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Der Klimawandel ist nur ein Teil der Umweltkrise unserer Zeit: Friederike Bauer und Katrin Böhning-Gaese erinnern an die Bedeutung der Biodiversität
Über dem Klimawandel, der ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt ist, auch weil Dürren und andere Extremereignisse häufiger werden, wird die zweite große Umweltkrise unserer Zeit immer noch vernachlässigt. Es geht um die Biodiversität. Der Verlust nicht nur an Arten, sondern auch an ganzen Ökosystemen und an jener genetischen Vielfalt, die für unsere Ernährung und Medizin wichtig ist, gilt in Entscheiderkreisen als ein "Orchideenthema". Das ändert sich aber langsam. Und für alle, die einen schnellen Einstieg in das Thema Biodiversität suchen, eignet sich das Buch "Vom Verschwinden der Arten" der Biologin Katrin Böhning-Gaese und der Journalistin Friederike Bauer gut für einen Überblick.
Das Buch beginnt mit einem aktuellen Bezugspunkt: "Im Dezember 2022 fand ein erfreulich beachteter und erfolgreicher Weltnaturgipfel in Montreal statt", berichten die Autorinnen. Dort habe sich die Staatengemeinschaft ein ambitioniertes Programm für die kommenden Jahre mit dem Ziel verordnet, bis zur Mitte des Jahrhunderts wieder im Einklang mit der Natur zu leben.
Doch weder das Bewusstsein für die Bedeutung des Themas noch der Druck aus der Bevölkerung, etwas zu tun, seien bisher groß genug. Hier sehen die Autorinnen ihre Mission. Denn dass "Klimapolitik" ein stehender Begriff ist, aber "Biodiversitätspolitik" exotisch klingt, will ihnen nicht einleuchten: "Der Klimawandel entscheidet darüber, wie wir leben (...), der Artenschwund entscheidet darüber, ob wir leben." Eine steile These - die aber bei näherem Hinsehen haltbar ist.
Denn die Vielfalt der Gene, Arten und Ökosysteme, erfährt der Leser, liegt allem zugrunde, was unser Leben ermöglicht - sauberem Trinkwasser, ausreichend Nahrung, Medikamenten und über die Erholung in der Natur auch dem seelischen Wohlbefinden. "Landschaften schaffen Gefühle von Zugehörigkeit, des Verwurzeltseins, der Verbundenheit", schreiben die Autorinnen fast beschwörend. Ob das in Zeiten großer Mobilität, omnipräsenter Bildschirme und austauschbarer Urlaubskulissen noch stimmt, wäre eine ausführlichere Betrachtung wert.
Wo die Biodiversität stark geschädigt wird, etwa bei der Abholzung von Regenwäldern oder der Übernutzung von Ackerböden, wird es gefährlich. Die Abholzung erleichtert es gefährlichen Krankheitserregern, ihren Weg in Großstädte zu finden, und ausgelaugte Böden sind weniger fruchtbar. Als "Maschinenraum der Natur" beschreiben Böhning-Gaese und Bauer die Biodiversität und bedienen damit die Sichtweise, dass die Biosphäre eine Art Dienstleistungsunternehmen für die Menschheit ist und als solche optimiert werden kann.
Der große Vorteil des Klimathemas in der öffentlichen Wahrnehmung liegt sicherlich darin, dass es sich hauptsächlich auf ein Gas - Kohlendioxid - reduzieren lässt, was die Sache einfacher macht. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat kürzlich von den übersichtlichen Excel-Tabellen gesprochen, in denen seine Fachleute die CO2-Emissionen erfassen. Das ist bei der Biodiversität anders. Hier gibt es eine nahezu endlose Zahl von Akteuren - sowohl auf der menschlichen Seite als auch im Reich der Tiere, Pflanzen und Pilze - sowie eine endlose Zahl von Faktoren, von Überdüngung über Pestiziden und invasive Arten bis zu Plastikverschmutzung und banalen Dingen wie dem Torfverbrauch für Gärten.
Den Schwerpunkt legen die Autorinnen auf die Landwirtschaft, weil sie allen Analysen zufolge der wichtigste Treiber des Artenschwundes ist und sich an ihr zugleich am schnellsten etwas ändern ließe: Bauern könnten für den Naturschutz bezahlt werden, Konsumenten ihren Fleischkonsum mäßigen und Lebensmittelketten die Verschwendung reduzieren. Einen Gegensatz von Naturschutz und Ernährungssicherheit zu konstruieren, halten Böhning-Gaese und Bauer für falsch. Biodiversität sei, im Gegenteil, die Voraussetzung für eine sichere Ernährung.
Inzwischen gibt es Hinweise, dass der öffentliche Umgang mit Biodiversität eine ähnliche Entwicklung durchläuft wie beim Klima. Neuerdings fangen zum Beispiel Banken und Großkonzerne an, sich darum zu sorgen, welche Auswirkungen ihre Geschäfte auf die Vielfalt der Natur haben werden. Frank Elderson, Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank, warnte kürzlich die Spitzenmanager der Wirtschaft davor, das Thema noch länger zu ignorieren: "Je mehr Arten aussterben, desto weniger vielfältig sind die Ökosysteme, auf die wir angewiesen sind", schrieb der Ökonom, "und dies stellt ein wachsendes finanzielles Risiko dar, das nicht ignoriert werden kann." Womöglich ist das die Sprache, die am besten verstanden wird.
Nachdem sie die wichtigsten Strategien zum Erhalt der Biodiversität umrissen haben, bieten die Autorinnen am Ende eine Art Checkliste mit Maßnahmen, die Politik, Wirtschaft und Bevölkerung ergreifen können. Das Buch hat trotz seines umfangreichen Quellenverzeichnisses den Anspruch, anhand recherchierten Materials einen schnellen Überblick zu bieten. Weder lässt Böhning-Gaese den Leser an ihren persönlichen Erlebnissen und Erkenntnissen als Biodiversitätsforscherin am Senckenberg-Museum teilhaben, noch werden tiefere kulturelle, politische und ökonomische Probleme analysiert. Als Einstieg für Leser, die kurz und knapp erfahren wollen, was hinter dem Wort "Biodiversität" steckt, ist "Vom Verschwinden der Arten" gut geeignet. CHRISTIAN SCHWÄGERL
Friederike Bauer und Katrin Böhning-Gaese: "Vom Verschwinden der Arten". Der Kampf um die Zukunft der Menschheit.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2023. 256 S., geb., 22,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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