Der Franzose Michel Fliecx, geboren 1924, schildert zwei Jahre in deutscher Gefangenschaft. Nach seiner Festnahme im April 1943 in Südfrankreich wegen Tätigkeit im Widerstand war er als politischer Häftling im Konzentrationslager Buchenwald, im Arbeitskommando Peenemünde und in der Raketenproduktion im Konzentrationslager Mittelbau-Dora. Im März 1944 kam Fliecx mit einem Transport von 1000 kranken Häftlingen aus Mittelbau-Dora nach Bergen-Belsen. Er war dort im "Häftlingslager", einem Männerlager für kranke Häftlinge untergebracht, wo er am 15. April 1945 die Befreiung erlebte. Fliecx schildert eindrucksvoll, wie sich die Lebensbedingungen im "Häftlingslager" nach und nach verschlechterten. Er war Augenzeuge der Mordserie des Krankenpflegers Karl Rothe und entging selbst nur knapp einer tödlichen Injektion. Mit den in Frankreich bereits 1947 veröffentlichten Erinnerungen Michel Fliecx' liegt erstmals einer der umfangreichsten und frühesten Berichte zum "Häftlingslager" Bergen-Belsen auf Deutsch vor.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2014Zeitzeuge Fliecx berichtet
Erschütterndes über Zustände in NS-Konzentrationslagern
Das drohende Aussterben der Zeitzeugen ruft derzeit vielfach die Besorgnis hervor, die Erinnerung an die Verbrechen während der NS-Herrschaft könne verblassen, wenn sie nicht mehr von lebenden Menschen vermittelt werde. Welche Kraft ein in zeitlicher Nähe zu den Ereignissen niedergeschriebener Erlebnisbericht haben kann, beweist das nun in deutscher Sprache erschienene Buch von Michel Fliecx.
Im April 1943 wurde er als junger Mann bewaffnet an der französisch-spanischen Grenze aufgegriffen. Fliecx wollte Frankreich verlassen, um sich den Kräften von General de Gaulle anzuschließen. Er schildert seinen Weg von französischen Gefängnissen über deutsche Konzentrationslager bis zu seiner Befreiung im April 1945. Schon in den französischen Sammelstellen beobachtete er, wie schnell die sozialen Hierarchien aus der Welt außerhalb bedeutungslos wurden.
Bei der Ankunft in Buchenwald schien ihm die Situation zunächst besser als in den überfüllten französischen Haftanstalten. Nach kurzem Aufenthalt wurde er nach Peenemünde transportiert, um dort bei der Fertigung der V2 mitzuarbeiten. Hierbei erlernte er seine persönliche Überlebenstechnik: schwere Arbeit meiden, sich wenn nur irgend möglich dem direkten Zugriff der Kapos oder Wachmannschaften entziehen. Selbst aus der Perspektive des Zwangsarbeiters erkannte er, dass die Produktion nach dem verheerenden britischen Luftangriff vom 17. auf den 18. August 1943 einen schweren Rückschlag erlitten hatte. Nach dem Einsatz bei Aufräumungsarbeiten wurde er in das Lager Mittelbau Dora im Harz gebracht, wo er in der Zeit des Ausbaus zur Raketenproduktionsstätte eintraf. In den Stollen entwickelten sich unter den Häftlingen von der SS kaum kontrollierte Strukturen. Der Willkür der als Kapos eingesetzten "Berufsverbrecher" waren die Häftlinge vollkommen ausgeliefert, diese wiederum von der Gunst der SS-Wachen abhängig. Pakete der Familien verbesserten ein wenig die Versorgung, vor Diebstahl gab es jedoch keinen Schutz. Einen gewissen wenn auch nur wenig belastbaren Rückhalt bildeten die nationalen Gruppen. Während dieser Ausbauphase der unterirdischen Fabriken war die Unterbringung in den Stollen improvisiert. Die hygienischen Zustände und die Arbeitsbedingungen führten zu massenhafter Erschöpfung, Erkrankung und Tod. Auch Fliecx hielt diese Belastung nicht aus und wurde in die Krankenbaracke an der Oberfläche verlegt.
Für ihn nicht nachvollziehbar, kam er zur "Erholung" mit vielen weiteren Häftlingen in einen Lagerteil von Bergen-Belsen. Dort gab es jedoch weder angemessene medizinische Versorgung noch ausreichende Verpflegung. Massenhaft wurden Insassen durch Giftspritzen getötet. Gegen Kriegsende brach die Versorgung völlig zusammen. Fliecx berichtet über Kannibalismus an Toten. Selbst im Moment der Ankunft der englischen Truppen schossen die verbliebenen SS-Wachen auf die Gefangenen. Im Jahr 1991 besuchte Fliecx die Gedenkstätte Bergen-Belsen, 2007 starb er. Sein Bericht über die Zustände in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern wird auch in schriftlicher Form künftige Generationen erschüttern.
