buch erst 1997. Prato starb 1983 in Anzio.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensentin Carolin Gasteiger sieht das Erinnerungsbuch von Dolores Prato in einer Reihe mit Elsa Morante und Sibilla Aleramos. Die Neuauflage des Buches von 1980 in der Übersetzung von Anna Leube findet sie gerechtfertigt. Auch wenn die zum Zeitpunkt der Entstehung 80-jährige Autorin hier keinen Plot bietet und nur wenig Dramaturgie und ihr umfangreicher Text stattdessen ein Erinnerungsreigen des kleinen Mädchens Dolores in den italienischen Marken darstellt, durchaus ermüdend für die Leserin Objekt an Objekt reihend, kann Gasteiger nicht aufhören zu lesen. Die Detailgenauigkeit, mit der Prato ihre Identität sucht und (wieder-)findet, nimmt die Rezensentin gefangen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.08.2024

Der Zauber der kleinen Dinge
Mit jahrzehntelanger Verzögerung erscheint das Lebenswerk von
Dolores Prato jetzt auf Deutsch: ein monumentaler Roman.
Die Entfremdung fängt am Boden an. „Ich wurde unter einem Tisch geboren“, schreibt die italienische Autorin Dolores Prato gleich zu Beginn dieser unvergleichlichen Erzählung. „Schick sie zu ihrer Mutter zurück, siehst du nicht, dass sie uns im Haus stirbt“, ruft der Onkel, der gerade nach Hause kommt. Und das Mädchen Dolores fühlt zum ersten Mal Schmerz, Angst und Einsamkeit. Es lebt in Treja, einem kleinen Ort in den italienischen Marken, bei seiner Tante Paolina und seinem Onkel Domenico, „Zizí“, einem Priester. Ihre leibliche Mutter hat Dolores, ein uneheliches Kind, an die beiden Geschwister gegeben. Von wirklicher Zuneigung kann nicht die Rede sein. Die Tante, die zum Mutterersatz wird, bringt nicht viel mehr heraus als: „Nun ist sie einmal da.“ Der Onkel immerhin vermittelt Dolores Wissen, er ist nicht nur Priester, sondern Hobbywissenschaftler, er zeigt ihr Blumen und seltene Steine. Irgendwann wandert er nach Buenos Aires aus. Der Ort kann zwar nichts dafür, aber auch hier fühlt sich das Kind fremd: „Ich gehörte nicht zu Treja, Treja gehörte zu mir.“
Der Sound ist, dafür dass Prato in dem 1980 erstmals erschienenen „Unten auf der Piazza ist niemand“ ihre eigene Kindheit schildert, auffallend sachlich, manchmal düster, fast schon kalt. Aber wie sollte es anders sein, bei einem Mädchen, das menschlicher Zuneigung völlig entwöhnt ist, sie womöglich nie erlebt hat? Prato ist eine Außenseiterin, sie hat keine Freunde, niemand habe sie je im Arm gehalten, schreibt sie, über ihre Herkunft wird im Haus der Zieheltern geschwiegen. „Meine ganze Kindheit stammt aus erster Hand, ist eine Direktaufnahme“, schreibt Prato.
Doch trotz des tristen Tons wirken diese Schilderungen nicht traurig. Vielmehr strahlt hier ein schlauer, aufmerksamer Geist durch, der seine Umgebung ganz genau beobachtet. Von ihrem Versteck unterm Tisch sieht Dolores so „rechteckige Fliesen in der Farbe von Brotrinde“ und ein Tischtuch „von Goldfäden durchwirkt“.
Prato hat dieses Buch mit stolzen 80 Jahren geschrieben, ihre Erinnerungen sind damals rund 70 Jahre alt, umso erstaunlicher ist es, wie detailgetreu sie Gegenstände, Tagesabläufe, Gepflogenheiten und sprachliche Wendungen des Italiens an der Schwelle zum 20. Jahrhundert schildert. Und sie nimmt nie die Perspektive oder den Ton der erwachsenen Dolores Prato ein, die als Lehrerin in Mailand, der Toskana und den Marken unterrichtete, bevor das wegen ihrer antifaschistischen Haltung nicht mehr möglich war. Sie bleibt immer in der Perspektive des Mädchens verhaftet, eines Paria in der italienischen Provinz. Ein einziges Mal erlebt sie so etwas wie Liebe: Eine Verwandte ist zu Besuch und spielt mit Dolores eine Art „Hoppe, hoppe, Reiter“, mit dem Ausruf „Staccia minaccia, werfen wir sie runter auf die Piazza ...“ Wie es dann weiterging, weiß Prato rückblickend nicht mehr genau, fügte aber in Gedanken den titelgebenden Satz hinzu: „Unten auf der Piazza ist niemand.“
Wären da nicht die Dinge. Geschirr, Lampen, Kleidung, Masken beim Karneval. Diese schildert Prato in ihren Einzelheiten. „Die Menschen sprachen nicht mit mir, doch die Dinge; es waren viele; sie füllten das Haus.“ Von allen um sie herum isoliert scheinen Gegenstände Pratos einzige Vertraute zu sein. Über eine von ihr geliebte Sparbüchse schreibt sie: „Wir waren beide leicht und leer.“ Ebenso erklärt sie Ausdrücke, etwa, dass die Leute damals Orangen (auf Italienisch: arance) portogalli nannten oder melaranci, woran sich Römerinnen und Römer noch heute erinnern. Diese vielen, wenn auch interessanten Schilderungen wirken jedoch ermüdend. Denn Prato verzichtet aufs Ordnen dieser Dinge, aufs Innehalten, Rekapitulieren. Keine Pause. Das macht die Lektüre der knapp 1000 Seiten nicht unbedingt leicht, auch als Leser würde man gern an der einen oder anderen Stelle wissen, wohin die Reise gehen soll. Aber so funktioniert es nicht bei Prato.
