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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Wie der Verteidigungsausschuss des Bundestages dabei half, die Streitkräfte fest im demokratischen Gemeinwesen zu verankern.
Der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages gehört zu den wenigen Parlamentsausschüssen, dessen Einrichtung durch das Grundgesetz (Art. 45a) seit Einführung der wehrverfassungsrechtlichen Bestimmungen (1956) zwingend vorgeschrieben ist. Darüber hinaus hat er das ebenfalls in der Verfassung verankerte Recht, sich als Untersuchungsausschuss zu konstituieren. Aus diesen Rahmenbedingungen könnte gefolgert werden, dass es sich um ein prestigereiches und einflussreiches Gremium handele, dessen Mitgliedschaft im Bundestag besonders begehrt wurde und wird. Das ist aber allenfalls phasenweise immer der Fall. Wolfgang Geist, ehemaliger Offizier der Bundeswehr, will in seiner als geschichtswissenschaftliche Dissertationsschrift entstandenen Analyse herausfinden, welche Rolle der Verteidigungsausschuss in der Sicherheitspolitik hatte und wie sich diese Rolle veränderte. Die Arbeit folgt im Wesentlichen einer chronologischen Vorgehensweise, die die Tätigkeit des Ausschusses in mehr als sechs Jahrzehnten von den Vorläufern in den frühen 1950er-Jahren bis 2017 betrachtet.
Am Anfang der westdeutschen Sicherheitspolitik standen die westalliierten Siegermächte - und nicht Adenauer, wie Arnulf Baring meinte. Obwohl Geist das Diktum Barings übernimmt, schildert er präzise den Weg zur Wiederbewaffnung, der seit Gründung der Bundesrepublik (1949) im Zeichen des Kalten Krieges von den USA und Großbritannien vorangetrieben wurde. Für den ersten Bundeskanzler stellte die Behandlung dieser Forderung ein Instrument dar, um im Tausch gegen den Wehrbeitrag eine weitgehende Souveränität des westdeutschen Teilstaates zu erreichen. Obwohl im Bundestag nur mit knapper Mehrheit regierend, war Konrad Adenauer mit dieser Politik äußerst erfolgreich. Mit dem Deutschland-Vertrag (1954) erhielt die Bundesrepublik die "volle Macht über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten" (Art. 1) und trat 1955 der NATO bei, nachdem das Projekt einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) in der französischen Nationalversammlung gescheitert war. Eine solche Entwicklung nur knapp ein Jahrzehnt nach dem vollständigen Bankrott des NS-Terrorregimes hätte 1945 kaum jemand für denkbar gehalten.
Adenauer kam es darauf an, über den gesamten diplomatischen Prozess von Wiederbewaffnung und Gewinnung von Souveränität auf westdeutscher Seite stets die volle Kontrolle zu behalten. Eine frühzeitige Information der Bundesregierung und erst recht eine Beteiligung des Bundestages wollte er deshalb nach Möglichkeit vermeiden. An Streitkräften an sich und deren Ausgestaltung hatte der erste Bundeskanzler kein besonderes Interesse. Die Parlamentsbeteiligung musste daher aus dem Bundestag heraus durchgesetzt werden. Während sicherheitspolitische Fragen zunächst im "Ausschuss für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten" mitbehandelt wurden, erfolgte 1952 auf Drängen der SPD-Opposition die Einrichtung des "Ausschusses zur Mitberatung des EVG-Vertrages und der damit zusammenhängenden Abmachungen", dessen Vorsitz der ehrgeizige 37 Jahre alte CSU-Politiker Franz Josef Strauß übernahm. Das Gremium, nach dem Scheitern der EVG als permanenter "Ausschuss für Fragen der europäischen Sicherheit" Anfang 1953 neu konstituiert, nahm in den folgenden Jahren entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung der Wehrverfassung, auf die Struktur der neuen Bundeswehr und auf die Durchsetzung einer neuen Führungsphilosophie, der von Wolf Graf Baudissin in scharfer Abgrenzung zum Militarismus untergegangener Herrschaftsformen entworfenen "Inneren Führung". Fraktionsübergreifend waren die Ausschussmitglieder von dem Ziel geleitet, die neuen Streitkräfte fest im demokratischen Gemeinwesen zu verankern und eine Rückentwicklung zu einem politisch unzuverlässigen, rechtsextrem anfälligen "Staat im Staate" durch entsprechende institutionelle Kontrollmechanismen unbedingt zu verhindern. Dazu gehörten auch die Schaffung des Amts eines dem Bundestag zugeordneten Wehrbeauftragten und das Soldatengesetz. Diese von so unterschiedlichen Politikern wie dem seit 1953 amtierenden Ausschussvorsitzenden Richard Jaeger (CSU) und Helmut Schmidt (SPD) geprägte Gestaltungspolitik gehört zweifellos zu den größten und nachhaltigsten Leistungen des Ausschusses für europäische Sicherheit, der dann mit Inkrafttreten der Wehrverfassung (1956) auch formal zum Verteidigungsausschuss wurde.
