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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
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Der Woermann-Konzern und der Kolonialismus
Hamburg arbeitet seine Kolonialgeschichte auf. In wenigen Wochen Abstand sind jetzt zwei umfangreiche, sehr unterschiedliche Untersuchungen zu diesem Thema erschienen. Die erste mit dem süffigen Titel "Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche" wendet sich im Magazinstil eher an ein breites Publikum. Der Journalist Dietmar Pieper vertritt dort die These, dass das deutsche Kolonialreich Ende des 19. Jahrhunderts vor allem auf Betreiben von Hamburger und Bremer Kaufleuten, Bankiers und Reedern entstanden sei. Bei ihrem außereuropäischen Handel zu Besitz privater Gebiete in Afrika gelangt, hätten sie deren Verwaltung und militärischen Schutz aus Eigeninteresse dem Deutschen Reich zugeschoben. So seien 1884 die sogenannten "Schutzgebiete" Deutsch-Südwestafrika und Kamerun entstanden, aus denen bald die ersten deutschen Kolonien hervorgingen. Ein Kapitel in Piepers Buch behandelt den Aufstieg des Hamburger Kaufmanns Adolph Woermann (1847-1911) zum Truppentransporteur, bedeutenden Reeder und politischen Akteur.
Ihm widmet Kim Sebastian Todzi nun eine ganze Monographie. Der Historiker forscht an der Universität Hamburg zum (post-)kolonialen Erbe der Hansestadt. Sein Buch ist eine sehr akademische, bis in kleinste Details aufgeschlüsselte Darstellung geworden, zu der auch die Archive der bis heute fortbestehenden Firma C. Woermann ausgewertet wurden. Am Fall des Woermann-Konzerns untersucht Todzi die Frage, wie koloniale Herrschaft mit hanseatischem Unternehmertum zusammenhing. Kaum ein anderes Unternehmen sei so lange Zeit und so eng mit der deutschen Kolonialherrschaft in West- und Südwestafrika verbunden. Bis heute unterhält C. Woermann Stützpunkte in Ghana, Nigeria und Angola und bietet seine Dienste ohne Scheu auf seiner Website mit dem Slogan "Technisches Know-how in Afrika seit 1837" an. Zum postkolonialen Fortleben des Unternehmens heißt es auch in Todzis Studie: "Eine wichtige Erkenntnis ist, dass trotz der politischen Umbrüche geschäftliche Beziehungen zu afrikanischen Geschäftspartnern teilweise über mehrere Generationen weitergeführt wurden." Vom Thema her überwiegen allerdings die eher unschönen, unerfreulichen Fakten bei der Expansion des Konzerns während der Kolonisierung Kameruns.
Schon vor der Kolonialreichsgründung 1884 hatte sich C. Woermann zu einem der größten deutschen Handelshäuser in Afrika entwickelt. Es importierte von dort Palmöl, Palmkerne sowie Kautschuk im Tausch gegen Spirituosen, Waffen, Salz und Baumwollstoffe. Carl Woermanns Sohn Adolph, Nachfolger des Firmengründers, optimierte die Ergebnisse. Das gelang vor allem durch seine monopolistisch gemanagte Logistik der staatlichen Truppen- und Versorgungstransporte mit der Woermann-Linie nach Südwestafrika im Kampf gegen die Herero und Nama 1904 bis 1908. Todzi spricht von einer äußerst wirksamen "Public-private-Partnership": "Die geradezu symbiotische Verbindung des Woermann-Konzerns mit der deutschen Kolonialherrschaft erreichte im Krieg gegen die Herero und Nama ihren Höhepunkt. Die Woermann-Linie und ihre Leitung wurden dabei zu Ermöglichern des von deutschen Schutztruppen in Deutsch-Südwestafrika verübten Völkermords." Und der Wandel vom Handels- zum Logistikunternehmen wurde für den Konzern zum guten Geschäft. Die Woermann-Linie schaffte in den Jahren des Kolonialkrieges allein 19.000 Soldaten, Offiziere und Sanitäter nach Südwestafrika, dazu mehr als 11.000 Pferde. 60.000 von 80.000 Herero kamen um, 10.000 von 15.000 Nama. Mit der Woermann-Linie wurden im Krieg 26,5 Millionen Mark eingenommen. Die Gewinne machten Adolph Woermann zum damals größten deutschen Privatreeder. 1899 baute er in Hamburg das bis heute existente "Afrikahaus", ein imposantes Kontorgebäude, dekoriert mit afrikanischen Kriegern im Lendenschurz, gusseisernen Elefanten und goldglänzenden Palmen am Eingang.
Zusammenfassend kommt Todzi zum eher verhalten formulierten Ergebnis, dass die deutsche Kolonialherrschaft auch den Erfolg des Woermann-Konzerns massiv beeinflusst habe. Entscheidend für das Wachstum des Konzerns "als Motor der imperialen Globalisierung" sei dabei weniger der Ertrag aus dem Afrikahandel der Firma C. Woermann als der Aufstieg der Woermann-Linie als eigenständiges Unternehmen gewesen. Todzis Fazit: "Wie in einem Brennglas" verdeutliche die Episode des Woermann-Konzerns in Afrika, "wie der Kapitalismus zum Treibstoff und wirtschaftliche Unternehmen zu Motoren imperialer Weltaneignung wurden und wie sie Ziele und Methoden der formellen Kolonialherrschaft mitbestimmten".
Ein solches Resümee dürfte auch den heutigen Inhabern und der Geschäftsführung des Unternehmens nicht wehtun. Auf einem einseitigen PDF im Internet sprechen die Eigner von ihrer Betroffenheit über den Einsatz der Woermann-Linie zu Truppentransporten im Krieg gegen die Herero und Nama. Sie betonen ihre Bereitschaft, sich an der Aufarbeitung zu beteiligen, und verweisen auf schon gewährten "Zugang zu den wenigen verbliebenen historischen Dokumenten in unserem Besitz". Der Großteil der Unterlagen sei aber leider während der Bombardierung Hamburgs verbrannt. Bei Todzi ist zu erfahren, dass schon Adolph Woermann vor seinem Tod 1911 den größten Teil seiner Privatkorrespondenz eigenhändig verbrannt hatte. ULLA FÖLSING
Kim Sebastian Todzi: Unternehmen Weltaneignung. Der Woermann-Konzern und der deutsche Kolonialismus 1837-1916. Wallstein Verlag, Göttingen 2023, 503 Seiten, 38 Euro.
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