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Klasse im 21. Jahrhundert
»Einer der größten Klassentheoretiker des 20. Jahrhunderts. « Berliner Journal für Soziologie
Was sind soziale Klassen? Was kennzeichnet sie, wie entstehen sie und wie wirken sie sich auf das Leben der Menschen aus? Der amerikanische Soziologe Erik Olin Wright hat sich ein Leben lang mit diesen Fragen beschäftigt und die bedeutendste sozialwissenschaftliche Neuformulierung der Klassentheorie vorgelegt. Sein klassischer Aufsatz »Klasse verstehen« sowie ein ausführliches Interview mit Wright darüber, warum Klasse zählt, liegen mit diesem Band nun erstmals in…mehr

Produktbeschreibung
Klasse im 21. Jahrhundert

»Einer der größten Klassentheoretiker des 20. Jahrhunderts.« Berliner Journal für Soziologie

Was sind soziale Klassen? Was kennzeichnet sie, wie entstehen sie und wie wirken sie sich auf das Leben der Menschen aus? Der amerikanische Soziologe Erik Olin Wright hat sich ein Leben lang mit diesen Fragen beschäftigt und die bedeutendste sozialwissenschaftliche Neuformulierung der Klassentheorie vorgelegt. Sein klassischer Aufsatz »Klasse verstehen« sowie ein ausführliches Interview mit Wright darüber, warum Klasse zählt, liegen mit diesem Band nun erstmals in deutscher Übersetzung vor.

Die Klassentheorie kennt drei große Traditionen: Stratifizierungsansätze definieren Klasse anhand individueller Eigenschaften und Lebensbedingungen, weberianische Ansätze anhand von Mechanismen der Chancenhortung und marxistische Ansätze anhand von Mechanismen der Ausbeutung und Herrschaft. Für Wright besteht die zentrale Aufgabe nun darin, diese Mechanismen zu verstehen, um sie in einem Erklärungsmodell zu vereinen, das die Mikroebene der Klasseneffekte, die sich an Eigenschaften von Individuen zeigen, mit den Wirkungen der Makroebene, die durch die Art der strukturellen Positionen auf dem Markt und in der wirtschaftlichen Produktion generiert werden, verbindet. Ein Meilenstein der Klassentheorie!

Autorenporträt
Erik Olin Wright (1947-2019) war zuletzt Professor für Soziologie an der Universität von Wisconsin in Madison. Internationale Bekanntheit erlangte er als Gründungsmitglied der Bewegung des »Analytischen Marxismus«, durch seine bahnbrechende Klassentheorie sowie durch sein großangelegtes Forschungsprojekt Envisioning Real Utopias, das in seinem Standardwerk Reale Utopien gipfelte. Er war Präsident der American Sociological Association und wurde für sein in zahlreiche Sprachen übersetztes Werk vielfach geehrt. Oliver Nachtwey, geboren 1975, ist Professor für Sozialstrukturanalyse am Fachbereich Soziologie der Universität Basel. Für sein Buch Die Abstiegsgesellschaft wurde er 2017 mit dem Hans-Matthöfer-Preis für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet.
Rezensionen
»Wem daran gelegen ist, dass die sozialen und demokratischen Gegenkräfte des modernen Interventionsstaats nicht erlahmen, sollte sich die Lektüre dieses Textes zumuten.« Gerald Wagner Frankfurter Allgemeine Zeitung 20240108

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Jan Schroeder gibt zu, dass die Klassenfrage für immer mehr Menschen relevant ist. Insofern trifft Erik Olin Wrights Buch für ihn einen Punkt. Allerdings rennt der Soziologe für Schroeder mitunter offene Türen ein, wenn er darüber nachdenkt, dass Privilegien niemals zufällig verteilt sind, und wie sich ein Wohlfahrtsstaat nach skandinavischem Vorbild in den USA umsetzen ließe. Tagespolitisch aktuell kann Schroeder das Thema nicht finden. Die Totenreden auf den Klassenbegriff sind für ihn nun mal nicht auszublenden.  

