Im Februar 1986 erhält die Polizei einen Anruf von einem Mann, der behauptet, eine Frau außerhalb der Kleinstadt Tiarp vergewaltigt zu haben. Ich werde es wieder tun, sagt er, bevor die Leitung unterbrochen wird. Schweden steht nach dem Mord an Ministerpräsident Olof Palme in der gleichen Nacht unter Schock. Für den Polizisten Sven Jörgensson und seinen Sohn Vidar wird dies eine entscheidende Zeit in ihrem Leben sein. Während Vidar versucht, seinen Weg durch die Pubertät und in den Beruf seines Vaters zu finden, ist Sven von dem Fall besessen, der ihn für den Rest seiner Karriere verfolgen wird. Zwei weitere junge Frauen fallen dem Tiarp-Mann zum Opfer, ohne dass die Polizei ihn aufhalten kann. Dann wird Sven krank und stirbt, der Fall bleibt ungelöst. Jahrzehnte später taucht die Geschichte über die brutalen Morde unerwartet wieder auf, als dem ehemaligen Polizisten Vidar Jörgensson zugeschrieben wird, den Fall des gefürchteten Tiarp-Mannes endlich aufgeklärt zu haben. Doch bald wird klar, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Es braucht den unerbittlichen Verstand eines heimgekehrten Schriftstellers, um die komplizierten Familienbande zurückzuverfolgen, die Teile des Puzzles zusammenzusetzen. Dabei deckt er langsam Schichten der Wahrheit über ein Verbrechen auf, auf das es keine einfachen Antworten gibt. «Was ans Licht kommt» ist ein elegant konstruierter Kriminalroman über Schuld und Verantwortlichkeit, in dem eine Besessenheit vom Vater an den Sohn weitergegeben wird. Der meisterhafte Stilist und angesehene schwedische Kriminologe Christoffer Carlsson spielt mit dem Genre, als wäre der Roman ein fiktionalisiertes True-Crime-Drama, das seinem namenlosen Autor erlaubt, die Ereignisse der Vergangenheit neu zu erfinden. Die Jagd nach der Wahrheit dient als Motor in dieser umfangreichen und komplexen Erzählung über Verzweiflung und Selbstbetrug und letztlich den Willen, in einer Welt voller Dunkelheit nach Licht zu suchen.
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Tobias Gohlis sagt es rundheraus: großer Krimi, was Christoffer Carlsson da vorlegt. Nicht nur lernt der Leser das südschwedische Halland und seine Bewohner angenehm klischeefrei kennen, versichert Gohlis, er wird auch beschenkt mit kluger Komposition und weiser Soziologie. Was es mit den Serienmorden in Halland von 1986 auf sich hat, wie sie mit der Ermordung Olof Palmes zusammenhängen und was das mit einer Gesellschaft anrichtet, erfährt der Leser laut Gohlis auf wendungsreiche, spannende Weise.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.2022Die im Dunkeln
Krimis in Kürze: Carlsson, McIlvanney/Rankin, Storm
Die Inflation der sogenannten Schwedenkrimis ist mittlerweile so oft beklagt worden, dass man offene Türen einrennen würde, wenn man sich noch darüber aufregte. Man kann ja einfach nach Süden schauen. Im Falle von "Was ans Licht kommt" (Rowohlt, 492 S., geb., 23,- Euro) wäre das allerdings ein großer Fehler. Der neue Roman von Christoffer Carlsson erzählt mit epischer Wucht von Schuld, Verantwortung und Verstrickung, von der Vergeblichkeit und Verkehrung guter Absichten. Weit davon entfernt, ein steriler ethischer Traktat zu sein, ist der Roman bevölkert von lebendigen, zerrissenen, widersprüchlichen Figuren.
Die Anlage der Erzählung ist angemessen komplex. Der Ich-Erzähler ist ein Schriftsteller, der zurückkehrt in seine südschwedische Heimat. Ein Mann in der Lebenskrise, der sich rettet, indem er von anderen erzählt, die er in seiner Jugend kannte. Das Unheil beginnt am Tag, als Olof Palme ermordet wird, am 28. Februar 1986. In Halmstad wird am selben Abend eine junge Frau vergewaltigt und ermordet. Vom Täter keine Spur. Diese Koinzidenz wird nie über Gebühr strapaziert. Sie löst nur bei den Menschen eine diffuse Unruhe aus, was los ist in Schweden, wie das Böse die heile sozialdemokratische Wohlstandswelt heimsuchen kann.
