Ein Augenzeugenbericht vom Kampfplatz der Leipziger Völkerschlacht, den Weimars Verleger und Journalist Carl Bertuch von seiner Oktoberreise nach Leipzig niedergeschrieben hat. Anfang 1814 lag das Werk bereits gedruckt vor und ist bis heute die erste authentische Kunde vom Ort des Geschehens, von den Gesprächen Bertuchs mit den Kombattanten und seinen ersten Ideen zu einem Denkmal - der 'Kapelle der Eintracht'. 'Wohl dem, der dann noch ein menschlich-theilnehmendes Herz sich erhält!' Dieser Satz steht in Carl Bertuchs Bericht über die verwüstete, von Verwundeten und Sterbenden erfüllte Stadt Leipzig am Tag nach dem Ende der viertägigen Schlacht, die alles überstieg, was sich in einem fast seit einem Vierteljahrhundert durch Krieg und Zerstörung geprägten Europa ereignet hatte. Bertuch war mit seinem Jugendfreund Ferdinand Jagemann, dem späteren sachsen-weimarischen Hofmaler, am 19. Oktober 1813, als die Schlacht noch tobte, von Weimar aus nach Leipzig aufgebrochen, um Augenzeuge dieses für den Kampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft so entscheidenden Ereignisses zu werden. Carl Bertuch nahm gezielt und systematisch Informationen über den Verlauf der Kämpfe und den Anteil einzelner Heeresteile und Kampfverbände auf beiden Seiten auf: Augenzeugenberichte, Befragungen von Offizieren, möglichst Stabsoffizieren, Beschaffung von offiziellen militärischen Bulletins zu den einzelnen Tagen der Schlacht, zu den Einzelheiten des Verlaufs der Kämpfe usw. Aus diesen Materialien wächst die sachliche durch Karten veranschaulichte Darstellung, die ein objektives, durch Daten und Fakten fundiertes Bild der Völkerschlacht, eine Art der Statistik, ergibt. Hierin liegt die militärgeschichtliche Bedeutung dieses Buches. Man kann eigentlich nicht erklären, weshalb Carl B
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2013Wanderer, kommst du nach Connewitz
Vor zweihundert Jahren standen sich bei Leipzig Soldaten aus einem Dutzend Nationen gegenüber. Die bis dahin größte aller Schlachten entschied über Napoleons Sturz und die weitere Geschichte Europas. Ein Wegweiser durch neue Bücher zur Völkerschlacht und zu den Befreiungskriegen.
Von Andreas Kilb
Am 14. Oktober 1813, kurz nach 16 Uhr, nutzt ein Gehilfe aus einem Leipziger Handelshaus die Gelegenheit, auf dem Galgenplatz vor den Toren der Stadt einen Blick aus nächster Nähe auf den Kaiser der Franzosen zu werfen. Der große Mann, schreibt der anonyme Schaulustige in seinem erst 1926 in den "Leipziger Neuesten Nachrichten" erschienenen Bericht, sitzt über einen Kartentisch gebeugt und "sieht aus wie ein Dicker Pächter, er popelt sich oft in der Nase, welches nicht hübsch aussieht! - gähnte sehr oft und schlug sein Wasser öffentlich ab. Immer ist er beschäftigt, bald ging er hin und her, bald legte er sich mit seinem dicken Corpus auf seine Stuhllähne und schaukelte sich, auf die liegende Landkarte sehend, dann spielte er mit einem Erlenknittel, welchen er beim Feuer fand . . . " Mit einem Wort: Napoleon ist nervös. So nervös wie der Leser, der sich fragt, welche der vielen Neuerscheinungen zum zweihundertsten Jahrestag der Leipziger Völkerschlacht und zu den Befreiungskriegen er sich passenderweise zulegen soll. Steffen Posers Bändchen beispielsweise, aus dem der zitierte Augenzeugenbericht stammt, enthält noch viele ähnlich anregende Zitate und eine Fülle an Illustrationen aus dem Bestand des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, bei dem der Autor als Kurator der Militaria-Sammlung tätig ist, bleibt aber gerade in der Veranschaulichung des eigentlichen, sprich: militärischen Geschehens jener vier nasskalten Oktobertage von 1813 ein entscheidendes Element schuldig - Karten. Schließlich weiß nicht jeder Nichtleipziger (und selbst mancher Leipziger nicht) auf Anhieb, wo Möckern, Dölitz, Connewitz, Wachau oder Probstheida liegen, die Orte, an denen die Schlacht entschieden wurde. Ohne eine genaue Vorstellung von der Topographie des Geschehens aber hängen die prägnanten Schilderungen Posers und seiner Gewährsleute in der Luft.
