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Wein oder Weide, das ist bei Vinland die Frage: Rudolf Simek segelt mit den Wikingern nach Amerika
Mit fünfunddreißig Mann segelte Leif Eiriksson aus Grönland ab und erreichte zunächst ein Land, das "wie eine einzige Steinplatte" schien und das er daher "Helluland", Flachsteinland, nannte. Das zweite Land "war flach und von Wald bewachsen", berichtet die mittelalterliche "Saga von den Grönländern", also sollte es "Markland", Waldland, heißen. Ein drittes neues Land erhielt den Namen "Vinland", Weinland, weil ein Deutscher aus Leifs Mannschaft dort wild wachsenden Wein gefunden habe. Mit den Vinlandfahrten der Wikingerzeit begann, ein halbes Jahrtausend vor Kolumbus, die Entdeckung Amerikas.
Auch die "Saga von Eirik dem Roten", benannt nach Leifs Vater, erzählt von diesen Reisen. Überliefert sind beide Texte in isländischen Handschriften des vierzehnten beziehungsweise fünfzehnten Jahrhunderts. Sagas betrachte man "am besten als eine Art historischen Roman", schreibt Rudolf Simek. Der Bonner Altgermanist befasst sich in seinem neuen Buch mit den historischen Hintergründen der Fahrten und den archäologischen Funden, die die Ankunft in Amerika belegen.
Den Vinlandfahrten der Jahrtausendwende ging die skandinavische Besiedlung Islands und Grönlands voraus. Möglich war die Expansion im Nordatlantik durch die über Jahrhunderte hinweg erworbenen Erfahrungen im Schiffsbau. Neben Lang- oder Drachenschiffen, die als Kriegsschiffe unser Wikingerbild prägen, entstanden spezielle hochseetaugliche Lastschiffe, in denen Auswanderer auch Tiere und ihre übrige Habe transportieren konnten. Die Gefahr solcher Fahrten zeigte sich bei der Besiedlung Grönlands. Fünfundzwanzig Schiffe liefen in Island aus, nur vierzehn kamen an.
In beiden Sagas waren es Irrfahrten, die zum ersten Mal nach Amerika führten. In der "Saga von den Grönländern" wollte Bjarni Herjolfsson nach Grönland segeln, verlor aber im Nebel die Orientierung und gelangte an unbekannte Küsten, ohne dort an Land zu gehen. Das blieb Leif Eiriksson überlassen. Doch "die erfolgreichste und größte Expedition", so Simek, war in beiden Quellen die von Thorfinn Karlsefni, dessen Frau Gudrid das erste europäische Kind in der Neuen Welt gebar. Nachdem Thorfinn und seine Begleiter ihren ersten Winter in Vinland verbracht hatten, kamen fremde Männer, die Bündel mit Fellen trugen, aber keiner "verstand die Sprache des anderen". Trotzdem gelang der Handel mit den "Skrælingar", wie die Sagas die Indianer nennen.
Beim zweiten Treffen versuchte dann ein Indianer, Waffen der Siedler zu nehmen, und wurde erschlagen. Die dritte Begegnung war ein Kampf, in dem viele "Skrælingar" fielen. Durch die Schilderung von Kontakt und Konflikt zwischen fremden Kulturen sind die Sagas somit auch Urtexte der langen amerikanischen Frontiergeschichte, worauf Simek leider gar nicht eingeht. Die für Vinland belanglosen Selbst- und Fremdbezeichnungen der nach Osten ausgreifenden Wikinger erklärt er dagegen bis in die etymologischen Details. Man hätte ihm mehr Sinn für Auswahl und Gewichtung gewünscht.
Das norwegische Forscherpaar Helge und Anne Stine Ingstad entdeckte 1960 im kanadischen L'Anse aux Meadows an der Nordspitze Neufundlands die Überreste einer wikingerzeitlichen Siedlung. Dort standen einst Häuser mit Grasziegelwänden nach skandinavischer Art. Eiserne Bootsnieten und eine bronzene Ringnadel weisen ebenso auf europäische Siedler hin wie die Eisenschlacke als Anzeichen dafür, dass "Eisen zur Reparatur von Schiffen, Werkzeugen und Waffen hergestellt wurde". Unabhängig davon, ob die Siedlung tatsächlich mit Vinland oder einem anderen Ort der Sagas gleichzusetzen ist, lassen diese Funde laut Simek zwei Schlüsse zu: dass Skandinavier im frühen elften Jahrhundert dort siedelten - und dass die Anwesenheit nur von kurzer Dauer war.
Ärgerlich sind die Nachlässigkeiten, die den schmalen Band durchziehen. Dreimal findet man für die Besiedlung Grönlands die falsche Jahreszahl 885 (statt 985). Simek liest seine Quellen nicht genau, wenn er sich in der "Saga von Eirik dem Roten" über hundertsechzig Menschen auf nur zwei Schiffen wundert, denn es waren drei. Auch sprachlich geht manches schief: Da "haben spätere Grabungen (. . .) weitere Objekte entdeckt", als gäbe es kein Passiv, oder treten die Sagas "in das Blickfeld des Interesses", als reichte es nicht, wenn sie einfach in den Blick kämen.
Das größte Fragezeichen bleibt aber bei Simeks Ausführungen zur Benennung von Vinland, das er als Weide- statt als Weinland deutet, weil sich Weide und Wein im Altnordischen nur im kurzen oder langen "i" unterscheiden. Vom Forscherstreit über die sprachgeschichtliche Beurteilung der Weideland-Deutung erfährt man hier nichts. Stattdessen argumentiert Simek handfest. Der deutsche Weinfinder hätte doch gar nicht allein von Trauben betrunken werden können, wie es die Grönländer-Saga darstellt; Trauben wären auch schlecht länger per Schiff zu transportieren gewesen; und daheim in Grönland hätten die Seefahrer ja mit den angeblich mitgenommenen Weinreben gar nichts anfangen können wegen des Klimas. Den Weinbezug hält Simek für einen Marketingkniff der Entdecker oder eine spätere Ausschmückung.
In L'Anse aux Meadows wurden allerdings, wie Simek selbst erwähnt, Nüsse entdeckt, die nur weiter südlich wuchsen - also dort, so ergänzen die Weinland-Befürworter, wo es auch wilden Wein gab. Simek hat ein großes Thema und spannende Quellen, aber aufgrund der Leerstellen und Nachlässigkeiten wird daraus nur ein schwaches Buch.
THORSTEN GRÄBE
Rudolf Simek: "Vinland!". Wie die Wikinger Amerika entdeckten.
Verlag C. H. Beck, München 2016. 160 S., Abb., geb., 16,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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