Familienunternehmen sind in Deutschland und in den USA zentrale Bausteine der jeweiligen Volkswirtschaft. Und doch gibt es signifikante Unterschiede in der Unternehmens- und Familienkultur sowie der institutionellen Umwelt. So wird Deutschland in den USA um seine leistungsstarken Familienunternehmen, vor allem die Hidden Champions, beneidet. Zudem bestehen deutsche Familienunternehmen im Durchschnitt deutlich länger. Wie kam es zu diesen Divergenzen? Die von der Stiftung Familienunternehmen herausgegebene historische Langzeitbetrachtung analysiert die Ursachen und Auswirkungen der Unternehmenslandschaften in beiden Ländern von der Industrialisierung im 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2021Der Erfolg der Sippen
Wie das Erbrecht den Werdegang von Firmen prägt
Deutschland gilt als Land der Familienunternehmen, darunter etliche "Hidden Champions", also Weltmarktführer aus dem Mittelstand, die der breiten Öffentlichkeit oft kaum bekannt sind. Amerika dagegen gilt als Land der börsennotierten Großkonzerne, in denen nicht mehr Familien das Geschäft führen, sondern angestellte Manager die Geschicke der Unternehmen bestimmen. Was ist dran an den Klischees?
Die beiden Wirtschaftshistoriker Hartmut Berghoff und Ingo Köhler vergleichen in ihrem hervorragend geschriebenen Buch "Verdienst und Vermächtnis" die Geschichte von Familienunternehmen in Deutschland und den Vereinigten Staaten. Die Autoren wollen wissen, wie die Unterschiede zustande kommen. Tatsächlich ist das eben ganz grob skizzierte Bild von der unterschiedlichen Bedeutung von Familienunternehmen in Deutschland und Amerika nicht falsch, wobei auch in den Vereinigten Staaten die wirtschaftliche Leistung von Familienunternehmen einen substantiellen Teil der Volkswirtschaft ausmacht: In Amerika und Deutschland sind mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer in Familienunternehmen beschäftigt. (Als Familienunternehmen gelten dabei Unternehmen, die noch mehrheitlich von Familien kontrolliert werden; in börsennotierten Kapitalgesellschaften reicht schon die Sperrminorität einer Familie von 25 Prozent, um noch als Familienunternehmen zu gelten). Allerdings sind Familienunternehmen in den Vereinigten Staaten im Schnitt deutlich weniger langlebig: Viele wandeln sich - wenn sie erfolgreich wachsen - schnell in Kapitalgesellschaften und gehen oft schon vor dem ersten Generationswechsel an die Börse, so dass sie nach einigen Jahren nicht mehr von der Gründerfamilie kontrolliert werden.
Der spannendste Teil des Buches behandelt das unterschiedliche Erbrecht in den beiden Ländern, das zu der unterschiedlichen Unternehmenslandschaft maßgeblich beigetragen hat. In den Vereinigten Staaten wurde das Vererben von Unternehmensanteilen nämlich lange Zeit deutlich höher besteuert als in Deutschland. Dies hat laut den Autoren mit dem ausgeprägten Individualismus in Amerika zu tun: "Der ,Selfmademan', nicht der Bewahrer von Familientradition wurde verehrt", schreiben die Autoren treffend: "Ererbtes Vermögen galt dort als unverdient, während die vom Einzelnen erschaffenen Werte höchste Dignität besaßen." Oder in den Worten des früheren amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt: "No man should receive a dollar unless that dollar has been fairly earned." Zwischen 1942 und 1976 lag der amerikanische Spitzensteuersatz beim Vererben großer Vermögen ab 50 Millionen Dollar auf 77 Prozent. Um die Steuer zahlen zu können, mussten viele Unternehmerfamilien in Amerika ihr Unternehmen ganz oder teilweise verkaufen - ein Problem, das deutschen Unternehmerfamilien meist erspart blieb. Denn in Deutschland galt und gilt die Familie als Einheit und als besonders schutzwürdig, der Staat griff beim Vererben von Unternehmensanteilen lange Zeit kaum zu, und auch heute noch ist er hierzulande zurückhaltender. Zwar sind die Unterschiede im Erbrecht nicht mehr so groß wie früher, sie bleiben aber gravierend.
