With Vivian, her second novel to be published in English, Christina Hesselholdt delves into the world of the enigmatic American photographer Vivian Maier (1926–2009), whose unique body of work only reached the public by chance. On the surface, Vivian Maier lived a quiet life, working as a nanny for bourgeois families in Chicago and New York. And yet, over the course of four decades, she took more than 150,000 photos, most of them with Rolleiflex cameras. The pictures were discovered in an auction shortly before she died, impoverished and feasibly very lonely. Who was this outsider artist, and why did she remain in the shadows her whole life? In this playful, polyphonic novel, we watch Vivian grow up in a severely dysfunctional family in New York and Champsaur in France, and we follow her later life as a nanny and street photographer in Chicago. A meditation on art, madness and identity, Vivian is a brilliant novel by Denmark's most inventive and radical novelist.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.07.2020Kein Kodak Girl, ein Rolleiflex-Mensch
Vivian Maiers Fotografien von den Straßen New Yorks und Chicagos wurden erst nach ihrem Tod entdeckt. Man weiß deswegen
wenig über sie. Die dänische Schriftstellerin Christina Hesselholdt füllt in ihrem Roman „Vivian“ die Lücken durch Fiktion
VON SOPHIE WENNERSCHEID
Die amerikanische Straßenfotografin Vivian Maier ist eine rätselhafte Person. 1926 als Kind französisch-österreichischer Migranten in New York geboren, in Südfrankreich aufgewachsen und 1951 in die USA zurückgekehrt, verdiente sie ihren Lebensunterhalt als Kindermädchen. Auf ihren unzähligen Gängen durch das New York der 1950er- und das Chicago der 1960er-Jahre hat sie Tausende von Aufnahmen gemacht. Statt jedoch ihre Bilder in der Öffentlichkeit zu zeigen, behielt sie das Gesehene für sich. Erst nach ihrem Tod 2009, als ein Lokalhistoriker auf einer Auktion eine Kiste mit Negativen erwarb und erkannte, was er dort gekauft hatte, wurde ihr Werk bekannt. Seitdem werden Maiers Fotografien in der ganzen Welt gezeigt und gefeiert.
In dem Dokumentarfilm „Finding Vivian Maier“ (2013) versucht der Entdecker des Werks, John Maloof, dem Geheimnis dieser mysteriösen Frau auf die Spur zu kommen. Maiers Fotografien, kurze Filme mit den ihr anvertrauten Kindern, sowie Interviews mit eben diesen, nun längst Erwachsenen, bilden die Grundlage seiner werkbiografischen Annäherung. Vivian Maier kommt in diesem Film – natürlich – nicht zu Wort. Wir kennen ihren Blick auf die Welt, nicht aber, was sie über sie gedacht hat. Diese Leerstelle füllt die dänische Autorin Christina Hesselholdt mit ihrem Roman „Vivian“ (2016), den es jetzt in der Übersetzung von Ursula Allenstein auf Deutsch gibt.
In dem Roman, der dem Material des Films viel verdankt, kommt allerdings nicht nur die literarische Vivian Maier zu Wort, sondern auch eine ganze Reihe anderer historischer wie fiktiver Figuren, deren Erinnerungen und Kommentare uns wie in einem Drama als Repliken präsentiert werden. Ein Erzähler hält die Stimmencollage zusammen, von dem man erst relativ spät erfährt, dass es sich um einen Mann handelt, der selten das Haus verlässt und eine Englische Bulldogge besitzt, die gerne bei ihm im Bett liegt. Im ersten Satz des Romans stellt er sich als derjenige vor, der mit den Topfdeckeln klappert, wenn er sie anhebt, um nachzusehen, ob die Figuren „schon kochen.“ Dabei ist er weder ein Kenner noch ein Liebhaber der Fotografie. Wörter wie „Belichtungszeit, Dunkelkammer Kontaktabzug“ dürfe man aus seinem Mund nicht erwarten. Vielmehr sieht er es als seine Aufgabe, plausible Erklärungen und Beweggründe für Vivians Blick auf die Welt zu finden. Dazu ruft er etwa Vivians mit dem Leben hadernde Mutter Maria, den schizophrenen Bruder, die Fotografin Jeanne Bertrand, sowie Mr. und Mrs. Rice auf, die Vivian als Nanny für ihre Tochter Ellen eingestellt haben.
