Ausgezeichnet mit dem Prix Femina étranger 2020 Wenn sich das Leben ändert, tut es dies meist radikal. Deborah Levy und ihr Mann gehen getrennte Wege, ihre Mutter wird bald sterben. Doch die entstehende Lücke bedeutet auch Raum für Neues. In präziser und suggestiver Prosa erschreibt Levy sich aus den Bruchstücken ihres alten Selbst ein neues und fragt: Was heißt es, frei zu sein - als Künstlerin, als Frau, als Mutter oder Tochter? Und was ist der Preis dieser Freiheit? »Jeder Satz ein kleines Meisterwerk«, schreibt The Telegraph, und so wird aus einer individuellen Geschichte ein lebenskluges und fesselndes Zeugnis einer zutiefst menschlichen Erfahrung. »Das Leben bricht auseinander. Wir versuchen es in die Hand zu nehmen, versuchen es zusammenzuhalten. Bis uns irgendwann klar wird, dass wir es gar nicht zusammenhalten wollen.«
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Peter Praschl liest Deborah Levys zweiten Band ihrer Memoiren mit Freude. Dass die Autorin so pathosfrei vom mutigen Neubeginn einer Frau in mittleren Jahren zu erzählen weiß, auf engstem Raum, dicht und in geschliffenen Sätzen, die sich Praschl am liebsten unterstreichen würde, findet der Rezensent bemerkenswert. Was es heißt, ein neues Zuhause aufzubauen, Kinder großzuziehen und die todkranke Mutter zu pflegen, erfährt Praschl hier auf eindrucksvolle Weise. Eine starke, heroische Geschichte, findet er.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.2019Dürfen Mütter träumen?
Deborah Levys Roman "Was das Leben kostet" beschreibt eine Verwandlung
In einer Bar an der Karibik-Küste Kolumbiens beobachtet Deborah Levy, wie ein tätowierter, braungebrannter Amerikaner, Ende vierzig, "mächtige Muskelarme und sein Silberhaar zu einem Knötchen am Hinterkopf zusammengezwirbelt", eine junge Frau, vielleicht 19, zu sich an den Tisch einlädt. Zunächst redet er allein. Bis sie - Smalltalk vermeidend - beginnt, ihm eine Geschichte zu erzählen. Nach einem Tauchgang sei sie wieder an die Meeresoberfläche gekommen und habe sich unvermittelt in einem Sturm wiedergefunden. Die junge Frau deutet an, dass ihr vom Tauchboot niemand geholfen habe. In ihrem Sprechen wird das Meerestoben auch zur Metapher für eine kränkende Beziehung, die für sie schwer in Worte zu fassen ist. Doch ihr Gegenüber sagt nur: "Du redest gern, oder?" Die junge Frau bleibt gelassen. Und die Erzählerin kommentiert: "Es war anscheinend nicht so einfach, diesem sehr viel älteren Mann klarzumachen, dass die Welt auch ihre Welt war."
Diese Szene ist der Ausgangspunkt für Levys schmalen Text, der danach fragt, wie Frauen in ihrem Empfinden und Handeln durch patriarchalische Gesellschaftsstrukturen bestimmt sind und wie sie vielleicht beginnen können, Hauptfiguren ihres Lebens zu werden. Nach zwanzig Jahren Ehe, eine der beiden Töchter studierte schon, war Deborah Levy aus der Familien-Tiefsee aufgetaucht. Und was sie nun wahrnahm, war erschreckend. Das sinkende Eheboot gewährte keinen Schutz mehr. Im Gegenteil. Nur, wohin jetzt weiterschwimmen?
Nach "Was ich nicht wissen will", einem Rückblick auf ihre Kindheit in Südafrika, ist "Was das Leben kostet" der zweite Band einer Autobiographie. Er erzählt davon, wie es ist, wenn eine Frau, deren wichtigster Lebensinhalt Familie und Kinder waren, den "symbolischen Schutz" der Ehe aufgeben muss, weil diese Lebensform nicht mehr stimmt. Die Trennung des Paars gelingt einvernehmlich, die Scheidung ist mit materiellen Einbußen verbunden.