Dafür punktet Posers Buch in den Schlusskapiteln, in denen es um den Anteil Sachsens an den Befreiungskriegen geht. So erfährt man, dass es nicht nur sächsische Freiwillige in der antinapoleonischen Allianz gab. Es gab auch, unter den bei Leipzig ins Lager der Verbündeten übergelaufenen regulären Truppen, eine regelrechte, blutig niedergeschlagene Rebellion gegen die Eingliederung ins preußische Heer im Frühjahr 1815. Auf dem Wiener Kongress konnte Metternich zur gleichen Zeit nur knapp die Annexion Sachsens durch Preußen verhindern. Kein Wunder, dass die Leipziger alsbald wenig Lust verspürten, den Jahrestag der Völkerschlacht zu feiern.
Ein bei Probstheida aufgestelltes Ehrenkreuz wurde heimlich angesägt, so dass es beim nächsten Sturm umfiel. "Hat uns der Preuß' das Land gestohlen, mag auch das Kreuz der Teufel holen", soll auf einem Zettel gestanden haben, der in der Nähe gefunden wurde.
Hans-Ulrich Thamers Band tritt mit dem Gestus eines künftigen Standardwerks an. Entsprechend schlägt der Autor einen weiten Bogen von Napoleons Aufstieg über die russische Katastrophe zu den Koalitionsverhandlungen des Sommers 1813, bevor er auf dem Schlachtfeld ankommt. Aber bereits auf dem Weg dorthin gerät er bei Kleinigkeiten ins Stolpern. So liegt Gadebusch, wo Theodor Körner fiel, nicht "im Süden von Leipzig", sondern hoch oben in Mecklenburg. Und bei Dennewitz hat nicht Blücher, sondern die Nordarmee unter Bernadotte und Bülow über die Franzosen gesiegt.
Und was soll man von Thamers Bemerkung halten, Napoleon habe seine "ganze Kriegskunst" darin gezeigt, dass er "die Infanterie . . . zu geschlossenen Divisionskolonnen umformen" ließ, "um die Feuerreihen weniger tief zu staffeln und sie stattdessen zu verbreitern"? Die von Napoleon erfundene Kolonnentaktik bestand in Stoßangriffen tief gestaffelter Infanterie, während die klassische Linientaktik Feuerreihen von drei oder vier Gliedern vorsah. Thamer kann beides offenbar nicht auseinanderhalten.
Diese Kette von Ungenauigkeiten setzt sich in den folgenden Kapiteln fort. Die Parthe, die am 16. Oktober die Schlachtfelder der schlesischen Armee und der Hauptarmee unter Schwarzenberg trennte, mündet nicht "in die Pleiße". Blücher überschritt bei der Verfolgung Napoleons den Rhein nicht irgendwo "zwischen Mannheim und Koblenz", sondern exakt bei Kaub. Und der "kleine Krieg" bezeichnet eben nicht die Kabinettskriege des achtzehnten Jahrhunderts, wie Thamer suggeriert, sondern jene Taktik der Überfälle mit Reiterei und Milizen auf isolierte Einheiten des Gegners, die zwar schon vor Napoleon existierte, aber erst durch den Befreiungskrieg der Spanier ab 1808 - daher das Wort "guerilla" - zum Begriff wurde.
Solche Schnitzer trüben den Eindruck eines Buches, das insgesamt durchaus lesenswert und in den Schlussbetrachtungen über "Kulturen der Gewalt" und den Erinnerungsort Leipzig sogar vorbildlich ist. Wer erfahren will, wie unterschiedlich das Bild der Völkerschlacht schon kurz nach dem Ereignis in Berlin, Wien oder auch im Frankfurter Vorort Rödelheim war, wo sich Ernst Moritz Arndt und andere Patrioten trafen, um ein Festkomitee zur Vorbereitung jährlicher Gedenkfeiern zu gründen, muss Thamer lesen.