KLAUS A. LANKHEIT
Michel Fliecx: Vom Vergehen der Hoffnung. Zwei Jahre in Buchenwald, Peenemünde, Dora, Belsen. Aus dem Französischen von Monika Gödecke. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 293 S., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erschütterndes über Zustände in NS-Konzentrationslagern
Das drohende Aussterben der Zeitzeugen ruft derzeit vielfach die Besorgnis hervor, die Erinnerung an die Verbrechen während der NS-Herrschaft könne verblassen, wenn sie nicht mehr von lebenden Menschen vermittelt werde. Welche Kraft ein in zeitlicher Nähe zu den Ereignissen niedergeschriebener Erlebnisbericht haben kann, beweist das nun in deutscher Sprache erschienene Buch von Michel Fliecx.
Im April 1943 wurde er als junger Mann bewaffnet an der französisch-spanischen Grenze aufgegriffen. Fliecx wollte Frankreich verlassen, um sich den Kräften von General de Gaulle anzuschließen. Er schildert seinen Weg von französischen Gefängnissen über deutsche Konzentrationslager bis zu seiner Befreiung im April 1945. Schon in den französischen Sammelstellen beobachtete er, wie schnell die sozialen Hierarchien aus der Welt außerhalb bedeutungslos wurden.
Bei der Ankunft in Buchenwald schien ihm die Situation zunächst besser als in den überfüllten französischen Haftanstalten. Nach kurzem Aufenthalt wurde er nach Peenemünde transportiert, um dort bei der Fertigung der V2 mitzuarbeiten. Hierbei erlernte er seine persönliche Überlebenstechnik: schwere Arbeit meiden, sich wenn nur irgend möglich dem direkten Zugriff der Kapos oder Wachmannschaften entziehen. Selbst aus der Perspektive des Zwangsarbeiters erkannte er, dass die Produktion nach dem verheerenden britischen Luftangriff vom 17. auf den 18. August 1943 einen schweren Rückschlag erlitten hatte. Nach dem Einsatz bei Aufräumungsarbeiten wurde er in das Lager Mittelbau Dora im Harz gebracht, wo er in der Zeit des Ausbaus zur Raketenproduktionsstätte eintraf. In den Stollen entwickelten sich unter den Häftlingen von der SS kaum kontrollierte Strukturen. Der Willkür der als Kapos eingesetzten "Berufsverbrecher" waren die Häftlinge vollkommen ausgeliefert, diese wiederum von der Gunst der SS-Wachen abhängig. Pakete der Familien verbesserten ein wenig die Versorgung, vor Diebstahl gab es jedoch keinen Schutz. Einen gewissen wenn auch nur wenig belastbaren Rückhalt bildeten die nationalen Gruppen. Während dieser Ausbauphase der unterirdischen Fabriken war die Unterbringung in den Stollen improvisiert. Die hygienischen Zustände und die Arbeitsbedingungen führten zu massenhafter Erschöpfung, Erkrankung und Tod. Auch Fliecx hielt diese Belastung nicht aus und wurde in die Krankenbaracke an der Oberfläche verlegt.
Für ihn nicht nachvollziehbar, kam er zur "Erholung" mit vielen weiteren Häftlingen in einen Lagerteil von Bergen-Belsen. Dort gab es jedoch weder angemessene medizinische Versorgung noch ausreichende Verpflegung. Massenhaft wurden Insassen durch Giftspritzen getötet. Gegen Kriegsende brach die Versorgung völlig zusammen. Fliecx berichtet über Kannibalismus an Toten. Selbst im Moment der Ankunft der englischen Truppen schossen die verbliebenen SS-Wachen auf die Gefangenen. Im Jahr 1991 besuchte Fliecx die Gedenkstätte Bergen-Belsen, 2007 starb er. Sein Bericht über die Zustände in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern wird auch in schriftlicher Form künftige Generationen erschüttern.
KLAUS A. LANKHEIT
Michel Fliecx: Vom Vergehen der Hoffnung. Zwei Jahre in Buchenwald, Peenemünde, Dora, Belsen. Aus dem Französischen von Monika Gödecke. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 293 S., 19,90 [Euro].
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»wird künftige Generationen erschüttern« (Klaus A. Lankheit, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.03.2014)