Deutsche Literatur- und Verlagsgeschichte Vom Nachklang der Weimarer Republik bis in die Jetztzeit -- Der Lebensbericht eines herausragenden deutschen Verlegers erfasst mit immer auch politischem Blick einen dramatischen Abschnitt deutscher Geschichte. Elmar Faber zieht Bilanz: Ein verwechselbarer Blick auf fast ein dreiviertel Jahrhundert deutscher Geistesgeschichte. Ein Leben zwischen den Untergängen könnte man die Erinnerungen des deutsch-deutschen Verlegers Elmar Faber nennen: von den Trümmern Weimars über den Zusammenbruch 1945 bis zum Ende der DDR 1990. Doch hier wird nichts betrauert, sondern mit luzider Heiterkeit über ein immer auch politisches Leben berichtet, das sich nie irgendeiner allgemein verbreiteten Meinung andiente. Sein Engagement galt den Autoren der DDR – die meisten kannte er persönlich, viele verlegte er selbst bis vor wenigen Jahren, darunter Christoph Hein, Christa Wolf, Erwin Strittmatter, Wolfgang Hilbig, Heiner Müller. Seine Autobiographie fügt sich in die Reihe der Memoiren von Hans Mayer bis Marcel Reich-Ranicki – sie vervollständigt den Blick auf deutsches Kulturleben der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.04.2014Glasbläser in der Aula
Zu Elmar Fabers 80. Geburtstag erscheint die Autobiografie des langjährigen Aufbau-Verlegers
Als der etwas undurchsichtige und in der Literaturszene bis dato nicht auffällig gewordene Frankfurter Immobilienmakler Bernd F. Lunkewitz im Jahre 1991 das ehemalige Flaggschiff des DDR-Verlagswesens, den Aufbau-Verlag, kaufte, trat er zusammen mit dem langjährigen Verleger Elmar Faber vor die Presse. Auf die Frage, wer denn nun dem anderen vor einer Tür den Vortritt ließe, antwortete Lunkewitz: der Jüngere dem Älteren, also ich! Ein Jahr später warf Faber das Handtuch. Dieses Ende beim Aufbau-Verlag war für Elmar Faber eine traumatische Erfahrung.
Das merkt man auch den Lebenserinnerungen an, die zu seinem 80. Geburtstag an diesem Dienstag erscheinen. Was er zu den Wildwestmethoden nach der Wende schreibt, wie er die Gier und die Kurzsichtigkeit brandmarkt, mit der zweit- oder drittklassige Politiker und Geschäftemacher tabula rasa machten, das legt gleich mehrere Wunden bloß. Faber hätte wohl durchaus die Fähigkeiten gehabt, seinen Verlag durch die Fährnisse nach dem Ende der DDR zu führen. Ökonomisches Handeln war ihm selbstverständlich, und vor allem zeigte er sich immer wieder als gewiefter und flexibler Taktiker.
Sein Ruf war zwar ein schillernder, denn natürlich zählte er als Programmgestalter einer der prestigeträchtigsten Kulturinstitutionen der DDR zu den wichtigsten Repräsentanten des Staates und machte dafür auch gelegentlich notwendige Kniebeugen, aber er erwarb sich zugleich ziemlichen Respekt. Die Gründe dafür hebt er in seiner Autobiographie natürlich heraus: 1985 etwa gab er Christoph Heins Roman „Horns Ende“ frei, obwohl die Zuständigen in der Partei Einwände erhoben und die Druckgenehmigung noch nicht vorlag. Er unterstützte seine wichtigen Autoren bei Eingriffen der Zensur und zeigte Distanz zu den Betonköpfen in der Partei, machte sich nicht gemein mit den schablonenhaften Kunst-Vorstellungen der Machthaber. Und auch der Stasi zeigte er die kalte Schulter, das wurde ihm von der Gauck-Behörde ausdrücklich bescheinigt.
