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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Die Erzählungen von Joshua Cohen sind deshalb so gut, weil das Thema Internet darin nicht als Leitartikel daherkommt: "Vier neue Nachrichten".
Von Jan Wiele
Was Hasskommentare, schlechte Bewertungen und üble Nachrede im virtuellen Raum des Internets für Konsequenzen in der realen Welt haben, beginnt die Gesellschaft gerade erst zu begreifen. Fiktionen, die Themen wie Cybermobbing behandeln, haben allerdings oft das Problem, dass sie wie nur mühsam kaschierte Leitartikel wirken.
Ganz anders bei dem 1980 geborenen Literaturkritiker und Schriftsteller Joshua Cohen: Seine Erzählung mit dem vieldeutigen Titel "Emission" ist gerade deshalb so gut, weil man ihr das Netzthema lange erst gar nicht anmerkt. Sie handelt von einem Kleindealer in New Jersey, der sich Mono nennt und auf dem Campus von Princeton zahlreiche Abnehmer für seine Drogen findet - "die einen brauchten Stoff, um Arbeiten zu schreiben, die anderen brauchten Stoff, um Arbeiten zu benoten", heißt es lakonisch.
Dieser Mono allerdings will mehr sein, als er ist, er mag es nicht, nur als Dealer angesehen zu werden, bleibt länger bei seinen Kunden, als er muss, und möchte an ihrem Leben teilnehmen, mitreden. Damit beginnt die Misere: Auf einer Party lässt sich Mono von einer Studentin bezirzen, die ihm das Gefühl gibt, dass sie nur auf ihn gewartet habe. Was er nicht weiß: Dieses Mädchen betreut dreißig anonyme Blogs mit Titeln wie "Was ich über Badezimmer in Nordamerika gehört habe", und als die Party unter fortgeschrittenem Substanzgebrauch sich in Richtung pubertärer Wahrheit-oder-Pflicht-Spiele entwickelt, lässt Mono sich dazu hinreißen, eine mehr als peinliche Anekdote aus seiner Schulzeit zu erzählen.
Was er damit ausgelöst hat, bekommt Mono zu spüren, als ihn ein Personalreferent der Marine, bei der er sich zwecks Änderung seiner beruflichen Laufbahn beworben hatte, anruft: "Sie müssen ihr Profil bereinigen, Sohnemann." Doch dafür ist es längst zu spät. Auf ihrem Blog namens "Emission" hat die Party-Klatschtante in Boulevardmanier seine Geschichte ausgeschlachtet. Die Emission, die der Protagonist einst über einem schlafenden Mädchen auf einer anderen Party hatte, ist im Handumdrehen Anlass zu viralem Spott und Hohn im Netz geworden, es gibt sogar Menschen, die unter seinem Namen posten. "Je mehr die Kommentierer kommentierten, desto genauer fühlten sich sogar ihre Ungenauigkeiten an, desto wesentlicher fühlten sich ihre Ausschmückungen an." Als Mono dann die Mittel des Internets dazu benutzt, die Bloggerin zum Löschen ihres Beitrags zu zwingen, setzt er eine echte Tragödie in Gang.
Gerade weil Cohen mit so viel Wortwitz und satirischen Abschweifungen schreibt, bemerkt man erst schleichend, wie ernst seine Geschichte wirklich ist: Der Leser wird ebenso überrumpelt wie die Hauptfigur. Um die von Slangausdrücken und Fachsprache nur so strotzende Erzählung auch im Deutschen authentisch klingen zu lassen, hat man mit dem an David Foster Wallace geschulten Ulrich Blumenbach genau den richtigen Übersetzer gefunden.
In den drei weiteren Geschichten des programmatisch "Vier neue Nachrichten" betitelten Bandes tritt viel stärker Cohens metafiktionale Schreibweise zutage, die sichtbar in der Tradition eines Pynchon, Coover oder John Barth steht. In der Schreibschulsatire "Uni-Bezirk" nimmt Cohen sein eigenes Metier ebenso aufs Korn wie in der Erzählung "McDonald's", deren Held Korrekturleser von Medikamenten-Beipackzetteln ist. So sehr Blumenbach sich bemüht, diese Storys einigermaßen verständlich zu machen und sich dabei lauter verrückte Neologismen (am schönsten: "Adlatussis") einfallen lässt, kann er doch Cohen nicht aus der Gefahr aller poetologischen Fiktionen retten: über lauter Reflexion den Leser zu verlieren. Die Erzählung "Gesendet", in der Pornosternchen aus dem Internet einen Journalisten magisch-realistisch heimsuchen, bewegt sich am Rande der Hermetik und Unlesbarkeit. Das macht aber nichts, denn "Emission" allein hat das Zeug, eine kanonische metamoderne Kurzgeschichte zu werden.
Joshua Cohen: "Vier neue Nachrichten".
Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2014. 270 S., geb., 19,95 [Euro].
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