Es sind Schwächen, peinliche Geheimnisse, Freudenblitze, flüchtig intensive und respektlose Vergnügen all' italiana, die Francesco Piccolo mal kurz, mal länger aufgezeichnet, beschrieben, erzählt hat. »Von Glücksmomenten« - in Italien ein Bestseller - setzt sich aus einem Mosaik alltäglicher Situationen, Zerstreuungen, Erlebnissen und Wahrnehmungen zusammen: ironisch, gemein, erstaunlich, beglückend.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dass dieses Buch aus Italien kommt, das passt. Findet Burkhard Müller, der das Land als "Heimstatt des Furbo" erklärt, also eines Spitzbuben, der nur seinen Vorteil sucht, dem man dies aber dank seines Charmes nicht übel nimmt. Solcher Art sind offenbar die Glücksmomente, von denen Francesco Piccolo in seinem Buch erzählt. Sehr typisch findet Müller tatsächlich die Szene des in zweiter Reihe parkenden Mannes, der trotz allem Gehupe noch seinen Espresso zu Ende trinkt und dann zum Auto läuft, wobei er lachend und beschwichtigend die Hand hebt. Aber dass Piccolo auch Momente von Schadenfreude genießt, und im Zug erst im letzten Moment die Leute vom reservierten Platz jagt, das scheint dem Rezensenten doch etwas unsympathisch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.07.2012Leichtigkeit und
Schadenfreude
Ein italienischer Bestseller sucht
die Augenblicke des Glücks
Seit jeher zerfällt die Philosophie in zwei ethische Lager. Die einen erklären die Tugend, die anderen die Lust oder das Glück – hier schwankt die Terminologie – für den Daseinszweck und das höchste Ziel des Menschen.
In der Antike hießen die einen Stoiker, die anderen Epikureer, aber der Grundunterschied der zwei Lager besteht fort bis auf den heutigen Tag. Doch ebenso hat die Schule der Lust in der Philosophie schon immer die Tendenz gehabt, ihrer Konkurrentin ähnlicher zu werden, als ihr lieb sein konnte: Denn wer das Glück so ernst nimmt, wie es das verdient, der fängt an, Programme aufzustellen und Pläne zu schmieden, die ihm eine ziemliche Konsequenz abverlangen, diese bekanntlich anstrengendste aller Tugenden. Trinkt ruhig Wein, bescheidet Epikur seine Schüler, aber trinkt nicht zu viel, denn der Kater morgen wird ein größeres Übel sein, als der Rausch ein Gut war! Und so läuft auch hier alles zuletzt auf das langweilige Maßhalten hinaus.
Wer das ändern und das Glück in seiner wahren, seiner spontanen und flüchtigen Gestalt treffen will, der sollte sich des Wunschs nach Dauer und System enthalten. So nennt der Schriftsteller und Drehbuchautor Francesco Piccolo sein jetzt auf Deutsch erschienenes Büchlein nicht „Vom Glück“, sondern „Von Glücksmomenten“ – wohl wissend, dass man dem Glück eher begegnet, wenn man Geistes- und Seelengegenwart hat, als dass man es mit einer ausgeklügelten Diät herbeizwingt.
Kein Zufall dürfte es sein, dass dieser Autor aus Italien stammt, wo das Buch ein Bestseller wurde: Dort stehen die großen Zeichen derzeit auf Resignation – umso verlockender erscheint die Aussicht, im Kleinen darunter wegzutauchen. Und dann ist dieses Land die alte Heimstatt des „Furbo“, des Schlaukopfs und Schelmen, der gewandt improvisierend seinen Vorteil sucht, aber zugleich durch seinen Charme zu verhindern weiß, dass man es ihm je übel nimmt. Nicht nur nimmt er es sich heraus, in zweiter Reihe zu parken, sondern er lässt die Leute auch ruhig erst mal hupen, trinkt in Ruhe seinen Kaffee aus und hebt dann – ganz wichtig! – die Hand in einer Geste, die als Entschuldigung firmiert, vor allem aber die Zufriedenheit mit sich selbst bekundet. Das ist ein Glücksmoment für den eingefleischten italienischen Stadtbewohner, da erfährt er sich selbst und seine Stadt.
Auch sehr zartfühlend kann er sein, ja es wohnen ihm erlösende Fähigkeiten inne. „Alle Menschen, die nicht gut aussehen oder hässlich sind, werden, wenn du sie dann kennenlernst, auf einmal schöner, jedes Mal.“ In seinem Erstaunen über diesen Tatbestand ahnt man etwas von dem Geschenk, dass er seinem Gegenüber zu machen versteht.
Aber zum Tugendbolzen wird er darüber nicht. Er weiß, wie viel Augenwischerei und Selbsttäuschung in der üblichen höflichen Rücksichtnahme liegt. „Auf Zehenspitzen über den frisch gewischten Boden zu laufen, mit einer Muskelanspannung, die einem vormachen möchte, man sei so leicht geworden, dass der Boden nicht schmutzig wird.“ Dieser Vorgang würde nicht ausnahmslos jeden beglücken, keinesfalls den Nordländer mit seinem unironischen Schwergewicht, der die Zerstörung des fremden Reinigungswerks nur in Bekümmerung vollzöge. Man muss den Wunsch, man wäre leicht, wie eine echte Leichtigkeit erleben und zugleich über deren illusorischen Charakter lachen können, damit man die kleine Komödie genießt und die Putz- oder Hausfrau einlädt, mitzulachen.
Generell, das lernt man in diesem Buch, sind es seelisch komplexe und schwebende Zustände, die das Glück anziehen wie der Blitzableiter den Blitz. Schadenfreude gehört ganz gewiss zu den unschönsten menschlichen Zügen. Aber auch sie hat ihre anmutigen Augenblicke. Wenn man beispielsweise im Zug eine Platzreservierung hat, finde man sich erst im letzten Moment ein. Der Platz ist dann natürlich längst von einem unbefugten Zeitgenossen okkupiert, der auf die Uhr blickt und inständig hofft, der rechtmäßige Eigentümer möge nicht kommen. Früher, berichtet Francesco Piccolo, wäre ihm ein solches Zusammentreffen peinlich gewesen. „Heute, da ich ein Arsch geworden bin, freut es mich. ‚Entschuldigen Sie, aber dieser Platz ist eigentlich besetzt.‘ Und ich zücke die Fahrkarte. Ich sage extra eigentlich , damit er noch eine Sekunde länger hoffen kann, ich würde hinzufügen: Aber das macht nichts. Doch ich rühre mich nicht von der Stelle. Und er macht sich davon, gekränkt, fast als würde er abhauen, auf der Suche nach einem anderen Platz.“
Man lausche dem beiläufig geäußerten, aber tiefen Wohlgefühl, mit der hier ein Arsch sich als solchen einbekennt. Nicht naturwüchsig ist er es, sondern geworden in einem langen Prozess der Reifung und Befreiung. Ja, man muss sich wohl doch grundsätzlich entscheiden, ob man im Leben die Tugend oder das Glück will. Und will man das Glück, dann gewährt das Laster, obschon in kleinen Dosen, eine besondere Befriedigung.
BURKHARD MÜLLER
Francesco Piccolo: Von Glücksmomenten. Aus dem Italienischen von Birte Völker. Insel Verlag, Berlin 2012. 141 Seiten, 14,95 Euro.
Wie schön ist das: In zweiter
Reihe parken. Und die Leute
erst mal ruhig hupen lassen
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Schadenfreude
Ein italienischer Bestseller sucht
die Augenblicke des Glücks
Seit jeher zerfällt die Philosophie in zwei ethische Lager. Die einen erklären die Tugend, die anderen die Lust oder das Glück – hier schwankt die Terminologie – für den Daseinszweck und das höchste Ziel des Menschen.
In der Antike hießen die einen Stoiker, die anderen Epikureer, aber der Grundunterschied der zwei Lager besteht fort bis auf den heutigen Tag. Doch ebenso hat die Schule der Lust in der Philosophie schon immer die Tendenz gehabt, ihrer Konkurrentin ähnlicher zu werden, als ihr lieb sein konnte: Denn wer das Glück so ernst nimmt, wie es das verdient, der fängt an, Programme aufzustellen und Pläne zu schmieden, die ihm eine ziemliche Konsequenz abverlangen, diese bekanntlich anstrengendste aller Tugenden. Trinkt ruhig Wein, bescheidet Epikur seine Schüler, aber trinkt nicht zu viel, denn der Kater morgen wird ein größeres Übel sein, als der Rausch ein Gut war! Und so läuft auch hier alles zuletzt auf das langweilige Maßhalten hinaus.
Wer das ändern und das Glück in seiner wahren, seiner spontanen und flüchtigen Gestalt treffen will, der sollte sich des Wunschs nach Dauer und System enthalten. So nennt der Schriftsteller und Drehbuchautor Francesco Piccolo sein jetzt auf Deutsch erschienenes Büchlein nicht „Vom Glück“, sondern „Von Glücksmomenten“ – wohl wissend, dass man dem Glück eher begegnet, wenn man Geistes- und Seelengegenwart hat, als dass man es mit einer ausgeklügelten Diät herbeizwingt.
Kein Zufall dürfte es sein, dass dieser Autor aus Italien stammt, wo das Buch ein Bestseller wurde: Dort stehen die großen Zeichen derzeit auf Resignation – umso verlockender erscheint die Aussicht, im Kleinen darunter wegzutauchen. Und dann ist dieses Land die alte Heimstatt des „Furbo“, des Schlaukopfs und Schelmen, der gewandt improvisierend seinen Vorteil sucht, aber zugleich durch seinen Charme zu verhindern weiß, dass man es ihm je übel nimmt. Nicht nur nimmt er es sich heraus, in zweiter Reihe zu parken, sondern er lässt die Leute auch ruhig erst mal hupen, trinkt in Ruhe seinen Kaffee aus und hebt dann – ganz wichtig! – die Hand in einer Geste, die als Entschuldigung firmiert, vor allem aber die Zufriedenheit mit sich selbst bekundet. Das ist ein Glücksmoment für den eingefleischten italienischen Stadtbewohner, da erfährt er sich selbst und seine Stadt.
Auch sehr zartfühlend kann er sein, ja es wohnen ihm erlösende Fähigkeiten inne. „Alle Menschen, die nicht gut aussehen oder hässlich sind, werden, wenn du sie dann kennenlernst, auf einmal schöner, jedes Mal.“ In seinem Erstaunen über diesen Tatbestand ahnt man etwas von dem Geschenk, dass er seinem Gegenüber zu machen versteht.
Aber zum Tugendbolzen wird er darüber nicht. Er weiß, wie viel Augenwischerei und Selbsttäuschung in der üblichen höflichen Rücksichtnahme liegt. „Auf Zehenspitzen über den frisch gewischten Boden zu laufen, mit einer Muskelanspannung, die einem vormachen möchte, man sei so leicht geworden, dass der Boden nicht schmutzig wird.“ Dieser Vorgang würde nicht ausnahmslos jeden beglücken, keinesfalls den Nordländer mit seinem unironischen Schwergewicht, der die Zerstörung des fremden Reinigungswerks nur in Bekümmerung vollzöge. Man muss den Wunsch, man wäre leicht, wie eine echte Leichtigkeit erleben und zugleich über deren illusorischen Charakter lachen können, damit man die kleine Komödie genießt und die Putz- oder Hausfrau einlädt, mitzulachen.
Generell, das lernt man in diesem Buch, sind es seelisch komplexe und schwebende Zustände, die das Glück anziehen wie der Blitzableiter den Blitz. Schadenfreude gehört ganz gewiss zu den unschönsten menschlichen Zügen. Aber auch sie hat ihre anmutigen Augenblicke. Wenn man beispielsweise im Zug eine Platzreservierung hat, finde man sich erst im letzten Moment ein. Der Platz ist dann natürlich längst von einem unbefugten Zeitgenossen okkupiert, der auf die Uhr blickt und inständig hofft, der rechtmäßige Eigentümer möge nicht kommen. Früher, berichtet Francesco Piccolo, wäre ihm ein solches Zusammentreffen peinlich gewesen. „Heute, da ich ein Arsch geworden bin, freut es mich. ‚Entschuldigen Sie, aber dieser Platz ist eigentlich besetzt.‘ Und ich zücke die Fahrkarte. Ich sage extra eigentlich , damit er noch eine Sekunde länger hoffen kann, ich würde hinzufügen: Aber das macht nichts. Doch ich rühre mich nicht von der Stelle. Und er macht sich davon, gekränkt, fast als würde er abhauen, auf der Suche nach einem anderen Platz.“
Man lausche dem beiläufig geäußerten, aber tiefen Wohlgefühl, mit der hier ein Arsch sich als solchen einbekennt. Nicht naturwüchsig ist er es, sondern geworden in einem langen Prozess der Reifung und Befreiung. Ja, man muss sich wohl doch grundsätzlich entscheiden, ob man im Leben die Tugend oder das Glück will. Und will man das Glück, dann gewährt das Laster, obschon in kleinen Dosen, eine besondere Befriedigung.
BURKHARD MÜLLER
Francesco Piccolo: Von Glücksmomenten. Aus dem Italienischen von Birte Völker. Insel Verlag, Berlin 2012. 141 Seiten, 14,95 Euro.
Wie schön ist das: In zweiter
Reihe parken. Und die Leute
erst mal ruhig hupen lassen
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