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Mit Quellen und Verzeichnissen die Kunst persönlich erfassen: Die Geschichte der Künstlerbiographie
Die Künstlerviten des Giorgio Vasari gelten als der Beginn der Kunstgeschichtsschreibung. Das Individuum stand also bereits lange im Zentrum des Interesses, ehe sich eine Kunstwissenschaft etablierte. Waren es zuerst Sammlungen von Viten in der Nachfolge Vasaris, erschienen im achtzehnten Jahrhundert nun Werke zum Leben einzelner Künstler. Noch im frühen neunzehnten Jahrhundert profilierten derartige Biographien eine Geschichtsschreibung der Kunst. Erst am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts geriet die Biographie als Gattung wissenschaftlicher Literatur in der sich etablierenden Kunstwissenschaft in Verruf.
Heinrich Wölfflins Diktum von der "Kunstgeschichte ohne Namen", das Postulat einer reinen Stilgeschichte und Formanalyse, war lange richtungweisend. Doch inzwischen erfreut sich die Künstlerbiographie wieder wachsender Beliebtheit. Karin Hellwig hat die Frühzeit der Textgattung in der deutschsprachigen Kunstliteratur untersucht. Im achtzehnten Jahrhundert wurde in den ersten Büchern über Albrecht Dürer und Lucas Cranach noch der Kenntnisstand der Vitenliteratur kompiliert. Einige dieser Biographien waren aus Lexikonartikeln entstanden. Eine Kunstwissenschaft existierte nicht, die Autoren waren Theologen oder Philosophen. Quelleneditionen und Werkverzeichnisse gab es nicht, weswegen sich die Biographen diese Bereiche erarbeiten mußten. Schnell galt es als eine Qualität, neue Fakten erschlossen zu haben, wie Hellwig den zeitgenössischen Rezensionen entnehmen kann.
Nach 1800 wurde diskutiert, inwieweit die Darstellung des Lebens eines Individuums etwas über historische Entwicklungen aussagen könne und der historische Kontext die Folie einer Biographie abgeben müsse. Herder postulierte, daß die Darstellung der Lebensgeschichte eines Individuums das historische Erkenntnisinteresse befördern könne. Goethe folgte ihm 1803 mit seiner Edition von Benvenuto Cellinis Lebensbeschreibung, die für die Autoren der folgenden Jahrzehnte maßgebend wurde. Für Hegel konnte die Biographie als Geschichte eines "welthistorischen Individuums" sogar "große Geschichtsschreibung" sein. Gustav Friedrich Waagen bestärkte diese Fokussierung auf das Individuum, wenn er in seinem Werk über die Brüder van Eyck 1822 schreibt: "Nur aus genauen Studien über einzelne große Meister, aus der näheren Beleuchtung kurzer, wichtiger Zeiträume, kann allmählich eine wahre Kunstgeschichte erwachsen."
War zunächst die Darstellung von Leben und Werk getrennt gewesen, stellte man nach 1800 Persönlichkeit und Werk zusammen dar. Der Nachweis der Quellen in Fußnoten und das Verzeichnis der Arbeiten der Künstler wurden zum Standard. In der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts brach der Biographienboom ab. Abrisse von Epochen und Quelleneditionen wurden als die wissenschaftliche Aufgabe angesehen. Kulturgeschichtlich interessierte Kunstwissenschaftler wie Jacob Burckhardt sahen in der Konzentration auf ein Individuum und in der Erforschung der Psyche eines Künstlers keinen Sinn. Er konzentrierte sich in seinen 1898 erschienenen "Erinnerungen aus Rubens" auf die Werke. In den folgenden Jahrzehnten wurden Aspekte wie "Michelangelos Jugendjahre" oder "Rembrandts Handzeichnungen" wichtiger als die Darstellung eines gesamten Lebens.
Um 1900 diskutierte man heftig die romanhafte Ausschmückung der Künstlerbiographie, wie sie Carl Justi mit erfundenen Quellen in seinem Werk über Velázquez auf die Spitze getrieben hatte. Mit den Befürwortern der Biographie als wissenschaftlicher Text und den Stilanalytikern standen sich zwei Schulen des noch jungen akademischen Faches unversöhnlich gegenüber. Die Frage nach der Leistungsfähigkeit biographischer Abrisse wird bis heute gestellt, und sie wird nicht zuletzt in den Geschichtswissenschaften vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung dieser Textgattung diskutiert. Karin Hellwig schließt die Kunstwissenschaft an diese Diskussion endlich an und bietet mit der Bestandsaufnahme der eher trockenen Materie eine Geschichte der Künstlerbiographie ohne die süffigen Ausmalungen der Vitenschreiberei.
ANDREAS STROBL
Karin Hellwig: "Von der Vita zur Künstlerbiographie". Akademie Verlag, Berlin 2005. 206 S., 4 Abb., geb., 49,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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