Schnell wird klar, dass es nicht Ellen ist, für die das Herz von Hesselholdts Vivian schlägt. Ihr geht es vielmehr um den Moment, in dem sie den Finger auf den Auslöser ihrer geliebten Rolleiflex legen kann. Wie sehr sie das in Anspruch nimmt, erfahren wir aus der Perspektive von Ellens Vater, Mr. Rice, der das neue Kindermädchen vom Bahnhof abgeholt hat. Verwundert beobachtet er, was Vivian aus dem fahrenden Auto heraus fotografiert: ein tot in einer Blutlache am Straßenrand liegendes Pferd, eine vom Leben gebeugte Frau in ihrem Vorgarten voller Gerümpel, eine notdürftig aus alten Türen zusammengezimmerte Unterkunft.
Mr. Rice fühlt sich beim Anblick der eifrig fotografierenden Vivian an ein „Kodak Girl“ erinnert, jenes Reklamebild der modernen Frau im ikonisch gewordenen blau-weiß gestreiften Kleid, die mit der extra leicht bedienbaren Kamera ihre glückliche Familie ablichtet. Nichts könnte zu der Gestalt Vivian Maiers weniger gut passen. Energisch weist sie diese Assoziation dann auch zurück. Nicht Kodak Girl, sondern Rolleiflex-Mensch ist sie.
Wenn man das fotografische Werk Maiers kennt, kann man die vielen im Roman erwähnten Bilder zuordnen. Was den besonderen ästhetischen Reiz der Aufnahmen ausmacht – Maiers Blick für das perfekt ins Bild gesetzte Motiv, ihr Gespür für Rhythmus und Licht und die daraus erzeugte fast haptische Bildwirkung – erschließt sich im Roman jedoch nicht.
Auch die experimentellen Selbstporträts Vivian Maiers verlieren in Hesselholdts Text an Schärfe. Dafür beginnen die Bilder zu sprechen. Hesselholdt setzt die fotografischen Momentaufnahmen in Bewegung und gibt den Menschen eine Geschichte. Sie erkundet das Leben des Kindes Vivian in ihrer dysfunktionalen Familie, die in Amerika nicht recht Fuß fasst. Und sie beleuchtet die Spannungen und Frustrationen, die in den 1960er-Jahren in der Mittelschichtsfamilie Rice herrschen.
Die Figur Vivian bleibt dem Leser aber trotz dieser Momentaufnahmen fremd. Sie erscheint als eine brüske und verschlossene Frau. Nicht zufällig ist ihr Zimmer mit einem großen Vorhängeschloss verriegelt. Zutritt strengstens verboten. Als die kleine Ellen doch einmal einen Blick hineinwagt, öffnet sich ihr der Raum einer obsessiven Sammlerin. Schmale Gänge führen durch Zeitungsstapel, die bis unter die Zimmerdecke reichen. Koffer und Schachteln mit Krimskrams und Hunderten nicht entwickelten Filmrollen türmen sich auf Bett, Schrank und Stuhl. Als Vivian erfährt, dass jemand die Tür geöffnet hat, ist sie entsetzt, fremde Blicke sind in ihre Welt eingedrungen.
Doch so sehr die literarische Vivian andere Menschen auch auf Abstand hält, bekommt man als Leser trotzdem eine gute Vorstellung davon, wie es der historischen Vivian Maier gelingen konnte, im fotografischen Augenblick ihrem Gegenüber auf schon fast unverschämte Art und Weise nahe zu kommen. Bleib so, bleib so, scheint sie zu flüstern und macht etwas sichtbar im Spiel aus Schatten und Licht, das sonst unbeachtet bliebe. Auch den Blick der zu betreuenden Kinder, die sie in die Viertel der Armen und auf den Schlachthof mitnimmt, schärft Vivian. „Man sieht so einiges, bis einem die Augen aus dem Kopf fallen“, erklärt sie der unbedarften Ellen schonungslos.