Das Abenteuer Leben ohne den Gatten und außerhalb der bürgerlich-sozialen Abfederung beginnt. Es ist der Anfang einer schmerzhaften Metamorphose. Bei der Trennung war Deborah Levy 50 Jahre alt. Der Text über die ersten Jahre ihrer Neuorientierung entstand zehn Jahre später; vielleicht verdankt sich diesem zeitlichen Abstand die schöne Mischung aus sezierendem Blick, Wut, Trauer und entwaffnender Selbstironie. Wenn die Katastrophe überwunden ist, lässt sich mit ihr spielen, in szenischen Miniaturen, die hier zwischen Komik und Ernst hin- und herzittern.
Was ist eine Frau ohne ihren Mann? Ein Wesen zum Beispiel, das in blauer Arbeitsjacke über dem schwarzen Seidennachthemd vor dem verstopften Abfluss steht, mit einem seltsamen staubsaugerartigen Gerät in der Hand, aus dem Drähte herauskommen (sie hat es sich vom Nachbarn ausgeliehen). "Ich war die Frau. Ich war der Mann. Vielleicht war ich Schamane?" Jedenfalls muss sie wie dieser "in andere Welten reisen", in ihrem Fall "ins Innere des Systems unter dem Waschbecken". Und triumphierend bringt sie endlich einen "dicken schleimigen Klumpen aus Menschenhaar" zum Vorschein, ein "menschliches Artefakt".
Im Rückblick will Levy sich die Widrigkeiten des Alltags nicht schönreden. Und doch, sie kann sie jetzt bei den Hörnern packen. Tapfer als Kuriosa, als interessante Exotika angehen und in die pointierte Beschreibung bannen. Die Emanzipation der Frisch-Entmählten nimmt Schwung auf mit einem E-Bike, auf dem sie die Familieneinkäufe den Hügel hinaufradelt. Und dann findet sie, die Holloway Road erinnere an die Adria. Später wird ihr Clara, eine neue Freundin, die sie auf einer Party kennenlernt, recht geben und sagen: Unter dem Pflaster liegt der Strand. Anfänge sind möglich. Wenn der Gatte wegfällt, scheint sich Raum für frische Begegnungen zu öffnen. Die achtzigjährige Celia etwa, einst Schauspielerin und Buchhändlerin, überlässt Levy für wenig Miete ihr Gartenhaus, in dem ihr verstorbener Mann Gedichte verfasst hatte. Sie nimmt eine Minimalbibliothek von zehn Büchern mit und tatsächlich entstehen an diesem für sie unverbrauchten Ort mehrere Bücher. Und einmal im Monat kommt der Gärtner vorbei ("Ein Gärtner ist immer ein Futurist"), der sie mit blauen Augen ansieht, "so als versorgte er eine Pflanze".
Aber auch ihr Blick fängt Menschen ein wie seltsame Gewächse; liebende oder liebesferne, sehnsüchtige Wesen. Da ist der Mann, der auf der Beerdigung weint "wie eine Frau" (auch weil er sich nie zu seinem nun toten Geliebten bekannt hatte); oder die "hysterisch glückliche" Nachbarin Jean, die ihre Mitbewohner belauert und genau weiß, wo man ein E-Bike abstellen darf und wo nicht; oder der Gatte, der seine Frau konsequent nicht ansieht; oder die Studentin, die Angst hat vor ihrer Begabung. Deborah Levy besucht die sterbende Mutter, die am Ende nur noch Wassereis lecken kann. Und die beim Eis mit Kaugummigeschmack - der letzten Sorte, die es beim türkischen Kiosk im Winter noch gibt - empört das Gesicht verzieht.