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.01.2024

Fataler Selbstbetrug
Warum interessieren Klassenfragen so wenige?
Der Soziologe Erik Olin Wright gibt Antworten
Der Behauptung, wir würden in einer Klassengesellschaft leben, wird heute kaum noch so entschieden widersprochen wie während des Kalten Krieges. In den Sozialwissenschaften, gewiss einer Blase für sich, ist die These inzwischen sogar eher eine Mainstream-Ansicht. Seitdem in den Vereinigten Staaten Thomas Frank („What’s the Matter with Kansas?“), in Frankreich Didier Eribon („Rückkehr nach Reims“) und hierzulande Oliver Nachtwey („Die Abstiegsgesellschaft“) für Furore gesorgt haben, fokussiert der akademische Diskurs wieder Kategorien wie Klasse und Kapitalismus statt Schicht und soziale Marktwirtschaft.
Die graue Eminenz hinter dem Comeback der Klassentheorie im 21. Jahrhundert ist der 2019 gestorbene amerikanische Soziologe Erik Olin Wright. Dass die Chancen auf Wohlstand, Einfluss und Privilegien weder zufällig noch leistungsgerecht verteilt sind, ist der Kern von Wrights Überlegungen in seinem Buch „Warum Klasse zählt“. Wer würde dem nach der Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte ernsthaft widersprechen?
Ist es aber deshalb schon sinnvoll, heute wieder wie im 19. Jahrhundert von einer „Arbeiterklasse“ zu sprechen? Wright meint, ja. Denn: Nach wie vor müsse der größte Teil der Bevölkerung ein ganzes Leben lang – ob „abhängig beschäftigt“ oder „selbständig“ – arbeiten, ohne dabei Eigentum anzuhäufen, das von dieser Notwendigkeit befreit. Anders gesagt: Der Arbeiterklasse gehört nach Wright an, wer selbst kein Kapital – ausreichend Immobilien, Wertpapiere oder Vermögen – besitzt und mit der eigenen Lohnarbeit nur so viel verdient, dass am Ende des Jahres alles für Miete und Konsum aufgebraucht ist.
Fraglos wird die so gestellte Klassenfrage angesichts steigender Mieten und Inflation für immer mehr Menschen relevant, was Wright im Buch überzeugend mit einer umfangreichen Datensammlung empirisch unterlegt. Insofern „zählt“ Klasse tatsächlich. Wright, der den linken, demokratischen Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders unterstützt hat, fordert angesichts dieser Entwicklung einen weitreichenden Ausbau des (amerikanischen) Wohlfahrtsstaates nach skandinavischem Vorbild.
So gesehen ist es kein Wunder, dass sich die zunehmende soziale Ungleichheit in den vergangenen Jahrzehnten als Standardthema für Kulturprodukte aller Art etabliert hat, auf dem Buchmarkt sowieso. Doch während der südkoreanische Regisseur Bong Joon-ho für seinen kapitalismuskritischen Film „Parasite“ gleich mehrere Oscars bekam, lässt sich damit politisch kaum etwas gewinnen. Wenn es stimmt, dass „Klasse“ zurück ist, dann allerdings nicht als ein brennendes tagespolitisches Problem. Eher bloß als Anlass für Schulterzucken: bedauernswert, aber nicht zu ändern.
Unverständlich bleibt deshalb, warum Wright die von Oliver Nachtwey in seinem lesenswerten Nachwort benannten „Totenreden“ auf den Klassenbegriff, die in der Vergangenheit von so unterschiedlichen Intellektuellen wie Helmut Schelsky, Theodor W. Adorno, Ulrich Beck oder André Gorz gehalten wurden, komplett ignoriert. Sie alle konstatierten, dass Klasse einmal eine wesentlich politische Realität ausdrückte, die jedoch mit der sozialistischen Arbeiterbewegung verschwand. Eine Arbeiterbewegung, die einen unüberbrückbaren Interessengegensatz zum Kapital besitzenden Teil der Bevölkerung artikulierte, ein sogenanntes „Klasseninteresse“, aus dem Marx und seine Anhänger die Notwendigkeit einer anderen, sozialistischen Gesellschaft abgeleitet hatten. Von diesem politischen Anspruch kann heute trotz Arbeitskämpfen für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen allerdings keine Rede mehr sein. An diesem Unterschied zu vergangenen Zeiten krankt denn auch Wrights Aktualisierung des Klassenbegriffs schwer.
Klasse ohne Klassenkampf ist bloß ein soziologischer Ordnungsrahmen unter anderen. Und wenn die Proletarier aller Länder nicht mehr ihr womöglich gemeinsames Klasseninteresse verfolgen, sondern sich in erster Linie als Deutsche, Franzosen oder Österreicher verstehen, die eingewanderte Arbeitskräfte als Bedrohung sehen, wie in der gegenwärtigen Migrationsdebatte überdeutlich wird, ändert das alles. Dann zählt vor allem wieder einmal bloß die Nationalität.
JAN SCHROEDER
Ist eine Klasse ohne
Klassenkampf
überhaupt vorstellbar?
Erik Olin Wright:
Warum Klasse zählt.
Suhrkamp, Berlin 2023.
110 Seiten, 16 Euro.
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