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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Früherer EZB-Chefökonom über seinen Lebensweg
Otmar Issings "Erinnerungen des Chefökonomen" legen Zeugnis ab von einem beeindruckenden beruflichen Aufstieg. Issings Eltern entstammten "zwei armen Bauernfamilien mit insgesamt 20 Kindern". Vor dem Zweiten Weltkrieg betrieben sie in Würzburg eine Gastwirtschaft, die mit einem Großteil der Stadt im März 1945 nach einem Bombenangriff "in eine Ruinenlandschaft verwandelt" wurde. Nach dem Krieg hatten die Eltern eine kleinere Gastwirtschaft, in der Otmar Issing und seine Geschwister aushalfen. Die Zeiten waren schwierig, aber sie schufen einen dauerhaften familiären Zusammenhalt. In Würzburg lernte Issing auch seine Frau kennen, mit der er seit nunmehr 63 Jahren verheiratet ist.
Ursprünglich wollte Issing Altphilologe werden, aber das Studium gefiel ihm nicht, und eher zufällig fand er zur Volkswirtschaftslehre, in der Erich Carell ein Lehrer wurde. Schon in jungen Jahren wurde Issing zum Professor in Nürnberg berufen. Später erhielt er einen Ruf der Universität in seiner Heimatstadt Würzburg. Als Zeichen der Anerkennung durfte die Berufung in den Sachverständigenrat ("Fünf Weise") verstanden werden. Wichtige Charaktereigenschaften des späteren Issing waren schon in seiner Jugend erkennbar: ein eigener Kopf, Fleiß und Strebsamkeit sowie die Bereitschaft, sich im Interesse der eigenen Prinzipien auch einmal unbeliebt zu machen.
Eines Tages rief Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl an, um ihn für das Direktorium der Deutschen Bundesbank zu gewinnen, in dem Issing von 1990 bis 1998 als Chefökonom agierte. Obgleich es ihn "durchaus mit Stolz" erfüllte, für diese hochgeachtete Institution zu arbeiten, blieb ihm die Glorifizierung der Bundesbank durch nicht wenige Mitarbeiter fremd. Das "mitunter arrogante Auftreten von Bundesbankern auf allen Ebenen der Hierarchie" betrachtete er ebenso distanziert wie das starke hierarchische Denken und die Selbstwahrnehmung als eine Art "Festung". Trotz aller Verdienste der Bundesbank verstand er das geradezu "pathologische Verhältnis der Deutschen zu ihrer Währung" in erster Linie als Ergebnis des Fehlens jeglichen nationalen Selbstbewusstseins nach dem Zweiten Weltkrieg. In diesem "nationalen Vakuum bildete die stabile D-Mark eine Ausnahme, sie war das einzige staatliche Symbol".
Issing stellt klar seine "kritische Einstellung zum Projekt Europäische Währungsunion" heraus, die er keineswegs im Grundsatz ablehnte. Er hielt sie Ende der Neunzigerjahre aber für verfrüht; außerdem hätte er sich einen kleineren Teilnehmerkreis gewünscht. Die offizielle Feststellung der Bundesbank, die Währungsunion sei trotz ernsthafter Bedenken "stabilitätspolitisch vertretbar", beschreibt er als falsch und dem Ansehen der Bundesbank als sehr abträglich.
Dennoch trat er kurz danach als Chefökonom in das Direktorium der neuen Europäischen Zentralbank ein. Habe Issing jemals positiv gegenüber dem Euro gesprochen, fragte Bundeskanzler Helmut Kohl den Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer im Zuge der Kandidatenkür. "Wahrscheinlich nicht", antwortete Tietmeyer trocken. Eine Anregung, sich doch einmal positiv zum Euro zu äußern, kommentiert Issing mit dem Satz: "Das habe ich selbstverständlich nicht getan." Den Job bekam er trotzdem. Inwieweit es konsequent war, mit einer solchen Haltung überhaupt in der EZB anzutreten und in der Anhörung vor dem Europäischen Parlament eine zumindest partielle Konvergenz in der Eurozone zu preisen, während er als Chefökonom der Bundesbank vor allem die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern thematisiert hatte, ließe sich hinterfragen.
Wie auch immer: Für die EZB und für das Vertrauen der Deutschen in die EZB war der Eintritt Issings in das Direktorium eine glückliche Entscheidung. Er verkörperte ein hohes Maß an stabilitätspolitischer Glaubwürdigkeit und gab der EZB, die er ausdrücklich nicht als Klon der Bundesbank wahrnahm, eine Strategie, die zwar nach seinem Ausscheiden keinen Bestand hatte, die damals aber der geldpolitischen Debatte eine Struktur gab. Daher betrachtet er seine Jahre in der EZB auch als Höhepunkt seiner Laufbahn und als "einmaligen Glücksfall für einen Ökonomen".
Die größte Stärke des Buches liegt darin, hinter dem Geldpolitiker den Menschen Otmar Issing zu zeigen. Nicht verschwiegen sei aber, dass dieses Buch mit einem zupackenden Lektorat deutlich besser hätte werden können. 52 Seiten und damit fast ein Viertel des Umfangs entfallen auf den Abdruck der Anhörung Issings im Europäischen Parlament im Mai 1998. Der Text enthält Partien in sieben Sprachen (darunter in Finnisch) und wirkt in einem ansonsten ohne Quellenverweise arbeitenden Buch wie ein voluminöser Fremdkörper, mit dem mutmaßlich der Seitenumfang auf ein adäquates Maß gebracht werden sollte.
Leider kann der Verfasser gelegentlich nicht der Versuchung widerstehen, seine Bedeutung herauszustellen, indem er Mächtigere in Situationen schildert, in denen diese klein(kariert) wirken. Am Ende fragt sich Issing, "ob ich meinen Beitrag, insbesondere zum Gelingen des Euro, nicht übertrieben habe". Gemessen an den Elogen, "anders kann ich das nicht nennen", dürfe er diese Frage verneinen. Issings Verdienste sind unbestritten. Doch hier wie an anderer Stelle fragt sich der Leser: Wäre weniger nicht mehr gewesen? GERALD BRAUNBERGER
Otmar Issing: Von der D-Mark zum Euro. Erinnerungen des Chefökonomen. Vahlen, München 2024, 238 Seiten, 24,90 Euro.
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