Ein Anruf verändert alles - ein vorwärts peitschender Roman. Was passiert, wenn der heimliche Geliebte stirbt und man keinem zeigen darf, wie sehr man trauert? Wenn es keinen Ort gibt und keinen Menschen, der um die Qualen wissen darf? Sarah Crossan ist mit diesem Roman ein grandioses Kunststück gelungen: Sie zeigt die Leiden einer getriebenen Frau in schnellen Beats. Ana ist Anwältin, Mutter zweier Kinder und Ehefrau von Paul. Offiziell. Insgeheim gibt es da noch Connor, Anas Klienten und heimlichen Geliebten. Doch Ana erhofft sich mehr von der Affäre als verstohlene Treffen im Hotel. Als Connor unerwartet stirbt, erfährt sie das ausgerechnet von der Person, die zwischen ihnen stand - seiner Frau Rebecca. Ana soll das Testament vollstrecken. Allein gelassen mit ihrer Trauer, sucht sie die Nähe zu Rebecca. Doch während sich der Wunsch nach einer Leidensgenossin schleichend zu einer Besessenheit steigert, vernachlässigt Ana ihre eigene Familie und wandelt dabei ständig am seelischen Abgrund. War Rebecca wirklich so unerträglich, wie Connor immer behauptet hat? Und hatte er überhaupt vor, sie irgendwann zu verlassen? Ana weiß nicht, wie und ob es ihr gelingen kann, Connor und sich selbst zu verzeihen. Sarah Crossan zeigt in diesem atemlosen Roman die Fallstricke menschlichen Miteinanders.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2022Weiß sie Bescheid?
Sarah Crossans Roman "Verheizte Herzen"
Als Rebecca Taylor in der Kanzlei anruft, ist die Rechtsanwältin Ana Kelly durch nichts auf die Nachricht vorbereitet: Connor Mooney ist plötzlich verstorben, Rebeccas Mann, und da er Anas Kanzlei zur Testamentsvollstreckerin eingesetzt hat, ist es an ihr, das Nötige zu unternehmen, also seine Papiere durchzugehen, die Witwe zu beraten und dergleichen mehr.
Dass Ana nun plötzlich und massiv um den verstorbenen Klienten trauert, ist keinem Mitgefühl für die Witwe geschuldet. Denn die Londoner Rechtsanwältin, spezialisiert auf Nachlässe, war jahrelang die heimliche Geliebte Connors, zuletzt allerdings gerade mit ihm zerstritten. Und ihre Situation gleicht insofern der des Protagonisten in Dostojewskis Erzählung "Der lebenslängliche Ehemann", in der ein heimlicher Liebhaber nach dem Tod der Geliebten deren Witwer aufsucht und mit ihm ein tastendes Gespräch beginnt, weiß er doch nicht, ob der Witwer von der Affäre seiner Frau - eher zufällig entstanden und durch eine Erbschaftsangelegenheit begünstigt - gewusst hatte.
Ana erzählt diese Geschichte selbst, und in den einigermaßen kohärenten Bericht aus der Gegenwart mischen sich die dadurch ausgelösten Erinnerungsfetzen aus der Zeit mit Connor. Sie trifft sich mit der Witwe, sogar mit Connors Freund Marc, und während sie sich mit Rebecca unterhält, achtet sie überwach auf Signale oder versteckte Hinweise: Wusste die Witwe von einer Affäre ihres Mannes, kannte sie sogar die Identität der Geliebten, spielt sie nun ein Spiel mit ihr? Etwas davon schwingt in ihren Worten mit, wenn sie Ana Connors Schreibtisch zeigt und dazu meint, von irgendwelchen "Gemeinheiten", über die Ana stolpern könnte, wolle sie nichts wissen, was ja nicht zuletzt Hinweise auf heimliche Geliebte mit einschließt. Und wenn Rebecca die Rechtsanwältin inmitten der chaotisch unaufgeräumten Wohnung (was so gar nicht zu dem Bild passt, das Connor von seiner Frau immer entworfen hatte) mit einem Redeschwall überhäuft, urplötzlich auf ihre verstorbene Mutter kommt und mit den Worten schließt: "Oh Gott, keine Ahnung, warum ich Ihnen das erzähle" - kann sie dann Anas inneren Kommentar "ich weiß schon alles über ihre Mutter" ahnen? Macht es ihr Spaß, Ana mit derlei zu quälen, die ihrerseits auch ihren eigenen Mann im Ungewissen hält?
