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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Dylan Farrows Jugendroman "Hush - Verbotene Worte" treibt ein subversives Spiel mit der Manipulation
Grausamer kann das Abenteuer einer Fantasy-Heldin kaum beginnen: Hustend und unter Schmerzen liegt Shaes Bruder im Sterben, dahingerafft vom blauen Tod. Als brächte die Dürre nicht schon genug Elend über das Land Montane, wütet eine Seuche unter seinen Einwohnern. Für alles Schreckliche, das ihnen widerfährt, sollen verbotene Worte, Erzählungen und Schriften verantwortlich sein. Nur die Herrscherkaste der Barden, heißt es, kann das Verderben abwenden: Ihre Beschwörungen schaffen gnädige Wirklichkeiten durch die Magie der Sprache. Erkauft werden kann solche Gunst nur mit Schweigen und Verrat, dem Erdulden willkürlicher Brutalität und dem Leisten horrender Abgaben.
Wer vom Unheil heimgesucht wird, muss es selbst auf sich gezogen haben und wird geächtet - wie Shaes Familie. Der Vater ist tot, die Mutter wird Opfer eines blutigen Verbrechens. Statt es aufzuklären, sprechen die Dorfautoritäten von einem Unfall. Freunde wenden sich von Shae ab. Von allen verlassen, zieht die Jugendliche zum Hohen Haus in die Berge, wo die Barden residieren, angeführt vom mächtigen Lord Cathal. Shae sucht, was es in Montane nicht gibt, weil es unsagbar ist: die Wahrheit. Sie wird ein Labyrinth finden, gebaut aus Täuschungen. Hinter jeder Tür warten neue Schrecken, und der vermeintliche Ersatzvater Cathal erweist sich als Unhold.
Was Dylan Farrows Jugendbuch "Hush - Verbotene Worte" (Loewe Verlag, 19,95 Euro) zu einem bemerkenswerter Erstling macht, ist der fast schon metafiktional schwankende Boden der erfundenen Realität, auf den die Autorin ihre Heldin stellt. Ausgeschickt wird Shae, um im Beinahe-Mittelalter des Fantasy-Genres heutige Konflikte auszufechten. Verschwörungstheorien, Schweigekartelle und Medienmacht; von Männern dominierte Bünde, die Überzeugungskraft des schönen Scheins und die Ohnmacht einer isolierten weiblichen Figur, der niemand glaubt - wer wollte da nicht an Meinungsmache im Digitalzeitalter oder die MeToo-Bewegung denken. Die Seuche ergänzt das aktuelle Inventar.
Was Dylan Farrows Buch zu einem besonders viel beachteten Debüt macht, ist allerdings die Tatsache, dass die Autorin eine Adoptivtochter von Mia Farrow und Woody Allen ist: die angenommene Tochter, an der sich der Regisseur 1992 sexuell vergangen haben soll. Vor Gericht kam der Fall nie. Stattdessen ging er auf im Sorgerechtsstreit, der entbrannte, nachdem Woody Allen eine Beziehung mit Mia Farrows Adoptivtochter Soon-Yi begonnen hatte, welche er später heiratete. Erst als Erwachsene hat Dylan Farrow ihre Anschuldigung selbst öffentlich vorgebracht. Woody Allen streitet sie ab. Soon-Yi Allen schildert Mia Farrow als Manipulatorin. Und dann ist da noch Ronan Farrow, das zweite gemeinsame Kind des früheren Ehepaars Farrow und Allen: Er ist einer der Journalisten, die mit ihren Recherchen Harvey Weinstein gestürzt haben.