Das Buch ist leicht verständlich geschrieben und hält sich mit Wertungen angenehm zurück. Die Autoren stellen die unterschiedlichen Entwicklungen in Amerika und Deutschland dafür sehr anschaulich und facettenreich dar - auf ganz unterschiedlichen Feldern. Der Leser lernt viel über die Wirtschaftsgeschichte, die Unterschiede im Erbrecht und über tief verwurzelte kulturelle Prägungen in beiden Ländern. Nebenbei lernt der Leser auch viel über die unterschiedlichen Unternehmensverfassungen ("Corporate Governance"), die Rolle der Banken und die Geschichte der Kapitalmärkte in Deutschland und Amerika - wie und warum sich verschiedene Aktiengattungen entwickelt haben. Auch kleine Exkurse dazu, wie mit Familienunternehmen in der Nazizeit und in der DDR umgegangen wurde, sind überaus interessant. So wurden sie in beiden Fällen teils als Gegenentwurf zum "Großkapital" gesehen. In Ostdeutschland wurden viele Familienunternehmen bis 1972 auch toleriert und zunächst nicht verstaatlicht, sie konnten noch längere Zeit in Familienhand bleiben - anders als in allen anderen sozialistischen Ökonomien des Ostblocks. Auch das zeige ihre "starke historische Verankerung" in Deutschland.
Während hierzulande Familienunternehmen seit je großes politisches Gewicht hatten, seien kleine und mittelständische Unternehmen in Amerika lange "Stiefkinder der Wirtschaftspolitik" gewesen, schreiben die Autoren. Doch auch in Amerika gab und gibt es (versteckte) staatliche Hilfen für den Mittelstand, über die allerdings selten gesprochen wird: Weil es nicht zum eigenen Selbstverständnis passe, würden viele Unternehmen "den Erhalt staatlicher Hilfe konsequent verschweigen". Viel Unterstützung laufe über die Vergabe öffentlicher Aufträge. Das zeige sich auch beim sagenhaften Aufstieg der IT- und Hightech-Industrie im Silicon Valley südlich von San Francisco: "Obwohl das Valley als Beispiel freien Unternehmertums gefeiert wurde, profitierte es gerade in seiner Anfangsphase wesentlich von Steuergeldern", schreiben die Autoren. Das Silicon Valley sei nicht nur das Werk innovativer Entwickler, aus deren Garagen Großkonzerne wie Apple und Hewlett Packard entstanden seien, sondern "auch das Ergebnis der Subventionen des US-Verteidigungsministeriums und der Weltraumbehörde Nasa". Das dominante Muster des schnellen Übergangs von Familienunternehmen in Aktiengesellschaften in Streubesitz lasse sich auch dort oft beobachten.
TILLMANN NEUSCHELER.
Hartmut Berghoff, Ingo Köhler: Verdienst und Vermächtnis - Familienunternehmen in Deutschland und den USA seit 1800 (herausgegeben von der Stiftung Familienunternehmen), Campus Verlag, Frankfurt 2020, 335 Seiten, 40 Euro.
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Wie das Erbrecht den Werdegang von Firmen prägt
Deutschland gilt als Land der Familienunternehmen, darunter etliche "Hidden Champions", also Weltmarktführer aus dem Mittelstand, die der breiten Öffentlichkeit oft kaum bekannt sind. Amerika dagegen gilt als Land der börsennotierten Großkonzerne, in denen nicht mehr Familien das Geschäft führen, sondern angestellte Manager die Geschicke der Unternehmen bestimmen. Was ist dran an den Klischees?
Die beiden Wirtschaftshistoriker Hartmut Berghoff und Ingo Köhler vergleichen in ihrem hervorragend geschriebenen Buch "Verdienst und Vermächtnis" die Geschichte von Familienunternehmen in Deutschland und den Vereinigten Staaten. Die Autoren wollen wissen, wie die Unterschiede zustande kommen. Tatsächlich ist das eben ganz grob skizzierte Bild von der unterschiedlichen Bedeutung von Familienunternehmen in Deutschland und Amerika nicht falsch, wobei auch in den Vereinigten Staaten die wirtschaftliche Leistung von Familienunternehmen einen substantiellen Teil der Volkswirtschaft ausmacht: In Amerika und Deutschland sind mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer in Familienunternehmen beschäftigt. (Als Familienunternehmen gelten dabei Unternehmen, die noch mehrheitlich von Familien kontrolliert werden; in börsennotierten Kapitalgesellschaften reicht schon die Sperrminorität einer Familie von 25 Prozent, um noch als Familienunternehmen zu gelten). Allerdings sind Familienunternehmen in den Vereinigten Staaten im Schnitt deutlich weniger langlebig: Viele wandeln sich - wenn sie erfolgreich wachsen - schnell in Kapitalgesellschaften und gehen oft schon vor dem ersten Generationswechsel an die Börse, so dass sie nach einigen Jahren nicht mehr von der Gründerfamilie kontrolliert werden.
