Ein Abend in Rom im Dezember 1834: Zwei Jesuiten klopfen an eine Tür in der Via di Sant'Anna. Sie sind gerufen worden, um eine junge Frau vom Teufel zu befreien. Im Generalarchiv der »Gesellschaft Jesu« hat die Historikerin Fernanda Alfieri das Tagebuch dieses Exorzismus entdeckt. Es ist nicht nur ein zutiefst verstörender Bericht, in dem der Teufel selbst Beleidigungen und derbe Witze im römischen Dialekt von sich gibt. Es ist auch ein außerordentliches Zeugnis der Spannungen einer Epoche zwischen Aufbruch in die Moderne und Restauration. Auf der einen Seite steht die Kirche mit der Überzeugung, dass das Böse von dem Körper des Mädchens Besitz ergriffen hat. Auf der anderen Seite steht die wissenschaftsbasierte Medizin. Die Priester, die Eltern, die Ärzte, sie alle sind hin- und hergerissen zwischen Aberglauben und moderner Welt. »Veronica und der Teufel« ist eine faszinierende und beunruhigende Geschichte über Glauben, Aberglauben und die gewaltsame Allianz von Wissen und Macht.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Urs Hafner zufolge beweist Fernanda Alfieri in dieser Erzählung einer historischen Begebenheit handwerkliches Geschick. Die italienische Historikerin hat Material aus dem Archiv der Jesuiten in Rom ausgewertet, die den Exorzismus einer jungen Frau durch Kleriker und Mediziner im Jahre 1834 dokumentieren, so der Kritiker. Veronica scheint vom Teufel besessen, erfahren wir: Zwei herbei gerufene Jesuiten versuchen mit unterschiedlichen Mitteln ihre Anfälle zu heilen, aber weder Gebete noch eine im Haus errichtet Kapelle können etwas ausrichten. Alfieri rekonstruiert hier auch einen "männliche getriebenen Kampf der Kulturen", in dem Medizin und Religion über die gesellschaftliche Deutungshoheit und über die Psyche und den Körper der jungen Frau streiten, ohne, dass diese selbst zu Wort kommt. Der Kritiker ist angetan von dieser historischen Erzählung mit "literarischem Flair", hätte sich aber ein etwas sorgfältigeres Lektorat gewünscht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2023Als der Teufel die Jesuiten düpierte
Körpertheater: Fernanda Alfieri rekonstruiert einen römischen Exorzismus des Jahres 1834
Die italienische Historikerin Fernanda Alfieri erzählt in ihrem Buch die Geschichte eines Exorzismus, dessen Zeugnisse sie in Rom im Archiv der Jesuiten entdeckt hat - ein zum Teil von anonymen Händen geschriebenes Konvolut von dreihundert Seiten, das die Teufelsaustreibung an der neunzehnjährigen Römerin Veronica Hamerani beschreibt. Daraus hat Alfieri eine handwerklich geschickte Darstellung mit literarischem Flair gemacht. Einzig ein strenges Lektorat hat gefehlt; es hätte einige der Wetterberichte - meist regnet es, 1834 nicht weniger als bei den Archivbesuchen der Autorin - und Ich-Bezüge gestrichen.
Der Versuchung, die große Frage zu beantworten, was mit Veronica wirklich los war, widersteht Alfieri. Sie spekuliert nicht einmal, zieht weder heutige medizinische Diagnosen heran noch Psychologisierungen des Verhaltens, das sie auch nicht zu frühfeministischem Widerstand stilisiert. Auf einen möglichen sexuellen Missbrauch, der in den Archivunterlagen anklingt, geht sie nicht weiter ein, weil sie dazu keine Anhaltspunkte gefunden hat. Alfieri bleibt strikt bei ihren gekonnt montierten und ausgewerteten Quellen, deren düstere Tonalität sie fast schon mimetisch übernimmt. Das Mutmaßen und Extrapolieren überlässt sie den Lesern. Im Dezember 1834 suchen zwei Jesuiten das Haus des päpstlichen Münzgraveurs Giovanni Hamerani auf. Er hatte sie gerufen, weil die jüngste seiner drei noch lebenden Töchter vom Teufel besessen sei, die Gottesmänner sollen ihn austreiben. Tatsächlich treffen sie die junge Frau kopfüber im Bett an, nur mit einem Nachthemd bekleidet, ihre langen Haare berühren den Boden: Sie schreit und erbricht Schleim. Die Kleriker sprechen Gebete, berühren die junge Frau und rufen den Teufel auf, sich zu erkennen zu geben, damit sie ihn bekämpfen können. Das tut er, er höhnt durch Veronicas Mund, provoziert und verwünscht die Pfaffen. Die Frau ist das Medium, über das die Jesuiten sich mit dem Satan austauschen.
