Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Abrechnung mit Schulreformen
Wie wenige andere weist der Frankfurter Biologie-Didaktiker Hans Peter Klein seit Jahren auf die Wunden hin, die der Zeitgeist dem deutschen Bildungswesen geschlagen hat. Mit einer ausgesprochen konservativen, an Sturköpfigkeit grenzenden Beharrlichkeit kämpft er gegen eine Phalanx aus Pisa- und Bertelsmann-Forschern, pädagogischen Glaubenskämpfern, ökonomisch getriebenen Reformern und willfährigen Politikern. Dieser Eigensinn hat wohl auch damit zu tun, dass Klein anders als mancher, der sonst über Schule und Bildung Bescheid zu wissen glaubt, die meiste Zeit seines Berufslebens tatsächlich im Klassenzimmer verbracht hat: Von 1977 bis 2001 unterrichtete er Gymnasiasten, dann wechselte er auf den Lehrstuhl für Didaktik der Biowissenschaften an der Goethe-Universität.
In seinem jetzt erschienenen Buch "Vom Streifenhörnchen zum Nadelstreifen" will Klein entlarven, was sich hinter vermeintlichen bildungspolitischen Errungenschaften der vergangenen Jahre - etwa inflationär verbesserten Abiturnoten - nach seiner Meinung verbirgt: die Absenkung von Anforderungen, also der Verlust von Qualität zugunsten der Quantität.
Klein formuliert pointiert, teils sarkastisch zugespitzt, aber er unterfüttert seine Angriffe mit vielen Beispielen aus dem Alltag von Schule und Kultusbürokratie. Etwa mit dem inzwischen schon fast klassischen Fall einer Klausur aus dem nordrhein-westfälischen Zentralabitur, in der es um die nun Kleins Buch den Titel gebenden Streifenhörnchen ging. Um die Aufgabe mit Bravour zu lösen, hatten die Prüflinge kaum mehr zu tun, als den offenkundigen Zusammenhang zwischen vielen Eicheln - also Nahrung - und einer wachsenden Hörnchenpopulation zu verbalisieren.
Kaum eine schulpolitische Phrase, die Klein nicht aufspießt - von der Kompetenzorientierung über die Binnendifferenzierung bis zur Bildungsgerechtigkeit. Nach einem Ausflug in die Vereinigten Staaten und einer kritischen Betrachtung des dortigen Bildungssystems inklusive der Auswirkungen des "No child left behind"-Gesetzes schließt der Autor mit einem gar nicht mehr ironischen Appell, sich wieder auf die Kernaufgabe der Schule zu konzentrieren: die Interaktion zwischen Lehrer und Schüler zwecks Wissensvermittlung. Die Grundlagen hierfür müssen nach Meinung Kleins im Lehramtsstudium gelegt werden: Statt die bildungs- und sozialwissenschaftlichen Anteile immer weiter zu erhöhen, müsse wieder mehr Wert auf profunde fachwissenschaftliche Kenntnisse gelegt werden. Die Referendarsausbildung müsse von ideologischem Ballast befreit werden und sich wieder dem Lehrer-Handwerk widmen, etwa der souveränen Klassenführung, der Strukturierung des Unterrichts und dem Wecken von Interesse und Motivation bei den Schülern.
Die jetzt vorliegende Generalabrechnung mit den Schulreformen seit dem Pisa-Schock soll nach den Plänen Kleins nur das erste von drei Werken zur Lage der Bildung sein. In zwei folgenden Bänden will er sich mit den "Neuerungen und Absurditäten an den Hochschulen seit Bologna" befassen.
MATTHIAS TRAUTSCH
Hans Peter Klein: "Vom Streifenhörnchen zum Nadelstreifen - Das deutsche Bildungssystem im Kompetenztaumel", 328 Seiten, Verlag zu Klampen, 22 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main