Wer sich dagegen mehr für eine lebendige Schilderung des Ereignisses und seiner politischen Voraussetzungen interessiert, wird zu Gerd Fessers knapper Darstellung greifen. Die Schlacht selbst nimmt bei Fesser nur zwanzig von hundert Textseiten ein, dennoch wird sie in all ihren Phasen unmittelbar anschaulich. So begreift man, wie nah Schwarzenberg, der seine Kräfte in dem schwierigen Gelände um Leipzig zersplittert hatte, am ersten Tag einer Niederlage war; und man versteht, dass es neben Blüchers Sturkopf der militärische Instinkt des Zaren Alexander war, der die Schlacht für die Verbündeten entschied.
Der Unterschied zwischen lebendigem Erzählen und den flotten Plattheiten, mit denen ein Teil der deutschen Geschichtswissenschaft um Leser wirbt, ist nicht immer gleich erkennbar. Aber man spürt ihn sofort, wenn man Arnulf Krauses Buch über die Befreiungskriege liest. Etwa da, wo es um die geistigen Feldzüge geht, mit denen deutsche Gelehrte die nationale Erhebung vorbereiten: "So der große Philosophie-Professor Immanuel Kant in Königsberg, der die Gefahren der Zukunft zu erdenken schien." Oder sein Verehrer Schiller, der "ein hehres Ziel vor Augen" hat, das aber "wiederum nicht so recht von dieser Welt ist". Auch jenen "jungen, früh verstorbenen Romantiker", der "sich Novalis nennt", treibt "das deutsche Geschick um". Derweil tut sich im Patriotentum eines Ernst Moritz Arndt "das ganze Problem deutscher Grenzen auf" - was wiederum Napoleon nicht davon abhält, "den deutschen Geistesgrößen eine gewisse Referenz (!) zu erweisen". Man könnte so noch lange weiter zitieren.
Was sich hier zwischen zwei Buchdeckeln auftut, ist ein neuer dampfplaudernder Typus populärer Publizistik, den man als Wikipedia-Wissenschaft bezeichnen möchte. Sein Standbein ist der Zugriff auf alles, was man über ein gegebenes Thema im Netz findet, sein Spielbein ein gut sortierter Zitatenkasten. Bei Krause ist dieser Kasten so reichlich gefüllt, dass er aufs Selbstdenken großenteils verzichten kann. Erst der selbstgewählte Zwang, ein Resümee zu ziehen, entlockt ihm ein paar finale Plattitüden: "Um 1813 zeichnen sich mehr oder weniger deutlich deutsche Sonderwege, fatale Irrwege und langwierige Umwege ab." Das hätte ein politischer Festredner nicht besser sagen können.
"Wie ein Koloß, eine Pyramide, ein Dom in Köln", so stellte sich Ernst Moritz Arndt ein Denkmal für die Befreiungskriege vor. Wie es auch, und ganz anders, hätte aussehen können, erfährt man aus einer historischen Denkschrift des Weimarer Verlegersohns Carl Bertuch, die Siegfried und Peter Seifert mit Bertuchs Augenzeugenbericht "Wanderung nach dem Schlachtfelde von Leipzig im October 1813" in einem exquisiten kleinen Band zusammengefasst haben. Die "Kapelle der Eintracht", die Bertuch auf dem Schlachtfeld errichten wollte, huldigte vor allem den verbündeten Monarchen von Österreich, Russland und Preußen, deren Statuen, "bedeutungsvoll aus Eisen gegossen", den Andachtsraum dominiert hätten, während ihre Heerführer in Reliefszenen zu sehen sein sollten.
Auf der Skizze von Karl Friedrich Steiner, die der Denkschrift beiliegt, erinnert Bertuchs Kapelle nicht von ungefähr an Schinkels Nationaldenkmal auf dem Berliner Kreuzberg. So war der Stil der Zeit: gotisch, romantisch, nicht ohne Melancholie. Doch es sollte nicht sein. Carl Bertuch starb 1815 in Weimar an Typhus. Das Trumm, das heute in Leipzig steht, kreuzt Arndts Großtönerei mit dem Größenwahn des Kaiserreichs. Mit diesem Erbe müssen wir leben.
Hans-Ulrich Thamer: "Die Völkerschlacht bei Leipzig". Europas Kampf gegen Napoleon.