Die englische Autorin Sarah Crossan lässt ihre Protagonistin Ana diese Geschichte in freien Versen erzählen. Sie hat in dieser Form bereits einige ausgezeichnete Jugendbücher veröffentlicht, darunter "Wer ist Edward Moon", in dem sich der jüngere Bruder eines zum Tode verurteilten jungen Mannes auf den Weg macht, den Bruder vor der Hinrichtung zu sehen und mit ihm zu sprechen.
Die Form des Versromans, die derzeit im Jugendbuch eine Renaissance erlebt und gelegentlich auch in der aktuellen Belletristik angewandt wird, nutzt Crossan, um Anas Suada einerseits zu strukturieren, andererseits vom unmittelbaren Erleben abzuheben, was sich besonders dort als wirkungsvoll erweist, wo sich die Protagonistin sonst im Alltag verlöre, was sie erkennbar nicht will. Nachträglich soll das, was war, mehr gewesen sein als eine bloße Affäre, die besonders von Connors Seite von Liebesschwüren ebenso begleitet wurde wie von der Unfähigkeit, sich zwischen der Ehefrau und der Geliebten zu entscheiden - trotz täglicher Telefonate und wöchentlicher Treffen. Und vieler Hinweise darauf, dass seine Frau ihm mit den Jahren fremd geworden sei. Für Ana allerdings wird diese Person immer schwerer greifbar: Wer ist diese Rebecca?
Der Name, klassisch geworden für jene andere Frau, die vorher da war und durch keine ihrer Nachfolgerinnen zu ersetzen ist, steht für viele literarische Verweise in Crossans Roman. Sein Reiz wurzelt nicht zuletzt in ihrem Spiel damit, in der Umkehrung solcher Zuordnungen, denn Ana erweist sich mehr und mehr als äußerst verschwiegen und unzuverlässig, wenn es um die Beziehung geht, über die sie so offenherzig zu sprechen scheint. Und in den Lücken, die sie lässt. Denn was in den insgesamt fünf Kindern vorgeht, die von alldem betroffen sind, lässt sich nur ahnen. TILMAN SPRECKELSEN
Sarah Crossan: "Verheizte Herzen". Roman.
Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 272 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sarah Crossans Roman "Verheizte Herzen"
Als Rebecca Taylor in der Kanzlei anruft, ist die Rechtsanwältin Ana Kelly durch nichts auf die Nachricht vorbereitet: Connor Mooney ist plötzlich verstorben, Rebeccas Mann, und da er Anas Kanzlei zur Testamentsvollstreckerin eingesetzt hat, ist es an ihr, das Nötige zu unternehmen, also seine Papiere durchzugehen, die Witwe zu beraten und dergleichen mehr.
Dass Ana nun plötzlich und massiv um den verstorbenen Klienten trauert, ist keinem Mitgefühl für die Witwe geschuldet. Denn die Londoner Rechtsanwältin, spezialisiert auf Nachlässe, war jahrelang die heimliche Geliebte Connors, zuletzt allerdings gerade mit ihm zerstritten. Und ihre Situation gleicht insofern der des Protagonisten in Dostojewskis Erzählung "Der lebenslängliche Ehemann", in der ein heimlicher Liebhaber nach dem Tod der Geliebten deren Witwer aufsucht und mit ihm ein tastendes Gespräch beginnt, weiß er doch nicht, ob der Witwer von der Affäre seiner Frau - eher zufällig entstanden und durch eine Erbschaftsangelegenheit begünstigt - gewusst hatte.
Ana erzählt diese Geschichte selbst, und in den einigermaßen kohärenten Bericht aus der Gegenwart mischen sich die dadurch ausgelösten Erinnerungsfetzen aus der Zeit mit Connor. Sie trifft sich mit der Witwe, sogar mit Connors Freund Marc, und während sie sich mit Rebecca unterhält, achtet sie überwach auf Signale oder versteckte Hinweise: Wusste die Witwe von einer Affäre ihres Mannes, kannte sie sogar die Identität der Geliebten, spielt sie nun ein Spiel mit ihr? Etwas davon schwingt in ihren Worten mit, wenn sie Ana Connors Schreibtisch zeigt und dazu meint, von irgendwelchen "Gemeinheiten", über die Ana stolpern könnte, wolle sie nichts wissen, was ja nicht zuletzt Hinweise auf heimliche Geliebte mit einschließt. Und wenn Rebecca die Rechtsanwältin inmitten der chaotisch unaufgeräumten Wohnung (was so gar nicht zu dem Bild passt, das Connor von seiner Frau immer entworfen hatte) mit einem Redeschwall überhäuft, urplötzlich auf ihre verstorbene Mutter kommt und mit den Worten schließt: "Oh Gott, keine Ahnung, warum ich Ihnen das erzähle" - kann sie dann Anas inneren Kommentar "ich weiß schon alles über ihre Mutter" ahnen? Macht es ihr Spaß, Ana mit derlei zu quälen, die ihrerseits auch ihren eigenen Mann im Ungewissen hält?