Wolfgang Geist arbeitet heraus, mit welchen Themen sich der Ausschuss in den 16 Legislaturperioden bis 2017 befasste. Das Spektrum reicht von Skandalen bei Rüstungsbeschaffung respektive Rüstungsexporten und, immer wieder, der inneren Ausrichtung der Bundeswehr bis hin zu Grundsatzfragen der Sicherheitspolitik. Eine wichtige Rolle kam dem Ausschuss nach der Wiedervereinigung (1990) auch bei der Begleitung des Aufbaus der Bundeswehr in den neuen Bundesländern und der Integration von ehemaligen Angehörigen der Nationalen Volksarmee der DDR zu. Im Verlauf der 1990er-Jahre rückten immer stärker die Auslandseinsätze der Bundeswehr in den Vordergrund - vom Balkan bis nach Afghanistan. Mit der ersten russischen Intervention in der Ukraine (2014) kehrte die Landes- und Bündnisverteidigung als zentrale Aufgabe zurück. Wie bereits der Titel der Studie deutlich macht, verwendet der Ausschuss stets einen großen Teil seiner Arbeitszeit auf das Mikromanagement von Problemen. Auf diese Weise trägt er dem Charakter der Bundeswehr als einer Parlamentsarmee Rechnung und wirkt als "Kümmerer". Zumindest phasenweise, so Geist, kam dafür die Befassung mit Grundsatzfragen der Sicherheitspolitik zu kurz. Präzise und informativ umreißt der Autor die Agenda des Verteidigungsausschusses über die Zeit. Was der Ausschuss im politischen Entscheidungsprozess aber bewirkt hat, wo er gestalten und verhindern oder Weichen stellen konnte, bleibt leider oft unklar.
Geist benennt vier Gründe, die einer größeren Wirksamkeit - und möglicherweise auch einem höheren Prestige - des Verteidigungsausschusses entgegenstehen. Erstens konstatiert er, dass für Beratungen und Beschlüsse ganz überwiegend die Zugehörigkeit zu Regierungs- und Oppositionsfraktionen ausschlaggebend sei. Gerade im Falle des Verteidigungsausschusses bestätigt die Ausnahme, zum Beispiel bei Untersuchungen, die Regel. Zweitens weist er gut dokumentiert darauf hin, dass nach dem Ressortprinzip Sicherheitspolitik zu den Aufgaben des Auswärtigen Amtes gehöre und damit auch zur Domäne des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Dem Verteidigungsausschuss sei folglich nur eine "mitberatende" Rolle bei Themen wie Allianz- und Nuklearstrategie, Rüstungskontrolle oder Sicherheitspolitik der EU zugekommen, die dieser in unterschiedlicher Intensität genutzt habe. Drittens kritisiert Geist den zeitweise vernachlässigten Stellenwert der Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Bundestag und im politischen Prozess insgesamt. Und viertens diagnostiziert er die besondere Herausforderung gerade für diesen Ausschuss, an der Kontrolle einer so großen Organisation wie dem - militärischen wie zivilen - Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung effizient mitzuwirken. Das BMVg umfasst eben nicht nur eine Streitkraft, sondern ist auch eine Großbürokratie. In Kenntnis dieser Bedingungen könnte und müsste die "Zeitenwende" zu einer erheblichen Aufwertung des Ausschusses führen, gerade in Bezug auf seine Kontroll- und Initiativfunktion. MICHAEL STAACK
Wolfgang Geist: Vom Stubendienst bis Afghanistan. Der Verteidigungsausschuss in der Sicherheitspolitik der Bundesrepublik.
Campus Verlag, Frankfurt am Main/ New York 2022. 373 S., 45,- Euro.
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