zeilenPunkt-Weltliteratur! eBooks, die nie in Vergessenheit geraten sollten. Die junge, schöne Scarlett O'Hara, Tochter eines reichen Plantagenbesitzers, verliebt sich unsterblich in den Soldaten Ashley. Als der jedoch ihre Cousine Melanie heiratet, bricht für Scarlett eine Welt zusammen. Dann lernt sie den draufgängerischen Rhett Butler kennen, der sie fasziniert. Doch es fällt ihr schwer, seine Liebe zu erwidern. Mit dem Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkrieges gerät ihr Leben in ein ständiges Auf und Ab. Doch in der Liebe ist ihr kein dauerhaftes Glück vergönnt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.06.2008DAS HÖRBUCH
Schneller schlägt das Herz
Ulrich Noethen liest Margaret Mitchells „Vom Winde verweht”
Natürlich ist alles richtig, was gegen diesen Roman vorgebracht wurde. Die Heldin mit ihren smaragdfeurigen Augen und der schlankesten Taille der Provinz ist einfach zu schön, zu prinzesschenhaft, zu impulsiv. Der Held ist einfach zu dunkel und unwiderstehlich, wie überhaupt alle Charaktere allzu bunt und kontrastiv überzeichnet sind. Und natürlich verklärt dieses Buch wehmütig die alten Südstaaten, führt schwarze Sklaven als Kindsköpfe oder treue Haustiere vor. Auch mit literarischer Modernität ist es nicht weit her, doch dafür wusste die Autorin, wie man Spannung aufbaut, wie man nah an den Figuren entlangschreibt. Hier schlägt das Herz schneller, rauscht das Blut heißer, glüht der Hass tiefer als im echten Leben. Zweifellos handelt es sich bei Margaret Mitchells mit dem Pulitzerpreis gekrönten Roman „Vom Winde verweht” (1936) um einen Schmöker, um „Pubertätslektüre für junge und ältere Mädchen”, deren Inhalt nicht nacherzählt werden muss.
Und trotzdem hat es nicht nur mit Unterhaltsamkeit und nicht nur mit Ulrich Noethens Lesekünsten zu tun, dass die 43 Stunden lange, komplette Lesung des Romans schnell auch den fesselt, der den Film nicht auswendig kennt. Es gibt in diesem Buch nämlich Haken und Härten, die nicht zum Kitschklischee passen wollen. Mitchell macht bei aller Sympathie aus dem Zustand der Südstaatengesellschaft keinen Hehl. Eitle, verblendete Menschen zeigt sie, deren feudales System keinen Bestand haben kann, deren Eliten vor blinder Kriegslust übersehen, wie abhängig sie von der Industrie der Nordstaaten sind, die ihre Baumwolle doch verarbeitet.
Der Sezessionskrieg, mit dem die Handlung 1861 beginnt, bildet den Horizont dieses Liebesromans. Dessen eigentliche Gefechtslinie verläuft als scharfer Riss zwischen dem oder der Einzelnen und den sozialen Konventionen: Den Schwärmereien verliebter junger Leute stehen nüchterne Eltern gegenüber, die ihre Heiratspolitik schon mal unverblümt mit der Pferdezucht vergleichen.
Unter solch eisernen Zügeln leiden vor allem die Frauen, und nie schreibt Mitchell kritischer, als wenn es um deren Freiheit geht. So sollen junge Damen etwa auswärts nicht essen, weshalb sich Scarlett O’Hara laut Mammys Befehl vor einem Fest zu Hause vollstopfen soll, was sie nicht will (die Taille!). Diese Szene hat in der Kulturgeschichte der Bulimie ihren Platz verdient. „Die Mütter all ihrer Freundinnen”, denkt die Heldin einmal, „prägten ihren Töchtern die Notwendigkeit ein, vor der Welt schmiegsame, hilflose Geschöpfe mit sanften Rehaugen zu sein.” Dass Scarlett bald gegen solche Posen revoltieren wird, macht sie zu einer späten Schwester Emma Bovarys oder Jane Eyres.
