Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
1) Noelle-Neumann u.a.: "Meinungsklima und Medienwirkung im Bundestagswahlkampf 1998"
Einige interessante Erkenntnisse vermag Alexander aus dem Band des Allensbacher Instituts für Demoskopie zu gewinnen, auch wenn er nicht in allen Punkten folgen will. Alexander lobt zunächst das "instruktive" Kapitel zur Einführung in die Methoden, dann schildert er, wie indem Band die Wahlkämpfe von SPD und CDU analysiert werden und kommt zu dem Schluss, dass die SPD ihre Kampagne moderner und effizienter organisierte - nämlich mit einer von der Parteizentrale unabhängigen Kampagnenzentrale, die eine strenge Leitlinie vorgab und geschickte Slogans wählte, während die CDU nach Alexander in dem Buch als zerfahren und kraftlos erscheint. Nicht nachvollziehen mag Alexander aber die Analyse des Medieneinflusses von Wolfgang Donsbach und Hans Mathias Kepplinger, die dem Rezensenten allzu sehr nach "schlechtem Verlierer" klingt: Kohl hätte schließlich auch frühere Wahlen trotz abgeneigter Medien verloren, also könne dies bei den letzten Wahlen auch nicht der Grund für die Niederlage sein. "Der ausschlaggebende Faktor ... war wohl das ... weit verbreitete Gefühl, dass 16 Jahre Regierung Kohl genug seien."
2) Volker Hetterich: "Von Adenauer zu Schröder"
Auf Hetterichs Buch geht Alexander nur kurz ein. Hier schließt er aus der Analyse vergangener Wahlkämpfe, dass "moderne" Kampagnen, die die Mittel der Werbung nutzten, meistens auch die erfolgreicheren waren. Auch erfährt man, dass gegen populäre Kanzler allenfalls stark team-orientierte Wahlkämpfe Aussicht auf Erfolg haben. Leider beklagt Alexander bei dem Band eine Überfrachtung mit "Details zur Wahlkampffinanzierung" und einen "schwer verdaulichen Jargon".
©
Wie in den Bundestagswahlkämpfen von 1949 bis 1998 um Stimmen gekämpft wurde
Elisabeth Noelle-Neumann, Hans Mathias Kepplinger, Wolfgang Donsbach: Kampa. Meinungsklima und Medienwirkung im Bundestagswahlkampf 1998. Verlag Karl Aber, Freiburg 1999. 280 Seiten, 59,- Mark.
Volker Hetterich: Von Adenauer zu Schröder - Der Kampf um Stimmen. Eine Längsschnittanalyse der Wahlkampagnen von CDU und SPD bei den Bundestagswahlen 1949 bis 1998. Leske + Budrich, Opladen 2000. 442 Seiten, 68,- Mark.
Der Bundestagswahlkampf 1998 war geprägt vom Warten auf die Wiederholung eines Wunders: Hatte der unerschütterlich zuversichtliche Kanzler Kohl seine Partei nicht wiederholt aus tiefer Unpopularität zu neuer Wählergunst geführt? Ein Sieg der Koalition erschien zunächst unwahrscheinlicher denn je, aber gerade das war schließlich die Voraussetzung für ein Wunder. Daß die CDU bei der Wahl im September 1998 dann so deutlich von der SPD geschlagen werden sollte, wie es die Umfragen schon lange Zeit voraussagten, konnte deshalb bis zuletzt niemand recht glauben. Am Ende verloren sogar einige Umfrageinstitute die Übersicht und wollten kurz vor der Wahl eine Aufholjagd der Union erkennen. Das Institut für Demoskopie Allensbach blieb pessimistisch und behielt recht.
Seine Leiterin Elisabeth Noelle-Neumann hat mit Hans Mathias Kepplinger und Wolfgang Donsbach die Ursachen für den Erfolg der SPD untersucht. Grundlagen der Analysen sind Auswertungen der politischen Tendenz in der Berichterstattung der Medien und Umfragen von Allensbach. In einem sehr instruktiven Kapitel werden dem Leser zudem die Grundlagen der angewandten Forschungsmethoden nahegebracht.
