Vorwort: Ein Anarchismus mit Zukunft? Als ich vor vielen, vielen Jahren den Anarchismus studierte, war für mich seine anthropozentrische Orientierung - nicht nur wegen der weit verbreiteten Unfreiheit unter den Menschen -selbstverständlich. Bernd-Udo Rinas gibt diese Fixierung jetzt gut begründet auf und bezieht die Tiere in das von den Menschen aufgespannte Solidaritätsnetz ein - alle Tiere, weil sie, wie die Menschen, Schmerzen erleiden könnten. Eine anarchistische Konzeption, die am Anthropozentrismus festhält, könne keine neuen Antworten geben. Bernd-Udo Rinas will aber einen Anarchismus mit Zukunft. Drei Anmerkungen: Die Einbeziehung der Tiere in das Solidaritätsbündnis beinhaltet die Gefahr - die auch Bernd-Udo Rinas gesehen hat - dass die Menschen, insbesondere die Kinder, mehr für eine Zuneigung zu lieben Tierchen als zu armen und hinfälligen Menschen, vom Einsatz zur Beseitigung von Unfreiheit ganz zu schweigen, sensibilisiert werden. Eine zweite Anmerkung, die er nicht problematisiert hat: Können Tiere, alle Tiere, auch aktiv gegenüber den Menschen Solidarität zeigen oder bleibt dies ein einseitig Ding? Und drittens: Einige Probleme, die ich bei der Einbeziehung auch der einfachsten tierischen Lebewesen in die Fragestellung habe, lasse ich außen vor. Eine vegan-anarchistische Konzeption und Bewegung in der Postmoderne bleibt im Kern ein Anarchismus, weil das politische Konzept der Herrschaftslosigkeit nicht aufgegeben wird, im Gegenteil, es wird ausgeweitet: Eine herrschaftsfreie Gesellschaft setze voraus, dass auch keine Herrschaft der Menschen über die Tiere akzeptiert werden kann. Das Buch von Bernd-Udo Rinas können also "alte" Anarchisten mit Befriedigung lesen, auch weil sie auf eine breite Verarbeitung der anarchistischen Tradition stoßen. Wenn der Autor einen Zusammenhang zwischen Anarchismus, Postmoderne und Veganismus konstruiert, so will er das traditionelle Anarchismus- Konzept notwendigerweise revidieren. Damit könne der Anarchismus der Gefahr entrinnen, ein historisches Produkt zu bleiben. Oder anders ausgedrückt: Der Veganismus ist kein Post-Anarchismus, sondern soll eine Perspektive des Anarchismus sein. Die Lektüre des Buches kann auch für Veganer eine Bereicherung ein. Ob sie schon gewusst haben, dass sie Anarchisten sind, dass der Veganismus eine Perspektive für den Anarchismus ist? Und warum nicht auch die Pflanzen in ein umfassendes Konzept der Herrschaftslosigkeit einbeziehen? - Ich sehe natürlich die Gefahr, dass Menschen dann (ver)hungern würden, denn irgendetwas müssen sie essen. Diese Gefahr wäre aber bei weltweitem konsequenten Veganismus auch nicht von der Hand zu weisen. Dies führt zum groben Einschub der Frage, ob die Natur auf dieser Erde sich nicht zum gegenseitigen Fressen der Lebewesen entwickelt hat? ... Halt, da tu ich den Pflanzen Unrecht. - Der Spargel schmeckt mir, dem Menschen, aber trotzdem. Warum nicht wenigstens ein bisschen Holismus? Leben der Lindenbaum oder der Rosenstock nicht? Ist es diesen Pflanzen gleichgültig, wenn ich Äste absäge oder Zweige breche? Soll auch heißen: Wissen wir sicher, dass sie dabei keine "Schmerzen" erleiden? - wobei der überkommene Schmerzbegriff überdacht werden sollte. Sollte ich nicht die Konsequenz ziehen, der Liebsten den lebenden Rosenstock statt der gebrochenen, bald welkenden, also sterbenden, Rose zu schenken? Prof. Dr. Franz Neumann
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