Im Moment ist das falsche Eis der Skandal und nicht der Tod. Jenseits aller Larmoyanz hat die Autorin einen untrüglichen Sinn für die Komik, die im Traurigen steckt. Sie ist eine Amazone ihres Schmerzes, eine Mutter, die träumen will (sich nicht nur um andere sorgen), in Zitaten gibt sie sich immer wieder die Rückendeckung von Frauen, die mutig geschrieben und manchmal auch mutig gelebt haben (Marguerite Duras, Simone de Beauvoir, Elena Ferrante, Emily Dickinson). Manchmal sind die feministischen Sentenzen steil.
Und doch ist ein menschenfreundliches Buch entstanden, das die Liebesnot nicht beschönigt, dabei aber an der Liebe zwischen Mann und Frau festhalten möchte. Die Voraussetzung ist der Gang durch die "schwarzbläuliche Dunkelheit" hin zu einem selbstbestimmten, für sich geleisteten Frauenleben.
ANGELIKA OVERATH
Deborah Levy: "Was das Leben kostet".
Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2019. 158 S., geb. 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Deborah Levys Roman "Was das Leben kostet" beschreibt eine Verwandlung
In einer Bar an der Karibik-Küste Kolumbiens beobachtet Deborah Levy, wie ein tätowierter, braungebrannter Amerikaner, Ende vierzig, "mächtige Muskelarme und sein Silberhaar zu einem Knötchen am Hinterkopf zusammengezwirbelt", eine junge Frau, vielleicht 19, zu sich an den Tisch einlädt. Zunächst redet er allein. Bis sie - Smalltalk vermeidend - beginnt, ihm eine Geschichte zu erzählen. Nach einem Tauchgang sei sie wieder an die Meeresoberfläche gekommen und habe sich unvermittelt in einem Sturm wiedergefunden. Die junge Frau deutet an, dass ihr vom Tauchboot niemand geholfen habe. In ihrem Sprechen wird das Meerestoben auch zur Metapher für eine kränkende Beziehung, die für sie schwer in Worte zu fassen ist. Doch ihr Gegenüber sagt nur: "Du redest gern, oder?" Die junge Frau bleibt gelassen. Und die Erzählerin kommentiert: "Es war anscheinend nicht so einfach, diesem sehr viel älteren Mann klarzumachen, dass die Welt auch ihre Welt war."
Diese Szene ist der Ausgangspunkt für Levys schmalen Text, der danach fragt, wie Frauen in ihrem Empfinden und Handeln durch patriarchalische Gesellschaftsstrukturen bestimmt sind und wie sie vielleicht beginnen können, Hauptfiguren ihres Lebens zu werden. Nach zwanzig Jahren Ehe, eine der beiden Töchter studierte schon, war Deborah Levy aus der Familien-Tiefsee aufgetaucht. Und was sie nun wahrnahm, war erschreckend. Das sinkende Eheboot gewährte keinen Schutz mehr. Im Gegenteil. Nur, wohin jetzt weiterschwimmen?
Nach "Was ich nicht wissen will", einem Rückblick auf ihre Kindheit in Südafrika, ist "Was das Leben kostet" der zweite Band einer Autobiographie. Er erzählt davon, wie es ist, wenn eine Frau, deren wichtigster Lebensinhalt Familie und Kinder waren, den "symbolischen Schutz" der Ehe aufgeben muss, weil diese Lebensform nicht mehr stimmt. Die Trennung des Paars gelingt einvernehmlich, die Scheidung ist mit materiellen Einbußen verbunden.
Das Abenteuer Leben ohne den Gatten und außerhalb der bürgerlich-sozialen Abfederung beginnt. Es ist der Anfang einer schmerzhaften Metamorphose. Bei der Trennung war Deborah Levy 50 Jahre alt. Der Text über die ersten Jahre ihrer Neuorientierung entstand zehn Jahre später; vielleicht verdankt sich diesem zeitlichen Abstand die schöne Mischung aus sezierendem Blick, Wut, Trauer und entwaffnender Selbstironie. Wenn die Katastrophe überwunden ist, lässt sich mit ihr spielen, in szenischen Miniaturen, die hier zwischen Komik und Ernst hin- und herzittern.
