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Zwei Frauen arbeiten daran, Frankfurt in einen Gemüsegarten zu verwandeln. Im Buch "Urban Farming" erklären sie, wie das gelingen kann.
Von Thomas Maier
Im Januar 2019 haben sich Juliane Ranck und Laura Setzer ein verwildertes Stück Land in der "Grünen Lunge" im Frankfurter Nordend angeschaut. Der Garten lag schon lange brach und war vermüllt, weil das Grüngebiet zumindest teilweise dem Bauprojekt "Günthersburghöfe" weichen sollte. Das hielt jedoch die angehenden Gärtnerinnen nicht davon ab, ihr Glück zu versuchen.
Zweieinhalb Jahre danach bewirtschaften die 36 und 34 Jahre alten Frauen zusammen mit der von ihnen gegründeten Gruppe der "GemüseheldInnen" inzwischen ein rundes Dutzend Gärten in der "Grünen Lunge". Ihr Projekt ist auch mitverantwortlich dafür, dass die Frankfurter Grünen Ende des vergangenen Jahres die Zustimmung zur Bebauung der Gärten kippten und damit wohl die "Günthersburghöfe" in der geplanten Form für immer beerdigt haben.
Derweil sind die "GemüseheldInnen" mit ihren "Permakulturinseln" in andere Teile der Stadt expandiert. In Kooperation mit der Goethe-Universität gärtnern seit dem Frühjahr Studenten unter Anleitung der "GemüseheldInnen" auf einem 2000 Quadratmeter großen Areal auf dem Campus. Der Zulauf zur Gruppe, die anfangs noch gar nicht gendergerecht einfach "Gemüsehelden" hieß, ist groß. Derzeit gibt es Wartelisten. "Es mangelt uns einfach an Gärten", sagt Setzer.
Wie die beiden Frauen das alles mit ihrer Gruppe in so kurzer Zeit geschafft haben und was sie sich noch für die Zukunft wünschen, das erzählen sie in einem gerade veröffentlichten Buch mit dem Titel "Urban Farming", das im Innsbrucker Löwenzahn Verlag erschienen ist.
Die städtische Landwirtschaft hat vor allem in Frankreich und England bereits eine längere Tradition. In ihrem Buch grenzen sich die Autorinnen jedoch bewusst auch von diesem inzwischen ebenfalls populären "Urban Gardening" ab, bei dem für den Anbau oft Hochbeete benutzt werden. Die "GemüseheldInnen" setzen dagegen auf die ökologische Bewirtschaftung des Bodens - der Aufbau des Humus spielt in der Permakultur eine zentrale Rolle. Die Pflanzen werden über den Boden erhalten. Mit dem Anbau von Gemüse wollen die beiden Frauen mit der konventionellen Landwirtschaft konkurrieren - auch beim Ertrag. "Der Anspruch ist, möglichst viele Menschen zu ernähren", sagt Ranck. Nicht mit Maschinen, sondern mit Hilfe der Arbeitskraft der von ihren Lebensmitteln längst entfremdeten Großstadtbewohner.
"Frankfurt essbar machen" lautet das Motto der "GemüseheldInnen". Vom Anspruch her ein bisschen größenwahnsinnig. Die Frauen wissen auch, dass sie das nicht allein schaffen können. Doch das stört sie nicht. "Wir denken groß", sagt Setzer. Ans Scheitern verschwenden die beiden Frauen keine Gedanken. "Der Traum wird dann oft wahr, wenn man ihn lebt", formuliert es die Grafikdesignerin Setzer selbstbewusst.
Das klingt fast schon ein wenig kitschig. Doch die "GemüseheldInnen" meinen es ernst mit ihrer Mission. Das Unbehagen an der industrialisierten Landwirtschaft, die Umwelt und Klima immer stärker belastet, ist inzwischen auch in den Spitzen der Politik angekommen. Gerade hat die von der Bundesregierung eingesetzte Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) in ihrem Abschlussbericht eine Trendwende gefordert.