Für die Leitung des Aufbau-Verlags, die er 1983 übernahm, hatte sich Faber durch seine Tätigkeit bei der „Edition Leipzig“ qualifiziert, die hochwertige Faksimileausgaben alter Texte hauptsächlich für den Export, also für Devisen, herstellte. Diese besondere Vorliebe für die Buchkunst und Buchgestaltung zieht sich durch seine gesamte verlegerische Tätigkeit und verleiht ihm etwas Bildungsbürgerliches. Dabei hat er eine typische DDR-Sozialisation durchlaufen. In einem Glasbläserhaus in einem südthüringischen Gebirgsdorf aufgewachsen, beschreibt er sich, oft ein bisschen sehr blumig, als natur- und heimatverbunden. Er habe dort die Liebe zu den wenigen kostbaren, sorgsam gehüteten Bildungsschätzen geerbt, lebte mit gleichsam ästhetischem Enthusiasmus in die Anfangsjahre der DDR hinein. Die Passagen über die Arbeiter- und Bauernfakultät, deren herausragendes literarisches Zeugnis Hermann Kants „Aula“ ist, und die sozialistischen Ideale der jungen Generation der fünfziger Jahre sind atmosphärisch denn auch sehr prägnant.
Allerdings wirken Fabers Einlassungen über das Wesen der Literatur und die eigene lautere Haltung oft wie abgekoppelt von den realen zeitgeschichtlichen Umständen. Nichts Zögerndes oder gar Fragendes ist in diesem Buch zu finden, genauere Angaben und Hintergründe über Fabers doch recht rasanten Werdegang in der DDR fehlen, und die Unterschiede zwischen DDR und BRD werden mit Bemerkungen relativiert wie jener, dass es auf beiden Seiten vernünftige Leute gegeben habe. Allzu große Selbstzweifel sind diesem Autobiografen eher fremd.
Dass er sich und den legendären Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld immer wieder in einem Atemzug nennen muss, liegt auf der Hand: sie seien „zwei Verleger mit einem sechsten Sinn für Bücher“ gewesen. Von den völlig unterschiedlichen Voraussetzungen der beiden Verlage ist nicht die Rede: Faber hatte es natürlich bei weitem leichter, ohne marktstrategische Überlegungen schöne und literarisch wertvolle Bücher und Reihen zu machen.
Man erfährt also einiges über Elmar Fabers Blick auf sich selbst – und ist doch ein bisschen enttäuscht, dass man nicht mehr von den Schwierigkeiten, den Begleitumständen liest, den notwendigen Kompromissen, den Irrtümern, von den Momenten also, in denen es auch Schwächen gegeben haben muss. Es fällt auf, dass das Buch den Charakter einer DDR-Rechtfertigungschrift annimmt, obwohl es das gar nicht nötig hätte.
Und auch, wenn Faber sich dabei selbst im Blickfeld hat, ist es mehr als fragwürdig, wie er die DDR-Befindlichkeiten überreizt: nach 1989 habe es auf dem Territorium der DDR „eine so grandiose Verschwendung von intellektuellem Potential“ gegeben, „wie sie vorher in der deutschen Gesellschaftsgeschichte wohl noch nicht stattgefunden hatte“. Das klingt nach altdeutschem Stellungskrieg. Dennoch ist dieses Buch für kulturkritisch interessierte Leser allemal eine lohnende Lektüre.
HELMUT BÖTTIGER
Elmar Faber: Verloren im Paradies. Ein Verlegerleben. Aufbau Verlag, Berlin 2014. 398 S., 22,90 Euro.
Elmar Faber, geboren 1934 in Deesbach in Thüringen, war von 1983 bis 1992 Leiter des Aufbau Verlages in Berlin.
Foto: dpa
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Zu Elmar Fabers 80. Geburtstag erscheint die Autobiografie des langjährigen Aufbau-Verlegers
Als der etwas undurchsichtige und in der Literaturszene bis dato nicht auffällig gewordene Frankfurter Immobilienmakler Bernd F. Lunkewitz im Jahre 1991 das ehemalige Flaggschiff des DDR-Verlagswesens, den Aufbau-Verlag, kaufte, trat er zusammen mit dem langjährigen Verleger Elmar Faber vor die Presse. Auf die Frage, wer denn nun dem anderen vor einer Tür den Vortritt ließe, antwortete Lunkewitz: der Jüngere dem Älteren, also ich! Ein Jahr später warf Faber das Handtuch. Dieses Ende beim Aufbau-Verlag war für Elmar Faber eine traumatische Erfahrung.