Verlag C. H. Beck, München 2013. 126 S., Abb., br., 8,95 [Euro].
Gerd Fesser: "1813: Die Völkerschlacht bei Leipzig".
Verlag Bussert & Stadeler, Jena/Leipzig/ Quedlinburg 2013. 171 S., geb., 19,90 [Euro].
Steffen Poser: "Die Völkerschlacht bei Leipzig". In Schutt und Graus begraben.
Edition Leipzig im Seemann Henschel Verlag, Leipzig 2013. 176 S., Abb., geb., 19,90 [Euro].
Arnulf Krause: "Der Kampf um Freiheit". Die Napoleonischen Befreiungskriege in Deutschland.
Konrad Theiss Verlag, Darmstadt 2013. 350 S., Abb., geb., 26,95 [Euro].
"Wanderung nach dem Schlachtfelde von Leipzig im October 1813". Ein Augenzeugenbericht zur Völkerschlacht von Carl Bertuch.
Hrsg. v. Siegfried und Peter Seifert. Sax-Verlag, Markkleeberg 2013. 160 S., Abb., geb., 14,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vor zweihundert Jahren standen sich bei Leipzig Soldaten aus einem Dutzend Nationen gegenüber. Die bis dahin größte aller Schlachten entschied über Napoleons Sturz und die weitere Geschichte Europas. Ein Wegweiser durch neue Bücher zur Völkerschlacht und zu den Befreiungskriegen.
Von Andreas Kilb
Am 14. Oktober 1813, kurz nach 16 Uhr, nutzt ein Gehilfe aus einem Leipziger Handelshaus die Gelegenheit, auf dem Galgenplatz vor den Toren der Stadt einen Blick aus nächster Nähe auf den Kaiser der Franzosen zu werfen. Der große Mann, schreibt der anonyme Schaulustige in seinem erst 1926 in den "Leipziger Neuesten Nachrichten" erschienenen Bericht, sitzt über einen Kartentisch gebeugt und "sieht aus wie ein Dicker Pächter, er popelt sich oft in der Nase, welches nicht hübsch aussieht! - gähnte sehr oft und schlug sein Wasser öffentlich ab. Immer ist er beschäftigt, bald ging er hin und her, bald legte er sich mit seinem dicken Corpus auf seine Stuhllähne und schaukelte sich, auf die liegende Landkarte sehend, dann spielte er mit einem Erlenknittel, welchen er beim Feuer fand . . . " Mit einem Wort: Napoleon ist nervös. So nervös wie der Leser, der sich fragt, welche der vielen Neuerscheinungen zum zweihundertsten Jahrestag der Leipziger Völkerschlacht und zu den Befreiungskriegen er sich passenderweise zulegen soll. Steffen Posers Bändchen beispielsweise, aus dem der zitierte Augenzeugenbericht stammt, enthält noch viele ähnlich anregende Zitate und eine Fülle an Illustrationen aus dem Bestand des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, bei dem der Autor als Kurator der Militaria-Sammlung tätig ist, bleibt aber gerade in der Veranschaulichung des eigentlichen, sprich: militärischen Geschehens jener vier nasskalten Oktobertage von 1813 ein entscheidendes Element schuldig - Karten. Schließlich weiß nicht jeder Nichtleipziger (und selbst mancher Leipziger nicht) auf Anhieb, wo Möckern, Dölitz, Connewitz, Wachau oder Probstheida liegen, die Orte, an denen die Schlacht entschieden wurde. Ohne eine genaue Vorstellung von der Topographie des Geschehens aber hängen die prägnanten Schilderungen Posers und seiner Gewährsleute in der Luft.
Dafür punktet Posers Buch in den Schlusskapiteln, in denen es um den Anteil Sachsens an den Befreiungskriegen geht. So erfährt man, dass es nicht nur sächsische Freiwillige in der antinapoleonischen Allianz gab. Es gab auch, unter den bei Leipzig ins Lager der Verbündeten übergelaufenen regulären Truppen, eine regelrechte, blutig niedergeschlagene Rebellion gegen die Eingliederung ins preußische Heer im Frühjahr 1815. Auf dem Wiener Kongress konnte Metternich zur gleichen Zeit nur knapp die Annexion Sachsens durch Preußen verhindern. Kein Wunder, dass die Leipziger alsbald wenig Lust verspürten, den Jahrestag der Völkerschlacht zu feiern.
