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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Bei diesem Tier hat die Nähe zum Menschen kaum Spuren hinterlassen: Jonathan B. Losos rekapituliert die Evolution der Katze.
Schon wieder Weihnachten. Und kein Geschenk. Wie wäre es mit einem Katzenbuch? Amazon hat um die tausend Titel über Katzen im Angebot. Sogar von Charles Bukowski ist einer dabei. Er hatte ein ambivalentes Verhältnis zu seinem Hausgenossen: "Daran wie die Katze kauerte, sah ich ihren Beutewahn. Und als ich näher kam, erhob sie sich und machte sich davon. Einen Vogel im Maul. Reißzähne im Leib, ein Rest Leben, aber nicht sehr viel." Sind die kleinen Stubentiger also gar nicht so kuschelig? Sondern im tiefsten Wesen erbarmungslose Räuber geblieben?
"Von der Savanne aufs Sofa" heißt ein kürzlich auf Deutsch erschienenes Buch. Geschrieben aus der Sicht des amerikanischen Evolutionsbiologen Jonathan Losos, der an der Washington University forscht. Wer nun aber hofft, von der Wissenschaft letztgültige Antworten über Herkunft und Charakter seiner pelzigen Freunde zu bekommen, wird leider enttäuscht.
Denn das ist nicht so einfach. Aus dreißig Millionen Jahren Evolution der Familie der Felidae sind nur wenige Fossilien überliefert. Die Unterfamilie der Säbelzahnkatzen ist noch am zahlreichsten vertreten. Smilodon fatalis, einer ihrer letzten Vertreter, trieb sich bis zum Ende der jüngsten Eiszeit auf dem amerikanischen Kontinent und im Nordwesten Europas herum. Kontakte zum Menschen waren unausweichlich.
So friedlich wie in der Zeichentrickserie "Familie Feuerstein", wo Fred und Wilma ein Säbelzahnkätzchen namens Baby Puss hätscheln, wird es allerdings nicht zugegangen sein. Smilodon war ein furchteinflößender Brocken mit einer Schulterhöhe von einem Meter, einem Lebendgewicht von um die dreihundert Kilo und einem monströsen Gebiss, der sich, wie alle Katzen, fast ausschließlich von Fleisch ernährte. Dass er kurz vor Beginn des Holozäns ausstarb, war wohl eher ein Glück für die Menschheit.
Aus dieser Zeit datieren auch die ersten archäologischen Belege. Der älteste ist knapp zehntausend Jahre alt und stammt von der Insel Zypern. Dort entdeckte man 2004 das Grab einer Person mit allerlei kostbaren Beigaben und gleich daneben das Skelett einer acht Monate alten Katze, die ebenfalls sorgfältig bestattet und offenbar gut genährt gewesen war. Ob sie zu Lebzeiten schon zur Familie gehörte oder bloß in der Nähe herumgestromert war, ließ sich daraus nicht ableiten.
Das führt zur Frage, ob die Katze überhaupt jemals gebändigt worden ist. Für Miez und Maunz hat sich der Begriff "Hauskatze" eingebürgert; der Naturforscher Carl von Linné hat ihr sogar einen wissenschaftlichen Namen verpasst. Aber Felis catus ist keine eigene Art. Und noch nicht einmal eine Unterart der Wildkatze. Das sieht man allein daran, dass selbst der kuscheligste Kater bei passender Gelegenheit eigene Wege geht und, sofern er nicht kastriert ist, umstandslos seine wilde Verwandtschaft schwängert. Sehr zum Missfallen vieler Naturschützer im Übrigen, die dadurch das Erbe der Europäischen Wildkatze Felis silvestris in Gefahr sehen.
Allzu viel geht da freilich nicht verloren. "Man werfe einen Blick unter den Lack, also die Unterschiede in Haarlänge, Farbe und Textur, und schon kann man die meisten Hauskatzen und Wildkatzen kaum noch auseinanderhalten", schreibt Jonathan Losos. Die großen Unterschiede in Anatomie und Verhalten, die andere domestizierte Arten wie Hunde, Schweine, Rinder oder Pferde von ihren Vorfahren unterscheiden, sieht man bei Katzen nicht. Auch in ihrem Genom hat die Nähe zum Homo sapiens kaum Spuren hinterlassen. Katzen sind, wenn überhaupt, bestenfalls zur Hälfte domestiziert.
Umso verblüffender ist die Karriere, die sie dennoch hingelegt haben. Vor ungefähr viertausend Jahren tauchen die ersten Katzen in ägyptischen Darstellungen auf, in häuslicher Umgebung und offensichtlich mehr als geduldet. Im Laufe der Zeit entwickelte sich daraus ein regelrechter Kult. Zum Tempelfest der Katzengöttin Bastet pilgerten alljährlich Hunderttausende Ägypter und opferten ganze Heerscharen von Katzen, die eigens zu diesem Zweck vermehrt, getötet, einbalsamiert und in Katakomben gestapelt wurden. In einer dieser Grabstätten fanden Archäologen nicht weniger als 180.000 Katzenmumien. Sie wurden kurzerhand nach Großbritannien verschifft, geschreddert und als Dünger auf die Felder verstreut. Nur einige wenige schafften es ins Museum.
Den Siegeszug der Hauskatze hat weder das eine noch das andere aufhalten können. Im Gefolge des Menschen hat sie einen Lebensraum nach dem nächsten erobert. Exakte Zahlen gibt es nicht, die weltweite Gesamtpopulation wird auf mehr als fünfhundert Millionen geschätzt. Ihr Stammbaum ist denkbar schmal und lässt sich im Wesentlichen auf die Nordafrikanische Falbkatze Felis lybica zurückführen. Sie ist die einzige unter allen derzeit lebenden 45 Katzenarten, die vom Expansionsdrang der Menschheit profitiert hat. Ihre wilden Verwandten hatten weniger Glück. Angefangen vom Löwen über den Tiger und den Leoparden bis zur Goldkatze, sind die meisten bedroht oder kurz vor dem Aussterben.
Wie könnte es weitergehen? Etliche Vertreter der Katzenfamilie werden wahrscheinlich nur in Zoos überleben, wo es darum gehen wird, genetische Verarmung zu vermeiden. Auf der anderen Seite sind Liebhaber dabei, immer neue Katzenrassen zu züchten. Zu den beliebtesten gehören Siams, Perser und Britisch Kurzhaar. Sie werden von ihren Besitzern übereinstimmend als besonders zutraulich beschrieben.
Ist das nun das Ende der evolutionären Fahnenstange? Etabliert sich die Katze endgültig als reines Schoßtier? Jonathan Losos würde das jedenfalls begrüßen. Doch die Fakten sprechen dagegen. Die übergroße Mehrzahl aller stinknormalen Hauskatzen wird weiter dem Ruf der Natur folgen. Sie werden weiterhin Vögel und anderes Kleingetier dezimieren und jene Unabhängigkeit an den Tag legen, auf die ihre Besitzer in der Regel stolz sind. Natürlich könne man seine Katze am Freigang hindern, sagt einer der von Losos befragten Forscher. Genauso gut könne man aber auch einen Rennwagen in der Garage lassen.
Es könnte sogar noch ganz anders laufen. In jüngster Zeit haben Züchter damit begonnen, Felis catus wieder mehr in Richtung Wildnis zu frisieren. Mit ein paar Tricks haben sie es geschafft, das Erbgut des afrikanischen Servals und der asiatischen Leopardkatze einzukreuzen. Heraus kamen die Savannah- und die Serengeti-Katze, beides ziemliche Brocken. Im Vergleich sind das keine Rennautos mehr, sondern stattliche Geländewagen, die im Preis ähnlich hoch rangieren. Zehntausend Dollar pro Exemplar sind angeblich ein Schnäppchen.
Das ultimative Experiment steht noch aus. Ähnlich wie im Science-Fiction-Thriller "Jurassic Park" könnte man mithilfe der modernen Gentechnik darangehen, die Säbelzahnkatze auferstehen zu lassen. Ob das dann ein blutrünstiger Killer oder akzeptables Haustier wird, bleibt einstweilen offen. JÖRG ALBRECHT
Jonathan B. Losos: "Von der Savanne aufs Sofa". Eine Evolutionsgeschichte der Katze.
Aus dem Englischen von Hainer Kober. Hanser Verlag, München 2023. 384 S., geb., 26,- Euro.
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