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Hannah Oppolzers Romandebüt "Verpasst"
Auf den ersten Blick geht es Emma gut. Sie ist fünfundzwanzig und führt ein normales Leben. Trotz ihres schwierigen Verhältnisses zur Mutter weiß Emma, was sie vom Leben will. Genauer gesagt: was sie wollen soll. Da ist etwa ihr Langzeitfreund Georg. Er tut Emma gut, er versteht sie und die komplizierte Beziehung zu ihrer Mutter. Sie sollte Georg heiraten. Aber ein Teil von Emma sträubt sich gegen diese Vorstellung. Es gibt ja auch noch Valentin, Georgs Bruder, in jeder Hinsicht anders, und trotzdem - oder ausgerechnet deswegen - fühlt sich Emma zu ihm hingezogen. Sollte man immer jene Entscheidungen treffen, die einem am naheliegendsten, am vernünftigsten erscheinen? Wie findet man heraus, was für einen richtig ist? Was passiert, wenn man einmal auf sein Leben zurückblickt und feststellt, dass man etwas verpasst hat?
So ergeht es Emmas Mutter. Die Pläne, die sie in ihrer Jugend für ihre Zukunft geschmiedet hatte, konnte sie auch genauso umsetzen: Beruf, Haus, Familie. Doch ihre Tochter kann sie nicht lieben, "du warst auf der Welt, ehe ich bereit war für ein Kind. Ich wollte immer Kinder, ich dachte, es wäre gut, sie so früh wie möglich zu bekommen, wenn man noch jung ist und geduldig, so gehört es sich ja auch. Aber eigentlich wollte ich nicht, noch nicht. Und als du dann neben mir auf dem Bett lagst, war mir das plötzlich klar. Ich hätte auf mich hören sollen, auf mein Bauchgefühl, aber ich habe nur daran gedacht, was gut ist und wie es alle anderen machen." Emma hat diese fehlende Liebe ihrer Mutter immer gespürt.
Nun beginnt sie sich zu fürchten, dass es auch ihr einmal so gehen wird wie ihrer Mutter. Davor, etwas zu versäumen. Ein bekanntes Gefühl, das einen beim Lesen nicht mehr loslässt - die erschlagende Last, als junger Mensch Entscheidungen treffen zu müssen, die unumkehrbar das Leben bestimmen. Die Geschichte wird aus sich abwechselnder Sicht erzählt, nicht immer stringent und doch einleuchtend. Zumeist sind es Gedanken und Wünsche von Emma oder ihrer Mutter, die eindrücklich nachhallen. Aber auch das Eintauchen ins Leben von Emmas Vater und die hintergründigen Kapitel aus Sicht beider Elternteile verleihen der Handlung Tiefgang.
Mit einem außergewöhnlichen Gespür für Zwischentöne meistert Hannah Oppolzer dieses Romandebüt. Am Beginn jedes Kapitels steht eine Erinnerung, eine Mutmaßung, ein Gedanke. "Eine Frage: Wie viel Zeit muss vergehen, bis man sagen kann: Es war so und es ist geschehen, weil es geschehen ist. Wochen, Jahre oder ein ganzes Leben?"
Oppolzer, die ihren Roman mit dreiundzwanzig schrieb, gelingt es, sich unverfälscht und nahe am Leben auch in eine Frau in deren späten Vierzigern hineinzuversetzen. Sie versteht das Buch selbst "als großes Empathieexperiment", wie sie mitgeteilt hat: Das Sich-Hineinversetzen in eine Frau, die auf die fünfzig zugeht, werde einer Anfangzwanzigerin oft nicht zugetraut. "Wer jung ist, darf sich nicht zu viel anmaßen. Es ist die Erfahrung, die uns fehlt, um ernst genommen zu nehmen", so Oppolzer. Die Idee zu ihrem Roman hatte die Österreicherin sogar bereits mit siebzehn.
Darin sei sie auf der Suche nach Dingen, die die aktivistische Jugend doch eigentlich mit ihren Eltern verbinden: "Die gibt es zur Genüge - wenn man sie sehen will." Mit "Verpasst" ist ihr das sensationell gelungen. ANNA-LOUISA SCHÖNFELD
Hannah Oppolzer: "Verpasst". Roman.
Braumüller Verlag, Wien 2023. 208 S., geb., 22,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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