Ein bei Probstheida aufgestelltes Ehrenkreuz wurde heimlich angesägt, so dass es beim nächsten Sturm umfiel. "Hat uns der Preuß' das Land gestohlen, mag auch das Kreuz der Teufel holen", soll auf einem Zettel gestanden haben, der in der Nähe gefunden wurde.
Hans-Ulrich Thamers Band tritt mit dem Gestus eines künftigen Standardwerks an. Entsprechend schlägt der Autor einen weiten Bogen von Napoleons Aufstieg über die russische Katastrophe zu den Koalitionsverhandlungen des Sommers 1813, bevor er auf dem Schlachtfeld ankommt. Aber bereits auf dem Weg dorthin gerät er bei Kleinigkeiten ins Stolpern. So liegt Gadebusch, wo Theodor Körner fiel, nicht "im Süden von Leipzig", sondern hoch oben in Mecklenburg. Und bei Dennewitz hat nicht Blücher, sondern die Nordarmee unter Bernadotte und Bülow über die Franzosen gesiegt.
Und was soll man von Thamers Bemerkung halten, Napoleon habe seine "ganze Kriegskunst" darin gezeigt, dass er "die Infanterie . . . zu geschlossenen Divisionskolonnen umformen" ließ, "um die Feuerreihen weniger tief zu staffeln und sie stattdessen zu verbreitern"? Die von Napoleon erfundene Kolonnentaktik bestand in Stoßangriffen tief gestaffelter Infanterie, während die klassische Linientaktik Feuerreihen von drei oder vier Gliedern vorsah. Thamer kann beides offenbar nicht auseinanderhalten.
Diese Kette von Ungenauigkeiten setzt sich in den folgenden Kapiteln fort. Die Parthe, die am 16. Oktober die Schlachtfelder der schlesischen Armee und der Hauptarmee unter Schwarzenberg trennte, mündet nicht "in die Pleiße". Blücher überschritt bei der Verfolgung Napoleons den Rhein nicht irgendwo "zwischen Mannheim und Koblenz", sondern exakt bei Kaub. Und der "kleine Krieg" bezeichnet eben nicht die Kabinettskriege des achtzehnten Jahrhunderts, wie Thamer suggeriert, sondern jene Taktik der Überfälle mit Reiterei und Milizen auf isolierte Einheiten des Gegners, die zwar schon vor Napoleon existierte, aber erst durch den Befreiungskrieg der Spanier ab 1808 - daher das Wort "guerilla" - zum Begriff wurde.
Solche Schnitzer trüben den Eindruck eines Buches, das insgesamt durchaus lesenswert und in den Schlussbetrachtungen über "Kulturen der Gewalt" und den Erinnerungsort Leipzig sogar vorbildlich ist. Wer erfahren will, wie unterschiedlich das Bild der Völkerschlacht schon kurz nach dem Ereignis in Berlin, Wien oder auch im Frankfurter Vorort Rödelheim war, wo sich Ernst Moritz Arndt und andere Patrioten trafen, um ein Festkomitee zur Vorbereitung jährlicher Gedenkfeiern zu gründen, muss Thamer lesen.
Wer sich dagegen mehr für eine lebendige Schilderung des Ereignisses und seiner politischen Voraussetzungen interessiert, wird zu Gerd Fessers knapper Darstellung greifen. Die Schlacht selbst nimmt bei Fesser nur zwanzig von hundert Textseiten ein, dennoch wird sie in all ihren Phasen unmittelbar anschaulich. So begreift man, wie nah Schwarzenberg, der seine Kräfte in dem schwierigen Gelände um Leipzig zersplittert hatte, am ersten Tag einer Niederlage war; und man versteht, dass es neben Blüchers Sturkopf der militärische Instinkt des Zaren Alexander war, der die Schlacht für die Verbündeten entschied.
