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Elmar Schenkel sammelt Begegnungen zwischen Westen und Osten
"Westliche Menschen auf der Suche nach sich selbst", so fasst Elmar Schenkel seinen Befund zusammen, "gehen oft nach Indien, wenn sie in Krisen sind." Das sind die Schwärmer, die Meditierenden und die Guru-Anhängerinnen. In Richtung China wenden sich dagegen eher die Rationalisten, denen es die lebensnahen Ratschläge des Konfuzius angetan haben, obwohl auch die chinesische Klassik ein gutes Maß an Esoterikfutter zu bieten hat, etwa die Kombinationsspiele des Yijing (I Ching, "Buch der Wandlungen"). Japan wiederum bedient den westlichen Ästhetizismus: die stille Konzentration der Tee-Zeremonie, die schlichte Kraft der Berge und Wellen des Hokusai, eine formklare Architektur, die europäische Besucher immer wieder an die Griechen erinnert hat.
Zu diesem leicht klischeeverdächtigen Ergebnis gelangt Schenkel per Husarenritt durch die Ideengeschichte von dem barocken Polyhistor Athanasius Kircher bis zu Peter Sloterdijk. Vieles wird angetippt, weniges ausgeführt. Im besten Fall - und das wäre schon ein Erfolg des Buches - möchte man anderswo weiterlesen. Standardthemen werden hastig, oberflächlich und ohne zureichende Nachforschung geradezu erledigt. Über Leibniz' Interesse am China seiner Zeit, über die Rolle der Jesuiten als Kulturvermittler, über Gandhis ambivalentes Verhältnis zum Westen oder über den japanischen Schriftsteller Mori Ogai im Deutschland des Kaiserreichs ist schon viel Klügeres geschrieben worden, von dem sich hier nicht einmal ein leises Echo findet.
Das Buch beginnt wirkungsvoll mit dem sensationellen Auftritt des jungen Inders Vivekananda vor dem Weltparlament der Religionen 1893 in Chicago, der medialen Erhöhung des Hinduismus von einer südasiatischen Spezialreligion zu einer universalen Weisheitslehre. Knapp wird der weitere Zusammenhang skizziert: einerseits die Entwicklung der Sanskritphilologie in Europa vom späten achtzehnten Jahrhundert bis zu Max Müller in Oxford, einem der Begründer der vergleichenden Religionswissenschaft, andererseits die bizarren Spekulationen der "Theosophie", von Schenkel als "bucklige Verwandtschaft" der seriösen Indologie charakterisiert. Solche komplexeren ideengeschichtlichen Konstellationen bleiben allerdings im Fortgang des Buches eher selten. Die vielen Autoren und Autorinnen - unter ihnen schöne Funde, etwa die österreichische Kunsthistorikerin Indiens Stella Kramrisch und die viktorianische Weltreisende Isabelle Bird - werden einzeln und nacheinander abgehandelt. Nur ausnahmsweise werden tatsächliche Begegnungen, wie der Titel sie zu versprechen scheint, jenseits von Memoiren und Reiseliteratur anschaulich gemacht.
Der politische Aspekt, der auch bei scheinbar rein kulturellen Wahrnehmungen und Kontakten selten fehlt, hätte deutlicher werden können. Asien war nicht so unbewegt und "ewig" bei sich bleibend, wie viele westliche Beobachter es sich einredeten. Elmar Schenkel erlaubt sich hier allenfalls Andeutungen: Die Obsession der deutschen Geopolitik mit dem immer militaristischer und imperialistischer werdenden Japan wird gestreift, auch die Mao-Begeisterung des frühen französischen Poststrukturalismus. Wie aber reagierten europäische Beobachter zum Beispiel auf den indischen Freiheitskampf und die Radikalisierung der chinesischen Revolution ab der Vierter-Mai-Bewegung von 1919? Dort, wo Schenkel ausnahmsweise politisch nachbohrt, wird er fündig. Kein anderes Buch schien Japan tiefer erfasst zu haben als der unverwüstliche Weltbestseller "Zen in der Kunst des Bogenschießens" (1948) des Erlanger Philosophieprofessors Eugen Herrigel, der von 1924 bis 1929 in Japan gelehrt hatte. Herrigel trat später in die NSDAP ein und brachte es im Krieg bis zum Rektor seiner Universität. Zusammenhänge? Gewiss komplizierte, aber mehr als nur Zufall.
Xanadu ist übrigens nicht bloß die Opiumvision des englischen Romantikers Samuel Taylor Coleridge aus dem Jahre 1797, als die es immer, auch in diesem Buch, zitiert wird. Man kann dort ankommen. Das heutige Shangdu liegt etwa 350 Kilometer nördlich von Beijing im innermongolischen Grasland und ist über grobe Schotterstraßen nur in einem gut gefederten Geländewagen einigermaßen bequem erreichbar. Von der Sommerresidenz des mongolischen Großkhans und chinesischen Kaisers Kubilai, einst einer Palaststadt von 100 000 Einwohnern, sind nur kümmerlichste Ruinen erhalten; der Tourismus beschränkt sich auf hartgesottene Mongolen-Nostalgiker. Doch man fühlt sich am Ziel: Von hier aus wurde um 1270 die halbe Welt regiert.
JÜRGEN OSTERHAMMEL
Elmar Schenkel:
"Unterwegs nach Xanadu". Begegnungen zwischen Ost und West.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 367 S., geb., 26,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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