Das zärtliche Klischee
Weniger emanzipatorisch schildert Mitchell die Schwarzen, hier herrscht das üble, und noch perfider, das zärtliche Klischee. Der alte Sklave Onkel Peter etwa ist so voll väterliche Fürsorge für seine Herrin, Scarletts Tante Pittypat, dass diese selbst „ganz in den Besitz Onkel Peters übergegangen” sei. Dessen Besitzerstolz äußert sich freilich nur in selbstloser Dienstbarkeit und hat einzig Pittypats Wohl im Auge. Hier kostümiert Mitchell die wahren Machtverhältnisse im koketten Gewand liebevoller Ironie. Man darf diese paternalistische Phantasie ekelhaft finden; bis heute prägt dieser den compassionate conservatism der amerikanischen Rechten.
Vieles in diesem Buch geht über die Genregrenzen hinaus, und sein Reiz wie seine Kraft liegen darin, dass es diese Grenzen zwar nicht hinter sich lässt, aber doch ständig umspielt und überspringt. Ob dadurch nun die lebenshungrige Scarlett O’Hara an Ende nicht doch nur ein wilder Traum für brave Mädchen ist, darüber kann man lange streiten.
Ulrich Noethen liest das Werk elegant verhalten, untertourig sozusagen. Das ist vielleicht der Ökonomie der Kräfte ge-schuldet, bekommt dem Roman aber ausgezeichnet. Hier richtig aufzudrehen, hieße Öl ins Schmalz zu gießen, und man würde eine Stimme, die sich der dramatischen Üppigkeit des Opus ganz anheimgäbe, wohl auf Dauer nicht ertragen. Dabei lässt Noethen den typenhaften Figuren ihren Jargon, beschönt auch nicht das restringierte Gestammel, das Mitchell den „Niggern” in den Mund legt. Nie aber stockt sein Erzählfluss durch zu große Identifikation mit einer Figur. Noethens klassisches Herrentimbre bleibt von gentlemanhaftem Understatement, das die Wucht der Geschehnisse und ihre Spannungsbögen nie vollends ausreizt – und sie dadurch hält, bis zuletzt.
Verständlich ist, dass der Verlag die Imposantheit dieser Lesung werbemäßig nutzen wollte. Deshalb hat man sie in eine monumentale Pralinenschachtel gepackt, in der, durch dünne Pappe ge-trennt, zwei Stapel à 17 CDs liegen. Der Verzicht auf zwei handliche MP3-CDs, auf die die Sache auch gepasst hätte, dürfte wohl dem Eindruckschinden ins-besondere bei den erhofften Käuferinnen zu verdanken sein. Die könnten freilich schnell das unvermeidliche Durcheinandergeraten der 34 schlüpfrigen CD-Hüllen recht undamenhaft verfluchen. WILHELM TRAPP
MARGARET MITCHELL: Vom Winde verweht. Gelesen von Ulrich Noethen. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2008. 34 CDs, 43 Stunden, 89,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Schneller schlägt das Herz
Ulrich Noethen liest Margaret Mitchells „Vom Winde verweht”
Natürlich ist alles richtig, was gegen diesen Roman vorgebracht wurde. Die Heldin mit ihren smaragdfeurigen Augen und der schlankesten Taille der Provinz ist einfach zu schön, zu prinzesschenhaft, zu impulsiv. Der Held ist einfach zu dunkel und unwiderstehlich, wie überhaupt alle Charaktere allzu bunt und kontrastiv überzeichnet sind. Und natürlich verklärt dieses Buch wehmütig die alten Südstaaten, führt schwarze Sklaven als Kindsköpfe oder treue Haustiere vor. Auch mit literarischer Modernität ist es nicht weit her, doch dafür wusste die Autorin, wie man Spannung aufbaut, wie man nah an den Figuren entlangschreibt. Hier schlägt das Herz schneller, rauscht das Blut heißer, glüht der Hass tiefer als im echten Leben. Zweifellos handelt es sich bei Margaret Mitchells mit dem Pulitzerpreis gekrönten Roman „Vom Winde verweht” (1936) um einen Schmöker, um „Pubertätslektüre für junge und ältere Mädchen”, deren Inhalt nicht nacherzählt werden muss.
Und trotzdem hat es nicht nur mit Unterhaltsamkeit und nicht nur mit Ulrich Noethens Lesekünsten zu tun, dass die 43 Stunden lange, komplette Lesung des Romans schnell auch den fesselt, der den Film nicht auswendig kennt. Es gibt in diesem Buch nämlich Haken und Härten, die nicht zum Kitschklischee passen wollen. Mitchell macht bei aller Sympathie aus dem Zustand der Südstaatengesellschaft keinen Hehl. Eitle, verblendete Menschen zeigt sie, deren feudales System keinen Bestand haben kann, deren Eliten vor blinder Kriegslust übersehen, wie abhängig sie von der Industrie der Nordstaaten sind, die ihre Baumwolle doch verarbeitet.
