Neues von Hans Fallada entdecken: Die hier versammelten Anekdoten, Berichte, Erzählungen und Reden, die von der Mitte der 1920er Jahre bis zu seinem Tod 1947 reichen, sind zum Teil wenig bekannt oder noch gänzlich unveröffentlicht. Sie offenbaren, in welchem Maße der Autor ein einzigartiges Gespür für soziale Problemlagen entwickelt, sensibel Wirklichkeit beobachtet und künstlerische Mittel findet, um mit wenigen Strichen welthaltige Geschichten zu entwerfen – humorig, ironisch, manchmal auch sarkastisch. Falladas Glaube an die "Anständigkeit des Menschen" zeigt sich dabei jedoch stets unerschütterlich. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Thomas Steinfeld vertieft sich in 50 knappe, mal sentimentale, mal pointierte Texte und Feuilletons Hans Falladas, in Reflexionen des Autors über das Dialogschreiben, die Kalendergeschichte, die Lesegewohnheiten auf dem Lande oder eine Begegnung mit der SA. Falladas weites Interesse wird ihm dabei ebenso bewusst wie sein erkenntnisgeleitetes Schreiben. Statt Pathos prägen laut Steinfeld Klugheit, Witz und "Züge der Kolportage" die Texte. Der Leser darf ergriffen sein, meint Steinfeld, weil damit bei Fallada immer auch gesellschaftliche Erkenntnis verbunden ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2022Das Gift des
Schreibens
Ulrich Noethen liest kurze Texte
von Hans Fallada. Sie erzählen viel
über den mehrfach süchtigen Autor
VON FLORIAN WELLE
Alles in meinem Leben endet in einem Buche. Es muss so sein, es kann nicht anders sein, weil ich der bin, der ich wurde“, bekennt Hans Fallada in dem Text „Wie ich Schriftsteller wurde“. Es ist sein letzter, geschrieben über Weihnachten 1946 in der Nervenklinik der Berliner Charité. Wenige Wochen später wird er 53-jährig im Hilfskrankenhaus Niederschönhausen an Herzversagen sterben. Der langjährige Alkohol- und Morphinkonsum forderte seinen Tribut.
„Wie ich Schriftsteller wurde“ ist die erste von sieben Erzählungen und Berichten, die Eingang in das von Ulrich Noethen ausdrucksvoll gelesene Fallada-Hörbuch „Warnung vor Büchern“ gefunden haben. Auf Bitten seines Sohnes Uli gewährt Fallada hier Einblick in sein Schriftstellerleben für den Schulliteraturklub. Der jungen Zielgruppe mag es geschuldet sein, dass er sich etwas betulich als „alter Bücherschreiber“, „Romanvater“ und „kleiner Herrgott und Weltenschöpfer“ vorstellt.
Der bemerkenswerte biografische Abriss spart das bewegte Leben, den frühen Suizidversuch, die Gefängnisaufenthalte und die körperliche Selbstzerstörung, aus. Nur auf eine Sucht geht Fallada ein. Es ist das „Gift“ des Schreibens, von dem er seit dem Verfassen seines ersten Romans „Bauern, Bonzen und Bomben“ im Jahr 1931 nicht mehr lassen kann. Fallada wird zum Getriebenen, der für sich selbst schreiben muss und nicht für eine Leserschaft. Es war wie „ein Rausch über alle Räusche“. Was bei ihm durchaus etwas heißen will.
Fallada war zu diesem Zeitpunkt 37 Jahre alt. Frühe Romanversuche lässt er nicht mehr gelten. Stattdessen erzählt er, woraus sich seine Werke, die er immer als Menschenromane verstanden wissen wollte, vor allem speisen: aus dem Umstand, dass er einmal Landwirt gewesen war.
Fallada war ein kränkliches Kind. Deshalb verpasste er das Abitur mit der Folge, dass eine familientypische Beamtenkarriere für ihn nicht mehr infrage kam. So wurde er „Spezialist in Kartoffelzüchtung“ und landete auf dem Acker, wo er den Frauen bei der Feldarbeit zusah und ihren Unterhaltungen lauschte: „Ich konnte ja nicht anders, ich musste zuhören, ich lernte, wie sie reden und was sie reden, was sie für Sorgen haben, was ihre Probleme sind.“ Fallada, könnte man flapsig sagen, hat den Leuten aufs Maul geschaut.
