Shedding new light on the alternative, emancipatory Germany discovered and written about by progressive women writers during the long nineteenth century, this illuminating study uncovers a country that offered a degree of freedom and intellectual agency unheard of in England. Opening with the striking account of Anna Jameson and her friendship with Ottilie von Goethe, Linda K. Hughes shows how cultural differences spurred ten writers' advocacy of progressive ideas and provided fresh materials for publishing careers. Alongside well-known writers - Elizabeth Gaskell, George Eliot, Michael Field, Elizabeth von Arnim, and Vernon Lee - this study sheds light on the lesser-known writers Mary and Anna Mary Howitt, Jessie Fothergill, and the important Anglo-Jewish lesbian writer Amy Levy. Armed with their knowledge of the German language, each of these women championed an extraordinarily productive openness to cultural exchange and, by approaching Germany through a female lens, imported an alternative, 'other' Germany into English letters.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2023Freie englische Schriftstellerinnen zwischen Rhein und Donau
Eine Bereicherung der deutsch-englischen Literaturgeschichte: Linda K. Hughes begibt sich auf die Spuren in Vergessenheit geratener Viktorianerinnen
Man kennt die bedeutendste Schriftstellerin des viktorianischen Englands, George Eliot, vielleicht noch Elizabeth Gaskell und die von Virginia Woolf des Edelkitsches nicht zu unrecht bezichtigte Elizabeth von Arnim. Aber wer kennt Anna Jameson, Mary und Anna Mary Howitt, Jessie Fothergill, Michael Field alias Katherine Bradley nebst ihrer Nichte und Geliebten Edith Cooper, gar Amy Levy und die das Übernatürliche literarisierende Vernon Lee alias Violet Paget? Man sollte sie kennen, wenn einem an der Geschichte der deutsch-englischen Literaturbeziehungen gelegen ist, und man kann sie jetzt in ihren kulturellen Zusammenhängen kennenlernen anhand dieser vorzüglichen Studie der texanischen Literaturwissenschaftlerin Linda K. Hughes. Sie liefert eine Arbeit, die bislang fehlte. Bereits im Titel wartet sie mit einer Überraschung auf, denn diese in Rede stehenden women of letters fühlten sich in den deutschen Staaten nach 1830 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts freier und intellektuell entfaltungsfähiger als im heimischen England. Ein insgesamt liberaleres Scheidungsrecht, das schon Madame de Staël aufgefallen war, sowie größere Freizügigkeit in Fragen der Niederlassung ließen Britinnen aus dem mittleren Bürgertum längere Aufenthalte zwischen Rhein und Donau als besonders reizvoll erscheinen, zumal dann, wenn sie sich als freie Schriftstellerinnen etablieren wollten.
Erstaunlich auch: Die Rede vom "anderen Deutschland", die wir gewöhnlich mit dem Titel einer 1925 gegründeten, pazifistisch ausgerichteten Wochenzeitung verbinden, für die unter anderen Kurt Tucholsky und Erich Kästner schrieben, und nach 1933 mit Gegenentwürfen zum Hitlerismus aus dem Exil, geht der Sache nach auf Vernon Lee zurück.
Die genannten Engländerinnen leisteten Erhebliches für den deutsch-englischen Kulturaustausch als Verfasserinnen von damals viel gelesenen Reiseberichten über Deutschland, als Roman- und Novellenautorinnen zu Stoffen mit deutschem Kulturhintergrund und als bedeutende Übersetzerinnen, im Bereich der Lyrik ist hier vor allem Amy Levy mit ihren Heine-Übertragungen und Adaptionen zu nennen.
Entgegen der gängigen Vorstellungen überrascht die Perspektive dieser Engländerinnen auf die deutschen Kulturszenerien vor und nach der versuchten Revolution von 1848/49; denn sie nahmen diese als Orte intellektueller und lebensweltlicher Emanzipation wahr; die Lebenshaltungskosten in den deutschen Staaten waren entschieden niedriger als in England und das Bildungsbewusstsein weitaus ausgeprägter. Hierbei lernte das viktorianische England von den deutschen Kulturangeboten, wenn man allein an die Gründung des University College London nach dem Vorbild der Berliner (Humboldt-)Universität denkt.
