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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Wie aus Vorahnung Verzweiflung wird: Tsitsi Dangarembgas Roman "Verleugnen", der zweite Teil ihrer Tambu-Trilogie.
Von Fridtjof Küchemann
Wie hat es mit Tambu nur so weit kommen können? In "Aufbrechen", dem ersten Teil der ihr gewidmeten Trilogie, verabschieden sich die Leser von ihr als jungem Mädchen mit dem schleichenden Gefühl, einem Verhängnis entgegenzugehen. Im in deutscher Übersetzung als Nächstes veröffentlichten dritten Teil, "Überleben", begegnet sie ihnen als arbeitslose Frau wieder, die ihr Wohnheim in Harare verlassen soll, weil sie zu alt dafür geworden sei. Als sie sich zu Beginn des Buchs eine neue Bleibe ansehen will, droht ihr ein Dienstmädchen, den Hund auf sie zu hetzen, falls sie nicht verschwindet.
Wer Tsitsi Dangarembga nicht allein als Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels und als unerschrockene Kämpferin für bessere Lebensbedingungen in Simbabwe kennt, sondern durch ihre Bücher, die beispielhaft Kindheit, Jugend und Erwachsenenleben in ihrem Heimatland erzählen, wird sich ungeduldig fragen, wie aus Tambudzai Sigauke, einem Mädchen mit trotz dunkler Vorahnung offensichtlich strahlender Zukunft das Wrack werden konnte, das die Autorin ihren Lesern schließlich im Abschlussband schmerzlich nahebringt. Jetzt ist mit "Verleugnen" auch der zweite Teil der Trilogie in deutscher Übersetzung erschienen und schließt die Lücke.
Vom ersten Satz des ersten Buchs an hält Tsitsi Dangarembga ihre Leserschaft auf Abstand zu ihrer Heldin. So schwer es fällt, sie sympathisch zu finden, so nachvollziehbar schildert ihre Autorin, was Tambu zu Opportunismus, Gleichgültigkeit und gar Gehässigkeit verleitet. Der Tod ihres älteren Bruders, den ihr Onkel zur Ausbildung aus dem Dorf mit in die von ihm geleitete Missionarsschule genommen hatte, eröffnete ihr einen Bildungsweg, der einem Mädchen vom Land im Simbabwe, damals Rhodesien, der Sechzigerjahre eigentlich verwehrt bleiben musste. Weil kein anderer Junge infrage kam, durfte Tambu an des Bruders statt auf die Schule gehen. Mit größter Anstrengung wurde sie so gut, dass sie ein Stipendium am "Young Ladies' College of the Sacred Heart", der besten privaten Mädchenschule des Landes, bekommen hat, auf der kaum mehr als eine Handvoll schwarze Schülerinnen angenommen werden. Den einen Preis hat sie längst bezahlt: Sie hat sich ihren Eltern entfremdet. Vom anderen erzählt "Verleugnen": Sie fügt sich wie ihr Onkel auf eine Weise in das Herrschaftssystem der weißen Siedler, die die stärker werdenden Unabhängigkeitskämpfer des Landes als Provokation empfinden. So steht sie zwischen den Gemeinschaften. Bald wird man sagen müssen: zwischen den Fronten.
"Verleugnen" beginnt mit einem Blutbad. Tambus Onkel Babamukuru wird vor dem versammelten Dorf mit einem Gewehrkolben zusammengeschlagen und überlebt nur, weil Tambus Schwester, die sich einer vana mukoma genannten Widerstandsgruppe angeschlossen hat, auf eine Landmine tritt, die ihr ein Bein ausreißt. Babamukuru hat das einzige Auto. Er muss sie zur nächsten Ärztin fahren.
Die Kämpfe überschatten weite Teile der Handlung in "Verleugnen": Immer wieder erreichen die Schülerinnen des Internats Schreckensmeldungen über Gräueltaten an Verwandten. Schließlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Kämpfe Sacred Heart erreichen. Es braucht keine große Phantasie, um sich auszumalen, was das für die Schwestern heißen würde, für die vielen Töchter reicher Weißer, die hier unterrichtet werden, und für die wenigen schwarzen Schülerinnen, die hier mit Weißen leben und lernen.
Tsitsi Dangarembga schildert kleine Grausamkeiten und strukturelle Ungerechtigkeiten im Alltag der Schülerinnen mit größter Genauigkeit. Die weißen Mädchen diskutieren am gemeinsamen Esstisch, ob der Kakao, wenn eine schwarze Mitschülerin ihn angefasst hat, noch genießbar wäre. Immer wieder kommt es zu Streit unter den schwarzen Mädchen aus den unteren Klassen, zu sechst zusammengepfercht in einem Vierbettzimmer. Anfangs kann sich Tambu kaum konzentrieren nach den traumatischen Erlebnissen in ihrem Dorf. Anvertrauen darf sie sich freilich auch niemandem. Als sie dann doch ihr ehrgeiziges Ziel erreicht und die Mittlere Reife mit Bestnote erhält, bekommt eine andere, weiße Schülerin die Auszeichnung, weil "dem Young Ladies' College of the Sacred Heart daran gelegen ist, abgerundete Persönlichkeiten auszubilden". Zuvor war Tambu auf einer Toilette erwischt worden, die den weißen Schülerinnen vorbehalten ist. Sie hatte nicht einmal mehr Gelegenheit, sich zu säubern, bevor sie die Kabine verlassen musste.
Kriegsbedingt kündigen immer mehr Lehrer, und die Mädchen mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt müssen zum Unterricht in eine staatliche Highschool gefahren werden. Tambu hat als Schwarze dort keinen Zugang und kann sich nur mithilfe der Notizen einer Mitschülerin aufs Abitur vorbereiten. Kein Wunder, dass ihr Abschluss nicht nur für den Onkel eine Enttäuschung ist. Im unabhängigen Simbabwe schließlich erlebt Tambu, inzwischen Texterin in einer Werbeagentur in Harare, wie ihre preisgekrönte Kampagne kurzerhand dem weißen Textchef zugeschrieben wird.
"Ich war in zweierlei Hinsicht eine biologisch frevelhafte Person", resümiert Tambu einmal: wegen ihres Geschlechts und ihrer Hautfarbe. Eine bittere Erkenntnis in einem Leben, in dem sie immer wieder mit einer Brutalität auf die schwarzen Frauen zugestandenen Plätze zurückgezwungen wird, die Tsitsi Dangarembga ebenso sorgfältig wie schonungslos schildert. "Ein besseres Simbabwe für alle" hatte die Autorin im Jahr 2020 auf einem Protestplakat gefordert. Unlängst ist sie dafür unter anderem wegen Anstachelung zu öffentlichem Unfrieden zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt worden (F.A.Z. vom 30. September). Von den Wurzeln des heutigen Gewaltregimes in Simbabwe, gegen das Tsitsi Dangarembga mit vielen anderen aufbegehrt, erzählt sie in ihrer Literatur.
Tsitsi Dangarembga: "Verleugnen". Roman.
Aus dem Englischen von Anette Grube. Orlanda Verlag, Berlin 2022. 306 S., br., 24,- Euro
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