Deutlich wird der Realismus seiner Texte auch in der Ganovengeschichte „Otsches Fluchtbericht“, in die seine Gefängniserfahrung eingeflossen ist. Worte aus der Gaunersprache durchziehen die wenigen Seiten. Otsche türmt, und fortan wechseln gehetzte Passagen mit solchen, die dem Fliehenden eine Atempause gönnen. Man spürt die Sympathie des Autors für seinen Helden: Kleiner Ganove – was nun?
Ulrich Noethen weiß genau, an welchen Stellen der Ich-Erzählung er das Sprechtempo anziehen und an welchen er drosseln muss. Er setzt Akzente, ist rotzig und verschleift Worte. Der Charakterdarsteller trifft den spezifischen Ton aller sieben Erzählungen. In „Bei uns, in der Kleinstadt“ passiert anders als in dem Fluchtrapport rein gar nichts. Hier wählt er eine ironisch-gelangweilte Vortragsweise. Kaum begonnen, ist der Text wieder zu Ende: „Wir haben eine gute Polizei, unsere Hauptstraße heißt der Kuhberg, und wenn wir nicht gestorben sind, so leben wir noch heute.“
Man merkt der Produktion an, dass Ulrich Noethen schon häufig Werke Falladas eingelesen hat, darunter auch das Romanmonument „Jeder stirbt für sich allein“. Er ist bestens mit dem literarischen Sound des Schriftstellers vertraut. Daher kann man es eigentlich nur bedauern, dass die von Hans Sarkowicz betreute Aufnahme des Hessischen Rundfunks nicht länger als dreieinhalb Stunden dauert. Textvorlagen wären genug vorhanden.
Die von Carsten Gansel herausgegebene, mit einem lesenswerten Nachwort versehene und im vergangenen Jahr bei Reclam erschienene Buchvorlage, auf der die Produktion des Hessischen Rundfunks fußt, umfasst mehr als vierzig Anekdoten, Berichte, Erzählungen und Reden Falladas ab Mitte der Zwanzigerjahre bis zu seinem Tod. Darunter sind eher unbekannte Stücke sowie Erstveröffentlichungen wie die erwähnten Texte „Bei uns, in der Kleinstadt“ und „Otsches Fluchtbericht“. Anschaulich zeigen sie Falladas Ringen um eine kleine Literatur als Voraussetzung für das spätere Romanwerk.
Noch ein paar dieser kurzen Geschichten mehr, und man hätte auch in der Hörproduktion eine größere Bandbreite an Formen und Themen kennenlernen dürfen, die Fallada umtrieben. Manches davon überrascht. Beispielsweise die Rede gegen den Konsum von Alkohol vor dem Guttemplerorden, dem er 1928 beitrat, als er wieder einmal aus dem Gefängnis entlassen worden und gerade trocken war.
Vor allem einen Text vermisst man dann doch schmerzlich. Es ist der, der dem Hörbuch den Titel gab: „Warnung vor Büchern“. Einiges darin überschneidet sich zwar mit den Ausführungen in „Wie ich ein Schriftsteller wurde“ und wurde wohl deshalb nicht eingelesen. Der Text hat aber Stellen zu bieten, die Falladas Poetik auf den Punkt bringen. So heißt es einmal, dass ihn stets „eine Geschichte aus dem Bereich des einfachen, schlichten, täglichen Lebens“ an den Schreibtisch trieb.
Als die Nazis gewaltsam die Macht ergriffen, emigrierte Fallada nicht. Seine Gründe hierfür waren vielschichtig. Dennoch lassen sie einen nach dem Erlebnis, das er in „Osterfest 1933 mit der SA“ schildert, verwundert zurück. Denunziert von Nachbarn, die „so verderbt“ waren, wie er es sich nie hätte vorstellen können, wurde er am 12. April von der SA in der Absicht verhaftet, ihn kurzerhand im Wald zu ermorden. Nur ein Zufall rettete ihm das Leben, bewahrte ihn aber nicht vor elf Tagen Haft. Fallada schrieb sich das Erlebte 1944 von der Seele, der Text erschien nach dem Krieg. Zwar klingt er gefasst, die darunter schwärende Verbitterung jedoch ist jederzeit spürbar. In Ulrich Noethens Stimme schwingt beides mit: „Wir ahnungslosen Toren, wir!“
Noethen schlägt mal einen
rotzigen, mal einen
ironisch-gelangweilten Ton an
Hans Fallada:
Warnung vor Büchern.
Erzählungen und Berichte. Gelesen von Ulrich Noethen. 3 CDs, 211 Minuten. Osterwold Audio, Hamburg 2022, 14 Euro.
