Natan Zach wurde am 13. Dezember 1930 als Harry Seitelbach in Berlin geboren. Seine Mutter war Italienerin, der Vater ein deutscher Jude. 1936 wanderte die Familie nach Haifa im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina aus. Ende der 1940er Jahre nahm Harry Seitelbach den Namen Zach (hebr. rein, lauter) an. Er nahm 1948 am israelisch-arabischen Krieg teil. Zach studierte bei Martin Buber und Gershom Scholem und gehörte seit 1952 der literarisch einflussreichen Gruppe Likrat (hebr. entgegen) an. Mit seinem ersten Gedichtband (1955) wurde Zach zu einem Protagonisten der israelischen Moderne. Der nüchterne, oft ironische, immer musikalische Ton seiner Poesie verbindet die gesprochene Sprache mit dem biblischen und rabbinischen Hebräisch. In den politischen Auseinandersetzungen des Landes ist seine Stimme unüberhörbar. 1967 übersetzte er zusammen mit dem palästinensischen Dichter Rashid Hussein arabische Volkslieder. Mit dem Band »Verlorener Kontinent« erscheint sein Werk erstmals in einer Auswahl auf Deutsch.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.2013Orpheus schreit
Ein Erneuerer der hebräischen Lyrik: Natan Zach
"Mit leeren Koffern in der Hand / fahr ich in die Ferne." So endet das Gedicht "Leere Koffer" von 1955. Es bildet den Auftakt zum Band "Verlorener Kontinent", für den Natan Zach aus seinem rund sechs Jahrzehnte umspannenden lyrischen OEuvre eine Auswahl getroffen hat. Der hierzulande eher unbekannte Autor wurde 1930 in Berlin als Harry Seitelbach geboren und emigrierte 1936 mit der italienischen Mutter und dem deutschjüdischen Vater nach Haifa. Wie viele Juden seiner Generation war er unfreiwillig, "mit leeren Koffern", unterwegs in die Fremde. In Israel wurde er Dichter, Professor für hebräische und vergleichende Literaturwissenschaft und Übersetzer und Herausgeber unter anderen der Werke Bertolt Brechts, Georg Büchners, Paul Celans und Max Frischs. Zach lebt heute in Tel Aviv. Er gilt als Erneuerer der hebräischen Dichtung.
Diesen Ruf verdankt der Autor, wie im Nachwort zu lesen ist, seiner sprachlichen Innovationsfreude. Den im Israel der fünfziger und sechziger Jahre vom russischen Symbolismus und Expressionismus geprägten lyrischen Moden begegnete er mit unregelmäßigen Reimschemata und einem Vokabular, das sich aus allen Sprachschichten speist. Aus heutiger Sicht ist es kein leichtes Unterfangen, diesen erneuernden Gestus nachzuvollziehen. Das lyrische Ich gerade der frühen Gedichte erscheint als eher gemäßigter Vertreter der abendländischen Lyrik der Moderne, als ein von Sehnsucht nach dem "Verlorenen Kontinent" Durchdrungener, der sich im Sprechen über Wolken, Mond und Einsamkeit einmal als "sehr warmer Romantiker" zu erkennen gibt. Man wünschte sich deshalb detailliertere Angaben zur Auswahl und Anordnung der 54 Gedichte, zu Entstehungsbedingungen und zum literaturgeschichtlichen Kontext.
Doch auch Gedichte voller Kraft lassen sich in "Verlorener Kontinent" entdecken. Viele von ihnen greifen die Bildwelt der antiken Mythologie oder des Alten Testaments und der Psalmen auf. "Orpheus schreit" (1966) ist ein wütendes Lamento dieses mythologischen Sängers, der, seiner Leier beraubt, nicht länger alle Wesen zum Weinen bringt. An die Stelle des Gesangs ist Schreien getreten, von dem "der Bach erstarrt in seinem Bett". In "Simsons Haar" (1960) verbindet ein Motiv zwei biblische Figuren: die des Simson, der mit abgeschnittenem Haar seine Kraft verliert, und die des Absalom, dessen Haar, "schön wie die Mittagssonne, schön wie ein roter Rachemond", sich im wilden Ritt im Gezweig einer Eiche verfängt, wo ihm Joab drei Spieße ins Herz bohrt. Imposante, bildkräftige Gedichte wie diese zeugen von der großen Sprachmacht Zachs.
