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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Deborah Levys Roman "Was das Leben kostet" beschreibt eine Verwandlung
In einer Bar an der Karibik-Küste Kolumbiens beobachtet Deborah Levy, wie ein tätowierter, braungebrannter Amerikaner, Ende vierzig, "mächtige Muskelarme und sein Silberhaar zu einem Knötchen am Hinterkopf zusammengezwirbelt", eine junge Frau, vielleicht 19, zu sich an den Tisch einlädt. Zunächst redet er allein. Bis sie - Smalltalk vermeidend - beginnt, ihm eine Geschichte zu erzählen. Nach einem Tauchgang sei sie wieder an die Meeresoberfläche gekommen und habe sich unvermittelt in einem Sturm wiedergefunden. Die junge Frau deutet an, dass ihr vom Tauchboot niemand geholfen habe. In ihrem Sprechen wird das Meerestoben auch zur Metapher für eine kränkende Beziehung, die für sie schwer in Worte zu fassen ist. Doch ihr Gegenüber sagt nur: "Du redest gern, oder?" Die junge Frau bleibt gelassen. Und die Erzählerin kommentiert: "Es war anscheinend nicht so einfach, diesem sehr viel älteren Mann klarzumachen, dass die Welt auch ihre Welt war."
Diese Szene ist der Ausgangspunkt für Levys schmalen Text, der danach fragt, wie Frauen in ihrem Empfinden und Handeln durch patriarchalische Gesellschaftsstrukturen bestimmt sind und wie sie vielleicht beginnen können, Hauptfiguren ihres Lebens zu werden. Nach zwanzig Jahren Ehe, eine der beiden Töchter studierte schon, war Deborah Levy aus der Familien-Tiefsee aufgetaucht. Und was sie nun wahrnahm, war erschreckend. Das sinkende Eheboot gewährte keinen Schutz mehr. Im Gegenteil. Nur, wohin jetzt weiterschwimmen?
Nach "Was ich nicht wissen will", einem Rückblick auf ihre Kindheit in Südafrika, ist "Was das Leben kostet" der zweite Band einer Autobiographie. Er erzählt davon, wie es ist, wenn eine Frau, deren wichtigster Lebensinhalt Familie und Kinder waren, den "symbolischen Schutz" der Ehe aufgeben muss, weil diese Lebensform nicht mehr stimmt. Die Trennung des Paars gelingt einvernehmlich, die Scheidung ist mit materiellen Einbußen verbunden.
Das Abenteuer Leben ohne den Gatten und außerhalb der bürgerlich-sozialen Abfederung beginnt. Es ist der Anfang einer schmerzhaften Metamorphose. Bei der Trennung war Deborah Levy 50 Jahre alt. Der Text über die ersten Jahre ihrer Neuorientierung entstand zehn Jahre später; vielleicht verdankt sich diesem zeitlichen Abstand die schöne Mischung aus sezierendem Blick, Wut, Trauer und entwaffnender Selbstironie. Wenn die Katastrophe überwunden ist, lässt sich mit ihr spielen, in szenischen Miniaturen, die hier zwischen Komik und Ernst hin- und herzittern.
Was ist eine Frau ohne ihren Mann? Ein Wesen zum Beispiel, das in blauer Arbeitsjacke über dem schwarzen Seidennachthemd vor dem verstopften Abfluss steht, mit einem seltsamen staubsaugerartigen Gerät in der Hand, aus dem Drähte herauskommen (sie hat es sich vom Nachbarn ausgeliehen). "Ich war die Frau. Ich war der Mann. Vielleicht war ich Schamane?" Jedenfalls muss sie wie dieser "in andere Welten reisen", in ihrem Fall "ins Innere des Systems unter dem Waschbecken". Und triumphierend bringt sie endlich einen "dicken schleimigen Klumpen aus Menschenhaar" zum Vorschein, ein "menschliches Artefakt".
Im Rückblick will Levy sich die Widrigkeiten des Alltags nicht schönreden. Und doch, sie kann sie jetzt bei den Hörnern packen. Tapfer als Kuriosa, als interessante Exotika angehen und in die pointierte Beschreibung bannen. Die Emanzipation der Frisch-Entmählten nimmt Schwung auf mit einem E-Bike, auf dem sie die Familieneinkäufe den Hügel hinaufradelt. Und dann findet sie, die Holloway Road erinnere an die Adria. Später wird ihr Clara, eine neue Freundin, die sie auf einer Party kennenlernt, recht geben und sagen: Unter dem Pflaster liegt der Strand. Anfänge sind möglich. Wenn der Gatte wegfällt, scheint sich Raum für frische Begegnungen zu öffnen. Die achtzigjährige Celia etwa, einst Schauspielerin und Buchhändlerin, überlässt Levy für wenig Miete ihr Gartenhaus, in dem ihr verstorbener Mann Gedichte verfasst hatte. Sie nimmt eine Minimalbibliothek von zehn Büchern mit und tatsächlich entstehen an diesem für sie unverbrauchten Ort mehrere Bücher. Und einmal im Monat kommt der Gärtner vorbei ("Ein Gärtner ist immer ein Futurist"), der sie mit blauen Augen ansieht, "so als versorgte er eine Pflanze".
Aber auch ihr Blick fängt Menschen ein wie seltsame Gewächse; liebende oder liebesferne, sehnsüchtige Wesen. Da ist der Mann, der auf der Beerdigung weint "wie eine Frau" (auch weil er sich nie zu seinem nun toten Geliebten bekannt hatte); oder die "hysterisch glückliche" Nachbarin Jean, die ihre Mitbewohner belauert und genau weiß, wo man ein E-Bike abstellen darf und wo nicht; oder der Gatte, der seine Frau konsequent nicht ansieht; oder die Studentin, die Angst hat vor ihrer Begabung. Deborah Levy besucht die sterbende Mutter, die am Ende nur noch Wassereis lecken kann. Und die beim Eis mit Kaugummigeschmack - der letzten Sorte, die es beim türkischen Kiosk im Winter noch gibt - empört das Gesicht verzieht.
Im Moment ist das falsche Eis der Skandal und nicht der Tod. Jenseits aller Larmoyanz hat die Autorin einen untrüglichen Sinn für die Komik, die im Traurigen steckt. Sie ist eine Amazone ihres Schmerzes, eine Mutter, die träumen will (sich nicht nur um andere sorgen), in Zitaten gibt sie sich immer wieder die Rückendeckung von Frauen, die mutig geschrieben und manchmal auch mutig gelebt haben (Marguerite Duras, Simone de Beauvoir, Elena Ferrante, Emily Dickinson). Manchmal sind die feministischen Sentenzen steil.
Und doch ist ein menschenfreundliches Buch entstanden, das die Liebesnot nicht beschönigt, dabei aber an der Liebe zwischen Mann und Frau festhalten möchte. Die Voraussetzung ist der Gang durch die "schwarzbläuliche Dunkelheit" hin zu einem selbstbestimmten, für sich geleisteten Frauenleben.
ANGELIKA OVERATH
Deborah Levy: "Was das Leben kostet".
Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2019. 158 S., geb. 20,- [Euro].
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