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Hwang Sok-yong beschreibt den Abstieg einer Familie
Tiefer als der dreizehnjährige Protagonist, den man Glupschaug nennt, kann man nicht sinken. Seine Kindheit verbringt er in den engen Gassen eines Armenviertels. Sein Vater kommt in ein Umerziehungslager. Mutter und Sohn schlagen sich mit Gelegenheitsjobs auf einem Markt durch. Schließlich landen sie dort, wo die Überflussgesellschaft sich unnützer Dinge entledigt: auf der Müllkippe. Sie leben im Müll, essen Müll, atmen ihn gar. Auch wenn Autor Hwang Sok-yong die Stadt, in der sein Roman "Vertraute Welt" spielt, nicht beim Namen nennt, lässt sich in den Beschreibungen das Seoul der Siebziger- oder Achtzigerjahre erkennen. Die Präsidenten Park Chung-hee und Chun Doo-hwan regierten Korea autoritär. Gleichzeitig begann aber ein rasanter wirtschaftlicher Aufstieg.
Diese Ambivalenz schlägt sich auch in Hwangs Roman nieder: Menschen verschwinden, und Beamte lassen sich schmieren. Doch wo früher karges Ackerland war, stehen nun Hochhäuser. Selbst die Geister, mit denen Glupschaug in Kontakt tritt, wissen nicht mehr wohin mit sich, ihre vertraute Welt ist verschwunden. Hwang beschreibt ein Land, das unerbittlich danach strebt, eine Industrienation zu werden - und jene aussortiert, die nicht zum Aufstieg beitragen. Seine Sprache passt sich den Umständen der Figuren an. Auch der Übersetzer Andreas Schirmer scheut sich nicht vor vulgären Beschreibungen. Glupschaug beispielsweise findet eine bereits geöffnete Packung Würstchen auf der Deponie und macht sich genüsslich über die mit Dreck überzogenen Fleischwaren her.
Hwang setzt sich in seinen Werken kritisch mit der jüngeren Geschichte Koreas auseinander. Seit seiner Jugend war er Teil des demokratischen Widerstands. Mehrmals wurde er für seinen politischen Aktivismus verhaftet. Zuletzt Anfang der Neunzigerjahre, weil er mit einer Reise nach Nordkorea gegen das nationale Sicherheitsgesetz verstieß. Im Zentrum seiner Erzählungen stehen, sicherlich nicht ohne autobiographische Bezüge, Solidarität zwischen Menschen am Rande der Gesellschaft und der Verlust von Heimat. Auch in "Vertraute Welt" teilen die Bewohner der Deponie das wenige, das sie haben, miteinander. Pragmatisch schließen sich Verlassene zu neuen Familien zusammen. Wohltäter aus der Stadt hingegen lassen sich mit hungrigen Kindern ablichten, um ihr gesellschaftliches Ansehen aufzuwerten. Die Rollenverteilung mag dem hiesigen Leser eindimensional vorkommen. Hwangs Erfolg im heutigen Südkorea dürfte jedoch damit zu erklären sein, dass er eine in weiten Teilen der Gesellschaft verankerte Skepsis gegenüber Wirtschaftsgrößen und Politikern aufgreift. Korruptionsskandale, in die bekannte Großkonzerne und Vertreter beider Seiten des politischen Spektrums verwickelt sind, haben viele Koreaner desillusioniert.
Erfolg im Ausland scheint Hwang ohnehin unwichtig zu sein. Im vergangenen Jahr wurde er bei einer Pressekonferenz darauf angesprochen, dass er als Koreas aussichtsreichster Kandidat für den Literaturnobelpreis gilt. Hwang sagte dazu: "Früher dachten wir, dass wir zur westlichen oder europäischen Literaturwelt aufschließen müssen, als ob wir bei den Olympischen Spielen eine Medaille gewinnen würden." Die Schwedische Akademie, sagte Hwang, liege irgendwo in Europa auf dem Lande. ANNA SCHILLER
Hwang Sok-yong:
"Vertraute Welt". Roman.
Aus dem Koreanischen von Andreas Schirmer. Europa Verlag, Berlin 2021. 208 S., geb., 22,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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