Der Unterschied zwischen lebendigem Erzählen und den flotten Plattheiten, mit denen ein Teil der deutschen Geschichtswissenschaft um Leser wirbt, ist nicht immer gleich erkennbar. Aber man spürt ihn sofort, wenn man Arnulf Krauses Buch über die Befreiungskriege liest. Etwa da, wo es um die geistigen Feldzüge geht, mit denen deutsche Gelehrte die nationale Erhebung vorbereiten: "So der große Philosophie-Professor Immanuel Kant in Königsberg, der die Gefahren der Zukunft zu erdenken schien." Oder sein Verehrer Schiller, der "ein hehres Ziel vor Augen" hat, das aber "wiederum nicht so recht von dieser Welt ist". Auch jenen "jungen, früh verstorbenen Romantiker", der "sich Novalis nennt", treibt "das deutsche Geschick um". Derweil tut sich im Patriotentum eines Ernst Moritz Arndt "das ganze Problem deutscher Grenzen auf" - was wiederum Napoleon nicht davon abhält, "den deutschen Geistesgrößen eine gewisse Referenz (!) zu erweisen". Man könnte so noch lange weiter zitieren.
Was sich hier zwischen zwei Buchdeckeln auftut, ist ein neuer dampfplaudernder Typus populärer Publizistik, den man als Wikipedia-Wissenschaft bezeichnen möchte. Sein Standbein ist der Zugriff auf alles, was man über ein gegebenes Thema im Netz findet, sein Spielbein ein gut sortierter Zitatenkasten. Bei Krause ist dieser Kasten so reichlich gefüllt, dass er aufs Selbstdenken großenteils verzichten kann. Erst der selbstgewählte Zwang, ein Resümee zu ziehen, entlockt ihm ein paar finale Plattitüden: "Um 1813 zeichnen sich mehr oder weniger deutlich deutsche Sonderwege, fatale Irrwege und langwierige Umwege ab." Das hätte ein politischer Festredner nicht besser sagen können.
"Wie ein Koloß, eine Pyramide, ein Dom in Köln", so stellte sich Ernst Moritz Arndt ein Denkmal für die Befreiungskriege vor. Wie es auch, und ganz anders, hätte aussehen können, erfährt man aus einer historischen Denkschrift des Weimarer Verlegersohns Carl Bertuch, die Siegfried und Peter Seifert mit Bertuchs Augenzeugenbericht "Wanderung nach dem Schlachtfelde von Leipzig im October 1813" in einem exquisiten kleinen Band zusammengefasst haben. Die "Kapelle der Eintracht", die Bertuch auf dem Schlachtfeld errichten wollte, huldigte vor allem den verbündeten Monarchen von Österreich, Russland und Preußen, deren Statuen, "bedeutungsvoll aus Eisen gegossen", den Andachtsraum dominiert hätten, während ihre Heerführer in Reliefszenen zu sehen sein sollten.
Auf der Skizze von Karl Friedrich Steiner, die der Denkschrift beiliegt, erinnert Bertuchs Kapelle nicht von ungefähr an Schinkels Nationaldenkmal auf dem Berliner Kreuzberg. So war der Stil der Zeit: gotisch, romantisch, nicht ohne Melancholie. Doch es sollte nicht sein. Carl Bertuch starb 1815 in Weimar an Typhus. Das Trumm, das heute in Leipzig steht, kreuzt Arndts Großtönerei mit dem Größenwahn des Kaiserreichs. Mit diesem Erbe müssen wir leben.
Hans-Ulrich Thamer: "Die Völkerschlacht bei Leipzig". Europas Kampf gegen Napoleon.
Verlag C. H. Beck, München 2013. 126 S., Abb., br., 8,95 [Euro].
Gerd Fesser: "1813: Die Völkerschlacht bei Leipzig".
Verlag Bussert & Stadeler, Jena/Leipzig/ Quedlinburg 2013. 171 S., geb., 19,90 [Euro].
Steffen Poser: "Die Völkerschlacht bei Leipzig". In Schutt und Graus begraben.
Edition Leipzig im Seemann Henschel Verlag, Leipzig 2013. 176 S., Abb., geb., 19,90 [Euro].
Arnulf Krause: "Der Kampf um Freiheit". Die Napoleonischen Befreiungskriege in Deutschland.
Konrad Theiss Verlag, Darmstadt 2013. 350 S., Abb., geb., 26,95 [Euro].
"Wanderung nach dem Schlachtfelde von Leipzig im October 1813". Ein Augenzeugenbericht zur Völkerschlacht von Carl Bertuch.
Hrsg. v. Siegfried und Peter Seifert. Sax-Verlag, Markkleeberg 2013. 160 S., Abb., geb., 14,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main