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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Der Briefwechsel von Stefan George und Karl Wolfskehl hat manche besonderen Stil-Rosinen: Es sind die Briefe von Wolfskehls Frau Hanna.
Von Lorenz Jäger
Anja Mendelssohn, eine der großen Graphologinnen des vergangenen Jahrhunderts, analysierte in ihrem Buch "Der Mensch in der Handschrift" (1928) auch eine Probe von Karl Wolfskehl, die sie in den Abbildungsteil aufgenommen hatte. Diese Schrift, so schrieb sie, "bedarf geradezu eines Schlüssels, um überhaupt gelesen werden zu können". Und jeder, der einmal das kühne, fast schon expressionistische Bild einer Seite dieses Dichters und Essayisten gesehen hat, wird ihr nur ratlos zustimmen können. Um so höher ist die Leistung der beiden Herausgeberinnen Birgit Wägenbaur und Ute Oelmann zu veranschlagen, die diesen Schlüssel finden mussten. Stefan George, an den die Briefe gerichtet waren, gelang es nicht immer, auch nicht Friedrich Gundolf, der sie zeitweise im Auftrag des Meisters zu beantworten hatte.
So lesen wir denn in einem von fremder Hand verfassten, von George, seinem Buchgestalter Melchior Lechter sowie von Reinhold und Sabine Lepsius unterzeichneten Brief (18. November 1903, als Absender fungiert eine "Gesellschaft der Berliner Empfänger Wolfskehlscher Briefe"): "In anbetracht des umstandes, dass es auf keinem friedlichen und gütlichen weg zu erreichen war, dass Karl Wolfskehl an seine freunde leserliche briefe schreibe, - des umstandes, dass durch die schlechte schrift die äußerste nervosität bei den neugierigen empfängern hervorgerufen wurde, und die kostbarsten stunden in unfruchtbarer abmühung vergeudet wurden" - kurz, angesichts all dieser Kalamitäten ergeht der Beschluss, ihm alle Briefe zurückzusenden, die bestimmten formalen Kriterien nicht genügen, ihm großformatiges Briefpapier auf Kosten der "Gesellschaft" zur Verfügung zu stellen, und schließlich wird förmlich erklärt, die Verwarnung richte sich nur gegen den "schreibenden", nicht den "persönlichen" Wolfskehl.
Der Geist des Kreises um George war also keineswegs immer von der feierlichen, steifen und steilen Tonlage der Meisterverehrung bestimmt. Schon in den Briefen, die zwischen Wolfskehl und Gundolf gewechselt wurden, konnte man vor vierzig Jahren die witzigsten, fast Friedrich-Schlegelhaften Dinge finden, und noch kürzlich ließ die Veröffentlichung der Aufzeichnungen von Clothilde Schlayer, die dem Meister in dessen letzten Lebensjahren den Haushalt führte, wieder einen andern Ton finden: voller Zuneigung und sprachlich eigentümlichen Prägungen, oft ironisch getönt, nie aber hämisch.
Und so ist es auch in diesem Briefwechsel eine Frau, Hanna Wolfskehl, die inmitten der hochernsten esoterischen Dichtung andere Saiten anschlägt. Auf die Mahnkarte der "Gesellschaft" hin schrieb sie George: "Ich auch hab mich diebisch gefreut und will nur hoffen dass meine Feder trotz der grossen Wirbligkeit die die Zeit über uns alle hin & hertanzen liess - hübsch brav und ordentlich bleibt und alles treu vermelde." Dann aber kommt sie auf die Dichtung: "Ihre (!) letztes Buch - ich darfs sagen, weil ichs so liebe - scheint mir gerad jetzt das nächste - Ihr nächstes und mir auch zunächst - es ist das ein Gefühl was ich nicht gut umgränzen kann - aber ich möcht sagen - hier am meisten scheint mirs als wärs für mich geschrieben und diese eingebildete Pretention macht mich so glücklich dass ich besser sein kann als irgend wann und es ist nur weil dies Buch mir ist." "Der Karl" arbeite "als emal" an einer gemeinsam geplanten Anthologie, auch von Gundolfs Besuch ist Gutes zu berichten: "Hier ist er schön & rührend gewesen wie noch nie oder besser lang nit." Dieser im wundervollsten Sinne frauenhafte Stil - ein wenig mag er an Goethes Mutter erinnern - macht die Lektüre des Bandes zu einem Entzücken, das nicht nur der Forscher und Germanist, sondern auch das allgemeine Publikum empfinden wird.