Linda Hughes' feministische Analyse der britisch-deutschen Kulturbeziehungen ermöglicht wirkliche Entdeckungen, wie zum Beispiel Jessie Fothergills deutsch-englisches Romanhybrid "The First Violin" (1878) mit seiner musikliterarischen Leitmotivtechnik und Auseinandersetzung mit Paul Heyses Roman "Kinder der Welt" (1873), einem inzwischen hierzulande seit Langem sträflich vernachlässigten Sprachkünstler. Zu solchen Entdeckungen gehört auch die zentrale Rolle, die Ottilie von Goethe und ihre Freundin, Anna Jameson, die gern Ottilies Geliebte geworden wäre, in dieser Kulturvermittlung spielten. Dass jedoch Hughes nahezu durchgängig Goethes Schwiegertochter Ottilie als "Goethe" bezeichnet, verwirrt ebenso, wie die Nennung des Dichters als "Johann von Goethe" irritiert. Dergleichen ist unnötig wie auch das Kuriosum, dass Hughes Dresden für eine norddeutsche Stadt hält. Und da wir bei Irritationen sind, eine letzte: Offenbar braucht jede kulturanalytische Studie das eine sie prägende Codewort. Hughes überstrapaziert den reichlich bemüht wirkenden, um nicht zu sagen zungenbrecherischen Schlüsselbegriff des brasilianischen Anthropologen, Mércio Pereira Gomes: "ethnoexocentrism", womit ein "Kulturtrieb" gemeint sein soll, der eine prinzipielle Akzeptanz anderer Kulturen und die Interaktion ihrer Träger einschließt. Alle genannten Engländerinnen, aber auch ihre deutschen Gegenüber, etwa die britannienkundige Fanny Lewald und Sibylle Mertens-Schaaffhausen, versteht Hughes somit als Ethnoexozentristinnen.
Zum Glück verschont uns die Autorin mit weiteren Begriffsmissbildungen und erarbeitet stattdessen das Tiefenpanorama eines überaus fruchtbaren und zeitweise wirkungsmächtigen Kulturaustauschs, der im Vorfeld des Ersten Weltkrieges in vergiftende Polemik umschlug. Zu den wertvollen Fundstücken gehört auch Anna Mary Howitts Artikelserie "An Art Student in Munich", die zunächst in wichtigen Zeitschriften wie "Ladies' Companion", "Household Words" (von Charles Dickens herausgegeben) sowie im "Athenäum" von 1850 -1851 und dann zwei Jahre später in Buchform erschien. Howitt, die Kunst bei Wilhelm Kaulbach studierte, schilderte darin unter anderem die Oberammergauer Passionsspiele, die in der Folgezeit selbst für protestantische Engländer zu einem Reisemagnet wurden. Ihre Mutter, die Schriftstellerin Mary Howitt, hatte sich 1840 mit ihren fünf Kindern in Heidelberg niedergelassen, wo sie sich als Übersetzerin von Clemens Brentano, Heinrich Heine und Ferdinand Freiligrath einen Namen machte. Ihrem Mann, dem Publizisten William Howitt, verdankte die Epoche eine deutsch-englische, in Nürnberg und London veröffentlichte Ausgabe von Adelbert von Chamissos Peter Schlemihl (1843). Nichts sensibilisiert eben mehr für das "Andere", als darüber zu schreiben. RÜDIGER GÖRNER
Linda K. Hughes:
"Victorian Women".
Writers and the Other Germany. Cross-Cultural Freedoms and Female Opportunity.
Cambridge University Press, London 2022. 282 S., Abb., geb., 75,- brit. Pfund.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Bereicherung der deutsch-englischen Literaturgeschichte: Linda K. Hughes begibt sich auf die Spuren in Vergessenheit geratener Viktorianerinnen
Man kennt die bedeutendste Schriftstellerin des viktorianischen Englands, George Eliot, vielleicht noch Elizabeth Gaskell und die von Virginia Woolf des Edelkitsches nicht zu unrecht bezichtigte Elizabeth von Arnim. Aber wer kennt Anna Jameson, Mary und Anna Mary Howitt, Jessie Fothergill, Michael Field alias Katherine Bradley nebst ihrer Nichte und Geliebten Edith Cooper, gar Amy Levy und die das Übernatürliche literarisierende Vernon Lee alias Violet Paget? Man sollte sie kennen, wenn einem an der Geschichte der deutsch-englischen Literaturbeziehungen gelegen ist, und man kann sie jetzt in ihren kulturellen Zusammenhängen kennenlernen anhand dieser vorzüglichen Studie der texanischen Literaturwissenschaftlerin Linda K. Hughes. Sie liefert eine Arbeit, die bislang fehlte. Bereits im Titel wartet sie mit einer Überraschung auf, denn diese in Rede stehenden women of letters fühlten sich in den deutschen Staaten nach 1830 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts freier und intellektuell entfaltungsfähiger als im heimischen England. Ein insgesamt liberaleres Scheidungsrecht, das schon Madame de Staël aufgefallen war, sowie größere Freizügigkeit in Fragen der Niederlassung ließen Britinnen aus dem mittleren Bürgertum längere Aufenthalte zwischen Rhein und Donau als besonders reizvoll erscheinen, zumal dann, wenn sie sich als freie Schriftstellerinnen etablieren wollten.
Erstaunlich auch: Die Rede vom "anderen Deutschland", die wir gewöhnlich mit dem Titel einer 1925 gegründeten, pazifistisch ausgerichteten Wochenzeitung verbinden, für die unter anderen Kurt Tucholsky und Erich Kästner schrieben, und nach 1933 mit Gegenentwürfen zum Hitlerismus aus dem Exil, geht der Sache nach auf Vernon Lee zurück.