Das mag rüde klingen, aber trotzdem würde man gerne mehr sehen, mehr hören. Doch der Erzähler lässt das nicht zu. Er unterbricht, ruft die nächste Figur auf. Vor- und Rückblicke unterbrechen die Chronologie. Ein erzählerischer Schwung stellt sich so nicht ein. Das Buch bleibt so spröde wie Hesselholdts Protagonistin.
Mit dieser sprachlich verknappten Technik schließt die Autorin an ihre bisherigen Bücher an. Schon in ihrem Debütroman „Køkkenet, gravkammeret & landskabet“ (Die Küche, die Grabkammer & die Landschaft) erwies sich Hesselholdt als Meisterin einer minimalistischen Prosa, die für die dänische Literatur der 1990er-Jahre stilbildend wurde. Auch Hesselholdts 2018 auf Deutsch erschienenes Buch „Gefährten“, das vier in Dänemark separat erschiene Bände zusammenfasst, die als die „Camilla-Bücher“ bekannt sind, besticht durch seine beiläufige Erzählweise. Während sich diese Bände der Nähe der Hauptfigur Camilla zu der Autorin wegen autobiografisch lesen lassen, erprobt Hesselholdt mit Vivian etwas Neues. Sie bewegt sich weg vom populären Genre der Autofiktion hin zur Exofiktion, dem Erzählen vom Leben der anderen. Auf der viele Oktaven umfassenden Klaviatur von Fakt und Fiktion weiß Hesselholdt hier aber mindestens ebenso souverän zu spielen wie ihre literarisch um sich selbst kreisenden Kollegen Karl Ove Knausgård oder ihr Ex-Mann, Claus Beck-Nielsen, mittlerweile besser unter dem Namen Madame Nielsen bekannt.
Christina Hesselholdt: Vivian. Roman. Hanser Berlin, 2020. 208 Seiten, 21 Euro.
Was Vivian aufnimmt: ein totes
Pferd, eine gebeugte Frau, ein
Vorgarten voller Gerümpel
Als Meisterin minimalistischer
Prosa wurde Hesselholdt für die
1990er-Jahre stilbildend
Immerhin sehen kann man Vivian Maier heute noch im Spiegel ihrer Selbstporträts. In ihrem Roman „Vivian“ konstruiert Christina Hesselholdt ihre Bilder und ihre Lebensgeschichte literarisch nach.
Foto: AP/Estate Vivian Maier
Christina Hesselholdt, Jahrgang 1962, lebt in Kopenhagen. Ihre Bücher sind mehrfach preisgekrönt, 2018 erschien zum ersten Mal eines in deutscher Übersetzung: „Gefährten“.
Foto: Nadine Kunath/Hanser Verlag
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Vivian Maiers Fotografien von den Straßen New Yorks und Chicagos wurden erst nach ihrem Tod entdeckt. Man weiß deswegen
wenig über sie. Die dänische Schriftstellerin Christina Hesselholdt füllt in ihrem Roman „Vivian“ die Lücken durch Fiktion
VON SOPHIE WENNERSCHEID
Die amerikanische Straßenfotografin Vivian Maier ist eine rätselhafte Person. 1926 als Kind französisch-österreichischer Migranten in New York geboren, in Südfrankreich aufgewachsen und 1951 in die USA zurückgekehrt, verdiente sie ihren Lebensunterhalt als Kindermädchen. Auf ihren unzähligen Gängen durch das New York der 1950er- und das Chicago der 1960er-Jahre hat sie Tausende von Aufnahmen gemacht. Statt jedoch ihre Bilder in der Öffentlichkeit zu zeigen, behielt sie das Gesehene für sich. Erst nach ihrem Tod 2009, als ein Lokalhistoriker auf einer Auktion eine Kiste mit Negativen erwarb und erkannte, was er dort gekauft hatte, wurde ihr Werk bekannt. Seitdem werden Maiers Fotografien in der ganzen Welt gezeigt und gefeiert.
In dem Dokumentarfilm „Finding Vivian Maier“ (2013) versucht der Entdecker des Werks, John Maloof, dem Geheimnis dieser mysteriösen Frau auf die Spur zu kommen. Maiers Fotografien, kurze Filme mit den ihr anvertrauten Kindern, sowie Interviews mit eben diesen, nun längst Erwachsenen, bilden die Grundlage seiner werkbiografischen Annäherung. Vivian Maier kommt in diesem Film – natürlich – nicht zu Wort. Wir kennen ihren Blick auf die Welt, nicht aber, was sie über sie gedacht hat. Diese Leerstelle füllt die dänische Autorin Christina Hesselholdt mit ihrem Roman „Vivian“ (2016), den es jetzt in der Übersetzung von Ursula Allenstein auf Deutsch gibt.
In dem Roman, der dem Material des Films viel verdankt, kommt allerdings nicht nur die literarische Vivian Maier zu Wort, sondern auch eine ganze Reihe anderer historischer wie fiktiver Figuren, deren Erinnerungen und Kommentare uns wie in einem Drama als Repliken präsentiert werden. Ein Erzähler hält die Stimmencollage zusammen, von dem man erst relativ spät erfährt, dass es sich um einen Mann handelt, der selten das Haus verlässt und eine Englische Bulldogge besitzt, die gerne bei ihm im Bett liegt. Im ersten Satz des Romans stellt er sich als derjenige vor, der mit den Topfdeckeln klappert, wenn er sie anhebt, um nachzusehen, ob die Figuren „schon kochen.“ Dabei ist er weder ein Kenner noch ein Liebhaber der Fotografie. Wörter wie „Belichtungszeit, Dunkelkammer Kontaktabzug“ dürfe man aus seinem Mund nicht erwarten. Vielmehr sieht er es als seine Aufgabe, plausible Erklärungen und Beweggründe für Vivians Blick auf die Welt zu finden. Dazu ruft er etwa Vivians mit dem Leben hadernde Mutter Maria, den schizophrenen Bruder, die Fotografin Jeanne Bertrand, sowie Mr. und Mrs. Rice auf, die Vivian als Nanny für ihre Tochter Ellen eingestellt haben.
Schnell wird klar, dass es nicht Ellen ist, für die das Herz von Hesselholdts Vivian schlägt. Ihr geht es vielmehr um den Moment, in dem sie den Finger auf den Auslöser ihrer geliebten Rolleiflex legen kann. Wie sehr sie das in Anspruch nimmt, erfahren wir aus der Perspektive von Ellens Vater, Mr. Rice, der das neue Kindermädchen vom Bahnhof abgeholt hat. Verwundert beobachtet er, was Vivian aus dem fahrenden Auto heraus fotografiert: ein tot in einer Blutlache am Straßenrand liegendes Pferd, eine vom Leben gebeugte Frau in ihrem Vorgarten voller Gerümpel, eine notdürftig aus alten Türen zusammengezimmerte Unterkunft.
Mr. Rice fühlt sich beim Anblick der eifrig fotografierenden Vivian an ein „Kodak Girl“ erinnert, jenes Reklamebild der modernen Frau im ikonisch gewordenen blau-weiß gestreiften Kleid, die mit der extra leicht bedienbaren Kamera ihre glückliche Familie ablichtet. Nichts könnte zu der Gestalt Vivian Maiers weniger gut passen. Energisch weist sie diese Assoziation dann auch zurück. Nicht Kodak Girl, sondern Rolleiflex-Mensch ist sie.
Wenn man das fotografische Werk Maiers kennt, kann man die vielen im Roman erwähnten Bilder zuordnen. Was den besonderen ästhetischen Reiz der Aufnahmen ausmacht – Maiers Blick für das perfekt ins Bild gesetzte Motiv, ihr Gespür für Rhythmus und Licht und die daraus erzeugte fast haptische Bildwirkung – erschließt sich im Roman jedoch nicht.
Auch die experimentellen Selbstporträts Vivian Maiers verlieren in Hesselholdts Text an Schärfe. Dafür beginnen die Bilder zu sprechen. Hesselholdt setzt die fotografischen Momentaufnahmen in Bewegung und gibt den Menschen eine Geschichte. Sie erkundet das Leben des Kindes Vivian in ihrer dysfunktionalen Familie, die in Amerika nicht recht Fuß fasst. Und sie beleuchtet die Spannungen und Frustrationen, die in den 1960er-Jahren in der Mittelschichtsfamilie Rice herrschen.
Die Figur Vivian bleibt dem Leser aber trotz dieser Momentaufnahmen fremd. Sie erscheint als eine brüske und verschlossene Frau. Nicht zufällig ist ihr Zimmer mit einem großen Vorhängeschloss verriegelt. Zutritt strengstens verboten. Als die kleine Ellen doch einmal einen Blick hineinwagt, öffnet sich ihr der Raum einer obsessiven Sammlerin. Schmale Gänge führen durch Zeitungsstapel, die bis unter die Zimmerdecke reichen. Koffer und Schachteln mit Krimskrams und Hunderten nicht entwickelten Filmrollen türmen sich auf Bett, Schrank und Stuhl. Als Vivian erfährt, dass jemand die Tür geöffnet hat, ist sie entsetzt, fremde Blicke sind in ihre Welt eingedrungen.
Doch so sehr die literarische Vivian andere Menschen auch auf Abstand hält, bekommt man als Leser trotzdem eine gute Vorstellung davon, wie es der historischen Vivian Maier gelingen konnte, im fotografischen Augenblick ihrem Gegenüber auf schon fast unverschämte Art und Weise nahe zu kommen. Bleib so, bleib so, scheint sie zu flüstern und macht etwas sichtbar im Spiel aus Schatten und Licht, das sonst unbeachtet bliebe. Auch den Blick der zu betreuenden Kinder, die sie in die Viertel der Armen und auf den Schlachthof mitnimmt, schärft Vivian. „Man sieht so einiges, bis einem die Augen aus dem Kopf fallen“, erklärt sie der unbedarften Ellen schonungslos.
Das mag rüde klingen, aber trotzdem würde man gerne mehr sehen, mehr hören. Doch der Erzähler lässt das nicht zu. Er unterbricht, ruft die nächste Figur auf. Vor- und Rückblicke unterbrechen die Chronologie. Ein erzählerischer Schwung stellt sich so nicht ein. Das Buch bleibt so spröde wie Hesselholdts Protagonistin.
Mit dieser sprachlich verknappten Technik schließt die Autorin an ihre bisherigen Bücher an. Schon in ihrem Debütroman „Køkkenet, gravkammeret & landskabet“ (Die Küche, die Grabkammer & die Landschaft) erwies sich Hesselholdt als Meisterin einer minimalistischen Prosa, die für die dänische Literatur der 1990er-Jahre stilbildend wurde. Auch Hesselholdts 2018 auf Deutsch erschienenes Buch „Gefährten“, das vier in Dänemark separat erschiene Bände zusammenfasst, die als die „Camilla-Bücher“ bekannt sind, besticht durch seine beiläufige Erzählweise. Während sich diese Bände der Nähe der Hauptfigur Camilla zu der Autorin wegen autobiografisch lesen lassen, erprobt Hesselholdt mit Vivian etwas Neues. Sie bewegt sich weg vom populären Genre der Autofiktion hin zur Exofiktion, dem Erzählen vom Leben der anderen. Auf der viele Oktaven umfassenden Klaviatur von Fakt und Fiktion weiß Hesselholdt hier aber mindestens ebenso souverän zu spielen wie ihre literarisch um sich selbst kreisenden Kollegen Karl Ove Knausgård oder ihr Ex-Mann, Claus Beck-Nielsen, mittlerweile besser unter dem Namen Madame Nielsen bekannt.
Christina Hesselholdt: Vivian. Roman. Hanser Berlin, 2020. 208 Seiten, 21 Euro.
Was Vivian aufnimmt: ein totes
Pferd, eine gebeugte Frau, ein
Vorgarten voller Gerümpel
Als Meisterin minimalistischer
Prosa wurde Hesselholdt für die
1990er-Jahre stilbildend
Immerhin sehen kann man Vivian Maier heute noch im Spiegel ihrer Selbstporträts. In ihrem Roman „Vivian“ konstruiert Christina Hesselholdt ihre Bilder und ihre Lebensgeschichte literarisch nach.
Foto: AP/Estate Vivian Maier
Christina Hesselholdt, Jahrgang 1962, lebt in Kopenhagen. Ihre Bücher sind mehrfach preisgekrönt, 2018 erschien zum ersten Mal eines in deutscher Übersetzung: „Gefährten“.
Foto: Nadine Kunath/Hanser Verlag
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