Christina Hansen leitet die Literaturzeitschrift „Edit“,
die 1993 in Leipzig gegründet wurde. Seitdem hat sich das Magazin den Ruf erworben, zuverlässig jene Talente und Tendenzen zu identifizieren,
die Jahre später die Diskurse dominieren.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Schreibens
Ulrich Noethen liest kurze Texte
von Hans Fallada. Sie erzählen viel
über den mehrfach süchtigen Autor
VON FLORIAN WELLE
Alles in meinem Leben endet in einem Buche. Es muss so sein, es kann nicht anders sein, weil ich der bin, der ich wurde“, bekennt Hans Fallada in dem Text „Wie ich Schriftsteller wurde“. Es ist sein letzter, geschrieben über Weihnachten 1946 in der Nervenklinik der Berliner Charité. Wenige Wochen später wird er 53-jährig im Hilfskrankenhaus Niederschönhausen an Herzversagen sterben. Der langjährige Alkohol- und Morphinkonsum forderte seinen Tribut.
„Wie ich Schriftsteller wurde“ ist die erste von sieben Erzählungen und Berichten, die Eingang in das von Ulrich Noethen ausdrucksvoll gelesene Fallada-Hörbuch „Warnung vor Büchern“ gefunden haben. Auf Bitten seines Sohnes Uli gewährt Fallada hier Einblick in sein Schriftstellerleben für den Schulliteraturklub. Der jungen Zielgruppe mag es geschuldet sein, dass er sich etwas betulich als „alter Bücherschreiber“, „Romanvater“ und „kleiner Herrgott und Weltenschöpfer“ vorstellt.
Der bemerkenswerte biografische Abriss spart das bewegte Leben, den frühen Suizidversuch, die Gefängnisaufenthalte und die körperliche Selbstzerstörung, aus. Nur auf eine Sucht geht Fallada ein. Es ist das „Gift“ des Schreibens, von dem er seit dem Verfassen seines ersten Romans „Bauern, Bonzen und Bomben“ im Jahr 1931 nicht mehr lassen kann. Fallada wird zum Getriebenen, der für sich selbst schreiben muss und nicht für eine Leserschaft. Es war wie „ein Rausch über alle Räusche“. Was bei ihm durchaus etwas heißen will.
Fallada war zu diesem Zeitpunkt 37 Jahre alt. Frühe Romanversuche lässt er nicht mehr gelten. Stattdessen erzählt er, woraus sich seine Werke, die er immer als Menschenromane verstanden wissen wollte, vor allem speisen: aus dem Umstand, dass er einmal Landwirt gewesen war.
Fallada war ein kränkliches Kind. Deshalb verpasste er das Abitur mit der Folge, dass eine familientypische Beamtenkarriere für ihn nicht mehr infrage kam. So wurde er „Spezialist in Kartoffelzüchtung“ und landete auf dem Acker, wo er den Frauen bei der Feldarbeit zusah und ihren Unterhaltungen lauschte: „Ich konnte ja nicht anders, ich musste zuhören, ich lernte, wie sie reden und was sie reden, was sie für Sorgen haben, was ihre Probleme sind.“ Fallada, könnte man flapsig sagen, hat den Leuten aufs Maul geschaut.
Deutlich wird der Realismus seiner Texte auch in der Ganovengeschichte „Otsches Fluchtbericht“, in die seine Gefängniserfahrung eingeflossen ist. Worte aus der Gaunersprache durchziehen die wenigen Seiten. Otsche türmt, und fortan wechseln gehetzte Passagen mit solchen, die dem Fliehenden eine Atempause gönnen. Man spürt die Sympathie des Autors für seinen Helden: Kleiner Ganove – was nun?
Ulrich Noethen weiß genau, an welchen Stellen der Ich-Erzählung er das Sprechtempo anziehen und an welchen er drosseln muss. Er setzt Akzente, ist rotzig und verschleift Worte. Der Charakterdarsteller trifft den spezifischen Ton aller sieben Erzählungen. In „Bei uns, in der Kleinstadt“ passiert anders als in dem Fluchtrapport rein gar nichts. Hier wählt er eine ironisch-gelangweilte Vortragsweise. Kaum begonnen, ist der Text wieder zu Ende: „Wir haben eine gute Polizei, unsere Hauptstraße heißt der Kuhberg, und wenn wir nicht gestorben sind, so leben wir noch heute.“
Man merkt der Produktion an, dass Ulrich Noethen schon häufig Werke Falladas eingelesen hat, darunter auch das Romanmonument „Jeder stirbt für sich allein“. Er ist bestens mit dem literarischen Sound des Schriftstellers vertraut. Daher kann man es eigentlich nur bedauern, dass die von Hans Sarkowicz betreute Aufnahme des Hessischen Rundfunks nicht länger als dreieinhalb Stunden dauert. Textvorlagen wären genug vorhanden.