Die genannten Engländerinnen leisteten Erhebliches für den deutsch-englischen Kulturaustausch als Verfasserinnen von damals viel gelesenen Reiseberichten über Deutschland, als Roman- und Novellenautorinnen zu Stoffen mit deutschem Kulturhintergrund und als bedeutende Übersetzerinnen, im Bereich der Lyrik ist hier vor allem Amy Levy mit ihren Heine-Übertragungen und Adaptionen zu nennen.
Entgegen der gängigen Vorstellungen überrascht die Perspektive dieser Engländerinnen auf die deutschen Kulturszenerien vor und nach der versuchten Revolution von 1848/49; denn sie nahmen diese als Orte intellektueller und lebensweltlicher Emanzipation wahr; die Lebenshaltungskosten in den deutschen Staaten waren entschieden niedriger als in England und das Bildungsbewusstsein weitaus ausgeprägter. Hierbei lernte das viktorianische England von den deutschen Kulturangeboten, wenn man allein an die Gründung des University College London nach dem Vorbild der Berliner (Humboldt-)Universität denkt.
Linda Hughes' feministische Analyse der britisch-deutschen Kulturbeziehungen ermöglicht wirkliche Entdeckungen, wie zum Beispiel Jessie Fothergills deutsch-englisches Romanhybrid "The First Violin" (1878) mit seiner musikliterarischen Leitmotivtechnik und Auseinandersetzung mit Paul Heyses Roman "Kinder der Welt" (1873), einem inzwischen hierzulande seit Langem sträflich vernachlässigten Sprachkünstler. Zu solchen Entdeckungen gehört auch die zentrale Rolle, die Ottilie von Goethe und ihre Freundin, Anna Jameson, die gern Ottilies Geliebte geworden wäre, in dieser Kulturvermittlung spielten. Dass jedoch Hughes nahezu durchgängig Goethes Schwiegertochter Ottilie als "Goethe" bezeichnet, verwirrt ebenso, wie die Nennung des Dichters als "Johann von Goethe" irritiert. Dergleichen ist unnötig wie auch das Kuriosum, dass Hughes Dresden für eine norddeutsche Stadt hält. Und da wir bei Irritationen sind, eine letzte: Offenbar braucht jede kulturanalytische Studie das eine sie prägende Codewort. Hughes überstrapaziert den reichlich bemüht wirkenden, um nicht zu sagen zungenbrecherischen Schlüsselbegriff des brasilianischen Anthropologen, Mércio Pereira Gomes: "ethnoexocentrism", womit ein "Kulturtrieb" gemeint sein soll, der eine prinzipielle Akzeptanz anderer Kulturen und die Interaktion ihrer Träger einschließt. Alle genannten Engländerinnen, aber auch ihre deutschen Gegenüber, etwa die britannienkundige Fanny Lewald und Sibylle Mertens-Schaaffhausen, versteht Hughes somit als Ethnoexozentristinnen.
Zum Glück verschont uns die Autorin mit weiteren Begriffsmissbildungen und erarbeitet stattdessen das Tiefenpanorama eines überaus fruchtbaren und zeitweise wirkungsmächtigen Kulturaustauschs, der im Vorfeld des Ersten Weltkrieges in vergiftende Polemik umschlug. Zu den wertvollen Fundstücken gehört auch Anna Mary Howitts Artikelserie "An Art Student in Munich", die zunächst in wichtigen Zeitschriften wie "Ladies' Companion", "Household Words" (von Charles Dickens herausgegeben) sowie im "Athenäum" von 1850 -1851 und dann zwei Jahre später in Buchform erschien. Howitt, die Kunst bei Wilhelm Kaulbach studierte, schilderte darin unter anderem die Oberammergauer Passionsspiele, die in der Folgezeit selbst für protestantische Engländer zu einem Reisemagnet wurden. Ihre Mutter, die Schriftstellerin Mary Howitt, hatte sich 1840 mit ihren fünf Kindern in Heidelberg niedergelassen, wo sie sich als Übersetzerin von Clemens Brentano, Heinrich Heine und Ferdinand Freiligrath einen Namen machte. Ihrem Mann, dem Publizisten William Howitt, verdankte die Epoche eine deutsch-englische, in Nürnberg und London veröffentlichte Ausgabe von Adelbert von Chamissos Peter Schlemihl (1843). Nichts sensibilisiert eben mehr für das "Andere", als darüber zu schreiben. RÜDIGER GÖRNER
Linda K. Hughes:
"Victorian Women".
Writers and the Other Germany. Cross-Cultural Freedoms and Female Opportunity.
Cambridge University Press, London 2022. 282 S., Abb., geb., 75,- brit. Pfund.
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