Nach zwei Stunden ist das Spektakel vorbei. Ermattet liegt Veronica im Bett, lächelnd nimmt sie die Tröstungen der Eltern entgegen und ein stärkendes Süppchen zu sich, ergeben spricht sie Gebete - bis zum nächsten Anfall. In den kommenden Monaten wiederholen sich die Auftritte, immer dreister wird Satan. Weder lässt er sich durch eine Kapelle vertreiben, welche die Jesuiten mit Erlaubnis des Papstes im Haus einrichten, noch durch den Einsatz der Peitsche. Nach knapp drei Jahren ordnet der Ordensgeneral schließlich das Ende des Exorzismus an; die Jesuiten kapitulieren. Irgendwann muss der Teufel dann das Interesse an Veronica verloren haben, denn sie stirbt erst 1883, nachdem sie ihr Testament aufgesetzt hat. Sie wurde also nicht entmündigt und blieb unverheiratet.
Von Veronica sind außer diesem Testament keine Zeugnisse überliefert. Nur Männer haben die Frau beschrieben, Kleriker und die ebenfalls herbeigerufenen Ärzte. Alfieri rekonstruiert auch deren Weltanschauungen und Lebenswege, neben der Geschichte der Hamerani, die im ökonomischen und sozialen Abstieg begriffen waren - eine Familie in der Krise. Die Jesuiten hatten die schwierigen Zeiten hinter sich. Die lange siegreiche Revolutionsarmee Frankreichs hatte sie vor sich her durch ganz Europa getrieben. Mit dem Wiener Kongress 1815 kam zwar die politische Restauration und kehrte der mächtige Orden aus dem Untergrund zurück, doch nicht befreit und erleichtert, sondern mit Paranoia. Überall witterten die Jesuiten Religionsfeinde, das Böse lauerte an jeder Ecke und in fast jedem Bett. Einer der Exorzisten konnte in seinen Notizen die teuflisch-erotische Anziehung, die Veronica auf ihn ausübte, kaum verhehlen.
Für die Mediziner war Veronica schlicht an Hysterie erkrankt. Sie verordneten Senfpackungen und heiße Bäder, um den Uterus wieder ins Lot zu bringen, der die junge Frau um den Verstand gebracht hatte. Ärzte und Geistliche waren sich uneins über die Ursachen der Raserei. Ein wissenschaftsaffiner Ordensmann verdächtigte Veronica der Simulation. Der andere Jesuit indes wollte weitermachen mit der Austreibung, trotz des Verbots des Vorgesetzten. Für ihn war die Kapitulation eine Tragödie - nicht für die junge Frau, sondern für seinen Orden, der damit seine Machtlosigkeit eingestand. Wenn er schon diesen Kampf gegen den Satan verlor, wie sollte er da jenen gegen Liberalismus und Säkularisierung gewinnen?
Von Veronicas Ansichten wissen wir nichts. Wahrscheinlich aber wusste auch sie nicht, wie ihr geschah. Auch diese Einsicht vermittelt Alfieri. Ihr Buch gibt einen fundierten Einblick in einen männlich getriebenen Kampf der Kulturen, der auf dem Rücken einer jungen Frau ausgetragen wurde. Zwischen Religion und Wissenschaft wurde sie beinahe aufgerieben. Vielleicht aber drehte sie zwischendurch den Jesuiten doch noch eine lange Nase - oder dem Teufel. URS HAFNER
Fernanda Alfieri: "Veronica und der
Teufel". Die wahre Geschichte eines Exorzismus.
Aus dem Italienischen von F. Hausmann und S. Römer. wbg/Theiss Verlag, Darmstadt 2023. 368 S., geb., 34,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Körpertheater: Fernanda Alfieri rekonstruiert einen römischen Exorzismus des Jahres 1834
Die italienische Historikerin Fernanda Alfieri erzählt in ihrem Buch die Geschichte eines Exorzismus, dessen Zeugnisse sie in Rom im Archiv der Jesuiten entdeckt hat - ein zum Teil von anonymen Händen geschriebenes Konvolut von dreihundert Seiten, das die Teufelsaustreibung an der neunzehnjährigen Römerin Veronica Hamerani beschreibt. Daraus hat Alfieri eine handwerklich geschickte Darstellung mit literarischem Flair gemacht. Einzig ein strenges Lektorat hat gefehlt; es hätte einige der Wetterberichte - meist regnet es, 1834 nicht weniger als bei den Archivbesuchen der Autorin - und Ich-Bezüge gestrichen.
