Während eines Monats im März 1989 schreibt Peter Handke – er ist von seiner Reise durch die Welt nach Europa zurückgekehrt und hat in Paris noch keine Bleibe gefunden – im spanischen Linares den ersten seiner berühmten »Versuche«: »Versuch über die Müdigkeit«. Die in der Allgemeinheit negativ verstandene Müdigkeit wird in diesem Versuch, einem erzählerischen Dialog des Autors mit sich selbst, über Formen und Bilder von Müdigkeit, zu einer Grundvoraussetzung erfüllten Lebens: „Die Inspiration der Müdigkeit sagt weniger, was zu tun ist, als was gelassen werden kann.“ - Gebundene Ausgabe mit Lesebändchen
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in D, A, F, L, I ausgeliefert werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2012Ideal
Standard
Des Dichters Feuchtgebiete: Peter Handke meditiert
ironiefrei über die Toilette als utopischen Ab-Ort
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Man könnte es für einen Scherz der Titanic -Redaktion halten: Wenn Peter Handke, der Pilz- und Sinnsucher der deutschen Literatur, dieser Sensibilissimus und Sonderling, Schamane und Schmerzensmann, nun ein Buch über den stillen Ort vorlegt, liegt der Verdacht nahe, es handle sich dabei um Satire. Denn Handke, der ob der weihevollen Esoterik, mit der er die Epiphanien des Alltags beschwört, seinen Spöttern noch stets eine offene Flanke bot, versteht diesen stillen Ort nicht etwa im übertragenen Sinne – das auch –, sondern es geht ganz indiskret um die Toilette, wenn auch vom Gestank ausdrücklich „keine Rede“ sein soll.
Peter Handke ist also seinen Parodisten zuvorgekommen mit diesem Bändchen, das zwanzig Jahre nach dem vorläufigen Ende seiner kleinen Reihe wieder anknüpft an das Genre der erzählerischen Hommage, diesmal mit einer Hommage an einen denkbar profanen Gegenstand. Begonnen hatte es 1989 mit dem „Versuch über die Müdigkeit“, war ein Jahr später fortgesetzt worden mit dem „Versuch über die Jukebox“, bevor der „Versuch über den geglückten Tag“ 1992 die Trilogie abschloss. Obwohl schon die jüngsten Bücher Handkes von einer neuen Entspanntheitzeugten, ist es ihm nun nicht darum zu tun, seinen Hang zum Pathos das Bächlein inkontinenter Selbstverspottung hinunter gehen zu lassen. „Schluss jetzt mit der Ironie“, heißt es da, „nicht zum ersten Mal erkenne ich, daß die, zumindest im Schriftlichen, nicht meine Sache ist“.
Wohl wahr, aber überraschender als diese Einsicht ist die Offenheit, mit der sie geäußert wird. Und es gibt einige überraschend deutliche Selbstauskünfte mehr in dem schmalen Bändchen. So etwa erzählt Handke, dass seine erste große Wanderung eben nicht die nach Jugoslawien war, die für ihn und die Nachkriegsliteratur so wichtig wurde. Vielmehr endetet der Aufbruch zunächst kläglich, als er, nach dem Ende der Schulzeit in Kärnten, allein sich aufmachte. Die dritte Nacht brachte er in einem Bahnhofsklo zu, „in einem Halbkreis um die Klosettmuschel geringelt“, um am nächsten Morgen zu beschließen: „nichts wie heim“. In seiner Erzählung „Die Wiederholung“ hat er dieses Erlebnis dann ins Heroische abgewandelt .
Man erfährt neben solchen Korrekturen an Leben und Werk, dass Handke, der Autor der Innerlichkeit, von dem man meinte, er schöpfe seinen Stoff einzig aus sich selbst, durchaus recherchiert. Nur hat er die „nicht wenigen“ Bücher „zum Bedeutungswandel der Notdurftverrichtung“, die er konsultierte, dann doch wieder beiseite gelegt, weil sie ihm bei seinem Thema nicht weiterhalfen. Statt dessen orientiert sich die Reise durch die Welt der Feuchtgebiete an den selbsterlebten stillen Orte, vom bäuerlichen Plumpsklo des Großvaters bis zum japanischen Friedhofs- oder Tempelklo. Denn das Erkenntnisinteresse dieses „seltsamen Forschers“ besteht darin, die „Stillen Orte“ wörtlich zu nehmen und groß zu schreiben, als „Zuflucht, Asyl, Verstecke, Rückzugsgebiete, Abschirmungen, Einsiedeleien“, als Orte, „wo der Geist im wahrsten Sinne Ruhe findet“, ja als utopische „Ab-Orte“ innerer Einkehr.
