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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Ausgelöscht: Hermann Parzinger durchquert kenntnisreich die lange Geschichte der Kulturzerstörungen.
Die Geschichte der Kulturzerstörungen, die Hermann Parzinger - Archäologe, Gründungsintendant des Berliner Humboldt-Forums und Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz - vorgelegt hat, verweist schon mit ihrem Titel "Verdammt und vernichtet" auf zwei Formen der dargestellten Zerstörungen: einerseits die Vernichtung von Bauwerken, Bildern, Statuen, Denkmälern und Monumenten, andererseits die damnatio memoriae, die vor allem die Erinnerung an bestimmte Personen - von Echnaton bis Stalin - auslöschen soll. Gleich in seiner Einführung betont Parzinger, keine Vollständigkeit angestrebt zu haben, sondern die Analyse exemplarischer Fälle.
Im Mittelpunkt der Darstellung stehen intendierte Zerstörungen. Nur was bewusst geplant wird, kann auf mögliche Motive bezogen werden: Schon auf den ersten Seiten werden neben der Geltungssucht die Ziele der Bestrafung, der Rache, der politischen Vernichtung und des religiösen Eifers erwähnt. Als Beispiel für die Geltungssucht wird etwa Herostratos genannt, der antike Brandstifter, der den Artemis-Tempel von Ephesos anzündete, um dauerhaften Ruhm zu erlangen; als Beispiel für einen politischen Vernichtungswillen fungiert die Zerstörung Karthagos. Die beiden Beispiele demonstrieren auch zwei Varianten der Kulturzerstörung: Denn der Begriff lässt sich einerseits beziehen auf die Vernichtung kultureller Objekte und Artefakte, andererseits auf die Vernichtung von Lebensformen, kollektiven Erinnerungen, Traditionen und Selbstverständnissen. Offen bleibt dabei die Frage, wie die Verbringung von Kunstwerken und Kulturgütern in andere Länder - nach Kriegen und Eroberungen - bewertet werden soll. Im Zuge systematischer Kunstraubzüge etwa werden die materiellen Zeugnisse einer Kultur nicht zerstört - im Gegensatz zu den Kulturen, die sie hervorgebracht haben.
Parzingers Buch orientiert sich an der Chronologie. Den Beispielen aus dem Altertum, vom alten Ägypten bis zur Zerstörung des Tempels von Jerusalem und den Umbrüchen in der Spätantike, folgen Kapitel zu den Ikonoklasmen in Byzanz während des achten und neunten Jahrhunderts, zu den hussitischen und reformatorischen Bilderstürmen im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit, bevor die Bildzerstörungen der Französischen Revolution kommentiert werden, die spätestens nach der Hinrichtung Robespierres von einer Kunstpolitik der Bewahrung, Pflege und Musealisierung abgelöst wurden. Damals wurden die ersten Denkmäler-Kommissionen, unter Beteiligung von Kunstkennern, Architekten oder Malern, eingerichtet; Parzinger spricht von der "Geburtsstunde des Museums in Frankreich" und dem "Beginn eines neuartigen und umfassenden Verständnisses von kulturellem Erbe". Somit habe der Bildersturm der Französischen Revolution Entwicklungen ausgelöst, an deren Ende die Museen standen.
Der zweite Teil des Buchs befasst sich mit Kulturzerstörungen, die nicht mehr allein auf die Artefakte materieller Kultur gerichtet waren, denn diese Artefakte wurden häufig genug in europäische Museen transportiert, sondern auf die Auslöschung von Kulturen im erweiterten Sinne: von der Vernichtung der aztekischen Kultur bis zur Eroberung des Königreichs Benin im subsaharischen Afrika. Im Zeitalter des Kolonialismus wurden exterminatorische Strategien allmählich mit den Praktiken des systematischen Kunstraubs verschmolzen, was schon Alain Resnais und Chris Marker in einem Filmessay von 1953 beklagten. Dieser Film, nach der Uraufführung in Cannes verboten und in Paris erstmals 1968 gezeigt, trägt den Titel: "Les Statues meurent aussi" (Auch die Statuen sterben). Er handelt von afrikanischer Kunst und beginnt mit den Sätzen: "Wenn die Statuen sterben, werden sie Kunst. Es ist diese Botanik des Todes, die wir Kultur nennen." Ein solcher Prozess sei mehrdeutig: Was er zu retten scheint, entleert er zugleich. Er bewahrt die Spuren entlegener Vergangenheit; doch inventarisiert er oft nur die Objekte, die ihren lebendigen Kontext verloren haben. "Wenn wir verschwinden", so heißt es im Script Chris Markers, "werden unsere Objekte eingeschlossen an dem Ort, an den wir schwarze Dinge senden: das Museum."
Weitere Kapitel bei Parzinger befassen sich mit der Oktoberrevolution und Stalinismus, mit der Vernichtung der jüdischen Kultur durch das NS-Regime, mit der chinesischen Kulturrevolution, der Diktatur Pol Pots und der Roten Khmer in Kambodscha. Der weitgespannte Bogen führt danach zu den islamistischen Ikonoklasmen im Bamiyan-Tal und in Palmyra.
In seinem Ausblick betont Parzinger den engen Zusammenhang zwischen Genozid und Kulturvernichtung. "Systematische Kulturzerstörungen" seien "fast regelhaft mit Völkermord verknüpft, und der Satz ist umkehrbar". Und er stellt fest, was die Vielzahl der dargestellten Beispiele quer durch Geschichte und Weltregionen zu einer ebenso informativen wie bedrückenden Lektüre macht: die Geschichte bewusster Kulturzerstörungen sei "wohl noch nicht zu Ende geschrieben".
THOMAS MACHO.
Hermann Parzinger: "Verdammt und vernichtet". Kulturzerstörungen vom Alten Orient bis zur Gegenwart.
C.H. Beck Verlag, München 2021.
368 S., Abb., geb., 29,95 [Euro].
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