Graffiti, eingeworfene Schaufenster, aufgeschlitze U-Bahn-Sitze, zerstochene Autoreifen oder herausgerissene Telefonkabel - Spuren vandalistischen Verhaltens gehören zum Alltag. Die Ursachen der anonymen Beschädigung öffentlichen oder privaten Eigentums und den Wandel der Deutungen und Erklärungen dieses Phänomens verfolgt Maren Lorenz durch die deutsche Geschichte vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.2009Grober Unfug
Und ewig lockt die Sachbeschädigung: Maren Lorenz schaut hinter den alltäglichen Vandalismus
Randale im öffentlichen Raum, deren Urheber nur schwer zu fassen sind - dies sind Phänomene, die sich nicht auf unsere heutige spätmoderne Gesellschaft beschränken. Entgegen dem vorherrschenden Trend in den Kunst- und Geschichtswissenschaften, Vandalismus und Ikonoklasmus bevorzugt in denjenigen Fällen zu untersuchen, in denen sie sich gegen Hochkultur richten, möchte Maren Lorenz die Aufmerksamkeit ihrer Leser auf den sogenannten Alltagsvandalismus lenken, den sie in Deutschland von der Frühen Neuzeit bis in die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts verfolgt. Dabei beansprucht sie klugerweise nicht, ein gültiges Erklärungsmodell für die Genese dieses historisch allgegenwärtigen Phänomens zu liefern. Sie richtet ihren Blick vielmehr auf die brisante Frage: Was sagt der gesellschaftliche Umgang mit einem Phänomen wie mutwilliger Sachbeschädigung über die Gesellschaft selbst aus?
In bester ideologiekritischer Absicht will sie intellektuelle gesellschaftliche "Introspektion im Spiegel anonymer Sachbeschädigung" als Tiefensonde einsetzen. Eine von Lorenz' Hauptthesen lautet: "Vandalismus eignet sich besonders für normative Konstruktionen." Folglich sind es vor allem die juristischen Quellen mit ihren Strafandrohungen und Täterzuschreibungen, die Aufschluss über den jeweils zeitbedingten Umgang mit alltagsvandalistischen Ausschreitungen geben.
Bereits 1484 schrieb ein Gesetz drakonische Strafen für Vandalismus gegenüber der Natur vor: Man solle Gleiches mit Gleichem vergelten und jedem Frevler den "Nabel aus seinem Bauche schneiden und ihn mit demselben an den Baum naihlen, und denselben BaumScheler um den Baum führen, so lang biß ihm sein Gedärme alle aus dem Bauch gewonnen seyndt". Die Aufklärung mit ihrem pädagogischen Optimismus milderte solche Rache-Exzesse und setzte stärker auf den pragmatischen Einsatz zerstörungsresistenter Materialien, auf patriotische Erziehung und Volksbildung in Verbindung mit der Hoffnung auf eine sittlich-läuternde Wirkung von Kunst.
Obrigkeitliche Ursachenforschung gegenüber dem Alltagsvandalismus war in den seltensten Fällen objektiv-analytisch, sondern zumeist geprägt von Projektionen und Befindlichkeiten einer Gesellschaft, die sich in ihren potentiellen Schwachpunkten bedroht sah und damit Befürchtungen von Instabilität und Angriffsmöglichkeiten nach außen kehrte.
Dies manifestierte sich spätestens seit Anfang des 19. Jahrhunderts in der Konstruktion einer anonymen Kollektivtäterschaft: Es ist ab jetzt "die" - zumeist männliche, in Rudeln auftretende, häufig unter- oder unbeschäftigte, pubertierende und gerne alkoholisierte - Jugend mit ihrem für das Establishment wie für die Vätergeneration in toto bedrohlichen Aggressions- und Kräftepotential, die bevorzugt als Tätergruppe identifiziert wird: ",Grober Unfug' wurde zum entwicklungsspezifischen Jugenddelikt naturalisiert und damit politisch bedeutungslos; Erwachsene wurden als Täter nicht einmal mehr in Erwägung gezogen." Von Anfang an nahm vor allem der anständige Bürger Anstoß an dieser juvenilen Bedrohung seiner geordneten und geregelten Lebenswelt.
Diese autoritative Täterzuschreibung wurde flankiert von verschiedenen "Argumenten" unterschiedlichster Dignität: Neben der sozialen Stigmatisierung des Vandalismus als eines Unterschichtenphänomens findet man den eher harmlosen Hinweis auf ein mangelndes sinnvolles Freizeitangebot, das dazu angetan wäre, die tatenlos herumlungernden Jugendlichen von der Straße zu holen. Bereits das 18. Jahrhundert hatte in dieser Hinsicht die Einrichtung "ordentlicher Spielplätze" gefordert, um das natürliche Bewegungspotential der Jugend zu kanalisieren. Und gesunde und sinnvolle Arbeit an der frischen Luft, wie zum Beispiel beim Gärtnern, sollte der vermeintlichen Krankhaftigkeit der vandalistischen Auswüchse Einhalt gebieten. Damit aber war der erste Schritt zur späteren Pathologisierung des Phänomens getan.