Andere Poeme entfalten dagegen kaum Bilder, sondern kreisen um Ideen und existentielle Fragen. Womöglich waren diese bilderarmen Gedichte im Kontext ihrer Entstehungszeit wirkungsvoller. Doch auch von manch ideenlastigem Gedicht Zachs geht ein Reiz aus, wenn es etwa eine der immer wiederkehrenden Fragen eines Schreibenden aufwirft, wie es in "Und ich hab noch nicht alles gesagt" (1960) der Fall ist. Man könnte in diesen Versen über eine Abendlesung sogar einen Impuls für Amos Oz' "Verse auf Leben und Tod" (2009) vermuten. Oz, ein Bewunderer Zachs, porträtiert in diesem Roman einen Dichter, der, ebenfalls im Rahmen einer Lesung, nachdenkt über seine Beobachterrolle, über Distanz und seine Fähigkeit, mittels seiner Vorstellungskraft in die Zentren jeglichen Geschehens vorzudringen.
Die bei Oz so ambivalente Position erscheint bei Zach als Glück. Der Dichter sieht und spricht aus, was andere nicht sehen und sagen, bleibt darüber aber allein. Einsamkeit ist ein Fundament von Zachs Lyrik: "Wenn Einsamkeit nicht Angst ist / wird Dichtung geboren / wenn die Hand nicht zittert / wenn die Kehle sich nicht zuschnürt / beim Gedanken". Dichten bedeutet in "Verlorener Kontinent", immer neu nach der Rolle des Sprechers zu fragen. Es bedeutet auch, das unausgeglichene Kräftespiel zwischen Ländern und Ideologien zu benennen, wie es Zach in seinen politischen Gedichten tut. Und es bedeutet, Worte zu finden, die es mit Angst und Isolation aufnehmen. Darin ist Zachs Lyrik tröstlich, in den späten Gedichten wird ihr Ton melancholischer: "Der letzte Kilometer ist der schwerste. / Der eine kommt ans Ziel und atmet schwer, verflucht / den Himmel und die Erde, die ihm nicht geholfen haben. / Der andere verhöhnt sich gleichsam wegen all dessen, was er, / stolz und einsam, seiner Seele vorenthielt im Leben."
BEATE TRÖGER
Natan Zach: "Verlorener Kontinent". Gedichte.
Aus dem Hebräischen von Ehud Alexander Avner. Jüdischer Verlag, Berlin 2013. 93 S., geb. 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Erneuerer der hebräischen Lyrik: Natan Zach
"Mit leeren Koffern in der Hand / fahr ich in die Ferne." So endet das Gedicht "Leere Koffer" von 1955. Es bildet den Auftakt zum Band "Verlorener Kontinent", für den Natan Zach aus seinem rund sechs Jahrzehnte umspannenden lyrischen OEuvre eine Auswahl getroffen hat. Der hierzulande eher unbekannte Autor wurde 1930 in Berlin als Harry Seitelbach geboren und emigrierte 1936 mit der italienischen Mutter und dem deutschjüdischen Vater nach Haifa. Wie viele Juden seiner Generation war er unfreiwillig, "mit leeren Koffern", unterwegs in die Fremde. In Israel wurde er Dichter, Professor für hebräische und vergleichende Literaturwissenschaft und Übersetzer und Herausgeber unter anderen der Werke Bertolt Brechts, Georg Büchners, Paul Celans und Max Frischs. Zach lebt heute in Tel Aviv. Er gilt als Erneuerer der hebräischen Dichtung.
Diesen Ruf verdankt der Autor, wie im Nachwort zu lesen ist, seiner sprachlichen Innovationsfreude. Den im Israel der fünfziger und sechziger Jahre vom russischen Symbolismus und Expressionismus geprägten lyrischen Moden begegnete er mit unregelmäßigen Reimschemata und einem Vokabular, das sich aus allen Sprachschichten speist. Aus heutiger Sicht ist es kein leichtes Unterfangen, diesen erneuernden Gestus nachzuvollziehen. Das lyrische Ich gerade der frühen Gedichte erscheint als eher gemäßigter Vertreter der abendländischen Lyrik der Moderne, als ein von Sehnsucht nach dem "Verlorenen Kontinent" Durchdrungener, der sich im Sprechen über Wolken, Mond und Einsamkeit einmal als "sehr warmer Romantiker" zu erkennen gibt. Man wünschte sich deshalb detailliertere Angaben zur Auswahl und Anordnung der 54 Gedichte, zu Entstehungsbedingungen und zum literaturgeschichtlichen Kontext.