Auch hier zeigt sich Handke ungewohnt selbstkritisch, wenn er sich fragt, ob sein jäher Drang, den stillen Ort aufzusuchen, nicht einer Gesellschaftsflucht gleichkomme, Ausdruck von „Gesellschaftswiderwillen“ sei, von „Geselligkeitsüberschuss“, „ein asozialer – ein antisozialer Akt?“ im Grunde. Dabei ist er „versucht, ,Ideal Standard‘ – nicht die Warenmarke, sondern das Wort – auf mein Problem anzuwenden“, dieses dringende Bedürfnis, sich abzusondern. Ein Schlüsselerlebnis ist da die Episode, wie Handke als Neuling im Internat nicht die Toilette findet oder sich nicht traut, danach zu fragen, so dass er gleich zum verspotteten Einzelgänger wird, als sich im Speisesaal ein verräterisches Rinnsal unter seinen Füßen bildet. Es geht aber jenseits der Notdurft um „eine ganz andere Not“, die Langeweile „als die andere; die umgekehrte Zeitnot“, vor allem jedoch um die Sprachnot. Zum Schweigen gebracht „durch die Worte wie Wörter der anderen“, entzieht er sich mit einem „ich muss kurz verschwinden!“. Und erlebt: „die Sprach- und Wörterquelle springt frisch auf“, zurückkehrend ins „Grölen, Gellen, Toben und Kreischen“, ist er wieder „vielsilbig, voll von der Redelust“.
Dass der große Dichter Peter Handke ausgerechnet zu sich selber kommt, wenn er mal für kleine Jungs muss, hätte seine Leser-Gemeinde vielleicht so nicht erwartet. Dass er aber selbst diesem heiklen Sujeteinen wunderbaren Essay abgewinnt, macht ihm keiner nach. Diese wahrscheinlich stillste Neuerscheinung mag eine Beckenranderscheinung des Bücherherbstes sein, sie dürfte jedoch für Gesprächsstoff sorgen, zumindest an den stillen Orten der Frankfurter Buchmesse.
Peter Handke: Versuch
über den Stillen Ort.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 109 Seiten, 17,95 Euro.
„Herr Pfarrer, ich soll sie grüßen von meinen Eltern, mit diesen Birnen vom Scheißhausbaum!“
FOTO: PLAINPICTURE/MASKOT
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Standard
Des Dichters Feuchtgebiete: Peter Handke meditiert
ironiefrei über die Toilette als utopischen Ab-Ort
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Man könnte es für einen Scherz der Titanic -Redaktion halten: Wenn Peter Handke, der Pilz- und Sinnsucher der deutschen Literatur, dieser Sensibilissimus und Sonderling, Schamane und Schmerzensmann, nun ein Buch über den stillen Ort vorlegt, liegt der Verdacht nahe, es handle sich dabei um Satire. Denn Handke, der ob der weihevollen Esoterik, mit der er die Epiphanien des Alltags beschwört, seinen Spöttern noch stets eine offene Flanke bot, versteht diesen stillen Ort nicht etwa im übertragenen Sinne – das auch –, sondern es geht ganz indiskret um die Toilette, wenn auch vom Gestank ausdrücklich „keine Rede“ sein soll.
Peter Handke ist also seinen Parodisten zuvorgekommen mit diesem Bändchen, das zwanzig Jahre nach dem vorläufigen Ende seiner kleinen Reihe wieder anknüpft an das Genre der erzählerischen Hommage, diesmal mit einer Hommage an einen denkbar profanen Gegenstand. Begonnen hatte es 1989 mit dem „Versuch über die Müdigkeit“, war ein Jahr später fortgesetzt worden mit dem „Versuch über die Jukebox“, bevor der „Versuch über den geglückten Tag“ 1992 die Trilogie abschloss. Obwohl schon die jüngsten Bücher Handkes von einer neuen Entspanntheitzeugten, ist es ihm nun nicht darum zu tun, seinen Hang zum Pathos das Bächlein inkontinenter Selbstverspottung hinunter gehen zu lassen. „Schluss jetzt mit der Ironie“, heißt es da, „nicht zum ersten Mal erkenne ich, daß die, zumindest im Schriftlichen, nicht meine Sache ist“.