Die Voraussetzung für den Wahlsieg der Sozialdemokraten war die "Kampa". Das Wahlkampf-Hauptquartier der Partei wurde von Bundesgeschäftsführer Müntefering geleitet und arbeitete mit Experten aus Werbung und Meinungsforschung zusammen. Da es unabhängig von der Parteizentrale agieren konnte, waren Entscheidungen gewährleistet. Geschickt gewählte Slogans wie "Wir sind bereit" und "Neue Mitte" demonstrierten Selbstbewußtsein und einen weitgespannten Vertretungsanspruch. Zur Benennung der politischen Ziele wurden bewährte Allwettervokabeln wie "Arbeit, Innovation und Gerechtigkeit" benutzt. Die SPD ließ sich vom Gegner nicht provozieren, sondern hielt sich streng an den eigenen Schlachtplan und präsentierte Schröder in staatsmännischer Attitüde. Die Partei wurde auf Linie gebracht, das Auftreten vereinheitlicht.
Die CDU dagegen führte einen ideenlosen und zerfahrenen Wahlkampf. Den von einer Nachfolgediskussion geschwächten Kanzler, der auf Oskar Lafontaine als Gegner gesetzt hatte, traf die Entscheidung zugunsten Schröders bei der Niedersachsenwahl im März hart. Ein Lagerwahlkampf war danach nicht mehr zu führen. Doch hätte wohl selbst ein Kanzlerkandidat Lafontaine den Sieg der SPD nicht mehr verhindern können. Umfragen von Allensbach zufolge hat Schröder der SPD weniger genutzt und Kohl der Union weniger geschadet, als allgemein vermutet wird. Im Juli gaben 42 Prozent der Befragten Schröder und 27 Prozent Kohl den Vorzug. Den Vergleich zwischen Schröder und Schäuble entschied der SPD-Kanzlerkandidat noch deutlicher für sich. Kohls Rückstand auf Schröder war auch im Medienecho weit geringer als der der Union auf die SPD. Allerdings wurde Schröder von vielen, Kohl traditionell freundlich gesinnten Medien wie etwa der "Bild"-Zeitung zuvorkommend behandelt, während sich Kohl auf die anhaltende Abneigung von "Spiegel" und "Stern" verlassen konnte.
Wie Kepplinger zeigt, wurde in den Fernsehnachrichten ein ausgesprochen düsteres Bild der Lage in Deutschland gezeichnet, besonders von ARD und RTL. Zuschauer ohne eine starke Bindung an die Regierungsparteien mußten Kepplinger zufolge zu dem Schluß kommen, daß ein Regierungswechsel sachlich geboten sei. Donsbachs Überlegungen zum Widerhall der wirtschaftlichen Entwicklung in der Berichterstattung der Medien kommen zu einem ähnlichen Ergebnis.
Hintertriebener Wahlsieg ?
Donsbachs These lautet - etwas zugespitzt - folgendermaßen: Die Voraussetzungen für einen Wahlsieg nach dem Muster von 1994, als Kohl die Wahl gewann, weil der wirtschaftliche Aufschwung rechtzeitig einsetzte, waren auch 1998 gegeben gewesen. Nur hat die Mehrheit der Medien den Lesern und Zuschauern nicht vermittelt, daß 1998 ein wirtschaftlich verheißungsvolles Jahr war, sondern den Schwerpunkt auf die anhaltend hohe Arbeitslosenzahl gelegt und damit einen erneuten Wahlsieg Kohls hintertrieben. Diese hypothetischen Überlegungen werden im Ton eines schlechten Verlierers vorgetragen, so daß sich der wissenschaftliche Erkenntniswert in Grenzen hält.
Kepplinger und Donsbach gehen von einem starken direkten Einfluß der Medien auf die Meinungsbildung unter den Wählern aus. Die enorme Macht der Medien ist nicht zu leugnen und hat 1998 gewiß einen neuen Höhepunkt erreicht. Jedoch hat Kohl zuvor vier Bundestagswahlen gewonnen, ohne daß die veröffentlichte Meinung ihm besonders gewogen gewesen wäre. Der ausschlaggebende Faktor für die Niederlage am 27. September 1998 war wohl das auch bei Nicht-Sozialdemokraten weitverbreitete Gefühl, daß 16 Jahre Regierung Kohl genug seien.
Ein Beitrag Elisabeth Noelle-Neumanns bestätigt diese Einschätzung indirekt. Sie zeigt, daß die Union die Wahl nicht nur in den Medien, sondern auch an den Stammtischen verloren hat. Die CDU konnte die sogenannten Meinungsführer anders als bei den Wahlen zuvor 1998 nicht für sich mobilisieren. Als "Meinungsführer" versteht Noelle-Neumann Menschen mit einer starken Persönlichkeit, die ihre Ansichten gern und selbstbewußt gegenüber anderen vertreten und sie auf diese Weise verbreiten. Dabei handelt es sich bei diesen Multiplikatoren nicht um Prominente. Vielmehr sind es gewissermaßen die Vordenker im Volk, die es in jedem Milieu gibt. Sie können die übrige Bevölkerung mit sich ziehen. Laut Noelle-Neumann war diese Meinungselite 1998 jedoch selbst regelrecht hin- und hergerissen in ihrer Wahlabsicht, ihrer Wirksamkeit waren daher enge Grenzen gesteckt.
Beobachter des Wahlkampfes von 1998 haben oft von einer "Amerikanisierung" gesprochen. Dieses Schlagwort wurde schon seit der Jahrhundertwende gern benutzt, wenn in Bedrängnis geratene Kandidaten die mit hohem Aufwand und neuen Methoden betriebene Kampagne ihres Gegners als oberflächlich und unpolitisch geißeln wollten. Nicht von ungefähr kennzeichnete auch Adenauer 1961 den Wahlkampf Willy Brandts als amerikanisch. In jenem Wahljahr war es nämlich, wie Volker Hetterich in seinem Buch zur Geschichte der Wahlkämpfe von CDU und SPD in der Bundesrepublik zeigt, den Sozialdemokraten erstmals gelungen, in ihrer Kampagnenfähigkeit mit der Union gleichzuziehen.
Die CDU war Hetterich zufolge in den beiden ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik auch deshalb so erfolgreich, weil sie in der Wahlkampfführung stets auf der Höhe der Zeit war. In ihren Gründungsjahren, als die Partei noch ein heterogener Zusammenschluß verschiedener bürgerlicher Parteien war, setzte man auf eine regional differenzierte Kampagne. Schnell wurde der Wahlkampf jedoch zentralisiert und mit Adenauer die charismatische Persönlichkeit des Kanzlers in den Mittelpunkt gestellt. Auch das war eine Amerikanisierung.
Die organisatorisch überlegene SPD vertraute dagegen zunächst auf ihren Apparat und auf ihr Programm. Erst in den sechziger Jahren setzten auch die Sozialdemokraten auf "Personalisierung" und entideologisierten sich. Jetzt begriffen sie, daß Wahlkampf vor allem das Werben um die Stimmen der Schwankenden und nicht um die der Mitglieder ist.
Die SPD profitierte noch in den siebziger Jahren, als die Politisierung der Gesellschaft ihren Höhepunkt erreichte, stark von dem Engagement ihrer Mitglieder. In den achtziger und neunziger Jahren allerdings wurde die Milieupflege zum Hindernis. Sie verhinderte eine professionelle Wahlkampfführung. Die Union, die mittlerweile auch zur Mitgliederpartei geworden war, begriff die Zeichen der Zeit rascher und setzte früher auf die Werbekraft moderner Medien.
Aus Hetterichs Buch, das mit allzu vielen Details zu Wahlkampffinanzierung und -organisation überfrachtet und in einem schwerverdaulichen Jargon geschrieben ist, lassen sich zwei Lehren ziehen. Eine erfolgreiche Kampagne muß straff durchorganisiert sein und einem einheitlichen Konzept folgen. Und: Ein populärer Kanzler läßt sich nur durch ein Team besiegen, wie es 1969 Brandt, Schiller, Wehner und Schmidt gegen Kiesinger gelang. Gegen Schröder wird die CDU im Jahr 2002 also wohl einen Mannschaftswahlkampf führen müssen.
MATTHIAS ALEXANDER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main