Sind wir auf dem Weg in eine Gesellschaft, in der alles käuflich ist? In demokratischen Gesellschaften sind Märkte die beherrschende Form gesellschaftlicher Organisation. Idealerweise sollen sie sich durch höchstmögliche Effizienz bei gleichzeitig größtmöglicher Verteilungsgerechtigkeit auszeichnen, aber auch individuelle Freiheit garantieren. Wenn Organhandel, Sexarbeit, Kinderarbeit, Handel mit Wählerstimmen, Waffen oder mit weiblichen Reproduktionskräften, um nur einige Beispiele zu nennen, den Bedingungen der kapitalistischen Verwertungsgesetzmäßigkeit unterworfen werden - was längst der Fall ist -, hat das Auswirkungen auf die Bedingungen und Wertvorstellungen einer demokratischen Gesellschaft. Welche Güter müssen den Marktgesetzen entzogen werden, weil ihre Vermarktlichung den Bedingungen und Wertvorstellungen einer demokratischen Gesellschaft widerspricht? Debra Satz erläutert nicht nur die ideengeschichtlichen Grundlagen der Märkte und der Gleichheit von Adam Smith bis Ronald Dworkin, sie stellt ebenso die Marktmechanismen auf den Prüfstand, die in die Gesundheitsfürsorge, die Bildung, die Arbeit und die politische Einflussnahme Einzug gehalten haben. Sie beschreibt und analysiert die signifikanten Konsequenzen einer allumfassenden Marktorientierung für die Gesellschaft, sowohl in sozialer, kultureller als auch politischer Hinsicht.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Dass es der Autorin in ihrer Marktkritik weder darum geht, dem Liberalismus das Wort zu reden, noch einem rigiden Moralismus, rechnet Robin Celikates der Philosophin Debra Satz hoch an. Um wohlfeile Antworten geht es also nicht, wenn Satz auf anpruchsvolle wie lesbare Weise, so der Rezesent, nach normativen Bewertungsmöglichkeiten von Märkten sucht. Und sie findet. Soziale Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse etwa. Ihr differenzierendes Vorgehen ist Celikates zufolge der eigentliche Verdienst der Autorin. Mit Smith und Marx kann sie dem Rezensenten soziale Kontexte und vor allem die Verschiedenheit von Märkten aufzeigen. So gesehen erscheinen Celikates sogar Kinderarbeit und Prostitution in einem anderen Licht. Der für den Rezensenten klar am demokratischen Ideal ausgerichtete Ansatz lässt allerdings Flüchtlinge ohne Aufenthaltstatus und ebenso die Natur außen vor. Für Celikates wiederum der Beweis, wie wenig neutral und miteinander vergleichbar Märkte tatsächlich sind.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.2013Wenn Märkte an die Nieren gehen
Wie unterscheidet sich ein Markt für Äpfel von einem für menschliche Nieren? Ökonomen würden sagen: kaum. Märkte sind Institutionen, die einen freiwilligen Tausch zwischen zwei oder mehr Parteien ermöglichen - die Moralität der Güter spielt dabei keine Rolle. Ein Eingriff in einen Markt ist folglich nur dann legitim, wenn er sich als ineffizient erweist. In der Realität ruft der Handel mit Organen, Sex, Kinderarbeit, Drogen und Waffen jedoch häufig Abscheu und Unbehagen hervor, wie die aktuelle Debatte um das Thema Prostitution zeigt. Die Frage ist nur, was daraus folgt: Wann ist es legitim, in diese Märkte einzugreifen oder sie gar zu verbieten?
Debra Satz, Philosophieprofessorin in Stanford, kritisiert in ihrem Buch ("Von Waren und Werten". Die Macht der Märkte und warum manche Dinge nicht zum Verkauf stehen sollten. Hamburger Edition, Hamburg 2013. 318 S., geb., 32,- [Euro]) die "eindimensionale Sichtweise" der Wirtschaftswissenschaften und argumentiert, dass Märkte auch Grenzen moralischer Natur haben. Die egalitaristische Vision einer Gesellschaft von Gleichen ist ihre zentrale Prämisse: Märkte müssen eingeschränkt werden, wenn sie den Parteien die Fähigkeit nehmen, als Gleiche zu interagieren. Um herauszufinden, wann ein Markt "toxisch" ist, formuliert Satz vier Kriterien: die Verwundbarkeit der beteiligten Marktteilnehmer, eingeschränkte Handlungsfähigkeit, schädliche Resultate für den Einzelnen und schädliche Resultate für die Gesellschaft.
