Studienarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Germanistik - Ältere Deutsche Literatur, Mediävistik, Note: 1.7, Georg-August-Universität Göttingen, Sprache: Deutsch, Abstract: Es ist nicht der Regelfall, dass mittelalterliche Literatur in einer festen Überlieferung vorliegt, auch wenn Heldendichtungen in der Rezeptionspraxis für institutionelle Zwecke (z.B. den Deutschunterricht) aufgrund ihrer Komplexität unter einem beschränkten textkritischen Blickwinkel gelesen werden. Ebenso ist mit dem Nibelungenlied das wohl populärste deutsche Heldenepos in mehrfacher Überlieferung verfügbar. Insoweit muss seine wissenschaftliche Betrachtung als geschlossenes und gebildehaftes Werk mit Vorsicht genossen werden. Diese Asymmetrie wirft viele Fragen auf, von denen die meisten bis heute nicht eindeutig geklärt werden konnten: Gibt es mehrere Autoren, die unterschiedliche Texte verfasst haben, oder lassen sich alle Handschriften auf denselben Autor zurückführen? Sind die buchepischen Verschriftlichungen Auslaufformen mündlicher Vorgängerfassungen? Unterscheiden sich die Fassungen in ihren narrativen Strukturen und erzwingen sie damit unterschiedliche hermeneutische Herangehensweisen? Letztere soll die Leitfrage dieser Arbeit sein, wobei eine Beschränkung auf die Nibelungenliedhandschriften B und C erforderlich ist, um den Rahmen dieser Analyse nicht zu sprengen. In einem vergleichenden Analyseverfahren sollen die divergierenden narrativen Schemata der Fassungen *B und *C an ausgewählten Aventiure- und Strophenbeispielen herausgearbeitet und ferner ihre unterschiedlichen Konzeptionierungen offengelegt werden. Zunächst bedarf es jedoch der Klärung, welche Voraussetzungen notwendig sind, um mittelalterliche Texte eingehend studieren zu können, damit auf dieser Grundlage erzähltechnische Textdiskrepanzen zum Vorschein gelangen. Dazu sollen im Folgenden signifikante Unterschiede des modernen und mittelalterlichen Textualitätsverständnis gegenübergestellt werden.