Wohl wahr, aber überraschender als diese Einsicht ist die Offenheit, mit der sie geäußert wird. Und es gibt einige überraschend deutliche Selbstauskünfte mehr in dem schmalen Bändchen. So etwa erzählt Handke, dass seine erste große Wanderung eben nicht die nach Jugoslawien war, die für ihn und die Nachkriegsliteratur so wichtig wurde. Vielmehr endetet der Aufbruch zunächst kläglich, als er, nach dem Ende der Schulzeit in Kärnten, allein sich aufmachte. Die dritte Nacht brachte er in einem Bahnhofsklo zu, „in einem Halbkreis um die Klosettmuschel geringelt“, um am nächsten Morgen zu beschließen: „nichts wie heim“. In seiner Erzählung „Die Wiederholung“ hat er dieses Erlebnis dann ins Heroische abgewandelt .
Man erfährt neben solchen Korrekturen an Leben und Werk, dass Handke, der Autor der Innerlichkeit, von dem man meinte, er schöpfe seinen Stoff einzig aus sich selbst, durchaus recherchiert. Nur hat er die „nicht wenigen“ Bücher „zum Bedeutungswandel der Notdurftverrichtung“, die er konsultierte, dann doch wieder beiseite gelegt, weil sie ihm bei seinem Thema nicht weiterhalfen. Statt dessen orientiert sich die Reise durch die Welt der Feuchtgebiete an den selbsterlebten stillen Orte, vom bäuerlichen Plumpsklo des Großvaters bis zum japanischen Friedhofs- oder Tempelklo. Denn das Erkenntnisinteresse dieses „seltsamen Forschers“ besteht darin, die „Stillen Orte“ wörtlich zu nehmen und groß zu schreiben, als „Zuflucht, Asyl, Verstecke, Rückzugsgebiete, Abschirmungen, Einsiedeleien“, als Orte, „wo der Geist im wahrsten Sinne Ruhe findet“, ja als utopische „Ab-Orte“ innerer Einkehr.
Auch hier zeigt sich Handke ungewohnt selbstkritisch, wenn er sich fragt, ob sein jäher Drang, den stillen Ort aufzusuchen, nicht einer Gesellschaftsflucht gleichkomme, Ausdruck von „Gesellschaftswiderwillen“ sei, von „Geselligkeitsüberschuss“, „ein asozialer – ein antisozialer Akt?“ im Grunde. Dabei ist er „versucht, ,Ideal Standard‘ – nicht die Warenmarke, sondern das Wort – auf mein Problem anzuwenden“, dieses dringende Bedürfnis, sich abzusondern. Ein Schlüsselerlebnis ist da die Episode, wie Handke als Neuling im Internat nicht die Toilette findet oder sich nicht traut, danach zu fragen, so dass er gleich zum verspotteten Einzelgänger wird, als sich im Speisesaal ein verräterisches Rinnsal unter seinen Füßen bildet. Es geht aber jenseits der Notdurft um „eine ganz andere Not“, die Langeweile „als die andere; die umgekehrte Zeitnot“, vor allem jedoch um die Sprachnot. Zum Schweigen gebracht „durch die Worte wie Wörter der anderen“, entzieht er sich mit einem „ich muss kurz verschwinden!“. Und erlebt: „die Sprach- und Wörterquelle springt frisch auf“, zurückkehrend ins „Grölen, Gellen, Toben und Kreischen“, ist er wieder „vielsilbig, voll von der Redelust“.
Dass der große Dichter Peter Handke ausgerechnet zu sich selber kommt, wenn er mal für kleine Jungs muss, hätte seine Leser-Gemeinde vielleicht so nicht erwartet. Dass er aber selbst diesem heiklen Sujeteinen wunderbaren Essay abgewinnt, macht ihm keiner nach. Diese wahrscheinlich stillste Neuerscheinung mag eine Beckenranderscheinung des Bücherherbstes sein, sie dürfte jedoch für Gesprächsstoff sorgen, zumindest an den stillen Orten der Frankfurter Buchmesse.
Peter Handke: Versuch
über den Stillen Ort.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 109 Seiten, 17,95 Euro.
„Herr Pfarrer, ich soll sie grüßen von meinen Eltern, mit diesen Birnen vom Scheißhausbaum!“
FOTO: PLAINPICTURE/MASKOT
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de