Das merkt man auch den Lebenserinnerungen an, die zu seinem 80. Geburtstag an diesem Dienstag erscheinen. Was er zu den Wildwestmethoden nach der Wende schreibt, wie er die Gier und die Kurzsichtigkeit brandmarkt, mit der zweit- oder drittklassige Politiker und Geschäftemacher tabula rasa machten, das legt gleich mehrere Wunden bloß. Faber hätte wohl durchaus die Fähigkeiten gehabt, seinen Verlag durch die Fährnisse nach dem Ende der DDR zu führen. Ökonomisches Handeln war ihm selbstverständlich, und vor allem zeigte er sich immer wieder als gewiefter und flexibler Taktiker.
Sein Ruf war zwar ein schillernder, denn natürlich zählte er als Programmgestalter einer der prestigeträchtigsten Kulturinstitutionen der DDR zu den wichtigsten Repräsentanten des Staates und machte dafür auch gelegentlich notwendige Kniebeugen, aber er erwarb sich zugleich ziemlichen Respekt. Die Gründe dafür hebt er in seiner Autobiographie natürlich heraus: 1985 etwa gab er Christoph Heins Roman „Horns Ende“ frei, obwohl die Zuständigen in der Partei Einwände erhoben und die Druckgenehmigung noch nicht vorlag. Er unterstützte seine wichtigen Autoren bei Eingriffen der Zensur und zeigte Distanz zu den Betonköpfen in der Partei, machte sich nicht gemein mit den schablonenhaften Kunst-Vorstellungen der Machthaber. Und auch der Stasi zeigte er die kalte Schulter, das wurde ihm von der Gauck-Behörde ausdrücklich bescheinigt.
Für die Leitung des Aufbau-Verlags, die er 1983 übernahm, hatte sich Faber durch seine Tätigkeit bei der „Edition Leipzig“ qualifiziert, die hochwertige Faksimileausgaben alter Texte hauptsächlich für den Export, also für Devisen, herstellte. Diese besondere Vorliebe für die Buchkunst und Buchgestaltung zieht sich durch seine gesamte verlegerische Tätigkeit und verleiht ihm etwas Bildungsbürgerliches. Dabei hat er eine typische DDR-Sozialisation durchlaufen. In einem Glasbläserhaus in einem südthüringischen Gebirgsdorf aufgewachsen, beschreibt er sich, oft ein bisschen sehr blumig, als natur- und heimatverbunden. Er habe dort die Liebe zu den wenigen kostbaren, sorgsam gehüteten Bildungsschätzen geerbt, lebte mit gleichsam ästhetischem Enthusiasmus in die Anfangsjahre der DDR hinein. Die Passagen über die Arbeiter- und Bauernfakultät, deren herausragendes literarisches Zeugnis Hermann Kants „Aula“ ist, und die sozialistischen Ideale der jungen Generation der fünfziger Jahre sind atmosphärisch denn auch sehr prägnant.
Allerdings wirken Fabers Einlassungen über das Wesen der Literatur und die eigene lautere Haltung oft wie abgekoppelt von den realen zeitgeschichtlichen Umständen. Nichts Zögerndes oder gar Fragendes ist in diesem Buch zu finden, genauere Angaben und Hintergründe über Fabers doch recht rasanten Werdegang in der DDR fehlen, und die Unterschiede zwischen DDR und BRD werden mit Bemerkungen relativiert wie jener, dass es auf beiden Seiten vernünftige Leute gegeben habe. Allzu große Selbstzweifel sind diesem Autobiografen eher fremd.
Dass er sich und den legendären Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld immer wieder in einem Atemzug nennen muss, liegt auf der Hand: sie seien „zwei Verleger mit einem sechsten Sinn für Bücher“ gewesen. Von den völlig unterschiedlichen Voraussetzungen der beiden Verlage ist nicht die Rede: Faber hatte es natürlich bei weitem leichter, ohne marktstrategische Überlegungen schöne und literarisch wertvolle Bücher und Reihen zu machen.
Man erfährt also einiges über Elmar Fabers Blick auf sich selbst – und ist doch ein bisschen enttäuscht, dass man nicht mehr von den Schwierigkeiten, den Begleitumständen liest, den notwendigen Kompromissen, den Irrtümern, von den Momenten also, in denen es auch Schwächen gegeben haben muss. Es fällt auf, dass das Buch den Charakter einer DDR-Rechtfertigungschrift annimmt, obwohl es das gar nicht nötig hätte.