Was ist eine Frau ohne ihren Mann? Ein Wesen zum Beispiel, das in blauer Arbeitsjacke über dem schwarzen Seidennachthemd vor dem verstopften Abfluss steht, mit einem seltsamen staubsaugerartigen Gerät in der Hand, aus dem Drähte herauskommen (sie hat es sich vom Nachbarn ausgeliehen). "Ich war die Frau. Ich war der Mann. Vielleicht war ich Schamane?" Jedenfalls muss sie wie dieser "in andere Welten reisen", in ihrem Fall "ins Innere des Systems unter dem Waschbecken". Und triumphierend bringt sie endlich einen "dicken schleimigen Klumpen aus Menschenhaar" zum Vorschein, ein "menschliches Artefakt".
Im Rückblick will Levy sich die Widrigkeiten des Alltags nicht schönreden. Und doch, sie kann sie jetzt bei den Hörnern packen. Tapfer als Kuriosa, als interessante Exotika angehen und in die pointierte Beschreibung bannen. Die Emanzipation der Frisch-Entmählten nimmt Schwung auf mit einem E-Bike, auf dem sie die Familieneinkäufe den Hügel hinaufradelt. Und dann findet sie, die Holloway Road erinnere an die Adria. Später wird ihr Clara, eine neue Freundin, die sie auf einer Party kennenlernt, recht geben und sagen: Unter dem Pflaster liegt der Strand. Anfänge sind möglich. Wenn der Gatte wegfällt, scheint sich Raum für frische Begegnungen zu öffnen. Die achtzigjährige Celia etwa, einst Schauspielerin und Buchhändlerin, überlässt Levy für wenig Miete ihr Gartenhaus, in dem ihr verstorbener Mann Gedichte verfasst hatte. Sie nimmt eine Minimalbibliothek von zehn Büchern mit und tatsächlich entstehen an diesem für sie unverbrauchten Ort mehrere Bücher. Und einmal im Monat kommt der Gärtner vorbei ("Ein Gärtner ist immer ein Futurist"), der sie mit blauen Augen ansieht, "so als versorgte er eine Pflanze".
Aber auch ihr Blick fängt Menschen ein wie seltsame Gewächse; liebende oder liebesferne, sehnsüchtige Wesen. Da ist der Mann, der auf der Beerdigung weint "wie eine Frau" (auch weil er sich nie zu seinem nun toten Geliebten bekannt hatte); oder die "hysterisch glückliche" Nachbarin Jean, die ihre Mitbewohner belauert und genau weiß, wo man ein E-Bike abstellen darf und wo nicht; oder der Gatte, der seine Frau konsequent nicht ansieht; oder die Studentin, die Angst hat vor ihrer Begabung. Deborah Levy besucht die sterbende Mutter, die am Ende nur noch Wassereis lecken kann. Und die beim Eis mit Kaugummigeschmack - der letzten Sorte, die es beim türkischen Kiosk im Winter noch gibt - empört das Gesicht verzieht.
Im Moment ist das falsche Eis der Skandal und nicht der Tod. Jenseits aller Larmoyanz hat die Autorin einen untrüglichen Sinn für die Komik, die im Traurigen steckt. Sie ist eine Amazone ihres Schmerzes, eine Mutter, die träumen will (sich nicht nur um andere sorgen), in Zitaten gibt sie sich immer wieder die Rückendeckung von Frauen, die mutig geschrieben und manchmal auch mutig gelebt haben (Marguerite Duras, Simone de Beauvoir, Elena Ferrante, Emily Dickinson). Manchmal sind die feministischen Sentenzen steil.
Und doch ist ein menschenfreundliches Buch entstanden, das die Liebesnot nicht beschönigt, dabei aber an der Liebe zwischen Mann und Frau festhalten möchte. Die Voraussetzung ist der Gang durch die "schwarzbläuliche Dunkelheit" hin zu einem selbstbestimmten, für sich geleisteten Frauenleben.
