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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Heranwachsende brauchen gute Sparringspartner: Susann Sitzler betrachtet die Beziehung zwischen Vätern und Töchtern von allen Seiten
Das Verhältnis von Vätern zu ihren Kindern mag weniger intensiv ausgeleuchtet sein als das von Müttern und ihren Kindern. Es wird aber wissenschaftlich und publizistisch keineswegs übergangen. Der Arzt und Psychotherapeut Alexander Cherdron etwa skizziert in seinem Buch "Väter und ihre Söhne" das veränderte Rollenbild von Vätern, die ihren Platz in der Erziehung beanspruchen. Anhand von Beispielen aus der Literatur- und Popgeschichte veranschaulicht er diesen Wandel, mit Hilfe berühmter Vater-Sohn-Beziehungen systematisiert er das Wissen, und mit Fallbeispielen aus der eigenen Arbeit stellt er Muster krankheitsverstärkender Vater-Sohn-Konstellationen vor.
Die Autorin und Journalistin Susann Sitzler beleuchtet in ihrem Buch "Väter und Töchter" das gegengeschlechtliche Vater-Kind-Verhältnis. Sie geht aber ganz anders vor. Anhand des Wandels ihrer Beziehung zum eigenen Vater arbeitet sie heraus, was Väter für ihre Töchter sein können. Sie setzt auf Kontrastierung, Verallgemeinerung und wissenschaftliche Unterfütterung, um alle Facetten dieser Konstellation sichtbar werden zu lassen. Wie verquer oder harmonisch dieses Verhältnis auch sein mag, die Abnabelung wird zur Lebensaufgabe: "Der Abschied vom Idol bleibt keiner Tochter erspart. Und auch keinem Vater."
Mit dem aktuellen Band setzt sie eine Reihe von Büchern über persönliche Beziehungen fort. Zuvor hat sie Werke über Geschwister und über Freundinnen vorgelegt. Ihre Erkenntnisreise strukturiert sie wie einen Roman, in dem ihr Verhältnis zum eigenen Vater im Mittelpunkt steht. Seit frühester Kindheit zeichnet es sich durch Ambivalenz aus: Ihr Vater habe ihr zwar beigebracht, den eigenen Weg zu finden, aber gleichzeitig sei er verletzend und herabwürdigend gewesen. Deshalb und weil so viel Schweigen zwischen beiden gewesen sei, habe sie als junge Frau eine längere Funkstille sogar als positiv erlebt: "Es waren Jahre, in denen ich mich in Sicherheit wog. Vor seinem Spott. Vor allem aber, das weiß ich heute, vor meiner Trauer."
Doch Sitzler belässt es nicht bei diesem Einblick in ihre eigene Familiengeschichte. Sie arbeitet jede denkbare Form von verkorksten Beziehungen ein: vom gewalttätigen Alkoholiker über Kinder, die aus einem One-Night-Stand entstanden sind oder zeitweise nach ihrem obdachlosen Vater suchten. Sie lässt Freunde, Bekannte und Kollegen zu Wort kommen, die über ihr Vater-Tochter-Verhältnis berichten. Sie bemüht Beispiele aus Romanen, der Autobiographie der Punkgitarristin Viv Albertine (The Slits) und blickt länger auf ein Porträt, das die Malerin Linda Kögel von ihrem greisen Vater, einem berühmten Theologen und Domprediger, ein Jahr vor seinem Tod angefertigt hat.
Der sexuelle Missbrauch der eigenen Tochter ist genauso Thema wie Gewalterfahrungen, Ehrenmorde und Prostitution. "Solange Männer das Vorrecht haben, Frauen in ,rein' und ,Hure' einzuteilen, geben sie als Väter eine Grundlage toxischer Männlichkeit an ihre Töchter weiter - auch wenn sie das nicht wollen", schreibt Sitzler im Kapitel über "Zerstörer".
"Väter und Töchter" ist ausgezeichnet geschrieben und verbindet den Erkenntnisgewinn eines Sachbuchs mit dem Erzählbogen eines Romans. Sitzler bemüht viele Quellen und stützt sich auf zahllose Anekdoten, die aber nie geschwätzig sind oder zufällig wirken. Immer wieder kommt sie auf den Diskurs des vermeintlich "neuen" Mannes zu sprechen, der Elternzeit macht, sich stärker in die Erziehung einbringt und seinen Töchtern Sparringspartner ist. Durch diese Rollenbeschreibung hat ihr Buch einen praktischen Nutzen.
In einer nach wie vor männlich dominierten Welt, so ihre These, müsse der Vater seiner Tochter eine eigene Position in der Welt ermöglichen, die ihren Fähigkeiten und Auffassungen gerecht wird. Konflikten könne er nicht aus dem Weg gehen, aber dabei müsse er ein Vorbild bleiben: "Ein Vater, der seine Tochter auch in einem überhitzten Pubertätsstreit ernst nehmen kann, nimmt ihr die Angst vor einem überlegenen Gegner." Er müsse ihr helfen, "ihre Stärke geltend zu machen".
Immer wieder hebt Sitzler die Bedeutung der Vaterrolle hervor. Sie zitiert aus einem amerikanischen Buch über "The Managerial Woman" von 1977, für das fünfundzwanzig weibliche Führungskräfte nach ihrem Werdegang befragt wurden. Sie alle hatten gemeinsam, dass ihre Väter sie zu ihrem beruflichen Erfolg ermutigt haben. Und so erzählen es auch prominente Frauen, die Sitzler zitiert: die Moderatorin und Autorin Laura Karasek, die Regisseurin Sofia Coppola, die Sängerin Melissa Etheridge. Dabei sei der Schritt aus dem Jugendalter heraus vor allem für den Erzeuger herausfordernd: "Die Pubertät der Tochter ist für den Vater Schwerstarbeit. Denn es geht um ein Losreißen, das den Vater zurücklassen muss. Das Mädchen biegt in die Welt der erwachsenen Frauen ab." Gute Sparringspartner zeichneten sich wie beim Boxen dadurch aus, dass sie ihre Überlegenheit dosieren.
Susann Sitzler hat nach der Scheidung ihrer Eltern, der phasenweisen Entfremdung, der Gründung einer neuen Familie rechtzeitig Frieden geschlossen mit ihrem verstorbenen Vater. Als er wusste, dass er nicht mehr lange zu leben haben würde, ist er mit ihr zu wichtigen Orten ihres gemeinsamen Lebens gefahren. Sie haben alte Fotos betrachtet. Beides habe ihr geholfen, den Vater besser zu verstehen. Heute sei sie für seine Spuren in ihrem Leben dankbar.
PHILIPP KROHN
Susann Sitzler: "Väter und Töchter". Ein Beziehungsbuch. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2021.
304 S., geb., 20,- [Euro].
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