Und auch, wenn Faber sich dabei selbst im Blickfeld hat, ist es mehr als fragwürdig, wie er die DDR-Befindlichkeiten überreizt: nach 1989 habe es auf dem Territorium der DDR „eine so grandiose Verschwendung von intellektuellem Potential“ gegeben, „wie sie vorher in der deutschen Gesellschaftsgeschichte wohl noch nicht stattgefunden hatte“. Das klingt nach altdeutschem Stellungskrieg. Dennoch ist dieses Buch für kulturkritisch interessierte Leser allemal eine lohnende Lektüre.
HELMUT BÖTTIGER
Elmar Faber: Verloren im Paradies. Ein Verlegerleben. Aufbau Verlag, Berlin 2014. 398 S., 22,90 Euro.
Elmar Faber, geboren 1934 in Deesbach in Thüringen, war von 1983 bis 1992 Leiter des Aufbau Verlages in Berlin.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.07.2014Ganz schön manövrierfähig
Aufbau-Verleger Elmar Faber blickt zurück auf die DDR
Siegfried Unseld saß am Grenzübergang Friedrichstraße fest. Es war Herbst 1985, der Suhrkamp-Verleger wollte nach Ost-Berlin, er hatte Bücher im Gepäck. Das machte ihn verdächtig. Erregt rief Unseld bei Elmar Faber, dem Chef des Aufbau Verlags, an. Der blieb gelassen. Auf seinem Schreibtisch lag heißere Ware: die druckfrische Erstausgabe von Christoph Heins Roman "Horns Ende", den Faber nach fruchtlosen Verhandlungen mit den offiziellen Stellen schließlich ohne Genehmigung aufgelegt hatte. Als Unseld kurz darauf ins Gebäude des Aufbau Verlags stürzte, überreichte Faber ihm ein Exemplar. Stunden später wurde das Geschenk auf einer Toilette im Verlagsgebäude entdeckt. "Unseld wollte sich mit halbverbotener Ware nicht wieder den Infamitäten deutsch-deutscher Grenzübertritte aussetzen", erinnert sich Faber: "Der Vorgang hatte - bei allem miserablen Hintergrund - etwas Rührendes. Auch ein Heros, dachte ich, war irritierbar."
Diese Anekdote ist eine Randnotiz in der Autobiographie "Verloren im Paradies", die Elmar Faber nun, im Alter von achtzig Jahren, vorlegt. Aber sie illustriert, wie anders die Bedingungen waren, unter denen Verleger in der DDR arbeiteten: die Auseinandersetzungen mit den Zensoren, die Launen der Politik, die allgemeine Materialknappheit. Eindrücklich beschreibt Faber immer wieder Bürden, die täglich einen Großteil seiner Kräfte banden und für die westdeutsche Verleger oft nur wenig Verständnis hatten. Zugleich rückt Faber mit Unseld nicht nur einen bewunderten Freund ins Bild: "Ich wollte", schreibt er mehrmals, "den Suhrkamp des Ostens." Hoher literarischer Anspruch, eine Bibliothek internationaler Klassiker, mehrere hundert Neuerscheinungen pro Jahr und ein enges Verhältnis zu den Autoren zeichneten auch Aufbau aus.
Zehn Jahre lang leitete Faber den Verlag von Anna Seghers, Erwin Strittmatter oder Christa Wolf. Es war der Höhepunkt einer fünfzig Jahre zählenden Karriere im Verlagswesen. Nach dem Germanistikstudium in Leipzig und einer kurzzeitigen Tätigkeit als Redakteur hatte Faber zunächst als Lektor und später als Verleger der Edition Leipzig gearbeitet, in der vor allem aufwendige Bildbände und Faksimile-Ausgaben erschienen. Die Leitung des Aufbau Verlags, damals noch "Volkseigentum", übernahm er 1983. Nach Wende und Privatisierung verließ er Aufbau 1992 und konzentrierte sich fortan auf den eigenen neugegründeten Verlag Faber & Faber.
In strikter Chronologie führt uns Faber aus seinem thüringischen Heimatdorf Deesbach zur Zeit des Nationalsozialismus bis ins quirlige Berlin der Wendejahre. Wie im Zeitraffer fliegt die Geschichte des geteilten Landes vorbei. Leider gerät die Erzählung streckenweise zur schlichten Reihung einzelner Erlebnisse. Beim Ritt durch die siebziger und achtziger Jahre verfällt Faber mitunter in fast stichwortartigen Stil. Die Sätze werden kürzer, die Übergänge abrupter, der Text wirkt stellenweise wie flüchtig diktiert.