Vielmehr wirkt es, als ob die Autorin diesem pausenlosen, detaillierten Schildern (mit 80!) etwas Unvergleichliches abgewinnt, womöglich zu sich selbst, ihrer eigenen Identität findet. Als Memoiren wollte Prato das Buch dennoch nicht verstanden wissen, denn, wie sie schreibt: „Das Gedächtnis hat ein Loch.“ Aber auch einen wirklicher Plot gibt es nicht, keine dramaturgisch stringente Handlung. Es sind Erinnerungen, aneinandergereiht. Das wirkt, als wolle sie ihre Kindheit auch anhand der Objekte nachkonstruieren, alles aufführen, woran sie sich erinnert – und sich und allen versichern, dass es sie wirklich gegeben hat. Die Anekdoten werden zu Belegen des Daseins. „Nichts wird erklärt, es gibt nur die stets präsente Einladung an die Lesenden, sich auf die in den Worten ausgebreitete Welt einzulassen, diese Welt wird erzählend geschaffen, damit man sie betrachten, bedenken, bestaunen kann“, schreibt Esther Kinsky in ihrem Nachwort.
Sich ihrer selbst versichern zu müssen – das wirkt fast schon amüsant, bedenkt man Pratos wahres Leben. Nach dem Krieg arbeitete sie wieder als Lehrerin, schrieb für Zeitungen, gewann sogar literarische Preise. Sieben Jahre lang hatte sie an „Unten auf der Piazza ist niemand“ geschrieben, und es sollte abermals acht Jahre dauern, bis sie das Manuskript 1977 beim Turiner Verlag Einaudi einreichte. Ausgerechnet die italienische Schriftstellerin Natalia Ginzburg, damalige Lektorin bei Einaudi und Frau des Mitbegründers Leone, veröffentlichte Pratos Roman 1980. Aber um zwei Drittel gekürzt und anders arrangiert, eine Art Handlung hineinkonstruierend, um es der Leserschaft leichter zu machen. Prato, damals dann 88 Jahre alt, äußerte sich zwar „sehr dankbar“, räumte aber ein, dass auch sie mit ihrem unvergleichlichen Stil („ich springe über Verben, als wäre jemand hinter mir her“) recht habe. Das Erscheinen einer vollständigen Fassung (1997 bei Mondadori, 2009 bei Quodlibet) erlebte Prato allerdings nicht mehr. Sie starb 1982 im Alter von 92 Jahren.
Mit der neuen Auflage bei Quodlibet in diesem Jahr und der ersten deutschsprachigen Ausgabe bei Hanser, übersetzt von Anna Leube, erlebt „Unten auf der Piazza ist niemand“ ein verdientes Revival. Und kann sich einreihen in eine Gruppe italienischer Autorinnen, deren Werke gerade erfreulicherweise neu entdeckt werden. Elsa Morantes Epos „La Storia“ etwa, über eine römische Familie im Zweiten Weltkrieg (Wagenbach), Sibilla Aleramos „Eine Frau“ (Eisele-Verlag) oder Alba de Céspedes’ „Aus ihrer Sicht“(Suhrkamp). Dolores Pratos „Unten auf der Piazza ist niemand“ ist ein besonderes Werk italienischer Literatur, das ganz unnötig mit Proust, Stifter, Pasolini verglichen wird. Dolores Pratos Stil ist einzigartig, in Italien sehen einige in ihr sogar eine Hauptfigur des 20. Jahrhunderts.
CAROLIN GASTEIGER
Ihr Werk wird gerade neu entdeckt: Dolores Prato (1892 bis 1983).
Foto: Fondo del
Centro studi Dolores Prato, Treia (Marche)
Dolores Prato: Unten auf der Piazza ist niemand. Roman. Aus dem Italienischen von Anna Leube. Hanser, München 2024.
992 Seiten, 38 Euro.
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