Der Sezessionskrieg, mit dem die Handlung 1861 beginnt, bildet den Horizont dieses Liebesromans. Dessen eigentliche Gefechtslinie verläuft als scharfer Riss zwischen dem oder der Einzelnen und den sozialen Konventionen: Den Schwärmereien verliebter junger Leute stehen nüchterne Eltern gegenüber, die ihre Heiratspolitik schon mal unverblümt mit der Pferdezucht vergleichen.
Unter solch eisernen Zügeln leiden vor allem die Frauen, und nie schreibt Mitchell kritischer, als wenn es um deren Freiheit geht. So sollen junge Damen etwa auswärts nicht essen, weshalb sich Scarlett O’Hara laut Mammys Befehl vor einem Fest zu Hause vollstopfen soll, was sie nicht will (die Taille!). Diese Szene hat in der Kulturgeschichte der Bulimie ihren Platz verdient. „Die Mütter all ihrer Freundinnen”, denkt die Heldin einmal, „prägten ihren Töchtern die Notwendigkeit ein, vor der Welt schmiegsame, hilflose Geschöpfe mit sanften Rehaugen zu sein.” Dass Scarlett bald gegen solche Posen revoltieren wird, macht sie zu einer späten Schwester Emma Bovarys oder Jane Eyres.
Das zärtliche Klischee
Weniger emanzipatorisch schildert Mitchell die Schwarzen, hier herrscht das üble, und noch perfider, das zärtliche Klischee. Der alte Sklave Onkel Peter etwa ist so voll väterliche Fürsorge für seine Herrin, Scarletts Tante Pittypat, dass diese selbst „ganz in den Besitz Onkel Peters übergegangen” sei. Dessen Besitzerstolz äußert sich freilich nur in selbstloser Dienstbarkeit und hat einzig Pittypats Wohl im Auge. Hier kostümiert Mitchell die wahren Machtverhältnisse im koketten Gewand liebevoller Ironie. Man darf diese paternalistische Phantasie ekelhaft finden; bis heute prägt dieser den compassionate conservatism der amerikanischen Rechten.
Vieles in diesem Buch geht über die Genregrenzen hinaus, und sein Reiz wie seine Kraft liegen darin, dass es diese Grenzen zwar nicht hinter sich lässt, aber doch ständig umspielt und überspringt. Ob dadurch nun die lebenshungrige Scarlett O’Hara an Ende nicht doch nur ein wilder Traum für brave Mädchen ist, darüber kann man lange streiten.
Ulrich Noethen liest das Werk elegant verhalten, untertourig sozusagen. Das ist vielleicht der Ökonomie der Kräfte ge-schuldet, bekommt dem Roman aber ausgezeichnet. Hier richtig aufzudrehen, hieße Öl ins Schmalz zu gießen, und man würde eine Stimme, die sich der dramatischen Üppigkeit des Opus ganz anheimgäbe, wohl auf Dauer nicht ertragen. Dabei lässt Noethen den typenhaften Figuren ihren Jargon, beschönt auch nicht das restringierte Gestammel, das Mitchell den „Niggern” in den Mund legt. Nie aber stockt sein Erzählfluss durch zu große Identifikation mit einer Figur. Noethens klassisches Herrentimbre bleibt von gentlemanhaftem Understatement, das die Wucht der Geschehnisse und ihre Spannungsbögen nie vollends ausreizt – und sie dadurch hält, bis zuletzt.
Verständlich ist, dass der Verlag die Imposantheit dieser Lesung werbemäßig nutzen wollte. Deshalb hat man sie in eine monumentale Pralinenschachtel gepackt, in der, durch dünne Pappe ge-trennt, zwei Stapel à 17 CDs liegen. Der Verzicht auf zwei handliche MP3-CDs, auf die die Sache auch gepasst hätte, dürfte wohl dem Eindruckschinden ins-besondere bei den erhofften Käuferinnen zu verdanken sein. Die könnten freilich schnell das unvermeidliche Durcheinandergeraten der 34 schlüpfrigen CD-Hüllen recht undamenhaft verfluchen. WILHELM TRAPP
MARGARET MITCHELL: Vom Winde verweht. Gelesen von Ulrich Noethen. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2008. 34 CDs, 43 Stunden, 89,95 Euro.
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