Die Zusammenarbeit von George und Wolfskehl betraf die "Blätter für die Kunst" und die dreibändige Anthologie "Deutsche Dichtung", mit der die Ahnenreihe Georges konstruiert wurde: Jean Paul, Goethe und "Das Jahrhundert Goethes". In diesen letzten Band wurde auch Heine aufgenommen; als er seine persönliche Auswahl an Wolfskehl meldet, schreibt George: "Die folgenden bringen also meinen ganzen Heine: die schönsten farben dieser verwesten seele . . ." Man kann vom George-Kreis nicht reden, ohne das Verhältnis von Deutschen und Juden zu beleuchten, das hier für einen Augenblick versöhnt zu sein schien.
Dabei waren die zerreißendsten Spannungen schon da. Als es um die Aufnahme von Prosagedichten Alfred Schulers in die "Blätter" ging, wollte dieser - aus dem Kreis der Münchner "Kosmiker" - nicht mit seinem Namen zeichnen, sondern mit einem Hakenkreuz, der Swastika, die Wolfskehl in seinem Brief an George skizzierte. Und aus Basel unterzeichnete Wolfskehl eine Ansichtskarte an George: "per me Karol. Ulait. Foliat. Zionist." Er hatte am Zionistenkongress als Berichterstatter der "Münchener Allgemeinen Zeitung" teilgenommen ("Foliat." bezieht sich auf die "Blätter", "Ulait." auf seine Dichtung "Ulais", 1897). Aus seinen gleichzeitigen Briefen an Gundolf geht hervor, wie positiv der Eindruck war, den er damals vom Zionismus erhielt.
Denn er war ganz von der hohen Idee des Dichters als Seher bestimmt, und in verschiedenen Epochen seines Lebens konnte es sich um die Antike und die alten Götter handeln oder um den Gott des Alten Testaments. Als er sein Vermögen durch die Inflation verloren hatte, musste er das, was er vom "geheimen Deutschland" wusste und ahnte, in Feuilletons ausmünzen. Manchmal berührten sich Literaturbetrieb und dichterische Geheimlehre schon vorher, im Dezember 1908 schrieb ihm George: "Eine probe Ihres Mysteriensonderdruckes erhalten Sie in die nächsten Tagen die Auflage aber erst nach dem erscheinen des gesamtbandes der für ende januar angekündigt ist."
Dieser Briefwechsel hat kein Happy End. Spätestens nach 1918 dünnt er aus. Zuletzt, 1933, sind beide - gesundheitlich angeschlagen - in der Schweiz, eigentlich wäre die Entfernung kein Hindernis für einen letzten Besuch. Er fand nicht statt.
"Von Menschen und Mächten. Stefan George - Karl und Hanna Wolfskehl. Der Briefwechsel 1892 - 1933".
Hrgs. Birgit Wägenbaur und Ute Oelmann. C.H. Beck Verlag, München 2015. 879 S., geb., Abb., 49,95 [Euro].
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Thomas Karlauf, Die ZEIT, 17. Dezember 2015
"Wolfskehls Briefe sind in ihrer Sprachmächtigkeit und in ihrem Farbenreichtum ein großer Gewinn dieser ebenso kompetenten wie liebevollen Edition (...) Die Briefe von Hanna Wolfskehl [sind] die reine Freude."
Jens Malte Fischer, Süddeutsche Zeitung, 28. Oktober 2015
"Dieser im wundervollsten Sinne frauenhafte Stil [...] macht die Lektüre des Bandes zu einem Entzücken, das nicht nur der Forscher und Germanist, sondern auch das allgemeine Publikum empfinden wird."
Lorenz Jäger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Oktober 2015