Die DDR nutzte für ihre jugendlichen Täter den griffigen und damit leicht zu operationalisierenden Begriff des "Rowdys". Dieser war nicht nur ideologisch vom Westen unterminiert und dadurch zu Sabotage und Staatszersetzung angetrieben, sondern auch durch aggressionsstiftende Rock-Musik stimuliert.
Dem Vandalismus als "Ausdruck antisozialistischer Gesinnung" wurde durch die Kontrolle der Freizeit (FDJ), in schwereren Fällen durch Zwangserziehung in Jugendwerkhöfen begegnet. Gleichzeitig war das DDR-Regime jedoch in seiner Außendarstellung bemüht, den Vandalismus als jugendliche Bagatelle herunterzuspielen, um den Ruf der heilen sozialistischen Welt nicht zu gefährden. In der frühen Bundesrepublik wurde ein weiteres Ideologem in die Jugend-Debatte eingeführt, indem man insbesondere Schlüsselkinder im Moloch Großstadt als potentielle Vandalen identifizierte. Die Perfidie dieser Zuschreibung bestand darin, berufstätige Mütter als die eigentlichen Schuldigen abzustempeln, vernachlässigten sie doch zugunsten einer unzulässig-egoistischen Selbstfindung ihren genuinen Erziehungsauftrag in den häufig vaterlosen Nachkriegsfamilien.
Dies sind nur einige der hochìnteressanten Details, die man Maren Lorenz' klein und bescheiden daherkommendem Bändchen entnehmen kann: Es ist derart randvoll mit Material und anregenden Ideen, dass man sich eine umfassendere Behandlung dieses brisanten Themas aus der prägnant formulierenden und bisweilen erfreulich spitzen Feder der Autorin wünschen würde.
CHRISTINE TAUBER
Maren Lorenz: "Vandalismus als Alltagsphänomen". Hamburger Edition, Hamburg 2009. 160 S., geb., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und ewig lockt die Sachbeschädigung: Maren Lorenz schaut hinter den alltäglichen Vandalismus
Randale im öffentlichen Raum, deren Urheber nur schwer zu fassen sind - dies sind Phänomene, die sich nicht auf unsere heutige spätmoderne Gesellschaft beschränken. Entgegen dem vorherrschenden Trend in den Kunst- und Geschichtswissenschaften, Vandalismus und Ikonoklasmus bevorzugt in denjenigen Fällen zu untersuchen, in denen sie sich gegen Hochkultur richten, möchte Maren Lorenz die Aufmerksamkeit ihrer Leser auf den sogenannten Alltagsvandalismus lenken, den sie in Deutschland von der Frühen Neuzeit bis in die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts verfolgt. Dabei beansprucht sie klugerweise nicht, ein gültiges Erklärungsmodell für die Genese dieses historisch allgegenwärtigen Phänomens zu liefern. Sie richtet ihren Blick vielmehr auf die brisante Frage: Was sagt der gesellschaftliche Umgang mit einem Phänomen wie mutwilliger Sachbeschädigung über die Gesellschaft selbst aus?
In bester ideologiekritischer Absicht will sie intellektuelle gesellschaftliche "Introspektion im Spiegel anonymer Sachbeschädigung" als Tiefensonde einsetzen. Eine von Lorenz' Hauptthesen lautet: "Vandalismus eignet sich besonders für normative Konstruktionen." Folglich sind es vor allem die juristischen Quellen mit ihren Strafandrohungen und Täterzuschreibungen, die Aufschluss über den jeweils zeitbedingten Umgang mit alltagsvandalistischen Ausschreitungen geben.
Bereits 1484 schrieb ein Gesetz drakonische Strafen für Vandalismus gegenüber der Natur vor: Man solle Gleiches mit Gleichem vergelten und jedem Frevler den "Nabel aus seinem Bauche schneiden und ihn mit demselben an den Baum naihlen, und denselben BaumScheler um den Baum führen, so lang biß ihm sein Gedärme alle aus dem Bauch gewonnen seyndt". Die Aufklärung mit ihrem pädagogischen Optimismus milderte solche Rache-Exzesse und setzte stärker auf den pragmatischen Einsatz zerstörungsresistenter Materialien, auf patriotische Erziehung und Volksbildung in Verbindung mit der Hoffnung auf eine sittlich-läuternde Wirkung von Kunst.
Obrigkeitliche Ursachenforschung gegenüber dem Alltagsvandalismus war in den seltensten Fällen objektiv-analytisch, sondern zumeist geprägt von Projektionen und Befindlichkeiten einer Gesellschaft, die sich in ihren potentiellen Schwachpunkten bedroht sah und damit Befürchtungen von Instabilität und Angriffsmöglichkeiten nach außen kehrte.