Der spannendste Teil des Buches behandelt das unterschiedliche Erbrecht in den beiden Ländern, das zu der unterschiedlichen Unternehmenslandschaft maßgeblich beigetragen hat. In den Vereinigten Staaten wurde das Vererben von Unternehmensanteilen nämlich lange Zeit deutlich höher besteuert als in Deutschland. Dies hat laut den Autoren mit dem ausgeprägten Individualismus in Amerika zu tun: "Der ,Selfmademan', nicht der Bewahrer von Familientradition wurde verehrt", schreiben die Autoren treffend: "Ererbtes Vermögen galt dort als unverdient, während die vom Einzelnen erschaffenen Werte höchste Dignität besaßen." Oder in den Worten des früheren amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt: "No man should receive a dollar unless that dollar has been fairly earned." Zwischen 1942 und 1976 lag der amerikanische Spitzensteuersatz beim Vererben großer Vermögen ab 50 Millionen Dollar auf 77 Prozent. Um die Steuer zahlen zu können, mussten viele Unternehmerfamilien in Amerika ihr Unternehmen ganz oder teilweise verkaufen - ein Problem, das deutschen Unternehmerfamilien meist erspart blieb. Denn in Deutschland galt und gilt die Familie als Einheit und als besonders schutzwürdig, der Staat griff beim Vererben von Unternehmensanteilen lange Zeit kaum zu, und auch heute noch ist er hierzulande zurückhaltender. Zwar sind die Unterschiede im Erbrecht nicht mehr so groß wie früher, sie bleiben aber gravierend.
Das Buch ist leicht verständlich geschrieben und hält sich mit Wertungen angenehm zurück. Die Autoren stellen die unterschiedlichen Entwicklungen in Amerika und Deutschland dafür sehr anschaulich und facettenreich dar - auf ganz unterschiedlichen Feldern. Der Leser lernt viel über die Wirtschaftsgeschichte, die Unterschiede im Erbrecht und über tief verwurzelte kulturelle Prägungen in beiden Ländern. Nebenbei lernt der Leser auch viel über die unterschiedlichen Unternehmensverfassungen ("Corporate Governance"), die Rolle der Banken und die Geschichte der Kapitalmärkte in Deutschland und Amerika - wie und warum sich verschiedene Aktiengattungen entwickelt haben. Auch kleine Exkurse dazu, wie mit Familienunternehmen in der Nazizeit und in der DDR umgegangen wurde, sind überaus interessant. So wurden sie in beiden Fällen teils als Gegenentwurf zum "Großkapital" gesehen. In Ostdeutschland wurden viele Familienunternehmen bis 1972 auch toleriert und zunächst nicht verstaatlicht, sie konnten noch längere Zeit in Familienhand bleiben - anders als in allen anderen sozialistischen Ökonomien des Ostblocks. Auch das zeige ihre "starke historische Verankerung" in Deutschland.
Während hierzulande Familienunternehmen seit je großes politisches Gewicht hatten, seien kleine und mittelständische Unternehmen in Amerika lange "Stiefkinder der Wirtschaftspolitik" gewesen, schreiben die Autoren. Doch auch in Amerika gab und gibt es (versteckte) staatliche Hilfen für den Mittelstand, über die allerdings selten gesprochen wird: Weil es nicht zum eigenen Selbstverständnis passe, würden viele Unternehmen "den Erhalt staatlicher Hilfe konsequent verschweigen". Viel Unterstützung laufe über die Vergabe öffentlicher Aufträge. Das zeige sich auch beim sagenhaften Aufstieg der IT- und Hightech-Industrie im Silicon Valley südlich von San Francisco: "Obwohl das Valley als Beispiel freien Unternehmertums gefeiert wurde, profitierte es gerade in seiner Anfangsphase wesentlich von Steuergeldern", schreiben die Autoren. Das Silicon Valley sei nicht nur das Werk innovativer Entwickler, aus deren Garagen Großkonzerne wie Apple und Hewlett Packard entstanden seien, sondern "auch das Ergebnis der Subventionen des US-Verteidigungsministeriums und der Weltraumbehörde Nasa". Das dominante Muster des schnellen Übergangs von Familienunternehmen in Aktiengesellschaften in Streubesitz lasse sich auch dort oft beobachten.
TILLMANN NEUSCHELER.
Hartmut Berghoff, Ingo Köhler: Verdienst und Vermächtnis - Familienunternehmen in Deutschland und den USA seit 1800 (herausgegeben von der Stiftung Familienunternehmen), Campus Verlag, Frankfurt 2020, 335 Seiten, 40 Euro.
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»Hervorragend geschrieben.« Tillmann Neuscheler, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.01.2021 »Die innovative und lesenswerte Studie [...] beantwortet ihre Leitfrage nach den Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen deutschen und US-amerikanischen Familienunternehmen überzeugend. Auch wenn - oder eben gerade weil - die Arbeit von Hartmut Berghoff und Ingo Köhler wichtige Erkenntnisse liefert, bleiben der historisch-vergleichenden Unternehmensforschung also noch genügend attraktive Aufgaben.« Jörg Lesczenski, Soziopolis, 14.06.2021