Ranck und Setzer berichten in "Urban Farming" von ihrem Besuch auf der Ferme du Bec Hellouin in der Normandie. Das in Frankreich sehr bekannte Projekt hat gezeigt, wie hochproduktiv Permakultur funktionieren kann. Das Gründerpaar der Ferme, Charles und Perrine Hervé-Gruyer, beschreibt in einem fast 1000 Seiten starken Buch ("Vivre avec la terre") eine neue Art von Landwirtschaft ohne Chemie und Maschinen - für die "GemüseheldInnen" ist es zur Bibel geworden.
Auf dem Hof in der Normandie sind ganz neue Gartengeräte erfunden worden, wie die Grelinette, eine spezielle Grabegabel. Es geht dabei nicht mehr um das mühselige Umgraben wie früher mit dem Spaten, sondern um die schonende Auflockerung des Bodens. Die Grelinette wurde inzwischen nach Frankfurt importiert. In "Urban Farming" erhält sie eine besondere Würdigung.
Mit den Fotos, Porträts und Interviews ist es ein sehr ansehnliches Buch geworden. Und natürlich finden sich viele Anleitungen für das Werkeln am eigenen "Traumgarten". Das Werk der beiden energiegeladenen Autorinnen ist auch eine Hommage an die Gruppe der "GemüseheldInnen". Es sind übrigens meist Frauen, die beruflich oft aus dem pädagogischen Bereich kommen. Alle Helfer opfern ihre Freizeit für die gemeinschaftliche Gartenarbeit - dafür dürfen sie umsonst ernten. Was Anreiz genug ist: In den vergangenen Wochen hat sich das Gemüse in den Hügelbeeten prächtig entwickelt, vom Spinat über die Zucchini bis zu den essbaren Blüten wie den Malven. Und wer die von orange bis lilarot leuchtenden Karotten probiert hat, wird wohl nie wieder zur geschmacklosen Verwandtschaft aus dem Supermarkt greifen.
Nicht immer gelingt im Garten alles. Auch die Permakultur muss mit Schädlingen kämpfen. Doch mit der Erfahrung werden solche Rückschläge immer seltener. Ranck und Setzer wollen ihr Projekt künftig stärker professionalisieren. Sie fordern öffentlich geförderte Stellen, um die Permakultur schneller voranzubringen. Zum Beispiel auch mit Hilfe von Ernährungsbildung für Heranwachsende, die heutzutage oft gängige Gemüsesorten nicht mehr kennen.
Es gibt inzwischen viele Anfragen von Schulen und Lehrern, die mit den Kindern gärtnern wollen. "Wir können das ehrenamtlich nicht mehr leisten", sagt Ranck, die eigentlich Theater- und Filmwissenschaft studiert hat. Die Hoffnungen ruhen jetzt auf der neuen Stadtregierung, die sich unter Führung der Grünen für neue ökologische Ideen offen zeigt.
Die "Ampel plus"-Koalition im Römer hat sich in ihrem Vertrag beim Kampf gegen den Klimawandel auch die Begrünung von Gebäuden zum Ziel gesetzt. In dieser Richtung sind die "GemüseheldInnen" bereits aktiv. Sie wollen als nächsten Schritt auf Flachdächern gärtnern. Diverse Objekte wurden bereits inspiziert, mit der Uni laufen dazu auch Gespräche. "In Paris gibt es inzwischen auf 40 000 Quadratmetern Gemüsegärten auf Dächern, in Frankfurt keinen einzigen", sagt Setzer bedauernd.
Die beiden Autorinnen, im privaten Leben ebenfalls ein Paar und seit 2019 auch verheiratet, werden jedenfalls künftig nur noch begrenzt Zeit für die "GemüseheldInnen" haben. Denn sie haben schon den Vertrag für das nächste Buchprojekt unterschrieben. Dabei geht es um die weibliche Seite der Landwirtschaft - und was Frauen dabei leisten. Dafür reisen sie unter anderem nach Senegal und Indien.
Juliane Ranck, Laura Setzer: "Urban Farming", 280 Seiten, Löwenzahn Verlag, 24,90 Euro
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