Die von Carsten Gansel herausgegebene, mit einem lesenswerten Nachwort versehene und im vergangenen Jahr bei Reclam erschienene Buchvorlage, auf der die Produktion des Hessischen Rundfunks fußt, umfasst mehr als vierzig Anekdoten, Berichte, Erzählungen und Reden Falladas ab Mitte der Zwanzigerjahre bis zu seinem Tod. Darunter sind eher unbekannte Stücke sowie Erstveröffentlichungen wie die erwähnten Texte „Bei uns, in der Kleinstadt“ und „Otsches Fluchtbericht“. Anschaulich zeigen sie Falladas Ringen um eine kleine Literatur als Voraussetzung für das spätere Romanwerk.
Noch ein paar dieser kurzen Geschichten mehr, und man hätte auch in der Hörproduktion eine größere Bandbreite an Formen und Themen kennenlernen dürfen, die Fallada umtrieben. Manches davon überrascht. Beispielsweise die Rede gegen den Konsum von Alkohol vor dem Guttemplerorden, dem er 1928 beitrat, als er wieder einmal aus dem Gefängnis entlassen worden und gerade trocken war.
Vor allem einen Text vermisst man dann doch schmerzlich. Es ist der, der dem Hörbuch den Titel gab: „Warnung vor Büchern“. Einiges darin überschneidet sich zwar mit den Ausführungen in „Wie ich ein Schriftsteller wurde“ und wurde wohl deshalb nicht eingelesen. Der Text hat aber Stellen zu bieten, die Falladas Poetik auf den Punkt bringen. So heißt es einmal, dass ihn stets „eine Geschichte aus dem Bereich des einfachen, schlichten, täglichen Lebens“ an den Schreibtisch trieb.
Als die Nazis gewaltsam die Macht ergriffen, emigrierte Fallada nicht. Seine Gründe hierfür waren vielschichtig. Dennoch lassen sie einen nach dem Erlebnis, das er in „Osterfest 1933 mit der SA“ schildert, verwundert zurück. Denunziert von Nachbarn, die „so verderbt“ waren, wie er es sich nie hätte vorstellen können, wurde er am 12. April von der SA in der Absicht verhaftet, ihn kurzerhand im Wald zu ermorden. Nur ein Zufall rettete ihm das Leben, bewahrte ihn aber nicht vor elf Tagen Haft. Fallada schrieb sich das Erlebte 1944 von der Seele, der Text erschien nach dem Krieg. Zwar klingt er gefasst, die darunter schwärende Verbitterung jedoch ist jederzeit spürbar. In Ulrich Noethens Stimme schwingt beides mit: „Wir ahnungslosen Toren, wir!“
Noethen schlägt mal einen
rotzigen, mal einen
ironisch-gelangweilten Ton an
Hans Fallada:
Warnung vor Büchern.
Erzählungen und Berichte. Gelesen von Ulrich Noethen. 3 CDs, 211 Minuten. Osterwold Audio, Hamburg 2022, 14 Euro.
Christina Hansen leitet die Literaturzeitschrift „Edit“,
die 1993 in Leipzig gegründet wurde. Seitdem hat sich das Magazin den Ruf erworben, zuverlässig jene Talente und Tendenzen zu identifizieren,
die Jahre später die Diskurse dominieren.
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»Fallada ist jetzt seit 74 Jahren tot - und doch sind seine Texte brandaktuell.« NDR Kultur, 09.05.2021 »Einige dieser Texte sind sentimental, andere auf die Pointe hingeschrieben. Aber in den meisten dieser Arbeiten hat Hans Fallada eine Geschichte zu erzählen, die auf eine Erkenntnis zielt. [...] Selten aber verbarg sich in der Darstellung eines Schluchzens so viel Wissen um den Zustand einer ganzen Gesellschaft.« Süddeutsche Zeitung, 09.07.2021 »Mit einem lesenswerten Nachwort [...], die Texte zeigen Falladas Ringen um eine kleine Literatur als Voraussetzung für das spätere Romanwerk« Süddeutsche Zeitung, 15.03.2022