Die Schlüsselfiguren der Ich-Erzählung sind Vater und Sohn Jörgensson, beide Polizisten, deren Leben auf schmerzliche Weise von dem Mord, dem weitere folgen werden, geprägt ist. Die Geschichte handelt von Irrtümern und Starrsinn, dem Wunsch nach Gerechtigkeit - und von der Region, in der sie spielt, von Kleinstadtalltag, maroden Höfen und bodenständigen Leuten, denen der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Es ist, wie man am Ende erstaunt feststellt, ein Buch, dessen literarische Qualitäten seinem Spannungsbogen ebenbürtig sind.
Dass sich im Nachlass des 2015 verstorbenen William McIlvanney noch ein Manuskript gefunden hat, ist eine schöne Überraschung. Ian Rankin, ein großer Bewunderer seines schottischen Landsmanns, hat sich des Textes angenommen und ihn fertiggestellt. "Das Dunkle bleibt" (Kunstmann, 288 S., geb., 25,- Euro) ist im Glasgow der Siebzigerjahre angesiedelt. Ein schmieriger Anwalt wird ermordet aufgefunden, er hat für einen der örtlichen Gangsterbosse gearbeitet. Jack Laidlaw, der Einzelgänger im Polizeidienst, der seinen Vorgesetzten für einen Trottel hält, womit er nicht allein steht, versucht, durch seine unorthodoxen Ermittlungen zu verhindern, dass ein Bandenkrieg ausbricht. Das gelingt ihm besser, als die zentrifugalen Kräfte in seinem Familienleben zu bändigen.
McIlvanney ist schottisches Noir ohne Pose. Laidlaws exzentrischste Eigenschaft besteht darin, dass er gelegentlich die großen Philosophen studiert und Sätze sagt wie den, das Gesetz und Gerechtigkeit nichts miteinander zu tun hätten. Und wenn man das in McIlvanneys knapper, präziser Prosa liest, die so unnachahmlich Typen und Szenen anschaulich werden lässt und so viel Sophistication in den Dialogen versprüht, ist das immer wieder ein großes Vergnügen.
Der Plot kann sehr filigran, die Architektur ambitioniert, der Stoff faszinierend sein - und doch fehlen eine Sprache und Figuren, die ein Buch über den Durchschnitt hinaushöben. "Das neunte Gemälde" (Kiepenheuer & Witsch, 408 S., br., 17,- Euro) von Andreas Storm, der erste Band einer Reihe um den Kunstexperten Lennard Lomberg, ist ein solcher Roman. Die Handlung bewegt sich zwischen Paris (1943), der Bonner Republik (1966) und der jüngsten Gegenwart des Jahres 2016. Es geht um ein verschollenes kubistisches Gemälde, um Beutekunst und alte Nazis in BKA und anderen Institutionen und um die Restitutionsdebatten von heute. Das Ganze ist gut recherchiert, das Amalgam aus Fakten und Fiktionen erscheint schlüssig, man folgt den Spuren gerne durch halb Europa und die ganze Nachkriegszeit.
Nur leider ist das viel zu parfümiert und gespreizt erzählt, als glaubte der Autor, das einem kunstinteressierten Publikum schuldig zu sein. Und der Protagonist ist einer dieser zu kunstvoll ausstaffierten Connaisseure, die einen auch schnell nerven können. Das ist sehr schade. Ein schärferes Lektorat mit Mut zur stilistischen Verschlankung hätte bei diesem richtig guten Stoff Wunder wirken können. PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Carlsson, McIlvanney/Rankin, Storm
Die Inflation der sogenannten Schwedenkrimis ist mittlerweile so oft beklagt worden, dass man offene Türen einrennen würde, wenn man sich noch darüber aufregte. Man kann ja einfach nach Süden schauen. Im Falle von "Was ans Licht kommt" (Rowohlt, 492 S., geb., 23,- Euro) wäre das allerdings ein großer Fehler. Der neue Roman von Christoffer Carlsson erzählt mit epischer Wucht von Schuld, Verantwortung und Verstrickung, von der Vergeblichkeit und Verkehrung guter Absichten. Weit davon entfernt, ein steriler ethischer Traktat zu sein, ist der Roman bevölkert von lebendigen, zerrissenen, widersprüchlichen Figuren.