Zusammenhängender und spannender sind Fabers Ausführungen über die Zeit der Wiedervereinigung, als er um den Fortbestand des Aufbau Verlags kämpfte, der nun der freien Marktwirtschaft ausgesetzt war. Den Westen charakterisiert er als selbstgefälligen historischen Sieger, der die Lorbeeren der Wiedervereinigung für sich reklamierte und den Ideen reformorientierter Kräfte im Osten kaum Gehör schenkte: "Eine unverzeihliche Unterlassungssünde, die sich Jahrzehnte danach in der Sturzgeburt des Turbokapitalismus als das eigentliche Krankheitsbild des Unternehmertums im 21. Jahrhundert entlarven sollte."
Faber hat Konflikte nie gescheut. Im Herbst 1990 verlegte er den Gesprächsband "Der Sturz - Erich Honecker im Kreuzverhör". Den Vorwurf des ökonomischen Opportunismus und lautstarke Proteste im eigenen Verlag nahm er dabei in Kauf. Westdeutschen Verlegern wirft er vor, sie hätten nach der Wiedervereinigung noch immer "auf den Klaviaturen der Hallstein-Doktrin" gespielt, das "westdeutsche Wohlstandsparadies" bezeichnet er als "verschleierte Diktatur des Kapitals". Zum Kapitel "Plusauflagen" bringt er nun eine eigenwillige Deutung. Systematisch hatten DDR-Verlage westliche Autoren in höherer Stückzahl gedruckt, als mit den Lizenzgebern vereinbart war. Fabers Kommentar: "Juristisch waren die Plusauflagen Betrug, ideell waren sie ein Manöver, das die Bewegungsfreiheit westlicher Literatur in der DDR vergrößerte." Die Aufrechnung nach der Wende sei hier, wie in so vielem anderen, "einseitig" gewesen.
FRIEDEMANN BIEBER.
Elmar Faber: "Verloren im Paradies. Ein Verlegerleben".
Aufbau Verlag, Berlin 2014. 398 S., geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aufbau-Verleger Elmar Faber blickt zurück auf die DDR
Siegfried Unseld saß am Grenzübergang Friedrichstraße fest. Es war Herbst 1985, der Suhrkamp-Verleger wollte nach Ost-Berlin, er hatte Bücher im Gepäck. Das machte ihn verdächtig. Erregt rief Unseld bei Elmar Faber, dem Chef des Aufbau Verlags, an. Der blieb gelassen. Auf seinem Schreibtisch lag heißere Ware: die druckfrische Erstausgabe von Christoph Heins Roman "Horns Ende", den Faber nach fruchtlosen Verhandlungen mit den offiziellen Stellen schließlich ohne Genehmigung aufgelegt hatte. Als Unseld kurz darauf ins Gebäude des Aufbau Verlags stürzte, überreichte Faber ihm ein Exemplar. Stunden später wurde das Geschenk auf einer Toilette im Verlagsgebäude entdeckt. "Unseld wollte sich mit halbverbotener Ware nicht wieder den Infamitäten deutsch-deutscher Grenzübertritte aussetzen", erinnert sich Faber: "Der Vorgang hatte - bei allem miserablen Hintergrund - etwas Rührendes. Auch ein Heros, dachte ich, war irritierbar."
Diese Anekdote ist eine Randnotiz in der Autobiographie "Verloren im Paradies", die Elmar Faber nun, im Alter von achtzig Jahren, vorlegt. Aber sie illustriert, wie anders die Bedingungen waren, unter denen Verleger in der DDR arbeiteten: die Auseinandersetzungen mit den Zensoren, die Launen der Politik, die allgemeine Materialknappheit. Eindrücklich beschreibt Faber immer wieder Bürden, die täglich einen Großteil seiner Kräfte banden und für die westdeutsche Verleger oft nur wenig Verständnis hatten. Zugleich rückt Faber mit Unseld nicht nur einen bewunderten Freund ins Bild: "Ich wollte", schreibt er mehrmals, "den Suhrkamp des Ostens." Hoher literarischer Anspruch, eine Bibliothek internationaler Klassiker, mehrere hundert Neuerscheinungen pro Jahr und ein enges Verhältnis zu den Autoren zeichneten auch Aufbau aus.