Satz versucht nicht, die soziale Bedeutung der Güter zu beurteilen. Ob es moralisch zu vertreten ist, seine Organe zu verkaufen oder sich zu prostituieren, darüber mag jeder anderer Meinung sein. Doch Schlussfolgerungen für die Politik kann auch Satz nicht geben. Beispiel Nierenmarkt: Wer seine Niere verkauft, hat möglicherweise keine andere Wahl und kann die gesundheitlichen Risiken nicht richtig einschätzen. Diese Probleme würden sich laut Satz noch beheben lassen, wenn man den Markt nur richtig reguliert. Anders verhält es sich mit den Konsequenzen für die Gesellschaft: Wenn, wie in bestimmten Regionen Indiens, Nieren als potentielles Pfand für einen Kredit gelten, könnte es für jemanden, der seine Niere nicht verkaufen will, schwieriger werden, ein Darlehen zu bekommen. Sollten also Menschen dafür büßen, dass sie ihre Organe nicht verkaufen wollen? Selbst diesem Argument kann Satz als Begründung für ein Verbot eines Nierenmarktes "nur bedingt zustimmen" - weil auch diejenigen schwer wiegen, die mangels eines Transplantats sterben.
Dass ein Markt toxisch ist, bedeutet also nicht zwangsläufig, dass man ihn auch verbieten sollte. Satz lässt sich nicht zu einfachen Antworten hinreißen; gleichzeitig verliert man aber genau deshalb leicht die Übersicht. Sie richtet sich ganz klar an ein wissenschaftliches Publikum; diesem ermöglicht sie eine neue Perspektive auf Märkte, die über die Vorstellung hinausgeht, dass ein aus Verzweiflung abgeschlossenes Geschäft immer auch ausbeuterisch und schon deshalb zu verbieten ist.
BRITTA BEEGER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie unterscheidet sich ein Markt für Äpfel von einem für menschliche Nieren? Ökonomen würden sagen: kaum. Märkte sind Institutionen, die einen freiwilligen Tausch zwischen zwei oder mehr Parteien ermöglichen - die Moralität der Güter spielt dabei keine Rolle. Ein Eingriff in einen Markt ist folglich nur dann legitim, wenn er sich als ineffizient erweist. In der Realität ruft der Handel mit Organen, Sex, Kinderarbeit, Drogen und Waffen jedoch häufig Abscheu und Unbehagen hervor, wie die aktuelle Debatte um das Thema Prostitution zeigt. Die Frage ist nur, was daraus folgt: Wann ist es legitim, in diese Märkte einzugreifen oder sie gar zu verbieten?
Debra Satz, Philosophieprofessorin in Stanford, kritisiert in ihrem Buch ("Von Waren und Werten". Die Macht der Märkte und warum manche Dinge nicht zum Verkauf stehen sollten. Hamburger Edition, Hamburg 2013. 318 S., geb., 32,- [Euro]) die "eindimensionale Sichtweise" der Wirtschaftswissenschaften und argumentiert, dass Märkte auch Grenzen moralischer Natur haben. Die egalitaristische Vision einer Gesellschaft von Gleichen ist ihre zentrale Prämisse: Märkte müssen eingeschränkt werden, wenn sie den Parteien die Fähigkeit nehmen, als Gleiche zu interagieren. Um herauszufinden, wann ein Markt "toxisch" ist, formuliert Satz vier Kriterien: die Verwundbarkeit der beteiligten Marktteilnehmer, eingeschränkte Handlungsfähigkeit, schädliche Resultate für den Einzelnen und schädliche Resultate für die Gesellschaft.
Satz versucht nicht, die soziale Bedeutung der Güter zu beurteilen. Ob es moralisch zu vertreten ist, seine Organe zu verkaufen oder sich zu prostituieren, darüber mag jeder anderer Meinung sein. Doch Schlussfolgerungen für die Politik kann auch Satz nicht geben. Beispiel Nierenmarkt: Wer seine Niere verkauft, hat möglicherweise keine andere Wahl und kann die gesundheitlichen Risiken nicht richtig einschätzen. Diese Probleme würden sich laut Satz noch beheben lassen, wenn man den Markt nur richtig reguliert. Anders verhält es sich mit den Konsequenzen für die Gesellschaft: Wenn, wie in bestimmten Regionen Indiens, Nieren als potentielles Pfand für einen Kredit gelten, könnte es für jemanden, der seine Niere nicht verkaufen will, schwieriger werden, ein Darlehen zu bekommen. Sollten also Menschen dafür büßen, dass sie ihre Organe nicht verkaufen wollen? Selbst diesem Argument kann Satz als Begründung für ein Verbot eines Nierenmarktes "nur bedingt zustimmen" - weil auch diejenigen schwer wiegen, die mangels eines Transplantats sterben.
Dass ein Markt toxisch ist, bedeutet also nicht zwangsläufig, dass man ihn auch verbieten sollte. Satz lässt sich nicht zu einfachen Antworten hinreißen; gleichzeitig verliert man aber genau deshalb leicht die Übersicht. Sie richtet sich ganz klar an ein wissenschaftliches Publikum; diesem ermöglicht sie eine neue Perspektive auf Märkte, die über die Vorstellung hinausgeht, dass ein aus Verzweiflung abgeschlossenes Geschäft immer auch ausbeuterisch und schon deshalb zu verbieten ist.
BRITTA BEEGER
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