ANGELIKA OVERATH
Deborah Levy: "Was das Leben kostet".
Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2019. 158 S., geb. 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.08.2019Die Ehe war
nicht der Fehler
Deborah Levys autobiografischer
Roman aus der Mitte des Lebens
Es gibt sicher bessere Voraussetzungen, sich mit dem aktuellen Buch von Deborah Levy zu beschäftigen. Gerade liegt es im Sand am Strand einer dänischen Insel. Man hat sich aus dem Yoga-Retreat geschlichen, es ging nicht länger. Jetzt ist aber genau diese Frau schon wieder da – alle diese Frauen eigentlich. Sie sind um die fünfzig. Sie sind durcheinander. Sicher ließe sich das Leben leichter aushalten, wenn es sich nicht dem Ende zuneigte; gegen die Angst vor dem Tod hilft es nicht, sich vorzustellen, dass die kommenden Jahre auch nicht besser sein werden.
Selten war man einer Autorin und ihrer Hauptfigur näher: „Als ich um die fünfzig war und mein Leben eigentlich einen Gang hätte zurückschalten, stabiler und vorhersehbarer werden sollen, wurde alles schneller, instabiler, unvorhersehbarer.“ Deborah Levy, die erfolgreiche, in Südafrika geborene, in London lebende Literaturprofessorin, Theaterautorin und Schriftstellerin, hat unter dem Titel „Was das Leben kostet“ Notizen aus schlechten Zeiten veröffentlicht. Ihr Mann habe sie verlassen, deswegen – so schreibt sie – entgleite ihr alles. Das Familienhaus ist weg, die ältere Tochter zieht aus, das Geld reicht nicht. Dann stirbt auch noch die Mutter.
Dennoch lässt Deborah Levy ihre Leser nicht am Familientisch oder unter der nassgeheulten Bettdecke dabei sein. Die Bestandsaufnahme ist fragmentarisch gehalten und in einem eigenartigen Tonfall – als jammere sie einer entfernten Bekannten am Telefon etwas vor, die sich die näheren Umstände und Ereignisse eh nicht merken wird (in einem Tonfall, der vor allem deutlich macht, dass man erstens alles unter Kontrolle kriegt, ganz sicher, und zweitens bereit ist, sich auch unter widrigsten Umständen zu amüsieren). Ist es ihr Tagebuch, das Levy geöffnet hat? Sind es die Beobachtungen, die Autoren in ihre kleinen Notizbücher kritzeln, wenn sie – das Auto ist auch abgeschafft – auf die Tube warten?
Auch wer nicht zu den Lesern und Leserinnen gehört, die Frauenliteratur schätzen, die leicht und humorvoll davon berichtet, wie andere Frauen ihr Leben meistern, möchte ja Mitgefühl haben mit einer autobiografisch angelegten Hauptfigur, die ihr Leben so schlingernd durchquert, wie sie mit ihrem neuen E-Bike zur neu angemieteten Wohnung kurvt („Ich war bereift … ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu juchzen“). Doch fehlt es sonst an allem – weder haben die Töchter noch der Partner einen Vornamen, noch treten sie alle wirklich in Erscheinung. Alles ist Hintergrund.
Deborah Levy, die sonst so präzise Zeilen für ihre Theatercharaktere setzen kann, stammelt sich durch diesen Text. Und ihre Erzählerin blickt so ratlos auf das eigene Leben, wie sie aus den Fenstern der schäbigen Appartements das Panorama ihres „über alles geliebten“ London sieht. Das Buch wirkt unbehaust, vorwurfsvoll, aber ziellos. Nur eine weitere, ungeschickte Variation des Genres der Verlassenheit, angereichert mit dem Wissen einer Akademikerin, die in jeder Lage lieber bei Duras nachschlägt – und darauf auch stolz ist.