Der Versuchung, die große Frage zu beantworten, was mit Veronica wirklich los war, widersteht Alfieri. Sie spekuliert nicht einmal, zieht weder heutige medizinische Diagnosen heran noch Psychologisierungen des Verhaltens, das sie auch nicht zu frühfeministischem Widerstand stilisiert. Auf einen möglichen sexuellen Missbrauch, der in den Archivunterlagen anklingt, geht sie nicht weiter ein, weil sie dazu keine Anhaltspunkte gefunden hat. Alfieri bleibt strikt bei ihren gekonnt montierten und ausgewerteten Quellen, deren düstere Tonalität sie fast schon mimetisch übernimmt. Das Mutmaßen und Extrapolieren überlässt sie den Lesern. Im Dezember 1834 suchen zwei Jesuiten das Haus des päpstlichen Münzgraveurs Giovanni Hamerani auf. Er hatte sie gerufen, weil die jüngste seiner drei noch lebenden Töchter vom Teufel besessen sei, die Gottesmänner sollen ihn austreiben. Tatsächlich treffen sie die junge Frau kopfüber im Bett an, nur mit einem Nachthemd bekleidet, ihre langen Haare berühren den Boden: Sie schreit und erbricht Schleim. Die Kleriker sprechen Gebete, berühren die junge Frau und rufen den Teufel auf, sich zu erkennen zu geben, damit sie ihn bekämpfen können. Das tut er, er höhnt durch Veronicas Mund, provoziert und verwünscht die Pfaffen. Die Frau ist das Medium, über das die Jesuiten sich mit dem Satan austauschen.
Nach zwei Stunden ist das Spektakel vorbei. Ermattet liegt Veronica im Bett, lächelnd nimmt sie die Tröstungen der Eltern entgegen und ein stärkendes Süppchen zu sich, ergeben spricht sie Gebete - bis zum nächsten Anfall. In den kommenden Monaten wiederholen sich die Auftritte, immer dreister wird Satan. Weder lässt er sich durch eine Kapelle vertreiben, welche die Jesuiten mit Erlaubnis des Papstes im Haus einrichten, noch durch den Einsatz der Peitsche. Nach knapp drei Jahren ordnet der Ordensgeneral schließlich das Ende des Exorzismus an; die Jesuiten kapitulieren. Irgendwann muss der Teufel dann das Interesse an Veronica verloren haben, denn sie stirbt erst 1883, nachdem sie ihr Testament aufgesetzt hat. Sie wurde also nicht entmündigt und blieb unverheiratet.
Von Veronica sind außer diesem Testament keine Zeugnisse überliefert. Nur Männer haben die Frau beschrieben, Kleriker und die ebenfalls herbeigerufenen Ärzte. Alfieri rekonstruiert auch deren Weltanschauungen und Lebenswege, neben der Geschichte der Hamerani, die im ökonomischen und sozialen Abstieg begriffen waren - eine Familie in der Krise. Die Jesuiten hatten die schwierigen Zeiten hinter sich. Die lange siegreiche Revolutionsarmee Frankreichs hatte sie vor sich her durch ganz Europa getrieben. Mit dem Wiener Kongress 1815 kam zwar die politische Restauration und kehrte der mächtige Orden aus dem Untergrund zurück, doch nicht befreit und erleichtert, sondern mit Paranoia. Überall witterten die Jesuiten Religionsfeinde, das Böse lauerte an jeder Ecke und in fast jedem Bett. Einer der Exorzisten konnte in seinen Notizen die teuflisch-erotische Anziehung, die Veronica auf ihn ausübte, kaum verhehlen.
Für die Mediziner war Veronica schlicht an Hysterie erkrankt. Sie verordneten Senfpackungen und heiße Bäder, um den Uterus wieder ins Lot zu bringen, der die junge Frau um den Verstand gebracht hatte. Ärzte und Geistliche waren sich uneins über die Ursachen der Raserei. Ein wissenschaftsaffiner Ordensmann verdächtigte Veronica der Simulation. Der andere Jesuit indes wollte weitermachen mit der Austreibung, trotz des Verbots des Vorgesetzten. Für ihn war die Kapitulation eine Tragödie - nicht für die junge Frau, sondern für seinen Orden, der damit seine Machtlosigkeit eingestand. Wenn er schon diesen Kampf gegen den Satan verlor, wie sollte er da jenen gegen Liberalismus und Säkularisierung gewinnen?
Von Veronicas Ansichten wissen wir nichts. Wahrscheinlich aber wusste auch sie nicht, wie ihr geschah. Auch diese Einsicht vermittelt Alfieri. Ihr Buch gibt einen fundierten Einblick in einen männlich getriebenen Kampf der Kulturen, der auf dem Rücken einer jungen Frau ausgetragen wurde. Zwischen Religion und Wissenschaft wurde sie beinahe aufgerieben. Vielleicht aber drehte sie zwischendurch den Jesuiten doch noch eine lange Nase - oder dem Teufel. URS HAFNER
Fernanda Alfieri: "Veronica und der
Teufel". Die wahre Geschichte eines Exorzismus.
Aus dem Italienischen von F. Hausmann und S. Römer. wbg/Theiss Verlag, Darmstadt 2023. 368 S., geb., 34,- Euro.
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»Streng wie ein Aufsatz, so fesselnd wie ein Roman, geschrieben in einer dichten Sprache, die überläuft wie der Tiber, der von Zeit zu Zeit wild wird, gegen seinen Lauf rebelliert, sich nicht in die Grenzen des Genres zwängen lässt.« Il Venerdì
_»Eine handwerklich geschickte Darstellung mit literarischem Flair.« FAZ, Urs Hafner
_»Eine handwerklich geschickte Darstellung mit literarischem Flair.« FAZ, Urs Hafner