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© BÜCHERmagazin, Rika Finck
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
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Er gilt als einer der heißesten Anwärter auf den Literaturnobelpreis. Jetzt will der japanische Schriftsteller Haruki Murakami mit dem Erzählungsband "Von Männern, die keine Frauen haben" an den großen Erfolg seiner letzten Romane anknüpfen.
Hat irgendwer behauptet, zu Kafka sei schon alles geschrieben worden? Nun, solche Lästermäuler belehrt der erste Satz von Haruki Murakamis Erzählung "Samsa in love" eines Besseren: "Als er erwachte, fand er sich in seinem Bett in Gregor Samsa verwandelt." Es folgt das vorsichtige Herantasten eines ehemaligen Käfers an sein Leben als Mensch Gregor Samsa, als eines Mannes um die dreißig, "etwas zu mager", mit blassem Gesicht und deutlich abstehenden Ohren.
In der Traumlogik des japanischen Star-Erzählers (und Kafka-Preisträgers) Murakami begleiten die Leser Samsa an seinem ersten Tag auf zwei Beinen. Seine Familie ist vor nicht allzu langer Zeit vom Frühstückstisch aufgebrochen, der Kaffee ist noch lauwarm. Der ausgehungerte Ex-Käfer macht sich über die Reste her. Wobei er Messer und Gabel liegen lässt und so hastig alles vertilgt, was übrig geblieben ist, dass er sich dabei in die Finger beißt. Eine witzigere Anspielung auf Franz Kafkas durchaus eigenartiges Essverhalten, den legendären Gebrauch einer aus hygienischen Gründen auf Reisen mitgeführten Gabel (übrigens im Besitz des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, wo sie soeben in der Ausstellung zum Thema "Reisen" zu besichtigen war), sein "Fletschern", also das x-malige Kauen einer Mundvoll Nahrung, ist schwer vorstellbar.
Weiter geht es im Text mit dem Besuch einer buckligen Schlosserin, die anscheinend bestellt wurde, um die Tür zum kargen Zimmer des bis dahin als Käfer gehaltenen Samsa zu reparieren. Der noch ganz neue Mensch Gregor, der sowohl mit seinem aufrechten Gang wie auch seinem, seit er Damenbesuch hat, aufrecht stehenden Geschlechtsorgan seine Probleme hat, weiß zwar von nichts, lässt die Handwerkerin aber höflich ihre Arbeit tun. Ihm gefällt ihre wegen des Buckels käferähnliche Art, sich sehr nahe an der Erde fortzubewegen, und er bittet sie um ein Rendezvous... Mehr von der Geschichte soll hier nicht verraten werden. Höchstens noch, dass alles nicht so einfach ist, denn Prag befindet sich im Kriegszustand.
Haruki Murakamis überbordende Phantasie verfügt noch über genügend Stoff, um seine Leser auch in kürzeren Formen zu überraschen, so viel steht nach seinen jüngsten Veröffentlichungen, der großangelegten, auf Deutsch in zwei Bänden erschienenen Romantrilogie "1Q84" und dem kürzlich erst herausgekommenen Roman "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki", fest. "Samsa in love" ist die einzige Geschichte, die von einem Mann handelt, der die glückliche Hoffnung hegt, demnächst eine Frau zu haben, und passt insofern nicht ganz zum Titel des Erzählbandes "Von Männern, die keine Frauen haben", den Ursula Gräfe für den deutschen Markt wieder direkt aus dem Japanischen übersetzt hat.
Das liegt daran, dass der Dumont Verlag diese Erzählung dem ursprünglichen japanischen Band als deutsche Erstveröffentlichung hinzugefügt hat. Erfreulicherweise, muss man sagen, denn nicht alle anderen Geschichten sind durchweg gelungen und können die - allerdings auch immens hohen - Erwartungen, die man an Murakami inzwischen stellt, einlösen.
"Kinos Bar" über einen betrogenen Ehemann, der ein Lokal eröffnet - ein wiederkehrendes Motiv in Murakamis Büchern - und dort allerlei höchst Bedeutungsvoll-Rätselhaftes erlebt inklusive einer Invasion von Schlangen, endet in einer eher trivialen, psychologischen Auflösung des Geschehens. Und wenn in der siebenten und letzten Geschichte des Buches, die dem Band den Titel gibt, der Verlust eines geliebten Menschen ganz direkt angegangen wird und sämtliche Männer angesprochen werden ("Eines Tages werdet ihr plötzlich Männer sein, die keine Frauen haben"), klingt das ein wenig larmoyant. Zumal wieder viel Gleichnishaftes geschieht und man sich sehr viel denken soll oder muss, um Zusammenhänge herzustellen.
Doch dazwischen liegen wendungsreiche und auch plausible Stücke, wie wir sie von Murakami erwarten dürfen. So wie "Drive my car" über einen Schauspieler und seine Chauffeuse, die zufällig im gleichen Alter wie seine früh verstorbene Tochter ist, "Yesterday" über einen jungen Mann, der dem Erzähler die Freundin für einen Abend "ausleiht", oder "Scheherazade". Bei letzterer Geschichte fällt die modernisierte Scheherazade-Rahmenhandlung allerdings so unbefriedigend aus, dass der erzählerische Trick, der dies bewirkt, geradezu große Literatur ist, nämlich ein brillantes Gedankenspiel: Was wäre, wenn Scheherazade einfach nicht mehr auftauchte, um weiterzuerzählen? Der Mangel wäre furchtbar. Und so ist es zuletzt gerade in dieser Geschichte plausibel, dass Haruki Murakami den Mann ohne Frau ganz und gar als Mängelwesen definiert. Vor allem wenn frau so gut erzählen kann.
SILKE SCHEUERMANN
Haruki Murakami:
"Von Männern, die keine Frauen haben". 7 neue Erzählungen.
Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Dumont Verlag, Köln 2014. 254 S., geb., 19,99 [Euro].
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