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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Uwe Sonnenberg erzählt vom linken Buchhandel
Der spätere serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic wollte in den späten siebziger Jahren im Karl-Marx-Antiquariat in Frankfurt am Main die vergriffene "Verfassungslehre" von Carl Schmitt erwerben. Der damalige Philosophiestudent versuchte, den Gründer des Antiquariats, Joschka Fischer, zu einem Preisnachlass zu bewegen: "Es kostete 80 Mark. Das war viel Geld für mich. Ich habe versucht, den Preis nach unten zu drücken. Ich dachte, in einer linken Buchhandlung lässt sich darüber reden."
Fischers Antiquariat und die ihm assoziierte Frankfurter Karl-Marx-Buchhandlung waren zweifellos linke Buchhandlungen. Ihr Unternehmensziel war klar definiert: "Handel mit Büchern und sonstigen Druckerzeugnissen, insbesondere der Werke von Karl Marx und der an dessen Theorie orientierten sozialwissenschaftlichen Literatur". Sie waren Teil einer breiten Bewegung: Seit den späten sechziger Jahren etablierte sich im deutschsprachigen Raum ein eigenständiger linker Buchhandel, der von dem Zeithistoriker Uwe Sonnenberg nun erstmals umfassend untersucht worden ist. Sonnenbergs wegweisende Studie verfolgt den Wandel des linken Buchhandels von der Mitte der sechziger Jahre bis in die Mitte der achtziger Jahre. Die Aufbruchsphase in den späten sechziger Jahren war die Zeit der Büchertische vor universitären Mensen, die in erster Linie Raubdrucke von linken Theorietexten feilboten. Die Studentenbewegung war eine von Theoriegier angetriebene Lesebewegung, deren Bedarf an linker Theorie vom etablierten Buchhandel nicht gedeckt wurde. Vertrieb und Verkauf von Raubdrucken sollten deshalb vergriffene gesellschaftskritische Literatur von Benjamin, Lukács, Adorno und anderen preiswert verfügbar machen. Anfang der siebziger Jahre wurden aus den mobilen Mensaständen eigenständige linke Buchhandlungen.
Linke politische Theorie wurde weiterhin so stark nachgefragt, dass sie ökonomisch äußerst erfolgreich vertrieben werden konnte; das bemerkten auch die etablierten Verlage, die nunmehr linke Theorie in ihre Programme aufnahmen. Ab Mitte der siebziger Jahre erhöhte sich der politische und gesellschaftliche Druck auf den linken Buchhandel. Im "Deutschen Herbst" kam es zu einer massiven Ausweitung der Strafverfolgung linker Publizisten, Verleger und Buchhändler. Darüber hinaus war die Nachfrage nach linker Theorie rückläufig: Sonnenberg spricht sogar von einem Zusammenbruch des "Markts für Marx". Dieser Trend setzte sich Anfang der achtziger Jahre fort. Das Aufkommen alternativer Bewegungen führte zwar zu einem Gründungsboom von Buchhandlungen; für diese stand nun aber nicht mehr der klassische Theoriekanon des Sozialismus im Zentrum, sondern Titel zu Feminismus, Ökologie und Pazifismus.
Sonnenberg zeigt, dass sich der kulturelle Anspruch der linken Buchhandlungen nicht auf die Bereitstellung von linkem Lektürestoff beschränkte. Es ging auch darum, gegen die etablierte "Kulturindustrie" und gegen ein als "bürgerlich" charakterisiertes Urheberrecht zu opponieren. Schließlich zielte der linke Buchhandel auch darauf ab, eine von staatlichen und ökonomischen Imperativen freie "Gegenöffentlichkeit" zu installieren: Die Buchhandlungen fungierten deshalb oft als linksalternative Versammlungsorte, Informationsbüros und Schlafplätze.
Darüber hinaus sollten auch alternative Arbeitspraktiken und Beziehungsmodelle erprobt werden: Mitarbeiter experimentierten mit neuen Mitbestimmungsmodellen; Buchhandlungen wurden als "Arbeits- und Wohnkollektiv" organisiert. Nicht selten ging das mit einer unbändigen Diskussionslust einher, der sich auch die regulären Ladenöffnungszeiten unterzuordnen hatten - an der geschlossenen Ladentür informierte dann ein Schild: "Das Kollektiv tagt". Innerhalb des linken Buchhandels galten die anspruchsvollsten theoretischen Auseinandersetzungen der Ökonomie. Dem "bürgerlichen" Buchhandel wurde vorgeworfen, dass er das Buch zwar als Kulturgut anpreise, es letztlich aber bloß als Instrument für ökonomischen Profit benutze. Eine den Warencharakter des Buches unterlaufende "Gegenökonomie" sollte deshalb streng dem Grundsatz folgen, dass man keine privaten Gewinne erzielen dürfe. Ob die Gewinne in linke politische und soziale Arbeit oder in die Buchhandlung investiert werden müssten, blieb allerdings heftig umstritten.
Die Frankfurter Karl-Marx-Buchhandlung stellte sich in dieser Kontroverse wohl auf den "realistischen" Standpunkt, dass auch ein von Linken geführter Buchladen ein der kapitalistischen Logik gehorchender Betrieb bleibt. Hätte Djindjic diese Debatte gekannt, hätte er vermutlich gar nicht erst den Preis der "Verfassungslehre" zu drücken versucht. Ob Fischer ihm denn damals einen Preisnachlass gewährt habe? "Kein bisschen. Er hat gesagt: ,Das ist ein guter Preis'. Ich habe dann noch argumentiert. Aber er dachte sehr marktorientiert. Er hat nicht nachgegeben."
CARLOS SPOERHASE
Uwe Sonnenberg: "Von Marx zum Maulwurf".
Linker Buchhandel in
Westdeutschland in den 1970er Jahren.
Wallstein Verlag, Göttingen 2016.
568 S., geb., 44,- [Euro].
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