Irgendwo im Internet kursieren noch alte Porträtfotos der heute 57-jährigen Deborah Levy, die sie mit fast verstörend aggressivem Ausdruck zeigen. Sie sieht aus, als würde sie aus der Einkaufstüte, in der ihr älteres Ich die einzelnen Perlen eines zerrissenen Colliers zwischen Gemüse und Sekundärliteratur verstaut, umstandslos die Schaufel ziehen, mit der sie gerade die Nachbarskatze vergraben hat. Wo es um Existenzielles geht ist die junge Deborah Levy ganz offensichtlich der Typ Frau, der eher den Griff der Schaufel in der Hand hat, statt die Metallseite auf den Kopf zu kriegen. Von dieser Autorin hätte man erwartet, dass ihre Selbstbeobachtung härter ist, dass sie zu etwas anderem führen, als Zitaten.
Man vermutet sicher nicht zu Unrecht, dass das aktuelle Elend der Deborah Levy nicht damit begann, dass sie verlassen wurde, oder dass die Ehe der Fehler war. Sie ist eine andere geworden, eine mit Perlenkette, eine, die ihr selbst nicht mehr gefällt. Ein lichter Moment des Buches ist der Auftritt von Freundin Sasha, die erzählt, „dass sie und ein paar Kolleginnen sich freitags zum Abschluss der Woche in verschiedenen Bars sinnlos volllaufen ließen, um anschließend ihre uniforme Arbeitskleidung vollzukotzen“. So eine Deutlichkeit geht dem Text ansonsten ab. Es scheint, als habe die eigenwillige Autorin, die Levy einmal war, sich schon lange vor dem Trauma des Verlassenwerdens aus dem eigenen Werk geschlichen, als habe sie es verlassen.
CATRIN LORCH
Man möchte Mitgefühl haben
mit einer Hauptfigur, die ihr
Leben schlingernd durchquert
Deborah Levy:
Was das Leben kostet. Roman. Aus dem
Englischen von Barbara
Schaden. Hoffmann und Campe, Hamburg 2019.
160 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
nicht der Fehler
Deborah Levys autobiografischer
Roman aus der Mitte des Lebens
Es gibt sicher bessere Voraussetzungen, sich mit dem aktuellen Buch von Deborah Levy zu beschäftigen. Gerade liegt es im Sand am Strand einer dänischen Insel. Man hat sich aus dem Yoga-Retreat geschlichen, es ging nicht länger. Jetzt ist aber genau diese Frau schon wieder da – alle diese Frauen eigentlich. Sie sind um die fünfzig. Sie sind durcheinander. Sicher ließe sich das Leben leichter aushalten, wenn es sich nicht dem Ende zuneigte; gegen die Angst vor dem Tod hilft es nicht, sich vorzustellen, dass die kommenden Jahre auch nicht besser sein werden.
Selten war man einer Autorin und ihrer Hauptfigur näher: „Als ich um die fünfzig war und mein Leben eigentlich einen Gang hätte zurückschalten, stabiler und vorhersehbarer werden sollen, wurde alles schneller, instabiler, unvorhersehbarer.“ Deborah Levy, die erfolgreiche, in Südafrika geborene, in London lebende Literaturprofessorin, Theaterautorin und Schriftstellerin, hat unter dem Titel „Was das Leben kostet“ Notizen aus schlechten Zeiten veröffentlicht. Ihr Mann habe sie verlassen, deswegen – so schreibt sie – entgleite ihr alles. Das Familienhaus ist weg, die ältere Tochter zieht aus, das Geld reicht nicht. Dann stirbt auch noch die Mutter.