Dies manifestierte sich spätestens seit Anfang des 19. Jahrhunderts in der Konstruktion einer anonymen Kollektivtäterschaft: Es ist ab jetzt "die" - zumeist männliche, in Rudeln auftretende, häufig unter- oder unbeschäftigte, pubertierende und gerne alkoholisierte - Jugend mit ihrem für das Establishment wie für die Vätergeneration in toto bedrohlichen Aggressions- und Kräftepotential, die bevorzugt als Tätergruppe identifiziert wird: ",Grober Unfug' wurde zum entwicklungsspezifischen Jugenddelikt naturalisiert und damit politisch bedeutungslos; Erwachsene wurden als Täter nicht einmal mehr in Erwägung gezogen." Von Anfang an nahm vor allem der anständige Bürger Anstoß an dieser juvenilen Bedrohung seiner geordneten und geregelten Lebenswelt.
Diese autoritative Täterzuschreibung wurde flankiert von verschiedenen "Argumenten" unterschiedlichster Dignität: Neben der sozialen Stigmatisierung des Vandalismus als eines Unterschichtenphänomens findet man den eher harmlosen Hinweis auf ein mangelndes sinnvolles Freizeitangebot, das dazu angetan wäre, die tatenlos herumlungernden Jugendlichen von der Straße zu holen. Bereits das 18. Jahrhundert hatte in dieser Hinsicht die Einrichtung "ordentlicher Spielplätze" gefordert, um das natürliche Bewegungspotential der Jugend zu kanalisieren. Und gesunde und sinnvolle Arbeit an der frischen Luft, wie zum Beispiel beim Gärtnern, sollte der vermeintlichen Krankhaftigkeit der vandalistischen Auswüchse Einhalt gebieten. Damit aber war der erste Schritt zur späteren Pathologisierung des Phänomens getan.
Die DDR nutzte für ihre jugendlichen Täter den griffigen und damit leicht zu operationalisierenden Begriff des "Rowdys". Dieser war nicht nur ideologisch vom Westen unterminiert und dadurch zu Sabotage und Staatszersetzung angetrieben, sondern auch durch aggressionsstiftende Rock-Musik stimuliert.
Dem Vandalismus als "Ausdruck antisozialistischer Gesinnung" wurde durch die Kontrolle der Freizeit (FDJ), in schwereren Fällen durch Zwangserziehung in Jugendwerkhöfen begegnet. Gleichzeitig war das DDR-Regime jedoch in seiner Außendarstellung bemüht, den Vandalismus als jugendliche Bagatelle herunterzuspielen, um den Ruf der heilen sozialistischen Welt nicht zu gefährden. In der frühen Bundesrepublik wurde ein weiteres Ideologem in die Jugend-Debatte eingeführt, indem man insbesondere Schlüsselkinder im Moloch Großstadt als potentielle Vandalen identifizierte. Die Perfidie dieser Zuschreibung bestand darin, berufstätige Mütter als die eigentlichen Schuldigen abzustempeln, vernachlässigten sie doch zugunsten einer unzulässig-egoistischen Selbstfindung ihren genuinen Erziehungsauftrag in den häufig vaterlosen Nachkriegsfamilien.
Dies sind nur einige der hochìnteressanten Details, die man Maren Lorenz' klein und bescheiden daherkommendem Bändchen entnehmen kann: Es ist derart randvoll mit Material und anregenden Ideen, dass man sich eine umfassendere Behandlung dieses brisanten Themas aus der prägnant formulierenden und bisweilen erfreulich spitzen Feder der Autorin wünschen würde.
CHRISTINE TAUBER
Maren Lorenz: "Vandalismus als Alltagsphänomen". Hamburger Edition, Hamburg 2009. 160 S., geb., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
So bescheiden dieses Buch daherkommt, so gewichtig und spannend sind das Material und die Ideen, die darin stecken, erklärt erfreut Christine Tauber zu Maren Lorenz' Studie zum Alltagsvandalismus und seiner zeitbedingten gesellschaftlichen Ächtung (das 15. Jahrhundert wollte dem Delinquenten den "Nabel aus seinem Bauche schneiden und ihn mit demselben an den Baum naihlen"). Dass die Autorin den Leser aus historischen und juristischen Quellen informiert, ohne griffige Erklärungen zu präsentieren, rechnet Tauber ihr hoch an. Mit dem Blick der "prägnant formulierenden" Autorin auf den gesellschaftlichen Umgang mit dem Phänomen Vandalismus, auf soziale Stigmatisierung und Pathologisierung, erschließen sich der Rezensentin interessante Perspektiven auf die Gesellschaft. Ginge es nach Tauber, dürfte die Autorin gern noch mehr zu diesem "brisanten Thema" herausfinden.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH