»Doch, ich bin ein schwieriger Mensch« - die besten Gespräche aus 30 Jahren Wie geht man damit um, wenn einen eine Krankheit, ein Fehler aus der Bahn geworfen haben, wenn Erinnerungen an schlimme Zeiten oder das Bewusstsein einer Schuld, die man auf sich geladen hat, nicht vergehen wollen? Reden hilft, heißt es. Giovanni di Lorenzo hat Gespräche mit Zeitgenossen geführt, die sich an Wendepunkten ihres Lebens befinden oder endlich über alte Traumata sprechen können - und es überrascht, wie nah uns die »Prominenten« und ihre Schicksale hier kommen.»Krebs - das hat mir gerade noch gefehlt.« So spricht Helmut Dietl über den lebensbedrohlichen Befund, den er mit 69 Jahren erhalten hat - schonungslos offen und, ja, mit Humor. Monica Lierhaus spricht mit Giovanni di Lorenzo über ihren umstrittenen Fernsehauftritt bei der Goldenen Kamera, und es zeigt sich, wie sehr sie nach ihrer Hirnoperation zu kämpfen hat. Renate Lasker-Harpprecht erinnert sich in einem berührenden Gespräch, wie sie die Konzentrationslager Bergen-Belsen und Auschwitz überlebt hat - und gibt zum ersten Mal Erinnerungen preis, die sie nicht einmal ihrem Mann erzählt hat. Im Gespräch mit dem jüngsten Wimbledon-Sieger aller Zeiten wird deutlich, wie schwer es ist, Boris Becker zu sein. Und in allen Gesprächen, die Giovanni di Lorenzo mit Behutsamkeit und Takt, mit geduldigem, aber entschiedenem Nachfassen geführt hat und in diesem Band mit eigenen Erinnerungen versieht, erweist sich: Wir müssen reden.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Endlos staunend geht Nils Minkmar aus der Lektüre der in diesem Band versammelten Gespräche aus drei Jahrzehnten hervor, die der Journalist Giovanni di Lorenzo mit Personen des öffentlichen Lebens geführt hat. Was Helmut Dietl, Margot Käßmann, Karl-Theodor zu Guttenberg, Boris Becker u.a. so offenbaren, ist für Minkmar ein zeithistorischer Roman der jüngeren Vergangenheit. Schonungslos, da di Lorenzo sich nicht anbiedert, wie Minkmar versichert, sondern kühl die Auf- und Abbewegungen des Schicksals und des Ruhms registriert. Richtig interessant werden die Gespräche für den Rezensenten aber erst durch die für ihn spürbare intensive Vorbereitung und die philosophische, sich mit jedem Gesprächspartner jeweils neu formierende Haltung des Autors, die der Rezensent nachvollziehen kann. Gefühlsmäßig löst die Lektüre beim Rezensenten mal Rührung, mal Bestürzung aus angesichts der hier protokollierten menschlichen Erfahrungen mit dem vergangenen Jahrhundert. Fazit Minkmars: nicht ermüdend, nicht entmutigend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.2014Kaviar auf der Autobahn
Giovanni di Lorenzo hat in einem Buch Interviews aus drei Jahrzehnten zusammengestellt. "Vom Aufstieg und anderen Niederlagen" liest sich wie ein beklemmender, existentialistischer Roman.
Eine bundesdeutsche Autobahn der späten siebziger oder frühen achtziger Jahre. Ein Fahrer steuert einen schweren Mercedes von Frankfurt nach Ludwigshafen. Passagiere hat er keine, seine einzige Fracht sind eine Dose Kaviar und ein knappes Begleitschreiben. Es ist eine Aufmerksamkeit von Eberhard von Brauchitsch für Hannelore Kohl. Eigentlich war es ein Trostversuch des einstigen Flick-Managers: Helmut Kohl hatte vom Ehepaar von Brauchitsch schon einmal so eine Dose erhalten mit der Empfehlung, sie mit der Ehefrau zu öffnen. Die hatte davon aber nichts gesehen, Helmut hatte die Dose in seiner Bonner Wohnung allein geleert. Nun schickten die Brauchitschs ihr also eine zweite Dose, einen eigenen Kaviar, und fertigten, Ordnung muss sein, darüber einen Aktenvermerk. In einem Gespräch mit Giovanni di Lorenzo breiteten sie diese Geschichte dann noch einmal aus, mitsamt dem Hinweis, dass der Vermerk nur deswegen noch in den Akten war, weil Frau Kohl vergessen hatte, sich schriftlich zu bedanken, denn für gewöhnlich würden solche Vorgänge nach Eintreffen eines Dankschreibens geschlossen und vernichtet.
Unter den vielen anrührenden oder erschütternden Szenen, die in dem Interviewband "Vom Aufstieg und anderen Niederlagen" (Kiepenheuer & Witsch, 18,99 Euro) erzählt werden, bleibt der alleinreisende Kaviar besonders im Sinn. Vielleicht weil man, auch gerade in den vergangenen Wochen wieder, so viel über das oft einsame Leben von Hannelore Kohl in diesem Haus lesen konnte? Ist es die Trostlosigkeit dieses Trostversuchs? Oder diese leichte Gemeinheit, das Detail des unterstellten Undanks?
Diese Gespräche aus drei Jahrzehnten lesen sich wie ein schonungsloser, amplitudenreicher Roman der jüngeren Vergangenheit. Es gibt ja viele klassische Briefromane, und dies ist eben ein zeithistorischer Gesprächsroman. Sein Protagonist ist ein Journalist, den wir in vielen Facetten kennenlernen: mal eingeschüchtert, mal begeistert, aber auch listenreich oder fehlgeleitet. In diese letzte Kategorie ordnet di Lorenzo selbst sein Gespräch mit Karl-Theodor zu Guttenberg ein. Die Entscheidung, mit Guttenberg gemeinsam ein Buch im Herder-Verlag zu veröffentlichen, bezeichnet er als "eine gravierende Fehlentscheidung, die ich gerne rückgängig gemacht hätte". Wenn man die im Buch versammelten Auszüge aus der dreitägigen Session liest, kann man heute, mit einigem zeitlichen Abstand zu den Ereignissen, detaillierter studieren, was eigentlich genau passierte in diesem Londoner Hotelzimmer: Guttenberg wertet schon jene Fragen, die ihn einladen, gewissermaßen das bürgerliche Mindestmaß an Einsicht und Selbstkritik zu äußern, als Affront. Nun gerät das Interview zum intensiven Kammerspiel, das man sich eines Tages auch auf einer Bühne vorstellen kann. Guttenberg vertraut auf jene Taktik, die ihn in der Politik bis ganz nach oben gebracht hat, nämlich aus einer erhabenen Warte so zu formulieren, dass die flüchtigen Zuhörer den Eindruck gewinnen könnten, er habe da eben etwas sehr Mutiges und Treffendes gesagt. In der Aufarbeitung solch eines Plagiats kommt es aber auf Präzision an. Die verweigert Guttenberg. Stattdessen nutzt er zwei weitere taktische Mittel, die im parlamentarischen Alltag erprobt sind: Gegner, etwa den Bamberger Juraprofessor Oliver Lepsius, zu diskreditieren und für sich selbst Mitleid zu erwecken, hier insbesondere im Namen seiner Kinder. Damit hat er für diese Situation aber die völlig falschen Mittel gewählt, und so wurde es für ihn zum Fiasko. Der Journalist sah sich dennoch mit dem Vorwurf konfrontiert, "so einem ein Forum" geboten zu haben, die Leser und viele Kollegen kritisierten eine allzu große Nähe und das gemeinsame Unternehmen einer Buchpublikation. Aber ist es der Wahrheitsfindung wirklich dienlich, wenn man Leuten, die man mehr oder weniger kritisch beurteilt, keine Fragen stellt, nicht nachhakt, sondern immer empört den Raum verlässt, wenn sie eintreten? Man darf sich in di Lorenzo nicht täuschen: Der zivile Umgangston und das große Interesse an den Personen gründen nicht auf Einverständnis und erzeugen keine Freundschaft. Man hat nach der Lektüre der Interviews im Gegenteil den Eindruck einer gewissen Kühle, mit der die Auf- und Abschwünge des Schicksals, das Aufkommen und Verblassen des Ruhms oder persönliche Katastrophen protokolliert werden. Sie ist nicht zuletzt das Resultat der außergewöhnlich langen und intensiven Vorbereitung auf diese Gespräche, aber nicht zu erklären ohne eine vom Katholizismus inspirierte, dann aber wieder säkular und rational reflektierte philosophische Haltung. Sie ist aber nicht explizit und starr, sondern formt sich in solchen Begegnungen heraus, und der Leser macht bei dieser Übung mit.
Warum werden manche Personen des öffentlichen Lebens über Jahre so innig beobachtet, verehrt und geradezu obsessiv ausgedeutet, dann wieder komplett vergessen? Das letzte Gespräch mit der Grünen-Politikerin Petra Kelly kann man unter dieser Fragestellung lesen, auch das mit Boris Becker. Und als Journalist liest man nicht ohne Rührung, welche Ehrfurcht, welche Nervosität und hektische Betriebsamkeit die bloße Aussicht auf ein Gespräch mit Rudolf Augstein einst auszulösen vermochte. Wie ist es möglich, dass sich Personen in solchen ausführlichen Gesprächen als viel interessanter erweisen als ihre öffentlichen Persona oder gar ihre mit großem Aufwand realisierten Werke? Nach der Lektüre der Interviews mit Helmut Dietl und Margot Käßmann kann man sich das hier fragen. Jede und jeder wird mit der gleichen Intensität befragt, die Quelle der Popularität und der Prominenz ist nahezu zweitrangig, es geht um die menschliche Erfahrung und die Conditio humana, so findet sich Monica Lierhaus neben Helmut Schmidt.
Man folgt den Dialogen in die tiefsten Momente des vergangenen Jahrhunderts, wenn Renate Lasker-Harpprecht oder Armin Mueller-Stahl in schonungsloser Klarheit von irrsinnigen Verbrechen Zeugnis ablegen und gerade durch diese Berichte, ihre lebhafte Sprache und auch im weiteren Gespräch ihre Bejahung des Lebens manifestieren. Wenige Helden, einige Schurken, flüchtige Schönheit und ab und an der Trost des Humors - die Summe des Buches ist existentialistisch, aber die Lektüre ermüdet nicht, entmutigt nicht. Die Neugierde ist geweckt, man möchte dann noch viele derartiger Gespräche lesen, denn das Staunen hört nicht auf.
NILS MINKMAR
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Giovanni di Lorenzo hat in einem Buch Interviews aus drei Jahrzehnten zusammengestellt. "Vom Aufstieg und anderen Niederlagen" liest sich wie ein beklemmender, existentialistischer Roman.
Eine bundesdeutsche Autobahn der späten siebziger oder frühen achtziger Jahre. Ein Fahrer steuert einen schweren Mercedes von Frankfurt nach Ludwigshafen. Passagiere hat er keine, seine einzige Fracht sind eine Dose Kaviar und ein knappes Begleitschreiben. Es ist eine Aufmerksamkeit von Eberhard von Brauchitsch für Hannelore Kohl. Eigentlich war es ein Trostversuch des einstigen Flick-Managers: Helmut Kohl hatte vom Ehepaar von Brauchitsch schon einmal so eine Dose erhalten mit der Empfehlung, sie mit der Ehefrau zu öffnen. Die hatte davon aber nichts gesehen, Helmut hatte die Dose in seiner Bonner Wohnung allein geleert. Nun schickten die Brauchitschs ihr also eine zweite Dose, einen eigenen Kaviar, und fertigten, Ordnung muss sein, darüber einen Aktenvermerk. In einem Gespräch mit Giovanni di Lorenzo breiteten sie diese Geschichte dann noch einmal aus, mitsamt dem Hinweis, dass der Vermerk nur deswegen noch in den Akten war, weil Frau Kohl vergessen hatte, sich schriftlich zu bedanken, denn für gewöhnlich würden solche Vorgänge nach Eintreffen eines Dankschreibens geschlossen und vernichtet.
Unter den vielen anrührenden oder erschütternden Szenen, die in dem Interviewband "Vom Aufstieg und anderen Niederlagen" (Kiepenheuer & Witsch, 18,99 Euro) erzählt werden, bleibt der alleinreisende Kaviar besonders im Sinn. Vielleicht weil man, auch gerade in den vergangenen Wochen wieder, so viel über das oft einsame Leben von Hannelore Kohl in diesem Haus lesen konnte? Ist es die Trostlosigkeit dieses Trostversuchs? Oder diese leichte Gemeinheit, das Detail des unterstellten Undanks?
Diese Gespräche aus drei Jahrzehnten lesen sich wie ein schonungsloser, amplitudenreicher Roman der jüngeren Vergangenheit. Es gibt ja viele klassische Briefromane, und dies ist eben ein zeithistorischer Gesprächsroman. Sein Protagonist ist ein Journalist, den wir in vielen Facetten kennenlernen: mal eingeschüchtert, mal begeistert, aber auch listenreich oder fehlgeleitet. In diese letzte Kategorie ordnet di Lorenzo selbst sein Gespräch mit Karl-Theodor zu Guttenberg ein. Die Entscheidung, mit Guttenberg gemeinsam ein Buch im Herder-Verlag zu veröffentlichen, bezeichnet er als "eine gravierende Fehlentscheidung, die ich gerne rückgängig gemacht hätte". Wenn man die im Buch versammelten Auszüge aus der dreitägigen Session liest, kann man heute, mit einigem zeitlichen Abstand zu den Ereignissen, detaillierter studieren, was eigentlich genau passierte in diesem Londoner Hotelzimmer: Guttenberg wertet schon jene Fragen, die ihn einladen, gewissermaßen das bürgerliche Mindestmaß an Einsicht und Selbstkritik zu äußern, als Affront. Nun gerät das Interview zum intensiven Kammerspiel, das man sich eines Tages auch auf einer Bühne vorstellen kann. Guttenberg vertraut auf jene Taktik, die ihn in der Politik bis ganz nach oben gebracht hat, nämlich aus einer erhabenen Warte so zu formulieren, dass die flüchtigen Zuhörer den Eindruck gewinnen könnten, er habe da eben etwas sehr Mutiges und Treffendes gesagt. In der Aufarbeitung solch eines Plagiats kommt es aber auf Präzision an. Die verweigert Guttenberg. Stattdessen nutzt er zwei weitere taktische Mittel, die im parlamentarischen Alltag erprobt sind: Gegner, etwa den Bamberger Juraprofessor Oliver Lepsius, zu diskreditieren und für sich selbst Mitleid zu erwecken, hier insbesondere im Namen seiner Kinder. Damit hat er für diese Situation aber die völlig falschen Mittel gewählt, und so wurde es für ihn zum Fiasko. Der Journalist sah sich dennoch mit dem Vorwurf konfrontiert, "so einem ein Forum" geboten zu haben, die Leser und viele Kollegen kritisierten eine allzu große Nähe und das gemeinsame Unternehmen einer Buchpublikation. Aber ist es der Wahrheitsfindung wirklich dienlich, wenn man Leuten, die man mehr oder weniger kritisch beurteilt, keine Fragen stellt, nicht nachhakt, sondern immer empört den Raum verlässt, wenn sie eintreten? Man darf sich in di Lorenzo nicht täuschen: Der zivile Umgangston und das große Interesse an den Personen gründen nicht auf Einverständnis und erzeugen keine Freundschaft. Man hat nach der Lektüre der Interviews im Gegenteil den Eindruck einer gewissen Kühle, mit der die Auf- und Abschwünge des Schicksals, das Aufkommen und Verblassen des Ruhms oder persönliche Katastrophen protokolliert werden. Sie ist nicht zuletzt das Resultat der außergewöhnlich langen und intensiven Vorbereitung auf diese Gespräche, aber nicht zu erklären ohne eine vom Katholizismus inspirierte, dann aber wieder säkular und rational reflektierte philosophische Haltung. Sie ist aber nicht explizit und starr, sondern formt sich in solchen Begegnungen heraus, und der Leser macht bei dieser Übung mit.
Warum werden manche Personen des öffentlichen Lebens über Jahre so innig beobachtet, verehrt und geradezu obsessiv ausgedeutet, dann wieder komplett vergessen? Das letzte Gespräch mit der Grünen-Politikerin Petra Kelly kann man unter dieser Fragestellung lesen, auch das mit Boris Becker. Und als Journalist liest man nicht ohne Rührung, welche Ehrfurcht, welche Nervosität und hektische Betriebsamkeit die bloße Aussicht auf ein Gespräch mit Rudolf Augstein einst auszulösen vermochte. Wie ist es möglich, dass sich Personen in solchen ausführlichen Gesprächen als viel interessanter erweisen als ihre öffentlichen Persona oder gar ihre mit großem Aufwand realisierten Werke? Nach der Lektüre der Interviews mit Helmut Dietl und Margot Käßmann kann man sich das hier fragen. Jede und jeder wird mit der gleichen Intensität befragt, die Quelle der Popularität und der Prominenz ist nahezu zweitrangig, es geht um die menschliche Erfahrung und die Conditio humana, so findet sich Monica Lierhaus neben Helmut Schmidt.
Man folgt den Dialogen in die tiefsten Momente des vergangenen Jahrhunderts, wenn Renate Lasker-Harpprecht oder Armin Mueller-Stahl in schonungsloser Klarheit von irrsinnigen Verbrechen Zeugnis ablegen und gerade durch diese Berichte, ihre lebhafte Sprache und auch im weiteren Gespräch ihre Bejahung des Lebens manifestieren. Wenige Helden, einige Schurken, flüchtige Schönheit und ab und an der Trost des Humors - die Summe des Buches ist existentialistisch, aber die Lektüre ermüdet nicht, entmutigt nicht. Die Neugierde ist geweckt, man möchte dann noch viele derartiger Gespräche lesen, denn das Staunen hört nicht auf.
NILS MINKMAR
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Wenige Helden, einige Schurken [...] und ab und an der Trost des Humors - die Summe des Buches ist existentialistisch, aber die Lektüre ermüdet nicht, entmutigt nicht.« FAZ 20141023