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In "Vorstadthimmel" macht Gabriele Kögl aus Luxus und Liebe scharfe Waffen
"Schönste Elfenkönigin der Welt" nennt Heinrich seine einzige, vergötterte Tochter Agnes, als sie ihm das Kostüm vorführt, in dem sie Titania bei einer Schultheateraufführung spielen wird. Agnes antwortet: "Aber es stört mich, dass ich mich in einen Esel verliebe."
Wer bei der Lektüre von Gabriele Kögls Roman "Vorstadthimmel" bei diesem Dialog ankommt, wird seine Doppeldeutigkeit bemerken. Der "Esel" gilt hier auch dem Vater. Ganz wie in dem Kreisler-Lied vom "ausgesprochen schönen Heinrich, der die Liebe entfacht", an das die Österreicherin Kögl beim Finden eines Namens für die männliche Hauptfigur gedacht haben könnte, ist auch ihr Heinrich ein rechtschaffener Schwerenöter, nach dem die Frauen, wie bei Kreisler", "krächzen und lechzen", für den sie "ochsen und boxen, frieren und funktionieren". Mag seine Masche auch simpel sein, sie greift.
Ehemals als Dressman unterwegs, führt Heinrich inzwischen eine erfolgreiche Zahnarztpraxis in bester Wiener Innenstadtlage, besitzt eine prachtvolle Villa und pflegt aufs zärtlichste seinen Lamborghini. Die attraktive Elisabeth aus gutem Hause ist ihm treues Weib und der Tochter eine liebevolle Mutter. Ob sie zu gutgläubig oder zu großzügig ist, um seine Affären zu bemerken, bleibt ihr Geheimnis. Der uneheliche Sohn einer verhärteten Krankenpflegerin und eines Vaters, der lediglich Erzeuger war, ist, allen Widerständen zum Trotz, ganz oben angekommen. Er könnte sein Dolce Vita unbekümmert weiterführen, käme es nicht zur Katastrophe: Seine Geliebte Margot, freie Mitarbeiterin beim Hörfunk, bislang anspruchslos, wird ungeplant schwanger. Mit einem garstigen Psychotrick versucht er, Margot zur Abtreibung zu zwingen. Doch die entscheidet sich in letzter Minute gegen ihn und für das Kind.
Luxus und Liebeleien sind die Waffen, mit denen in "Vorstadthimmel" ein narzisstisch gestörtes Ego das Gefühl der inneren Leere, das sich immer wieder einzuschleichen droht, in Schach zu halten versucht. Kögl schneidert Heinrich mittels gebetsmühlenartig wiederholter innerer, phrasenhafter Vergleiche mit Dritten eine Sprache des Verdrängens und Übertrumpfens auf den Leib. An seinem unehelichen Sohn wird Heinrich, für den Selbstkritik ein Fremdwort ist, das Vernachlässigungsmuster wiederholen, das sich in seiner Kindheit tief in ihn eingesenkt hat. Dieser Esel ist ein armes Schwein.
In regelmäßigen Perspektivwechseln hat die Autorin Margots Version der Dinge dagegenmontiert ist, wodurch der Roman an Fahrt gewinnt und die zwei Seiten der Medaille dieser Mesalliance zeigt. Den Plot von "Vorstadthimmel", der leicht zur Klamotte hätte werden können, gestaltet Kögl zu einem komischen, vor allem aber verstörenden Roman. Sie erspart ihren Figuren die großen Katastrophen, interessiert sich vielmehr für die lichten oder getrübten Momente, in denen Entscheidungen gefällt werden, für deren Folgen. Die alltägliche Härte von Margots und Heinrichs Leben, die eingeübten Verhaltensmuster, die gesellschaftlichen Zwänge und die blinden Flecken in beider Wahrnehmung werden in Kögls konsequentem Verzicht auf donnernde Paukenschläge umso plastischer. Dass das Erzählte eher nachhallt wie ein piepsender Tinnituston, ist ein Kompliment an diesen Roman.
BEATE TRÖGER
Gabriele Kögl: "Vorstadthimmel". Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011. 278 S., geb., 17,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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