Die Anlage der Erzählung ist angemessen komplex. Der Ich-Erzähler ist ein Schriftsteller, der zurückkehrt in seine südschwedische Heimat. Ein Mann in der Lebenskrise, der sich rettet, indem er von anderen erzählt, die er in seiner Jugend kannte. Das Unheil beginnt am Tag, als Olof Palme ermordet wird, am 28. Februar 1986. In Halmstad wird am selben Abend eine junge Frau vergewaltigt und ermordet. Vom Täter keine Spur. Diese Koinzidenz wird nie über Gebühr strapaziert. Sie löst nur bei den Menschen eine diffuse Unruhe aus, was los ist in Schweden, wie das Böse die heile sozialdemokratische Wohlstandswelt heimsuchen kann.
Die Schlüsselfiguren der Ich-Erzählung sind Vater und Sohn Jörgensson, beide Polizisten, deren Leben auf schmerzliche Weise von dem Mord, dem weitere folgen werden, geprägt ist. Die Geschichte handelt von Irrtümern und Starrsinn, dem Wunsch nach Gerechtigkeit - und von der Region, in der sie spielt, von Kleinstadtalltag, maroden Höfen und bodenständigen Leuten, denen der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Es ist, wie man am Ende erstaunt feststellt, ein Buch, dessen literarische Qualitäten seinem Spannungsbogen ebenbürtig sind.
Dass sich im Nachlass des 2015 verstorbenen William McIlvanney noch ein Manuskript gefunden hat, ist eine schöne Überraschung. Ian Rankin, ein großer Bewunderer seines schottischen Landsmanns, hat sich des Textes angenommen und ihn fertiggestellt. "Das Dunkle bleibt" (Kunstmann, 288 S., geb., 25,- Euro) ist im Glasgow der Siebzigerjahre angesiedelt. Ein schmieriger Anwalt wird ermordet aufgefunden, er hat für einen der örtlichen Gangsterbosse gearbeitet. Jack Laidlaw, der Einzelgänger im Polizeidienst, der seinen Vorgesetzten für einen Trottel hält, womit er nicht allein steht, versucht, durch seine unorthodoxen Ermittlungen zu verhindern, dass ein Bandenkrieg ausbricht. Das gelingt ihm besser, als die zentrifugalen Kräfte in seinem Familienleben zu bändigen.
McIlvanney ist schottisches Noir ohne Pose. Laidlaws exzentrischste Eigenschaft besteht darin, dass er gelegentlich die großen Philosophen studiert und Sätze sagt wie den, das Gesetz und Gerechtigkeit nichts miteinander zu tun hätten. Und wenn man das in McIlvanneys knapper, präziser Prosa liest, die so unnachahmlich Typen und Szenen anschaulich werden lässt und so viel Sophistication in den Dialogen versprüht, ist das immer wieder ein großes Vergnügen.
Der Plot kann sehr filigran, die Architektur ambitioniert, der Stoff faszinierend sein - und doch fehlen eine Sprache und Figuren, die ein Buch über den Durchschnitt hinaushöben. "Das neunte Gemälde" (Kiepenheuer & Witsch, 408 S., br., 17,- Euro) von Andreas Storm, der erste Band einer Reihe um den Kunstexperten Lennard Lomberg, ist ein solcher Roman. Die Handlung bewegt sich zwischen Paris (1943), der Bonner Republik (1966) und der jüngsten Gegenwart des Jahres 2016. Es geht um ein verschollenes kubistisches Gemälde, um Beutekunst und alte Nazis in BKA und anderen Institutionen und um die Restitutionsdebatten von heute. Das Ganze ist gut recherchiert, das Amalgam aus Fakten und Fiktionen erscheint schlüssig, man folgt den Spuren gerne durch halb Europa und die ganze Nachkriegszeit.
Nur leider ist das viel zu parfümiert und gespreizt erzählt, als glaubte der Autor, das einem kunstinteressierten Publikum schuldig zu sein. Und der Protagonist ist einer dieser zu kunstvoll ausstaffierten Connaisseure, die einen auch schnell nerven können. Das ist sehr schade. Ein schärferes Lektorat mit Mut zur stilistischen Verschlankung hätte bei diesem richtig guten Stoff Wunder wirken können. PETER KÖRTE
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«Nicht nur von enormer Raffinesse, sondern auch von einer emotionalen Wucht, die man nur selten in einem Kriminalroman erfährt.» Marcus Müntefering Der Spiegel 20220730