Dennoch lässt Deborah Levy ihre Leser nicht am Familientisch oder unter der nassgeheulten Bettdecke dabei sein. Die Bestandsaufnahme ist fragmentarisch gehalten und in einem eigenartigen Tonfall – als jammere sie einer entfernten Bekannten am Telefon etwas vor, die sich die näheren Umstände und Ereignisse eh nicht merken wird (in einem Tonfall, der vor allem deutlich macht, dass man erstens alles unter Kontrolle kriegt, ganz sicher, und zweitens bereit ist, sich auch unter widrigsten Umständen zu amüsieren). Ist es ihr Tagebuch, das Levy geöffnet hat? Sind es die Beobachtungen, die Autoren in ihre kleinen Notizbücher kritzeln, wenn sie – das Auto ist auch abgeschafft – auf die Tube warten?
Auch wer nicht zu den Lesern und Leserinnen gehört, die Frauenliteratur schätzen, die leicht und humorvoll davon berichtet, wie andere Frauen ihr Leben meistern, möchte ja Mitgefühl haben mit einer autobiografisch angelegten Hauptfigur, die ihr Leben so schlingernd durchquert, wie sie mit ihrem neuen E-Bike zur neu angemieteten Wohnung kurvt („Ich war bereift … ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu juchzen“). Doch fehlt es sonst an allem – weder haben die Töchter noch der Partner einen Vornamen, noch treten sie alle wirklich in Erscheinung. Alles ist Hintergrund.
Deborah Levy, die sonst so präzise Zeilen für ihre Theatercharaktere setzen kann, stammelt sich durch diesen Text. Und ihre Erzählerin blickt so ratlos auf das eigene Leben, wie sie aus den Fenstern der schäbigen Appartements das Panorama ihres „über alles geliebten“ London sieht. Das Buch wirkt unbehaust, vorwurfsvoll, aber ziellos. Nur eine weitere, ungeschickte Variation des Genres der Verlassenheit, angereichert mit dem Wissen einer Akademikerin, die in jeder Lage lieber bei Duras nachschlägt – und darauf auch stolz ist.
Irgendwo im Internet kursieren noch alte Porträtfotos der heute 57-jährigen Deborah Levy, die sie mit fast verstörend aggressivem Ausdruck zeigen. Sie sieht aus, als würde sie aus der Einkaufstüte, in der ihr älteres Ich die einzelnen Perlen eines zerrissenen Colliers zwischen Gemüse und Sekundärliteratur verstaut, umstandslos die Schaufel ziehen, mit der sie gerade die Nachbarskatze vergraben hat. Wo es um Existenzielles geht ist die junge Deborah Levy ganz offensichtlich der Typ Frau, der eher den Griff der Schaufel in der Hand hat, statt die Metallseite auf den Kopf zu kriegen. Von dieser Autorin hätte man erwartet, dass ihre Selbstbeobachtung härter ist, dass sie zu etwas anderem führen, als Zitaten.
Man vermutet sicher nicht zu Unrecht, dass das aktuelle Elend der Deborah Levy nicht damit begann, dass sie verlassen wurde, oder dass die Ehe der Fehler war. Sie ist eine andere geworden, eine mit Perlenkette, eine, die ihr selbst nicht mehr gefällt. Ein lichter Moment des Buches ist der Auftritt von Freundin Sasha, die erzählt, „dass sie und ein paar Kolleginnen sich freitags zum Abschluss der Woche in verschiedenen Bars sinnlos volllaufen ließen, um anschließend ihre uniforme Arbeitskleidung vollzukotzen“. So eine Deutlichkeit geht dem Text ansonsten ab. Es scheint, als habe die eigenwillige Autorin, die Levy einmal war, sich schon lange vor dem Trauma des Verlassenwerdens aus dem eigenen Werk geschlichen, als habe sie es verlassen.
CATRIN LORCH
Man möchte Mitgefühl haben
mit einer Hauptfigur, die ihr
Leben schlingernd durchquert
Deborah Levy:
Was das Leben kostet. Roman. Aus dem
Englischen von Barbara
Schaden. Hoffmann und Campe, Hamburg 2019.
160 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Ein faszinierendes, mit klugen und überraschenden Gedanken gespicktes Buch [...]« Claudia Voigt Literatur Spiegel 20190615