Zehn Jahre lang leitete Faber den Verlag von Anna Seghers, Erwin Strittmatter oder Christa Wolf. Es war der Höhepunkt einer fünfzig Jahre zählenden Karriere im Verlagswesen. Nach dem Germanistikstudium in Leipzig und einer kurzzeitigen Tätigkeit als Redakteur hatte Faber zunächst als Lektor und später als Verleger der Edition Leipzig gearbeitet, in der vor allem aufwendige Bildbände und Faksimile-Ausgaben erschienen. Die Leitung des Aufbau Verlags, damals noch "Volkseigentum", übernahm er 1983. Nach Wende und Privatisierung verließ er Aufbau 1992 und konzentrierte sich fortan auf den eigenen neugegründeten Verlag Faber & Faber.
In strikter Chronologie führt uns Faber aus seinem thüringischen Heimatdorf Deesbach zur Zeit des Nationalsozialismus bis ins quirlige Berlin der Wendejahre. Wie im Zeitraffer fliegt die Geschichte des geteilten Landes vorbei. Leider gerät die Erzählung streckenweise zur schlichten Reihung einzelner Erlebnisse. Beim Ritt durch die siebziger und achtziger Jahre verfällt Faber mitunter in fast stichwortartigen Stil. Die Sätze werden kürzer, die Übergänge abrupter, der Text wirkt stellenweise wie flüchtig diktiert.
Zusammenhängender und spannender sind Fabers Ausführungen über die Zeit der Wiedervereinigung, als er um den Fortbestand des Aufbau Verlags kämpfte, der nun der freien Marktwirtschaft ausgesetzt war. Den Westen charakterisiert er als selbstgefälligen historischen Sieger, der die Lorbeeren der Wiedervereinigung für sich reklamierte und den Ideen reformorientierter Kräfte im Osten kaum Gehör schenkte: "Eine unverzeihliche Unterlassungssünde, die sich Jahrzehnte danach in der Sturzgeburt des Turbokapitalismus als das eigentliche Krankheitsbild des Unternehmertums im 21. Jahrhundert entlarven sollte."
Faber hat Konflikte nie gescheut. Im Herbst 1990 verlegte er den Gesprächsband "Der Sturz - Erich Honecker im Kreuzverhör". Den Vorwurf des ökonomischen Opportunismus und lautstarke Proteste im eigenen Verlag nahm er dabei in Kauf. Westdeutschen Verlegern wirft er vor, sie hätten nach der Wiedervereinigung noch immer "auf den Klaviaturen der Hallstein-Doktrin" gespielt, das "westdeutsche Wohlstandsparadies" bezeichnet er als "verschleierte Diktatur des Kapitals". Zum Kapitel "Plusauflagen" bringt er nun eine eigenwillige Deutung. Systematisch hatten DDR-Verlage westliche Autoren in höherer Stückzahl gedruckt, als mit den Lizenzgebern vereinbart war. Fabers Kommentar: "Juristisch waren die Plusauflagen Betrug, ideell waren sie ein Manöver, das die Bewegungsfreiheit westlicher Literatur in der DDR vergrößerte." Die Aufrechnung nach der Wende sei hier, wie in so vielem anderen, "einseitig" gewesen.
FRIEDEMANN BIEBER.
Elmar Faber: "Verloren im Paradies. Ein Verlegerleben".
Aufbau Verlag, Berlin 2014. 398 S., geb., 22,99 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Friedemann Bieber freut sich sehr über die Autobiografie des Aufbau-Verlegers Elmar Faber: "Verloren im Paradies". In strikter Chronologie geht es von einem thüringischen Dorf zur Zeit des Nationalsozialismus durch die DDR-Jahrzehnte bis zur Wende und darüber hinaus, berichtet der Rezensent. Leider sind die Passagen zur Nachkriegszeit und den frühen Jahren der DDR sehr grob skizziert, findet Bieber, oft reihen sich einfach isolierte Ereignisse aneinander. Viel besser hat dem Rezensenten die Beschreibung der Wendezeit gefallen, Fabers Kampf um den Erhalt des Verlags auf dem plötzlich kapitalistischen Markt, das summende Berlin der frühen Neunziger, schließlich die Gründung von Faber & Faber.
© Perlentaucher Medien GmbH
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» Seine manchmal fabulierenden Lebenserinnerungen sind pralle, aufschlussreiche und lesenswerte Erinnerungen. « Klaus-Peter Wolf Bianca Hein F.F. dabei 20141020