Ist deshalb die Mutter Shaes, eine verstummte Wortzauberin, ein Abbild Mia Farrows? Ist Cathal nach dem Modell Woody Allens geformt, obwohl es nicht um Missbrauch geht? Jeder, der das Buch liest, muss merken, dass solche Analogien nicht aufgehen. Dies ist kein Schlüsselroman. So bekräftigte Dylan Farrow es in Interviews zum Erscheinen ihres Buchs in Amerika Ende vergangenen Jahres. Dass "Hush" dennoch als mindestens autobiographisch motiviert rezipiert und vermarktet werden kann, hat sie indes ebenfalls provoziert. Im Nachwort heißt es, ihre Familie sei in ihrer Kindheit "von einem mächtigen Menschen bedrängt" worden, "der entschlossen war, unser Leben und unsere Glaubwürdigkeit zu zerstören". Heute werde Ähnliches nicht mehr so leicht akzeptiert, doch die "fast infektiöse" Ausbreitung falscher Nachrichten halte an. "Hush" sei eine Ermutigung, die Wahrheit zu suchen, statt in Selbstzweifeln zu versinken.
Dafür, dass der Loewe Verlag, bei dem das Buch in der Übersetzung von Alexandra Ernst erscheint, dieser Spur gefolgt ist und den Roman als Debüt der "Adoptivtochter von Woody Allen und Mia Farrow" annoncierte, zog er heftige Kritik aus den sozialen Netzwerken auf sich. Nun wird der Hinweis auf die Eltern getilgt durch den auf die feministische Hauptfigur und Fake News. Eine ironische Wendung angesichts des Untertitels "Verbotene Worte". Man muss also eine Menge beiseiteschieben oder nicht wissen, um unbelastet Montane zu betreten: am besten ein Teenager sein. Das Genre des Jugendbuchs ist für den Themenkreis klug gewählt. Adoleszenz bedeutet, Kindheitsgewissheiten zu überwinden und angeblich Unumstößliches in Frage zu stellen.
Dystopisch beginnt das Buch da, wo die Hauptfigur einer klassischen Heldenreise erst auf halber Strecke anlangt: an einem Tiefpunkt. Statt eine Aufwärtsbewegung folgt gesteigerte Hilflosigkeit, bis endlich mit der Selbstermächtigung zum Aufbruch ein Silberstreif am Horizont auftaucht. Dieses Muster, Todesgefahr und doppelbödige Hilfsangebote, die die Not nur verlängern, einander abwechseln zu lassen, wiederholt sich im Hohen Haus. Lord Cathal will Shae sofort hinrichten lassen - dann gibt er sich als Freund. Und die Heldin verliert nie die Hoffnung, dass ihre kaltherzigen Gegenüber doch etwas für sie übrighaben könnten.
Shaes Rettung ist nicht die Güte der anderen, sondern ihre eigene übernatürliche Gabe, die sie zur Bardin macht. Der Preis dafür ist ein Wirklichkeitsempfinden wie in einem Spiegelkabinett, die Flutung mit widerstreitenden Gefühlen und Furcht vor dem Wahnsinn. Sprachlich sind diese Passagen, zu denen auch zarte Annäherungen an die beiden Jungs Mads und Ravod gehören, das Beste, das "Hush" zu bieten hat. Dazwischen erstreckt sich viel platte Ebene mit Gewaltspitzen und Dialogen, die in Psycho-Coaching-Talk abfallen. Immer hektischer tackert Dylan Farrow Spannungsmomente aneinander, eklektisch an das Tolkien-Universum, griechische Mythen, Aborigine-Songlines, Grimms Märchen oder die "Tribute von Panem" erinnernd.
Konzise bleibt das subversive Spiel mit dem Vertrauen. Shae hält emotional an denen fest, die sie schlecht behandeln. Man kann das als Überwindung des Schwarzweißdenkens lesen - oder als fragwürdige Opferperspektive. Die Manipulationen, denen die Heldin ausgesetzt ist, überträgt sie als Ich-Erzählerin auf die (wahrscheinlich vor allem weiblichen) Leser. Was als Tatsache geschildert wird, zerfällt als Illusion. Dennoch zieht die Heldin am Schluss mit Verbündeten, die sie vorher alle schon im Stich gelassen haben, in ein neues Abenteuer - eine Fortsetzung ist angekündigt. In ihr wird die wankende Heldin sich wirklich beweisen müssen.
URSULA SCHEER
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