Doch auch Gedichte voller Kraft lassen sich in "Verlorener Kontinent" entdecken. Viele von ihnen greifen die Bildwelt der antiken Mythologie oder des Alten Testaments und der Psalmen auf. "Orpheus schreit" (1966) ist ein wütendes Lamento dieses mythologischen Sängers, der, seiner Leier beraubt, nicht länger alle Wesen zum Weinen bringt. An die Stelle des Gesangs ist Schreien getreten, von dem "der Bach erstarrt in seinem Bett". In "Simsons Haar" (1960) verbindet ein Motiv zwei biblische Figuren: die des Simson, der mit abgeschnittenem Haar seine Kraft verliert, und die des Absalom, dessen Haar, "schön wie die Mittagssonne, schön wie ein roter Rachemond", sich im wilden Ritt im Gezweig einer Eiche verfängt, wo ihm Joab drei Spieße ins Herz bohrt. Imposante, bildkräftige Gedichte wie diese zeugen von der großen Sprachmacht Zachs.
Andere Poeme entfalten dagegen kaum Bilder, sondern kreisen um Ideen und existentielle Fragen. Womöglich waren diese bilderarmen Gedichte im Kontext ihrer Entstehungszeit wirkungsvoller. Doch auch von manch ideenlastigem Gedicht Zachs geht ein Reiz aus, wenn es etwa eine der immer wiederkehrenden Fragen eines Schreibenden aufwirft, wie es in "Und ich hab noch nicht alles gesagt" (1960) der Fall ist. Man könnte in diesen Versen über eine Abendlesung sogar einen Impuls für Amos Oz' "Verse auf Leben und Tod" (2009) vermuten. Oz, ein Bewunderer Zachs, porträtiert in diesem Roman einen Dichter, der, ebenfalls im Rahmen einer Lesung, nachdenkt über seine Beobachterrolle, über Distanz und seine Fähigkeit, mittels seiner Vorstellungskraft in die Zentren jeglichen Geschehens vorzudringen.
Die bei Oz so ambivalente Position erscheint bei Zach als Glück. Der Dichter sieht und spricht aus, was andere nicht sehen und sagen, bleibt darüber aber allein. Einsamkeit ist ein Fundament von Zachs Lyrik: "Wenn Einsamkeit nicht Angst ist / wird Dichtung geboren / wenn die Hand nicht zittert / wenn die Kehle sich nicht zuschnürt / beim Gedanken". Dichten bedeutet in "Verlorener Kontinent", immer neu nach der Rolle des Sprechers zu fragen. Es bedeutet auch, das unausgeglichene Kräftespiel zwischen Ländern und Ideologien zu benennen, wie es Zach in seinen politischen Gedichten tut. Und es bedeutet, Worte zu finden, die es mit Angst und Isolation aufnehmen. Darin ist Zachs Lyrik tröstlich, in den späten Gedichten wird ihr Ton melancholischer: "Der letzte Kilometer ist der schwerste. / Der eine kommt ans Ziel und atmet schwer, verflucht / den Himmel und die Erde, die ihm nicht geholfen haben. / Der andere verhöhnt sich gleichsam wegen all dessen, was er, / stolz und einsam, seiner Seele vorenthielt im Leben."
BEATE TRÖGER
Natan Zach: "Verlorener Kontinent". Gedichte.
Aus dem Hebräischen von Ehud Alexander Avner. Jüdischer Verlag, Berlin 2013. 93 S., geb. 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Trost findet Beate Tröger in dieser Gedichtauswahl des bei uns eher unbekannten Lyrikers Natan Zach. Auch wenn Tröger das Innovative in den um Motive wie Wolken, Mond und Einsamkeit oder auch um Ideen kreisenden Texten der 50er und 60er Jahre nicht immer nachzuvollziehen vermag (hier vermisst die Rezensentin ein instruktives Nachwort), so entdeckt sie doch auch bildkräftige Gedichte - wenn etwa Absaloms Haar als "schön wie ein roter Rachemond" beschrieben wird - und Texte, die gegen Angst und Isolation antreten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Auf die Leser in Deutschland wartet eine erhellende Entdeckung.« Marko Martin Jüdische Allgemeine 20130808