Unterm Rad beschreibt das Schicksal eines begabten Kindes, dem der Ehrgeiz seines Vaters und der Lokalpatriotismus seiner Heimatstadt eine Rolle aufnötigen, die ihm nicht entspricht und es »unters Rad« drängt.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.01.2005 Band 46
Griechisch pauken in Streuobstwiesen
Hermann Hesses Roman „Unterm Rad”
Nach Pisa und den Morden von Erfurt haben manche „Unterm Rad” wieder hervorgekramt, denn hier zerbricht am Ende ein Schüler am Leistungsdruck der strengen Klosterschule. Als Rüstzeug
für Reformen unseres Bildungssystems taugt Hesses Schulroman aber kaum - nicht nur, weil er schon vor hundert Jahren entstanden ist. Sicher, Hesse beklagt auch eine inhumane Schule, an welcher der sensible Hans Giebenrath scheitert. Doch mehr noch scheint er das idyllische Leben im kleinen Städtchen zu beschwören, aus dem auszubrechen gefährlich ist - eine Welt, die Sehnsüchte weckt und zugleich erschrecken lässt angesichts eines heute schwer erträglichen Fatalismus.
Kaum ein deutscher Schriftsteller ist im Ausland so bekannt wie Hesse, dennoch verschmähen die Germanisten ihn. Er gilt als altmodisch. Man verschlingt „Siddhartha” oder „Steppenwolf” mit siebzehn, vielleicht noch zweiundzwanzig Jahren, später wundert man sich darüber wie über den ersten Jugendschwarm. Dass Hesse dennoch bei jungen Menschen so gut ankommt, muss an den Protagonisten liegen, die auf der Suche nach sich selbst sind, an der Exotik fremder Welten, an der Esoterik.
„Unterm Rad” zählt nicht zu den Kultbüchern, darum kann man es unbefangener (wieder) lesen. Mit diesem Roman gelang Hesse 1906 der Durchbruch, wohl auch, weil der Text authentisch ist: Hesse hatte ebenfalls eine schreckliche Schulkarriere hinter sich, hatte wie Hans Giebenrath das württembergische Landesexamen abgelegt und die Maulbronner Klosterschule besucht. Aber er floh nach sieben Monaten, weil er „Dichter oder gar nichts” werden wollte - nicht aber Pfarrer oder Professor, wie für die Maulbronner Absolventen üblich. Sein Vater ließ ihn in eine Heilanstalt sperren und seinen Geisteszustand untersuchen. Nur weil Hesse sich unterwarf, entkam er und machte später - ebenfalls wie Hans Giebenrath - eine Lehre als Schlosser.
Doch während Hesse dem Unglück immer wieder entfliehen konnte und viele Krisen durchlebte, bleibt seine Romanfigur im Schultrauma gefangen und überlebt nicht. Warum Hans Giebenrath letztlich scheitert, wird nicht wirklich klar. Er hätte ja auch, wie sein einziger Freund, statt Griechisch zu pauken, als Zeichen des Widerstands Gedichte schreiben und abhauen können. Oder Emma, die hübsche Nichte des Schusters, lieben und wieder Gefallen am einfachen Leben finden können. Doch er treibt wie ein Blatt im Wind, und am Ende weiß man nicht, ob er willentlich ins Wasser gegangen oder nach seinem ersten Rausch versehentlich gestürzt ist.
Während manche Schilderung ferner Länder, etwa Indiens, in Hesses Büchern heute komisch anmutet, spürt man die Authentizität von „Unterm Rad” noch immer. Das Buch mag altmodisch sein, die Sprache zuweilen betulich. Trotzdem bleibt „Unterm Rad” einer der glaubwürdigsten Schulromane überhaupt.
JEANNE RUBNER
Hermann Hesse
Foto: Gret Widmann
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Griechisch pauken in Streuobstwiesen
Hermann Hesses Roman „Unterm Rad”
Nach Pisa und den Morden von Erfurt haben manche „Unterm Rad” wieder hervorgekramt, denn hier zerbricht am Ende ein Schüler am Leistungsdruck der strengen Klosterschule. Als Rüstzeug
für Reformen unseres Bildungssystems taugt Hesses Schulroman aber kaum - nicht nur, weil er schon vor hundert Jahren entstanden ist. Sicher, Hesse beklagt auch eine inhumane Schule, an welcher der sensible Hans Giebenrath scheitert. Doch mehr noch scheint er das idyllische Leben im kleinen Städtchen zu beschwören, aus dem auszubrechen gefährlich ist - eine Welt, die Sehnsüchte weckt und zugleich erschrecken lässt angesichts eines heute schwer erträglichen Fatalismus.
Kaum ein deutscher Schriftsteller ist im Ausland so bekannt wie Hesse, dennoch verschmähen die Germanisten ihn. Er gilt als altmodisch. Man verschlingt „Siddhartha” oder „Steppenwolf” mit siebzehn, vielleicht noch zweiundzwanzig Jahren, später wundert man sich darüber wie über den ersten Jugendschwarm. Dass Hesse dennoch bei jungen Menschen so gut ankommt, muss an den Protagonisten liegen, die auf der Suche nach sich selbst sind, an der Exotik fremder Welten, an der Esoterik.
„Unterm Rad” zählt nicht zu den Kultbüchern, darum kann man es unbefangener (wieder) lesen. Mit diesem Roman gelang Hesse 1906 der Durchbruch, wohl auch, weil der Text authentisch ist: Hesse hatte ebenfalls eine schreckliche Schulkarriere hinter sich, hatte wie Hans Giebenrath das württembergische Landesexamen abgelegt und die Maulbronner Klosterschule besucht. Aber er floh nach sieben Monaten, weil er „Dichter oder gar nichts” werden wollte - nicht aber Pfarrer oder Professor, wie für die Maulbronner Absolventen üblich. Sein Vater ließ ihn in eine Heilanstalt sperren und seinen Geisteszustand untersuchen. Nur weil Hesse sich unterwarf, entkam er und machte später - ebenfalls wie Hans Giebenrath - eine Lehre als Schlosser.
Doch während Hesse dem Unglück immer wieder entfliehen konnte und viele Krisen durchlebte, bleibt seine Romanfigur im Schultrauma gefangen und überlebt nicht. Warum Hans Giebenrath letztlich scheitert, wird nicht wirklich klar. Er hätte ja auch, wie sein einziger Freund, statt Griechisch zu pauken, als Zeichen des Widerstands Gedichte schreiben und abhauen können. Oder Emma, die hübsche Nichte des Schusters, lieben und wieder Gefallen am einfachen Leben finden können. Doch er treibt wie ein Blatt im Wind, und am Ende weiß man nicht, ob er willentlich ins Wasser gegangen oder nach seinem ersten Rausch versehentlich gestürzt ist.
Während manche Schilderung ferner Länder, etwa Indiens, in Hesses Büchern heute komisch anmutet, spürt man die Authentizität von „Unterm Rad” noch immer. Das Buch mag altmodisch sein, die Sprache zuweilen betulich. Trotzdem bleibt „Unterm Rad” einer der glaubwürdigsten Schulromane überhaupt.
JEANNE RUBNER
Hermann Hesse
Foto: Gret Widmann
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