Die englische Autorin Sarah Crossan lässt ihre Protagonistin Ana diese Geschichte in freien Versen erzählen. Sie hat in dieser Form bereits einige ausgezeichnete Jugendbücher veröffentlicht, darunter "Wer ist Edward Moon", in dem sich der jüngere Bruder eines zum Tode verurteilten jungen Mannes auf den Weg macht, den Bruder vor der Hinrichtung zu sehen und mit ihm zu sprechen.
Die Form des Versromans, die derzeit im Jugendbuch eine Renaissance erlebt und gelegentlich auch in der aktuellen Belletristik angewandt wird, nutzt Crossan, um Anas Suada einerseits zu strukturieren, andererseits vom unmittelbaren Erleben abzuheben, was sich besonders dort als wirkungsvoll erweist, wo sich die Protagonistin sonst im Alltag verlöre, was sie erkennbar nicht will. Nachträglich soll das, was war, mehr gewesen sein als eine bloße Affäre, die besonders von Connors Seite von Liebesschwüren ebenso begleitet wurde wie von der Unfähigkeit, sich zwischen der Ehefrau und der Geliebten zu entscheiden - trotz täglicher Telefonate und wöchentlicher Treffen. Und vieler Hinweise darauf, dass seine Frau ihm mit den Jahren fremd geworden sei. Für Ana allerdings wird diese Person immer schwerer greifbar: Wer ist diese Rebecca?
Der Name, klassisch geworden für jene andere Frau, die vorher da war und durch keine ihrer Nachfolgerinnen zu ersetzen ist, steht für viele literarische Verweise in Crossans Roman. Sein Reiz wurzelt nicht zuletzt in ihrem Spiel damit, in der Umkehrung solcher Zuordnungen, denn Ana erweist sich mehr und mehr als äußerst verschwiegen und unzuverlässig, wenn es um die Beziehung geht, über die sie so offenherzig zu sprechen scheint. Und in den Lücken, die sie lässt. Denn was in den insgesamt fünf Kindern vorgeht, die von alldem betroffen sind, lässt sich nur ahnen. TILMAN SPRECKELSEN
Sarah Crossan: "Verheizte Herzen". Roman.
Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 272 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
An Dostojewski fühlt sich Rezensent Tilman Spreckelsen bei der Lektüre von Sarah Crossans "Verheizte Herzen" erinnert und erklärt auch gleich, wieso: Es geht bei Crossan um eine Londoner Anwältin, die auf einmal mit der Witwe ihres langjährigen Geliebten konfrontiert wird, da dieser ihre Kanzlei als Nachlassverwalter eingesetzt hat. Diesen Plot kennt der Rezensent schon von "Der lebenslängliche Ehemann", das tut seiner Freude über den in Versform geschriebenen Roman aber keinen Abbruch. Anwältin Ana grübelt im Gespräch mit ihrer Kontrahentin Rebecca über die Bedeutung der Affäre, die andere Frau und darüber, was all das eigentlich zu bedeuten hatte, erfahren wir. Crossan gestaltet das in Form einer Suada, die immer lückenhafter wird, so Spreckelsen, der das äußerst reizvoll findet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Mit 'Verheizte Herzen' gelingt Sarah Crossan das Wunder eines Romans, [...] berührend, intensiv und beglückend.« Susann Fleischer literaturmarkt.info 20220801
An Dostojewski fühlt sich Rezensent Tilman Spreckelsen bei der Lektüre von Sarah Crossans "Verheizte Herzen" erinnert und erklärt auch gleich, wieso: Es geht bei Crossan um eine Londoner Anwältin, die auf einmal mit der Witwe ihres langjährigen Geliebten konfrontiert wird, da dieser ihre Kanzlei als Nachlassverwalter eingesetzt hat. Diesen Plot kennt der Rezensent schon von "Der lebenslängliche Ehemann", das tut seiner Freude über den in Versform geschriebenen Roman aber keinen Abbruch. Anwältin Ana grübelt im Gespräch mit ihrer Kontrahentin Rebecca über die Bedeutung der Affäre, die andere Frau und darüber, was all das eigentlich zu bedeuten hatte, erfahren wir. Crossan gestaltet das in Form einer Suada, die immer lückenhafter wird, so Spreckelsen, der das äußerst reizvoll findet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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