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Bierernste Ironie: Matthias Polityckis vermischte Wortmeldungen
Als François Lyotard in den achtziger Jahren den Tod des Intellektuellen diagnostizierte, ließ er offen, ob es die Option einer Auferstehung gebe. Das hat viele, die sich für dieses Rollenfach interessierten, nachhaltig verunsichert. Was Lyotard allerdings klar zu verstehen gegeben hatte, betraf die Unmöglichkeit, sich als engagierter Literat noch auf ideologische Programme berufen zu können: Die traditionelle Figur des Mahners und Propheten war problematisch geworden in einem Umfeld, in dem der Pluralismus den Sinn für die Komplexität und Relativität gesellschaftlicher Angelegenheiten geschärft hatte und linke Legitimationsutopien an Attraktivität verloren. Einen Ausweg aus der Krise kritischen Schreibens wies nur eine Haltung, die mit den Grenzen absoluter Erkenntnis ihr subversives Spiel treibt: die Ironie.
Matthias Politycki, laut Verlagswerbung einer der meistdiskutierten Autoren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, erklärt die Ironie zum "Weltkulturerbe". Der dreiseitige Essay, in dem er sich zu dessen Sprecher erklärt, findet sich ziemlich genau in der Mitte eines Sammelbandes seiner publizistischen Einlassungen der letzten zehn Jahre. Er skizziert folgende Ideengeschichte: Die Nachkriegsliteratur war pathetisch und erlebte den Gipfel der Humorlosigkeit um 1968. Dann aber kam eine, seine, Generation, die sich als "78er" bezeichnete und aus Protest die "Ironie als achselzuckende Generalverweigerung" pflegte; das ging so lange gut, bis sich ihre "Spottbereitschaft" zum "Terror des Uneigentlichen" entwickelt habe, meint Politycki und denkt dabei an Harald Schmidt. Dass seit kurzem angeblich wieder eine neuerliche Gegenbewegung zurück zu Ernsthaftigkeit und Pathos zu registrieren sei, kann er gut nachvollziehen, findet es aber auch irgendwie etwas schade, wo doch die "Heiterkeit der 78er" den deutschen "Nationalcharakter aufgehellt" und deutsche Schriftsteller zu Virtuosen der Leichtigkeit gemacht habe.
Der Essay greift ein früheres Bekenntnis zur Ironie auf, das Politycki als Reaktion auf den 11. September 2001 formuliert hatte, als einige Popliteraten verlautbaren ließen, im Angesicht des Terrorismus müsse es mit der Ironie ein Ende haben. Diese Kommentierung und Überprüfung eigener Notate aus der Vergangenheit unter dem Stichwort "revisited" ist das eine besondere Merkmal dieser Textsammlung; das andere ist die fortlaufende Glossierung durch erläuternde Fußnoten, die auf Ereignisse oder Stimmungen aus der Entstehungszeit eingehen.
Ob es sich um poetologische Manifeste wie den "Relevanten Realismus" handelt ("wir sehnen uns nach nichts mehr als nach Büchern, die uns ergreifen" - wohl wahr!), um Gedanken über den Zustand der Demokratie ("wir sind fällig für eine elitäre Herrschaft der Besten"), um Sorgen über die Bedrohung der deutschen Sprache durch Anglizismen oder schlichtweg um Reiseimpressionen: Alles ist kritisch ediert, als seien Handschriften aus dem Mittelalter wiederentdeckt worden. Daraus ergibt sich ein grotesker Kontrast zwischen der luftigen Unbestimmtheit der Essays und der philologischen Akribie ihrer Präsentation, zwischen der Banalität ihrer Gegenstände und ihrer angestrengten Aufwertung. Wenn auch das wiederum Ironie sein soll, dann lernt man hier, dass sie mitunter bierernst sein kann. Die Crux der postintellektuellen "78er", als deren Frontmann sich Politycki immer wieder bewirbt, scheint darin zu liegen, dass sie Selbstbewusstsein mit Selbstbezüglichkeit verwechseln.
ROMAN LUCKSCHEITER
Matthias Politycki: "Vom Verschwinden der Dinge in der Zukunft". Bestimmte Artikel. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2007. 253 S., geb., 25,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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