»Teils persönlicher Reisebericht, teils Einführung in die Wiederherstellung der Umwelt, bricht Die Zukunft der Natur eine Lanze für das Konzept der Rückverwilderung und wird sehr wahrscheinlich Förster, Landbesitzer, Politiker und die Öffentlichkeit dazu bringen, ihre Wahrnehmung der Natur und ihre Rolle in unserem Leben infrage zu stellen.« - Science
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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George Monbiot fordert, man möge die Natur Europas in Ruhe und der Verwilderung ihren Lauf lassen
Die Unbeherrschbarkeit der Natur wird uns dieser Tage besonders bewusst. Ein Virus taucht auf, das zunächst mit keinem Impfstoff oder Medikament bekämpft werden kann. Hitze und Waldbrände suchen Teile Nordamerikas heim, reißende Fluten fordern zahlreiche Opfer in der Eifel. Das sind "Verwilderungen", die die Menschheit bedrohen. George Monbiot denkt in seinem neuen Buch über weitere Verwilderungen nach - und darüber, wie man der Natur mehr Freiräume gewähren könnte. Als naheliegende Maßnahme schwebtihm die "Wiederherstellung unserer Ökosysteme" vor. Aber kann man überhaupt von "unseren Ökosystemen" sprechen? Gehören sie uns etwa? Die Lektüre jedenfalls legt das nahe.
Wenn einem ein Ökosystem gehört, darf man wohl auch zu den Yanomami in den tropischen Regenwald am Amazonas reisen, ohne klar zu sagen, warum. Monbiot war dort mit einer Gruppe von Umweltaktivisten unterwegs. Er zeigt sich betroffen vom Schicksal der Ureinwohner, die von Goldsuchern verdrängt werden. Zudem würden Letztere Krankheiten in die Wildnis bringen. Das allerdings tun Umweltaktivisten genauso.
"Was für Bauern und Landbesitzer als gut gilt, wird unhinterfragt und unangefochten für alle als gut erachtet." Diesen Satz des Autors kann man wie folgt umformen: Was für George Monbiot als gut gilt, soll unhinterfragt und unangefochten für alle als gut erachtet werden. Warum er sich wünscht, England oder Europa möge verwildern, erfährt man nicht so genau, aber: "Außer in Großbritannien und in Irland kehren fast überall große charismatische Tierarten zurück." Die Feststellung, dass ein Tier einmal an einem Ort vorgekommen ist, begründet indes nicht, warum es dort wieder vorkommen sollte.
Was sind überhaupt charismatische Arten? Man muss sich darunter eine Auswahl von Tieren vorstellen, die man gerne in seiner Umwelt sehen will. Es ist aber nicht die Aufgabe der Ökologie, das Charisma von Tieren zu bewerten. Ökologie muss vielmehr zum Kompromiss zwischen Landnutzern und Naturschützern beitragen, und zwar so, dass vor allem im westlichen Eurasien und im östlichen Nordamerika genügend Getreide angebaut werden kann, um die Menschen zu ernähren. Nirgends sonst sind die ökologischen Bedingungen für die Anlage von Kornfeldern günstiger als in diesen Regionen.
Offenkundiger Unsinn ist auch zu finden. So heißt es, Flechten "lösen Mineralien aus ihrer Unterlage, brechen damit die Oberfläche auf und schaffen organisches Material". Wie sollen denn aus Mineralien wie Magnesium oder Kalium Kohlenstoff enthaltende Substanzen entstehen, also organisches Material? Zudem sollen im Urwald von Bia owieza im Osten Polens in der Mittleren Steinzeit "Eichen und Linden mit Stammdurchmessern doppelt so groß wie eine Fahrradlänge" gewachsen sein, "vielleicht dreißig Meter in die Höhe, bevor sie sich verzweigen". Damals gab es aber noch keine Eichen und Linden in Ostpolen, auch "zahlreiche Lilien" nicht. Man muss genau lesen: Immer wieder fallen die Worte "vielleicht", "wahrscheinlich" und "dürfte". Es gibt kaum genaue Informationen, aber wiederholt den Hinweis "Eine Studie geht davon aus, dass . . ."
Der Text ist durch Übersetzer und Lektorat leider nicht besser geworden. Die englische "tree line" kann man nicht mit "Baumlinie" übersetzen, der Fachausdruck heißt "Baumgrenze". Das englische "beast" ist nicht etwa ein "Biest", wie man im Buch immer wieder liest, sondern ein wildes Tier. Es ist von einem Mestizo die Rede, "der zehn Jahre lang den Amazonas zu Fuß durchstreift hatte", "das Meer fühlte sich an wie halb erstarrtes Gelee" und Vögel "beobachteten mich aus ihren Augenwinkeln". Das kann den Leser erheitern, nicht aber die Feststellung: "Eine Gruppierung mit dem Namen Rewildering Europe plant, bis 2020 in Kontinentaleuropa auf einer Million Hektar die Wiederherstellung ökologischer Prozesse anzustoßen." Wie dies wohl vor sich geht? Man müsste es ja schon wissen, denn das Buch ist in seiner deutschen Übersetzung bereits nach diesem Termin erschienen: 2021.
"Unsere Ökosysteme sind offenbar an den Elefanten angepasst", schreibt Monbiot. Warum sollte man diese Art dann nicht wieder in Europa heimisch machen? Für ökologisch informierte Leser sind solche Vorstellungen ein Ärgernis. Ökologie herrscht überall, sie lässt sich nicht einführen oder etablieren. Wie kann man Ökologie "ästhetisieren" und die Wildnis fordern, aber die ernsten Ziele übersehen, die uns mit der Gewinnung von Nahrung für alle, der Bewahrung von Biodiversität und dem Erreichen von Nachhaltigkeit aufgegeben sind? Das geht nur mit einer Kultur, die Wildnis zurückdrängt. HANSJÖRG KÜSTER
George Monbiot: "Verwildert". Die Wiederherstellung unserer Ökosysteme und die Zukunft der Natur.
Aus dem Englischen von Dirk Höfer. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021. 430 S., geb., 28,- Euro.
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